The Epigenetics of Autoimmune Diseases, Kap. 17: Sexualhormone

Für die DNA-Transkription müssen die Nukleosomen umgebaut werden.

Notizen zum 17. Kapitel des Buches von Moncef Zouali (Hg.); noch nicht allgemein verständlich aufbereitet

Virginia Rider und Nabih I. Abdou, “Hormones: epigenetic contributors to gender-biased autoimunity”, in M. Zouali (Hg.), “The Epigenetics of Autoimmune Diseases”, Wiley-Blackwell 2009

Einführung

Zwar werden die Grundlagen für die immunologische Selbsterkennung schon früh in der Entwicklung gelegt, aber bei Erwachsenen muss diese Selbsttoleranz durch bestimmte Schlüsselfaktoren aufrecht erhalten werden. Denn autoreaktive T-Zellen mit schwachen Antigenrezeptoren können der klonalen Selektion entgehen, und somatische Mutationen könnten B-Zellen mit autoreaktiven Antigenrezeptoren erzeugen. Ein Verlust der Selbsttoleranz tritt bei Frauen erheblich häufiger auf als bei Männern. Systemischer Lupus erythematodes (SLE) trifft Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter 9 mal öfter als Männer.  

Estrogenrezeptoren

Die Kernrezeptor-Genfamilie umfasst Rezeptoren für Estrogene (standardsprachlich: Östrogene), Androgene, Glucocorticoide, Schilddrüsenhormome, Retinoide und Vitamin D3. In diesem Kapitel geht es v. a. um den möglichen Beitrag des weiblichen Sexualhormons Estrogen (17β-Estradiol) zu Autoimmunerkrankungen von Frauen. Estrogen bindet spezifisch an zwei Estrogenrezeptor-Proteine: ER-α und ER-β. Estrogenrezeptoren sind Transkriptionsfaktoren. ER-α und ER-β bilden Homo- und Heterodimere, binden Estradiol gleich stark und treten als Dimere mit einer Inverted-repeat-DNA-Sequenz in Wechselwirkung, die sich in den Promotorregionen vieler estrogengesteuerter Gene findet: dem Estrogen-response element (ERE).

Estrogen und Autoimmunität

SLE-Schübe (oder Ausbrüche) scheinen in bestimmten Phasen des Menstruationszyklus, während der Schwangerschaft und bei der künstlichen Eisprung-Auslösung zur künstlichen Befruchtung häufiger zu sein, also mit einer erhöhten Estrogenkonzentration zu korrelieren. Nach den Wechseljahren nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs oder weiterer Schübe ab. Ob SLE-Patientinnen die Pille meiden sollten, ist umstritten.

Estrogen reguliert Moleküle, die an Entzündungsreaktionen beteiligt sind. Die Estradiol-Konzentration im Blut ist während des Höhepunkts eines SLE-Ausbruch am höchsten; das Hormon könnte also zur Ausbildung, zum Voranschreiten oder zur Schwere von SLE beitragen. Estrogen stimuliert T-Zell-Aktivierungsmarker. Weibliche SLE-Modellmäusen entwickeln die Krankheit eher als männliche, und eine Ovariektomie (Eierstockentfernung) oder Androgen-Gaben verbessern ihren Zustand. Transgene Nicht-SLE-Mäuse, bei denen die Expression einer schweren Kette eines Anti-DNA-Antikörpers aktiviert wird, entwickeln bei Estrogen-Gabe einen SLE-Phänotyp. Estrogen erhöht die Cytokin- und Immunglobulin-Konzentration im Blut, soll die Proliferation von T-Zellen und Makrophagen steigern und in B-Zellen von Mäusen die Expression von Genen stimulieren, die einigen selbstreaktiven Zellen helfen, dem programmierten Zelltod zu entkommen. Eine abnorme T-Zell-Regulierung durch B-Zellen kann zur Ausschüttung von (Auto-)Antikörpern führen. SLE ist die Autoimmunerkrankung mit der größten Zahl nachweisbarer Autoantikörperspezifitäten. Eine estrogenabhängige T-Zell-Stimulierung könnte über vermehrte T-Zell-B-Zell-Wechselwirkungen zur SLE-Pathogenese führen.

Auf Estrogen reagieren unter anderem Monozyten und T-Zellen im peripheren Blut (d. h. außerhalb der blutbildenden Organe), im Thymus und im Synovialgewebe (in Gelenken). Mononukleäre Zellen im peripheren Blut von Männern wie Frauen exprimieren ER-α- und ER-β-Transkripte; die Transkripte in den Monozyten, T-Zellen und B-Zellen von SLE-Patienten scheinen sich nicht von den Varianten in Gesunden zu unterscheiden. Die Primärtranskript beider Rezeptorsubtypen werden alternativ gespleißt; bei SLE könnte also ein Spleißprodukt vorherrschen, das eine andere Estrogenempfindlichkeit hat. In manchen Studien wurden ER-α-Polymorphismen mit bestimmten SLE-Verläufen assoziiert. Ob die alternativen Spleißprodukte zu funktionsfähigen Rezeptoren werden und wie diese zu einem früheren Ausbruch oder heftigeren Verlauf von SLE führen können, ist noch unklar.

Dass beide Transkripte in menschlichen T-Zellen vorkommen, erschwert die Aufklärung. Man weiß nicht, ob beide Rezeptoren auf dieselben T-Zell-Gene einwirken oder ob ER-β ER-α-gesteuerte Reaktionen blockieren kann. ERs können nicht nur an EREs binden, sondern auch an andere Transkriptionsfaktoren wie das Aktivatorprotein 1 (AP-1), sodass Multiprotein-Transkriptionsregulierungskomplexe entstehen. In SLE-T-Zellen könnte also ein Rezeptor dominieren oder das Verhältnis der Subtypen gegenüber normalen T-Zellen verändert sein.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn eine erhöhte Estradiol-Konzentration im Blut die Estrogen-Effekte im Immunsystem verstärkte – aber bei den meisten SLE-Patientinnen ist die Konzentration normal, und wenig deutet darauf hin, dass eine erhöhte Konzentration im Plasma SLE auslöst.

Wie stark das Estrogen in den Zielzellen wirkt, hängt auch vom metabolischen Umsatz der Ligand-Rezeptor-Komplexe ab. Bei einigen SLE-Patientinnen ist das Stoffwechselgleichgewicht zugunsten der biologisch aktiven Estrogenmetaboliten verschoben. Vor allem wird die Hydroxylierung von Estron verstärkt, sodass 16-hydroxylierte Metaboliten häufiger sind als Catechol-Estrogene. Die aktiven Metaboliten könnten die Estrogenwirkung im Zielgewebe verlängern. Die Estriol-Konzentration ist bei Frauen mit SLE und Männern mit Klinefelter-Syndrom, die 16α-Hydroxyestron-Konzentration bei Patienten gleich welchen Geschlechts erhöht. Die 17β-Estradiol-Konzentration ist dagegen den meisten Studien zufolge nicht signifikant verändert. Kultivierte SLE-T-Zellen reagieren aber auch auf das schlecht umwandelbare 2-Fluoro-Estradiol sehr sensibel, was darauf hindeutet, dass ein veränderter Metabolismus nicht der einzige Mechanismus für die veränderte Estrogenwirkung in SLE-T-Zellen ist.

Es sind zahlreiche Gene identifiziert worden, die SLE beeinflussen. Wahrscheinlich wird ein Ausbruch aber durch irgendwelche Umweltfaktoren ausgelöst; bei eineiigen Zwillingen ist die Konkordanz jedenfalls niedrig. In den Seren von SLE-Patienten wurden Regulierungsabnormitäten bei 30 Proteinen festgestellt, darunter bei Cytokinen, Chemokinen, Wachstumsfaktoren und löslichen Rezeptoren. Bislang ist unklar, welche Mechanismen so breit gestreute Effekte hervorrufen können.

Foxp3 und ERs

Estrogen könnte über die ERs ein zentrales Regulierungsgen wie Foxp3 steuern. Dessen Produkt bindet an die Promotoren von Genen, die an der T-Zell-Aktivierung beteiligt sind. Hauptsächlich dämpft der Transkriptionsfaktor die Induktion von Schlüsselgenen bei Treg-Stimulation; fehlt er, so kommt es zur Überexpression von Genen, die mit Autoimmunerkrankungen assoziiert sind. Bei aktivem SLE ist die Foxp3-Expression verringert. In den Tregs von Mäusen (CD4 CD25+) erhöht Estrogen die Foxp3-Expression. Damit sich eine dauerhafte Suppressor-Zelllinie etabliert, muss Foxp3 epigenetisch stabilisiert werden. Ob Foxp3 auch in menschlichen T-Zellen ein ER-Ziel ist, muss noch erforscht werden.

ERs und Histonmodifikationen

Schwerpunkt des Kapitels: epigenetische Veränderungen durch den kürzlich entdeckten Histoncode. Kernrezeptoren dürften Schlüsseleffektoren epigenetischer Veränderungen sein, da sie Proteine zu Komplexen zusammenführen, die wiederum die Chromatinstruktur verändern. Chromatin besteht aus Histon- und Nicht-Histon-Proteinen, die die DNA im Kern komprimieren. Dazu wird die DNA um Nukleosome gewickelt, die aus je zwei H2A-, H2B-, H3- und H4-Molekülen bestehen, deren geladene N-Termini aus dem Nukleosomkern herausragen und als Histonschwänze bezeichnet werden. Alle Transkriptionsregulationsproteine müssen sich zunächst Zugang zu den Regulierungssequenzen dieser hochgradig verdichteten DNA verschaffen, z. B. durch Acetylierung, Methylierung, Phosphorylierung und andere Modfikationen der Histonschwänze. Je nach Ort kann die Transkription z. B. durch eine Histonmethylierung aktiviert oder unterbunden werden. ERs agieren als Transkriptionsfaktoren, regulieren also die mRNA-Entstehung an ihren Zielgenen. Ihre regulatorischen Unterdomänen dienen dabei als Andockstationen für andere Proteine, die nukleären Coaktivatoren oder Corepressoren, die wiederum die Histonstruktur an ihrem Wirkungsort verändern.

Der Histoncode

Kovalente Histonveränderungen sind stabil und erblich und können die örtliche Transkription ein- oder ausschalten. Coaktivatoren rekrutieren Enzyme, die Histone phosphorylieren, acetylieren und methylieren und so die Chromatinstruktur verändern. Eine Acetylierung öffnet häufig die Struktur, aber sie befördert die Transkription nicht immer – und eine Deacetylierung unterbindet sie nicht immer. Histonmodifikationen wirken einerseits direkt durch Veränderung der Chromatinstruktur, andererseits auch indirekt, indem sie einen Code für weitere Regulierungsvorgänge bilden, die zum „nucleosome phasing“, zum Zusammensetzen von Proteinkomplexen für einen Transkriptionsstart, zur Bindung/Loslösung von Proteinen an/vom Chromatin und zur Koordination der komplexen Abläufe während der Transkription führen.

Coaktivatoren

Heute ist klar, dass Gene nicht durch Bindung eines einzigen Proteins reguliert werden. Vielmehr werden zyklisch verschiedene Faktoren rekrutiert, das Chromatin modifiziert und Transriptionskomplexe wieder abgebaut. So lässt sich die Transkription durch Signale sehr fein justieren. Chromatin-Immunpräzipitation (ChIP) zeigt: Die Wechselwirkung von ER mit den Promotorregionen der Zielgene stimuliert die Bindung zahlreicher weiterer Proteine wie CREB (cAMP response element-binding protein), p300/CPB-assoziiertem Faktor, der Coaktivator-assoziierten Arginin-Methyltrnasferase 1, p160-Coaktivator-Proteinen und RNA-Polymerase II. Mit dieser Cofaktorenrekrutierung gehen Änderungen der Histon-Acetylierung und eine Entspannung von Chromatinregionen einher, die die Einbindung von Transkriptionsfaktoren in die Regulierungskomplexe ermöglicht. Die meisten mutmaßlichen ER-Bindungsstellen liegen ein ganzes Stück von den Zielgenen entfernt. Das passt zu der Modellvorstellung, dass entfernte Chromatinveränderungen die DNA zur Schleifenbildung bringen und so Enhancer- und Promotorregionen zusammenführen.

Pionierfaktoren

Die Transkription von Genen wird durch Transkriptionsfaktoren gesteuert, die Cofaktoren rekrutieren, die wiederum die Chromatinstruktur verändern. Die Rekrutierung von RNA-Polymerase II und TATA-Box-bindenden Proteinen ist notwendig, aber nicht hinreichend, um die Transkription zu starten.

Manchmal sind sog. Pionierfaktoren mit Heterochromatin (verdichtetem Chromatin) assoziiert, die Transkriptionsregulatoren wie ERs an bestimmte DNA-Bindestellen lenken, wo diese wiederum weitere Regulationsfaktoren rekrutieren. Wie stark die Kernrezeptoren und ihre Liganden sich auf die Transkription auswirken, hängt vom Gleichgewicht der Coaktivatoren und Corepressoren ab.

Corepressoren

Zwei gut charakterisierte Corepressoren sind SMRT (silencing mediator of retinoid and thyroid hormone receptors) und N-CoR (nuclear hormone receptor-corepressor). Beide rekrutieren Histondeacetylasen (HDACs), die Histon deacetylieren und so auf die Transkriptionsinitiierung einwirken. Die Rekrutierung von Coaktivatoren und Corepressoren an den Promotoren der ER-Zielgene wird durch die Bindung von Estrogen oder Antiestrogenen und bestimmte Sequenzen (EREs) in der DNA beeinflusst. In Abwesenheit des Hormons können etliche Kernrezeptoren, darunter die ERs, keine Corepressoren binden. In Anwesenheit von Antagonisten des Hormons ändern die ERs jedoch ihre Konformation und können dann Corepressoren binden.

ERs und Zellproliferation

ERs stimulieren die Vermehrung einer Vielzahl von Zelltypen, darunter Zellen des Immunsystems.

Epigenetische Veränderungen bei Krankheiten

Stress löst in Zellen epigenetische Veränderungen aus. Je nach „Stressart“ können die Chromatin-Änderungen anders ausfallen.

Coaktivatoren und Phosphorylierung

Die ER-vermittelte Transkription ist gewebe- und zelltypspezifisch und kann durch nichtgenomische Signale reguliert werden. Estrogen induziert mitogenaktivierte Proteinkinase-Signale, die für die Zellvermehrung notwendig sind. Die Regulierung von nukleären Cofaktoren durch Phosphorylierung ist weniger gut untersucht, könnte aber ebenfalls zur zellspezifischen Transkriptionsregulierung beitragen.

Endokrine Disruptoren

Umweltbelastung durch Industrieabfälle: Synthetische Substanzen können estrogenartige Wirkung entfalten. Xenobiotika, insbesondere Xenoestrogene, können die normalen endokrinen Funktionen stören, indem sie an die ERs binden und deren Aktivität entweder inhibieren oder verstärken.

Bestimmte Medikamente können zum Beispiel ein lupusähnliches Syndrom auslösen. Offenbar verdrängen sie Estradiol von der Ligandenbindestelle. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Einwirkung von Xenoestrogenen und dem Ausbruch einer Autoimmunerkrankung ist aber schwer nachzuweisen, da zumeist unklar ist, in welcher Konzentration und zu welchem Zeitpunkt die verdächtige Substanz einwirken müsste, um diese Wirkung zu entfalten.

Ausblick

Calcineurin- und CD154-Gene sind in SLE-T-Zellen estrogenempfindlich, nicht aber in gesunden T-Zellen. Monatliche Gaben des ER-Antagonisten Faslodex (chemischer Name: Fulvestrant) über ein Jahr verringern die Calcineurin- und CD154-Expression signifikant. Nach Überzeugung der Autoren brauchen SLE-Patienten keine globale Immunsuppression, sondern eine Therapie, die spezifisch auf ihre Hormon-Immun-Deregulierung einwirkt. Daher haben sie ein Microarray-Profiling gestartet, um die Signalwege aufzuspüren, die bei SLE abnorm durch Estrogen reguliert werden. Durch Blockade dieser Signalwege mit Faslodex sollen die zugehörigen Gene identifiziert werden.

Eine veränderte Cofaktor-Rekrutierung könnte zu abnormen epigenetischen Markern führen und die abnorme Reaktion von SLE-T-Zellen auf Estrogen erklären.

Estrogen-„Nachahmer“ (Xenoestrogene) könnten die Krankheit auslösen.

Jetzt muss die Rolle der ER-Rekrutierung von Cofaktoren und Corepressoren an den Zielgenen im Immunsystem erforscht werden. Ist der sog. Histoncode in SLE-T-Zellen anders als in normalen T-Zellen? Könnten Unterschiede im Histoncode die Deregulierung zahlreicher Gene bei SLE erklären?

 

[Abb. 17.2: Ein epigenetischer Coaktivator-/Corepressor-Code könnte zu Autoimmunerkrankungen beitragen. Liganden aktivieren ERs, die an Zielgene binden und die Rekrutierung von Coaktivator-Komplexen anregen. Für die Transkriptionsaktivierung sind zahlreiche Coregulator-Proteine nötig, die kovalente Histonmodifikationen (Methylierung, Acetylierung …) und eine Nukleosom-Remodellierung anregen. Bei Autoimmunerkrankungen könnte die Anwesenheit eines Corepressor-Komplexes, der die Aktivierungsstelle blockiert, oder aber das Fehlen von Coaktivatorkomponenten zu einer Deregulierung führen. Das Gleichgewicht der Cofaktoren ist entscheidend für die Genexpression.]

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