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Wer ist Gärtner, wer Rasen?

Kürzlich habe ich mich hier über die Rasenpflege-Metapher von Lozupone et al. mokiert, der zufolge unsere Darmflora im Gleichgewichtszustand so etwas wie ein gut gestutzter und gedüngter Rasen ist, wie man ihn in amerikanischen Vorstadtgärten findet. Die Gärtner wären demnach unsere Darmepithel- und lokalen Immunzellen. Diese einseitige Sicht wird der über Jahrmillionen herausgebildeten Symbiose aber nicht gerecht. Daher hier eine Gegendarstellung:

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Stellvertretend für die vielen Bakterien in unserer Darmflora betrachten wir die 2004 entdeckte Art Akkermansia muciniphila, die in der Schleimschicht in unserem Dickdarm lebt. Wie der zweite Teil ihres Namens („schleimliebend“) andeutet, ernährt sich sich vom Schleim. Das heißt aber nicht, dass sie uns schaden würde. Vielmehr sorgen ihre Stoffwechselprodukte – unter anderem die bereits mehrfach erwähnten kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) – dafür, dass die Darmepithelzellen noch mehr Schleim herstellen. Hier ist das Bakterium der Gärtner, der den Rasen – die Schleimschicht – stutzt und den Boden – die Epithelzellen – düngt, wodurch die Barriere sich ständig erneuert und für Pathogene im Normalfall undurchdringlich bleibt:

P1180254_Akkermansia_SCFA_Ebdocannabinoide_650Außerdem regt Akkermansia muciniphila unseren Körper zur Produktion von Endocannabinoiden wie 2-Arachidonylglycerol (2-AG) an, die entzündungshemmend wirken, die Epithelschicht abdichten und die Produktion antibakterieller Peptide regulieren. Im Tiermodell kann man mit der Verabreichung lebender Akkermansia-Bakterien chronische Entzündungen hemmen und Fettleibigkeit verhindern.

Ob ein Probiotikum aus Akkermansia auch beim Menschen gegen Typ-2-Diabetes, Fettleibigkeit oder chronische Darmentzündungen helfen würde, ist damit noch nicht gesagt. Menschen sind halt keine Mäuse.

Gleich und gleich gesellt sich gern: Proteobacteria bei Dickdarm-Entzündungen

Winter SE, Bäumler AJ. Why related bacterial species bloom simultaneously in the gut: principles underlying the ‚Like will to like‘ concept. Cellular Microbiology 2014, 16(2). 179-184

Im gesunden Dickdarm dominieren obligate anaerobe Bakterien aus den Stämmen Bacteroidetes (Klasse Bacteroidia) und Firmicutes (Klasse Clostridia); Arten aus den Stämmen Proteobacteria und Actinobacteria sind meist selten. Homöostase -> idealer Nährstoffaufschluss und Infektionsresistenz. Dysbiose: Clostridien gehen zurück, fakultative anaerobe Proteobacteria breiten sich aus.

Aber wie wird das Gleichgewicht aufrecht erhalten, bzw. wie kommt es zur Dysbiose? Und wieso werden dabei ganze Stämme regelrecht ausgetauscht, statt dass nur einzelne arten häufiger bzw. seltener werden? Lozupone et al. (2012) haben das mit Rasenpflege verglichen: Bei schweren Zwischenfällen wird die nackte Erde freigelegt, und statt Gras können sich Unkräuter ausbreiten. Aber diese Metapher sagt noch nichts über die Mechanismen.

Beobachtung bei Mäusen: Tiere, die viele Kommensalen der Art Escherichia coli beherbergen, sind besonders anfällig für Infektionen mit Salmonella enterica und Campylobacter jejeuni, die zum selben Stamm (Proteobacteria) gehören. -> Similis-simili-gaudet-Hypothese. Vielleicht lokale Umweltbedingung, die alle Arten eines Stammes fördert?

Normale Labormäuse gehören zu einem von zwei Enterotypen: entweder hohe Diversität der Darmflora und Dominanz von Clostridien und Bacteroidia – oder geringere Diversität, weniger Clostridien und (relativ) mehr Proteobacteria, oft verbunden mit schwacher Entzündung. Bei Menschen ist die Existenz bzw. Omnipräsenz und Bedeutung von Enterotypen allerdings noch umstritten.

Mausmodelle für Colitis: Entzündungsreaktion auf chemischen Trigger oder genetische Disposition erhöht Häufigkeit fakultativer Anaerobier, v. a. aus der Familie Enterobaceriaceae (Stamm Proteobacteria). Auch bei Infektion mit dem Einzeller Toxoplasma gondii breiten sich Enterobaceriaceae in der Darmflora unkontrolliert aus. Einige pathogene Enterobacteriae lösen mit Virulenzfaktoren ihrerseits Entzündung aus, um sich gegenüber anderen Bakterien einen Wachstumsvorteil zu verschaffen.

Menschen: Bei Morbus Crohn, Antibiotika-Behandlung, HIV-Enteropathie (chronische Diarrhö) und anderen Erkrankungen des Dickdarms ebenfalls Proteobacteria-Blüte im Verbund mit Clostridien-Rückgang. Aber sind es dieselben Selektionskräfte, die die Proteobacteria fördern und den Clostridien zu schaffen machen? Wahrscheinlich nicht.

Proteobacteria profitieren von einem Mechanismus, bei dem reaktive Sauerstoff- und Stickstoff-Species entstehen. Diese antimikrobiellen Substanzen diffundieren vom Epithel weg ins Lumen und wandeln sich dabei in Elektronenakzeptoren wie Tetrathionat oder Nitrat um. Pathogene S. enterica und kommensale E. coli können diese Elektronenakzeptoren für ihre anaerobe Respiration und damit für ein starkes Wachstum im Dickdarm nutzen.

Fitnessvorteil für Proteobacteria: Die fakulativen Anaerobier können durch die anaerobe Respiration nichtfermentierbare Substrate oder Fermentationsendprodukte als Kohlenstoffquellen nutzen und vermeiden so die Konkurrenz um fermentierbare Nährstoffe, auf die die obligaten Anaeroben (Bacteroidias und Clostridia) angewiesen sind.

Rückgang der Clostridien: wahrscheinlich durch eine andere, noch unbekannte Selektionskraft, denn Clostridien haben keine terminalen Oxidoreduktasen und können daher auf die Elektronenakzeptoren, die bei der Entzündung entstehen, nichts reagieren. Es muss ein Faktor sein, der nicht auf alle Clostridien nachteilig wirkt: Clostridium difficile und einige andere Arten aus der Familie der Lachnospiraceae vermehren sich nämlich bei Darmentzündungen, statt zu verschwinden.

Clostridien produzieren bei der Fermentation kurzkettige Fettsäuren, die entzündungshemmend auf das Immunsystem einwirken, indem sie die Rezeptoren regulatorischer T-Zellen (Tregs) stimulieren. Daher kann es sein, dass ein Rückgang der Clostridien (zum Beispiel durch Antibiotika) der erste Schritt zur Dysbiose ist: Wenn sie fehlen, wird eine einmal gestartete Entzündung nicht rechtzeitig gestoppt, und die Entzündungsprodukte fördern dann die Proteobacteria.

Mikrobiom und Autoimmunerkrankungen, V

Lora V. Hooper et al.: Interactions Between the Microbiota and the Immune System. Science 336(6086), 1268-1273, DOI: 10.1126/science.1223490

(Notizen nur zu den Teilen, in denen es um AIE geht)

In Tiermodellen, in denen Tregs fehlen, fördern Th1- und Th17-Zellen sowie IL-23-abhängige lymphoide Zellen der angeborenen Immunabwehr (innate lymphoid cells = ILCs) Colitis. Vermutlich werden auch beim Menschen CEDs durch ein Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Immunzelltypen ausgelöst, das wiederum von den Kommensalen beeinflusst wird. Dafür sprechen z. B. die starke Kopplung von Morbus Crohn an IL23R-Polymorphismen und von schwerer Enterocolitis an IL10– und IL10R-Mutationen.

Bei keimfrei aufgezogenen Mäusen ist der Verlauf von Arthritis, EAE (MS-Modell) oder Colitis i. A. schwerer als bei Mäusen mit normalem Mikrobiom. Bei Tiermodellen für Th17-abhängige Arthritis und EAE reicht eine Assoziation mit segmentierten filamentösen Bakterien (SFB) aus, um die Krankheit auszulösen. In all diesen Modellen hat die Vermehrung der Th17-Zellen im Darmschleimhaut-Immunsystem systemische Auswirkungen. Die Antigenspezifität dieser Zellen muss noch geklärt werden.   Weiterlesen

Dickdarmbakterien regulieren über kurzkettige Fettsäuren unser Immunsystem

J. K. Nicholson etl al: Host-Gut Microbiota Metabolic Interactions. Science 336, 08.06.2012, 1262-1267: Firmicutes wie Eubacterium, Roseburia, Faecalibacterium und Coprococcus zerlegen für den menschlichen Organismus unverdauliche Ballaststoffe wie Hemizellulosen im Dickdarm in kurzkettige Fettsäuren wie Buttersäure, Essigsäure oder Proprionsäure. Diese senken den pH-Wert im Dickdarm, hemmen durch die Ansäuerung das Wachstum von Pathogenen wie Salmonellen, stimulieren die Wasser- und Natriumabsorption, beteiligen sich an der Cholesterinsynthese, versorgen die Darmepithelzellen und einige Darmbakterien mit Energie und stimulieren die Leptinproduktion in Adipozyten (zumindest in Zellkulturen und Mäusen).   Weiterlesen