Die Grundlagen: Autoimmunität, Teil 2

Schutz vor falschen Verbindungen

Notizen zum 14. Kapitel des Lehrbuchs Janeway’s Immunobiology von Kenneth Murphy, Paul Travers und Mark Walport, 7. Auflage, Garland Science, 2008 – Teil 2: S. 602-605 (Teil 1: hier)

Die wichtigsten Mechanismen der peripheren Toleranz:

  • Anergie (Stilllegung; Zellen reagieren nicht mehr)
  • Apoptose (Zellen werden abgetötet)
  • Suppression durch regulatorische T-Zellen (Tregs)

An jedem der „Kontrollpunkte“ der zentralen und peripheren Toleranz muss ein Gleichgewicht gewahrt werden; Autoimmunität soll verhindert werden, ohne die Immunabwehr zu sehr zu schwächen. Die Abfolge der Kontrollpunkte sorgt für einen ganz guten Schutz, selbst wenn einzelne Punkte auch bei Gesunden immer wieder einmal versagen. 

Die bloße Aktivierung autoreaktiver Lymphozyten bedeutet noch nicht, dass eine Autoimmunerkrankung vorliegt; eine gewisse Autoreaktivität ist sogar für das normale Funktionieren des Immunsystems nötig. Pathologisch wird dies erst, wenn mehrere Kontrollposten zusammenbrechen und Effektorzellen entstehen, die eigenes Gewebe zerstören.

Dabei spielen wohl genetische Prädispositionen, der Zusammenbruch der Toleranzmechanismen und exogene Auslöser wie Infektionen zusammen.

Schichten der Selbsttoleranz:

  • Zentrale Toleranz: Lymphozyten werden noch im Thymus oder Knochenmark (den primären lymphatischen Organen) ausgelöscht oder umgestimmt.
  • Antigen-Segregation: Barrieren verhindern das Eindringen von Autoantigenen in das periphere Lymphsystem.
  • Periphere Anergie: Schwache Signale bei fehlender Kostimulation führen in den sekundären lymphatischen Organen zu einer Inaktivierung der Zellen.
  • Suppression: Regulatorische T-Zellen schütten in sekundären lymphatischen Organen oder an Entzündungsorten Zytokine aus, die die Zellen deaktivieren.
  • Differenzierung zu TH2-Zellen: In sekundären lymphatischen Organen oder an Entzündungsorten wird so die Ausschüttung von entzündungsauslösenden Zytokinen begrenzt.
  • Apoptose/klonale Deletion: In sekundären lymphatischen Organen oder an Entzündungsorten werden fälschlich aktivierte Zellen durch programmierten Zelltod ausgeschaltet.

Die Mechanismen der zentralen Toleranz, die in den primären lymphatischen Organen wirksam sind, sind der erste und wichtigste Schutz vor stark autoreaktiven Lymphozyten. Autoimmunerkrankungen, bei denen dieses System gänzlich versagt, sind nicht bekannt.

Viele gewebespezifische Autoantigene wie Insulin werden den Lymphozyten im zentralen Teil des Thymus (der Medulla) von einer Untergruppe denditischer Zellen präsentiert. Von außen können diese Antigene nicht eindringen; das verhindert die Blut-Thymus-Schranke; also müssen sie in den Thymuszellen entstanden sein. Dass solche für periphere Gewebetypen und Organe spezifischen Gene hier ektopisch exprimiert und die auf sie reagierenden Thymozyten ausgeschaltet werden, liegt vermutlich am Transkriptionsfaktor AIRE (autoimmune regulator).

Ist das AIRE-Gen defekt, kommt es zur seltenen monogenetisch vererbten Autoimmunerkrankung APECED (Autoimmune Polyendocrinopathy-Candidiasis-Ectodermal Dystrophy), bei der viele endokrine Gewebe zerstört werden, darunter die insulinproduzierenden Langerhansinseln in der Bauchspeicheldrüse. Dass die Krankheit sich erst allmählich manifestiert und nicht immer alle potenziell betroffenen Organe erfasst, deutet darauf hin, dass es weitere Ebenen der Toleranz gibt.

Lymphozyten mit einer schwachen Affinität zu Autoantigenen entgehen den Mechanismen der zentralen Toleranz. Sie sind zwar nicht richtig tolerant, reagieren aber für gewöhnlich nicht auf die Autoantigene und werden daher als „ignorant“ bezeichnet. Bei starken Reizen können naive ignorante T-Zellen aktiviert werden und dann Autoimmunreaktionen zeigen – insbesondere, wenn sie aktivierten dendritischen Zellen begegnen, die ihnen das Autoantigen gemeinsam mit einer hohen Dosis kostimulatorischer Signale präsentieren, wie es bei einer Infektion der Fall ist.

Vor allem, wenn ihre Autoantigene zugleich Liganden für TLRs (Toll-like receptors) sind, die normalerweise auf pathogentypische Molekülstrukturen reagieren, besteht die Gefahr, dass „falscher Alarm“ ausgelöst wird. Zum Beispiel kommen unmethylierte CpG-Sequenzen, die von TLR-9 erkannt werden, viel häufiger in bakterieller DNA als in Säugetier-DNA vor, aber in Säuger-Zellen, die eine Apoptose durchlaufen, häufen sie sich. Sterben infolge einer Infektuion besonders viele Zellen und werden diese zudem nicht ordnungsgemäß entsorgt, nehmen B-Zellen, deren Rezeptoren auf solche Chromatinfragmente spezialisiert sind, die DNA mit den CpG-Sequenzen auf. In deren Innerem begegnen die CpG-Sequenzen dann ihrem Rezeptor TLR-9, was zu einem starken kostimulatorischen Signal führt, das zusammen mit dem Signal an den B-Zell-Rezeptoren die bis dahin ignoranten Anti-Chromatin-B-Zellen aktiviert. Diese produzieren daraufhin gegen Chromatin gerichtete Autoantikörper und können auch autoreaktiven T-Zellen ihre Autoantigene präsentieren.

Auf ähnliche Weise werden Ribonukleinkomplexe mit uridinreicher RNA von TLR-7 und TLR-8 gebunden und aktivieren so naive B-Zellen. Autoantikörper gegen DNA und gegen Ribonukleinkomplexe sind typisch für die Autoimmunerkrankung SLE. Dass TLRs stets genau zwischen Selbst und Nichtselbst unterscheiden könnten, wird daher inzwischen angezweifelt; vielleicht sind sie an einigen Autoimmunerkrankungen beteiligt (Toll-Hypothese).

Auch das Absterben von Gewebe und die damit verbundene abrupte Freisetzung großer Mengen von Antigenen, die normalerwiese nur innerzellulär auftreten und daher nicht mit Lymphozyten in Kontakt kommen, kann bis dahin ignorante B- und T-Zellen aktivieren. Zum Beispiel kommt es einige Tage nach einem Herzinfarkt zu Autoimmunreaktionen gegen Herz-Antigene, die normalerweise abklingen, sobald diese Antigene entsorgt sind. Wenn die Aufräummechanismen genetisch oder durch irgendwelche Begleitumstände beeinträchtigt sind, kann jedoch eine klinische Autoimmunkrankheit daraus werden.

Manche sehr häufigen Autoantigene lösen in ihrer normalen Gestalt keine Immunrekationen aus. IgG-Monomere zum Beispiel kommen im Blut und anderen extrazellulären Flüssigkeiten in hoher Konzentration vor und können in dieser Form nicht an B-Zell-Rezeptoren binden. Bilden sich aber nach einer Infektion oder Immunisierung Immunkomplexe, können die B-Zellen auf einmal auf das IgG in seiner multivalenten Form reagieren. Dann produzieren sie einen Anti-IgG-Antikörper, den Rheumafaktor, der auf eine rheumatoide Arthritis hinweist.

In den Keimzentren der sekundären lymphatischen Organe können aktivierte B-Zellen eine somatische Hypermutation durchlaufen. So können einige bereits aktivierte, aber bislang nicht oder nur ganz schwach auf Autoantigene ansprechende B-Zellen autoreaktiv werden. Offenbar gibt es in den Keimzentren (in denen ja eigentlich keine Pathogene vorkommen sollten) aber einen Kontrollmechanismus, denn wenn eine hypermutierte autoreaktive B-Zelle ihrem löslichen Autoantigen begegnet  und dieses stark an ihre B-Zell-Rezeptoren bindet, führt das nicht etwa zu ihrer Vermehrung, sondern zur Apoptose.

(Fortsetzung folgt.)

2 Gedanken zu „Die Grundlagen: Autoimmunität, Teil 2

  1. Selma Heinemann

    Liebe Frau Kamphuis,

    ich möchte Ihnen auf diesem Wege meine aufrichtige Bewunderung, wie auch Freude darüber ausdrücken, dass es noch so selten gute Exemplare der Menschenrasse wie Sie gibt 😉 Ich habe durch die Internetseite durch Frau Schanzenbach erfahren, welche für mich auch untere die „seltenen guten Exemplare“ fällt. Ich selber habe die Störung „MS“ und mit dem sogenannten Fatiquesyndrom sehr häufig zu tun. Nachdem ich mich etwas über Ihre „Störung“ kundig gemacht habe, bitte ich Sie darum, gut auf sich acht zu geben uns sich keinesfalls unter Druck setzen zu lassen, bzw. sich keinesfallsd selbst unter Druck zu setzen. Ich bin mir sicher, dass Sie Ihr Ziel erreichen werden. Von ganzem Herzen und mit ganzer Seele meinen aufrichtigsten Dank.
    Selma (Sally) Heinemann

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  2. Andrea Kamphuis Beitragsautor

    Liebe Sally Heinemann,
    ganz herzlichen Dank für diese bewegenden und sehr motivierenden Worte! Ja, ich versuche, auf mich aufzupassen. Stress lässt sich nicht immer vermeiden, aber man sollte Situationen und Menschen, die einen zu sehr belasten, wirklich aus dem Weg gehen, wenn man MS oder Hashimoto oder eine andere Autoimmunstörung hat.
    Das Buch zu schreiben und zu finanzieren empfinde ich hingegen als „positiven Stress“. 🙂
    Viele Grüße und alles Gute
    Andrea Kamphuis

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