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Abb. 191: Peyer-Plaques als Gehege

Antikörper vom Typ sIgA fangen im Darmlumen jenseits des Dünndarm-Epithels Alcaligenes-Bakterien ein und schleusen sie durch M-Zellen in Peyer-Plaques ein. ILCs sorgen dafür, dass die Bakterien ihr Gehege nicht verlassen. Die Bakterien werden geschützt und versorgt. Im Gegenzug stimmen sie das örtliche Immunsystem tolerant. Das verhindert eine zerstörerische Dauerentzündung im Darm.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 190: Die Darmschleimhaut und das örtliche Lymphsystem

A Dünndarmlumen
B Dünndarmzotte
C Schleimschicht
D Becherzelle mit ihren schleimbildenden Ausscheidungen
E Darmepithelzelle (Enterozyt)
F zuführende Lymphgefäße
G mesenterialer Lymphknoten: Präsentation von Antigenen
H Auswanderung aktivierter Lymphozyten in den Blutkreislauf
I Krypta
J Paneth-Zellen, die antibakterielle Substanzen absondern
K M-Zelle, die Antigene aus dem Lumen einschleust
L Peyer-Plaque mit Lymphfollikeln

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Wie Lymphknoten entstehen

Mit dem Werden und Vergehen des Thymus im Lebensverlauf habe ich mich bereits ausführlich beschäftigt, etwa hier. Im letzten Beitrag habe ich die Herkunft der Lymphgefäße skizziert. (Kurz: Sie entstehen größtenteils durch Abknospung von Endothel, also Blutgefäßwänden, aus einigen Hauptadern des Embryos; in einigen Organen und Geweben tragen aber auch andere embryonale Zellen zu den Lymphgefäßen bei.) Weiter geht es mit der Entstehung den Lymphknoten.

Wer Autoimmunerkrankungen verstehen will, sollte Lymphknoten nicht ignorieren

Warum interessiert mich das überhaupt? Das Lymphsystem erfüllt im Wesentlichen drei Aufgaben: Erstens schafft es Flüssigkeit, die aufgrund des Blutdrucks aus den Kapillaren austritt und das Gewebe anschwellen lässt, in die größeren Blutgefäße zurück – jeden Tag etwa drei Liter. Zweitens transportiert es Proteine und vor allem Fette, die unser Verdauungssystem aus der Nahrung gewonnen hat, aus der Darmschleimhaut in den Blutkreislauf. Und drittens – jetzt wird es relevant für’s Buch – führt es den Lymphknoten, gewissermaßen den Kontaktbörsen des Immunsystems, Antigene und Immunzellen zu, und es schickt die dort von den Antigenen aktivierten Immunzellen in das Blut zurück, von dem sie sich an ihre Einsatzorte verfrachten lassen.

Neben den normalen Lymphknoten, die während der Embryonalentwicklung an vordefinierten Stellen entstehen, bilden sich im Körper später auch bedarfsgesteuerte Strukturen: zum einen kurz nach der Geburt die sogenannten Peyer-Plaques in der Darmschleimhaut, die dem Management unserer Beziehungen zur Darmflora dienen. Und zum anderen ein Leben lang improvisierte Lymphknötchen in der Nähe von Entzündungsherden, sogenannte tertiäre lymphatische Organe (TLO). Sie verkürzen die Transportwege für Antigene und Immunzellen und machen so die Bekämpfung der Entzündungsauslöser effizienter. Für das Buch habe ich sie als Feldlager skizziert.

Bei einer akuten Infektion ist das gut – aber bei einer chronischen Autoimmunerkrankung verstärkt es leider die Reaktion des Immunsystems auf körpereigene Antigene. Zudem unterstützen TLOs bei vielen Autoimmunerkrankungen ausgerechnet die schädlichen autoreaktiven Immunzellen, während sie andere, nützliche Immunzellen abweisen (siehe „Ärger mit dem Passwort“). Solche tertiären Lymphstrukturen entstehen im Prinzip ähnlich wie die normalen Lymphknoten, nämlich durch einen Dialog von Immunzellen und lokalen Bindegewebszellen. Daher sehen wir uns zunächst die normalen Entwicklung während der Embryogenese an.

Es beginnt im zweiten Monat

Im menschlichen Embryo schnüren sich im zweiten Monat zunächst sechs sogenannte Lymphsäcke von den Kardinalvenen im oberen Bereich des Rumpfes ab. Aus diesen Ausbuchtungen wächst dann das Lymphgefäßsystem allmählich in die Peripherie hinein, wie im letzten Beitrag beschrieben. Wo das Netzwerk besonders dicht ist, etwa in der Nachbarschaft des künftigen Verdauungstrakts, nennt man es Lymphplexus. Am Ende durchzieht das System den gesamten Körper, ähnlich wie der Amazonas das ganze Amazonasbecken drainiert.

Erste Ansätze zu Lymphknoten finden sich etwa ab Tag 36 der Embryonalentwicklung in der Nähe des Zusammenflusses zweier paarig angelegter Kardinalvenen, die dort zur Vena cardinalis communis fusionieren. Die Lymphsäcke, die noch überwiegend aus Endothel bestehen, werden jetzt mit Mesenchymzellen durchsetzt, die zur charakteristischen Zonenbildung in den Lymphknoten beitragen (H bis J in dieser Zeichnung). Weitere Mesenchymzellen bilden die Bindegewebskapsel und die Stützwände der Knoten (E bis G).

Dialoge zwischen Induktoren und Organisatoren

Doch woher wissen die Vorläuferzellen, wohin sie sich begeben sollen, mit welchen anderen Zellen sie sich wie zusammenlagern und welche genaue Funktion sie übernehmen sollen? Das wird über einen Austausch von Signalen organisiert. An einem Ort, der für einen Lymphknoten prädestiniert ist – einer sogenannten Anlage* -, wird zunächst ein Botenstoff namens TRANCE ausgeschüttet. Dieser lockt sogenannte lymphoid tissue inducer cells oder LTi-Zellen an. Das sind erste weiße Blutkörperchen, die eng mit den späteren Immunzellen verwandt sind. Über Rezeptoren auf ihrer Oberfläche nehmen sie Verbindung mit den Mesenchymzellen auf, die als lymphoid tissue organizer (LTo) bezeichnet werden. Die LTo-Zellen werden durch den Kontakt aktiviert: Sie überziehen sich mit Adhäsionsmolekülen, sozusagen Widerhaken oder Klebstoffen, und schütten sowohl entzündungstypische Botenstoffe (Zytokine) als auch Lockstoffe (Chemokine) aus. Durch diese positive Rückkopplung werden weitere Immunzellen rekrutiert, zur Ansiedlung ermuntert und aktiviert, ähnlich wie bei einer Entzündung.

Nach der Geburt

All dies geschieht im Embryo, also noch ohne Kontakt zu fremden Antigenen. Aber sobald nach der Geburt der Darm des Säuglings mit Mikroben besiedelt wird, erfährt die Entwicklung des Lymphgewebes noch einen Schub. Vor allem in der Darmschleimhaut bilden sich durch den Kontakt zur Darmflora tertiäre Lymphorgane, und zwar ähnlich wie eben beschrieben, also angestoßen durch LTi-Zellen und andere Immunzellen, die sich in der Darmschleimhaut niederlassen und mit ihren Nachbarzellen in Kontakt treten, um „Feldlager“ zu errichten. Mit diesen Strukturen kann das Immunsystem die Darmflora regelmäßig auf ihre Zusammensetzung prüfen und gegebenenfalls in ihre Schranken weisen.

Inwieweit auch die Bildung tertiärer Lymphorgane bei chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen der vorgeburtlichen Entstehung der Lymphknoten ähnelt und in welcher Hinsicht die beiden Prozesse voneinander abweichen, beschreibe ich im nächsten Beitrag.

 

* Auch in englischen Arbeiten heißen sie anlagen. In der Embryologie waren im 19. Jahrhundert deutsche Forscher führend, und die Fachsprache hat diesen Ausdruck übernommen.

Literatur:

Manuela Ferreira et al. (2012): Stroma cell priming in enteric lymphoid organ morphogenesis

Lucille Rankin et al. (2013): Diversity, function, and transcriptional regulation of gut innate lymphocytes

Alcaligenes: das Vieh in unseren Peyer-Plaque-Corrals

Die nächste Skizze fürs Buch:

P1180270_Alcaligenes_sIgA_ILCs_Corral_korr_650Eine der seltsamsten Entdeckungen, die in den letzten Jahren in unserem Darm gemacht wurden, ist die „Viehwirtschaft“ in den Peyer-Plaques – jenen Lymphfollikelhaufen unter dem Dünndarmepithel, in denen die lokale Immunabwehr organisiert wird.

Das Epithel, hier als Palisade dargestellt, besteht aus einer einzelnen Schicht von Enterozyten, die seitlich durch tight junctions so eng miteinander verbunden sind, dass sich nichts Gefährliches zwischen ihnen hindurch aus dem Darmlumen (oben) in das darunter liegende Gewebe (unten) quetschen kann. Aber direkt über jedem Peyer-Plaque sitzt eine M-Zelle (die Pforte), die Substanzen aus der Nahrung, Bakterien und Bakterienbruchstücke aus dem Darmlumen aufnimmt und an ihrer Unterseite wieder ausscheidet (sog. Transzytose, von trans = hindurch und Endozytose).

Dort nehmen normalerweise dendritische Zellen, die unterhalb des Epithels Wache schieben, die Antigene auf, um sie zu verarbeiten und dann in den Peyer-Plaques den naiven T- und B-Zellen zu präsentieren. Dort werden die zu den Antigenen passenden Zellen der erworbenen Abwehr aktiviert; sie vermehren sich, wandern durch die Blutbahn und kehren in den Darm zurück, wo sie z. B. Infektionen bekämpfen.

Solange keine akute Infektion vorliegt, sondern den B-Zellen vor allem Antigene aus harmlosen Darmbakterien (Kommensalen) präsentiert werden, produzieren sie sogenanntes sekretorisches Immunglobulin A (sIgA): Dimere aus zwei Y-förmigen IgA-Antikörpern, die an ihren „Stielenden“ zusammengeheftet sind. Dieses sIgA wird durch das Epithel ins Darmlumen ausgeschieden, wo es an Antigene an der Oberfläche von Kommensalen bindet. sIgA löst keine Komplementreaktion und damit keine Entzündung aus, sondern hindert die Kommensalen einfach nur daran, sich an das Epithel anzulagern und damit die Enterozyten und die Immunzellen in der Nähe „nervös zu machen“.

Manchmal aber geschieht Seltsames: Das sIgA bindet an lebende Bakterien der Gattung Alcaligenes, klopft dann gewissermaßen an die M-Zellen-Tür und wird mitsamt der Bakterien durch die M-Zellen in die darunter liegenden Peyer-Plaques eingeschleust. Ich habe das sIgA hier als Cowboys und die Alcaligenes-Zellen als Rinder dargestellt. Im Peyer-Plaque – dem Corral – werden die Bakterien nicht etwa abgetötet, sondern sie leben weiter, werden mit Nährstoffen versorgt und vermehren sich offenbar sogar.

Noch ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich um eine perfide Ausbeutung durch die Bakterien handelt. Wahrscheinlicher ist diese Form der „Viehhaltung“ aber eine Symbiose: Alcaligenes lässt sich in geschützter Umgebung versorgen und stimmt dafür das lokale Immunsystem tolerant, indem es ihm ständig kommensalentypische Antigene präsentiert. So werden gefährliche Überreaktionen auf harmlose Kommensalen vermieden.

Wichtig ist, dass die Bakterien nicht aus ihrem Corral ausbrechen. Dafür sorgen offenbar ILCs – die vor wenigen Jahren entdeckten innate lymphoid cells, die an der Grenze zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem stehen. Rings um die Peyer-Plaques machen sie sich als Hirten verdient. Fehlen sie oder haben sie einen Defekt, so brechen die Alcaligenes-Bakterien aus, die örtlichen B-Zellen schalten auf die Produktion von Antikörpern des Typs IgG um, und der Dünndarm entzündet sich.

Quellen:

  • Kunisawa J. und H. Kiyono (2012): Alcaligenes is Commensal Bacteria Habituating in the Gut-Associated Lymphoid Tissue for the Regulation of Intestinal IgA Responses. Front Immunol. 2012; 3: 65, doi: 10.3389/fimmu.2012.00065
  • Sonnenberg G. F. et al (2012): Innate Lymphoid Cells Promote Anatomical Containment of Lymphoid-Resident Commensal Bacteria. Science 336: 6086; doi: 10.1126/science.1222551

 

Die Architektur des Darmimmunsystems

A  Dünndarmlumen
B  Dünndarmzotte
C  Schleimschicht
D  Becherzelle mit ihren schleimbildenden Ausscheidungen
E  Darmepithelzelle
F  zuführende Lymphgefäße
G  mesenterialer Lymphknoten: Präsentation von Antigenen
H  Auswanderung aktivierter Lymphozyten in den Blutkreislauf
I  Krypta
J  Paneth-Zellen, die antibakterielle Substanzen absondern
K  M-Zelle, die Antigene aus dem Lumen einschleust
L  Peyer-Plaque mit Lymphfollikeln

(Erläuterungen folgen im Buch.)