Schlagwort-Archive: Autoantikörper

Abb. 250: Idiotypische Dysregulation

Idiotypische Dysregulation ist eine mögliche Erklärung für die lange Zeitspanne zwischen dem ersten Anlass und dem Ausbruch einer Autoimmunerkrankung: Antikörper (AK) binden an ein Antigen (AG), das zum Beispiel von einer Infektion herrührt. Sie werden ihrerseits Antigene für Autoantikörper (AAK1). Später entstehen andere Autoantikörper (AAK2), die wiederum an die Antigen-Erkennungsstellen der ersten Autoantikörper binden, und so weiter. Jede zweite Generation hat eine ähnliche Antigen-Spezifität wie die Antikörper gegen das ursprüngliche Antigen, das längst aus dem Körper verschwunden ist. Durch eine Kreuzreaktion erkennen die neuen Autoantikörper aber auch ein Autoantigen (AAG).

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 238: Veranlagung und Belastungen

Menschen mit günstiger Veranlagung bekommen auch dann keine Autoimmunerkrankungen, wenn ihr Immunsystem immer wieder Belastungen ausgesetzt ist (Raucherin unten). Bei einer ungünstigen Veranlagung kumuliert sich die Schädigung des Systems nach jeder Belastung, bis die Autoimmunerkrankung offen zum Ausbruch kommt (Raucher oben). Muss das Immunsystem nur wenige Krisen bewältigen, kann man trotz Risiko-Genvarianten sehr lange symptomfrei bleiben, auch wenn die Menge autoreaktiver Antikörper im Blut schon deutlich erhöht ist (Nichtraucher in der Mitte).

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Abb. 231: Citrulliniertes Kollagen bei Rheuma

Bei einer rheumatoiden Arthritis greift das Immunsystem unter anderem die Kollagenfasern in den Gelenken an. Das Protein Kollagen II enthält die Aminosäure Arginin, die von Enzymen zu Citrullin umgebaut werden kann. Da Citrullin normalerweise nicht in unseren Proteinen vorkommt und citrulliniertes Kollagen etwas anders als sonst zusammengefaltet ist, schlagen T-Helferzellen wegen des »fremden« Antigens Alarm. Daraufhin werden Antikörper gegen citrullinierte Proteine (anti citrullinated peptide/protein antibodies, kurz ACPA) produziert.

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Abb. 13: Die Witebsky-Rose-Kriterien

Nach den strengen Witebsky-Rose-Kriterien sind nur solche Krankheiten Autoimmunerkrankungen, bei denen

  1. das vom Immunsystem angegriffene Autoantigen genau bekannt ist,
  2. die Autoantikörper oder autoreaktiven T-Zellen bekannt sind, die an das
    Autoantigen binden,
  3. die Krankheit durch aktive Immunisierung hervorgerufen werden kann
    (Injektion des Autoantigens zusammen mit einem reaktionsverstärkenden
    sogenannten Adjuvans) und
  4. eine Übertragung der Autoantikörper gesunde Organismen erkranken
    lässt (passive Immunisierung).

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Die Witebsky-Rose-Kriterien

Mustergültige, klassische Autoimmunerkrankungen erfüllen die Witebsky-Rose-Kriterien:

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  1. Das Autoantigen (das körpereigene Molekül, das vom Immunsystem angegriffen wird) ist bekannt.
  2. Die Autoantikörper (oder autoreaktiven T-Zellen), die spezifisch an das Autoantigen binden, sind bekannt.
  3. Die Krankheit kann durch aktive Immunisierung mit dem Autoantigen, das in einem Adjuvans (einem Immunreaktionsverstärker) gelöst ist, hervorgerufen werden.
  4. Die Krankheit ist durch passive Immunisierung übertragbar, also den Transfer von Autoantikörpern (oder autoreaktiven T-Zellen).

Bei etlichen Störungen, die ziemlich sicher Autoimmunerkrankungen sind, scheitern wir allerdings schon am ersten Kriterium.

Das Honeymoon-Tal

P1170830_AIE-Verlauf_Schübe_Honeymoon-Tal_650Viele Autoimmunerkrankungen verlaufen schubförmig. Am bekanntesten ist das bei der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (RR-MS). Aber auch bei Typ-1-Diabetes kann auf den ersten Ausbruch von Symptomen, der zur Diagnose führt, eine Zeit der scheinbaren Genesung folgen – die sogenannte Honeymoon-Phase. Und bei den meisten Autoimmunerkrankungen geht der symptomatischen Phase (oberhalb der gestrichelten Linie) unbemerkt eine langjährige Entgleisung des Immunsystems voran, bei der nach und nach mehr Autoantikörper oder autoreaktive T-Zellen entstehen und es den regulatorischen T-Zellen immer schwerer fällt, diese selbstzerstörerischen Elemente in den Griff zu bekommen.

Autoreaktive Plasmazellen als Hausbesetzer

Neue Skizzen fürs Buch:
P1120556_Plasmazellennischen_Seniorenresidenz_700Die Zahl der Nischen, in denen reife Plasmazellen (antikörperproduzierende B-Zellen) langfristig überleben können, ist im gesunden Körper begrenzt. Plasmazellen, die keine solche Nische im Knochenmark oder in der Milz ergattern können, sterben ab. So wird das Immunsystem nach einer Infektion wieder auf ein Normalmaß heruntergeregelt.
P1120558_Plasmazellennischen_Hausbesetzer_700Bei einer Autoimmunattacke wird der Organismus von zahlreichen Plasmazellen überschwemmt, die autoreaktive Antikörper produzieren. Durch ihre schiere Überzahl können sie einer Hypothese zufolge alte Plasmazellen aus ihren Überlebensnischen verdrängen, so dem Zelltod entkommen und weiterhin Autoantikörper produzieren. Da sie sich in diesem Stadium nicht mehr vermehren, ist ihnen mit den üblichen Immunsuppressiva schwer beizukommen, denn diese Wirkstoffe setzen überwiegend an der Zellteilung an (Zytostastika).

Karelien: zwei Notizen zu Schilddrüsen- und Betazell-Autoantikörpern

Vor allem für mich selbst als Erinnerungsstütze trage ich zwei Erkenntnisse aus der Karelien-Literatur nach:

(1) Kondrashova et al., Signs of β-Cell Autoimmunity in Nondiabetic Schoolchildren (2007): Zwar ist Typ-1-Diabetes in Finnland viel häufiger als im russischen Karelien. Aber Betazellautoimmunität, angezeigt durch verschiedene Autoantikörper, ist im russischen Teil genauso häufig wie in Finnland (mit Ausnahme des Antikörpers gegen  Tyrosinphosphatase IA-2, der in Finnland häufiger ist). Das heißt: Die Autoimmunprozesse setzen bei den Kindern mit etwa derselben Quote ein, aber in Finnland führen sie zu einer Erkrankung, während sie im russischen Karelien viele Jahre lang keinen Schaden anrichten. Das spricht für die Theorie, dass Autoimmunerkrankungen nicht durch das bloße Aufkommen von Autoimmunvorgängen bedingt sind, sondern durch ein Versagen der Regulierungsmechanismen, die solche Vorgänge zwar nicht abschalten, aber in Schach halten können.

(2) Kondrashova-Dissertation, 2009: Bei den untersuchten Schuldkindern (mittleres Alter: 11 Jahre) waren Schilddrüsen-Autoantikörper bei den Mädchen fast acht Mal so häufig wie bei den Jungen: etwa dasselbe Verhältnis wie bei den Prävalenzen erwachsener Frauen und Männer. Das heißt: Um den starken Frauenüberschuss bei Hashimoto-Thyreoiditis zu erklären, muss man vielleicht gar nicht auf Sexualhormone und Mikrochimerismus durch Schwangerschaften zurückgreifen; der reine X-Dosis-Effekt könnte ausreichen. Die Hormonveränderungen während der Pubertät könnten allerdings einen Beitrag leisten, denn die meisten der Kinder, bei denen Schilddrüsen-Aantikörper nachgewiesen wurden, waren älter als 11.