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Cartoon eines Mitochondriums als Fabrik, die vor allem Energieträger erzeugt

Über Bande: Wie Glucocorticoide Entzündungen hemmen

Glucocorticoide sind Steroidhormone, die – neben vielen weiteren Wirkungen – Immunreaktionen und damit auch Entzündungen hemmen. In unserem Körper übernimmt vor allem das sogenannte Stresshormon Cortisol (umgangssprachlich: Kortison) diese Aufgabe, aber man hat etliche weitere dieser Hormone erzeugt, die stabiler sind und stärker wirken, unter anderem das neulich erwähnte Dexamethason oder auch Prednison. Ihren Namen verdanken die Glucocorticoide ihrem Einfluss auf den Glucose-Stoffwechsel, ihrem Entstehungsort, der Nebennierenrinde (lateinisch Cortex glandulae suprarenalis), und ihrer Zugehörigkeit zur Stoffklasse der Steroide.

Obwohl ihre entzündungshemmende Wirkung schon lange bekannt ist und therapeutisch bei zahlreichen Erkrankungen (etwa Autoimmunerkrankungen oder chronischen Entzündungen) und nach Operationen genutzt wird, hat die Wissenschaft lange nicht so recht verstanden, auf welchen Weg diese Hormone Entzündungen hemmen. Nachdem man Glucorticoid-Rezeptoren im Zytoplasma entdeckt und in den 1980er-Jahren kloniert hatte, hat man sie sehr gründlich in allerlei Experimenten untersucht und sich folgende Erklärung zurechtgelegt: Das Hormon dringt durch die Zellmembran ins Zytoplasma ein und trifft dort auf seinen Rezeptor, der mit verschiedenen weiteren Proteinen dort verankert und inaktiv gehalten wird. Sobald das Hormon nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an seinen Rezeptor bindet, werden die Begleitproteine durch Konformationsänderungen abgetrennt, und der Rezeptor wacht gewissermaßen auf.

Als Monomer, also als einzelner aktivierter Rezeptor, interagiert er im Zytoplasma und in den Organellen mit allen möglichen Strukturen. Vor allem aber wandert er als sogenannter Liganden-aktivierter nukleärer Transkriptionsfaktor zusammen mit dem Glucocorticoid durch die Kernporen in den Zellkern ein und lagert sich dort paarweise (als sogenanntes Dimer) an spezifische DNA-Sequenzen an. Dadurch regt er entweder die Ablesung von Genen an, die entzündungshemmende Proteine wie Interleukin-10 codieren, oder er blockiert die Ablesung anderer Gene, deren Produkte proinflammatorisch wirken. Darüber hinaus kann er die Wechselwirkung der Histone (also der „DNA-Kabelspulen“) und anderer Proteine mit der DNA im Zellkern beeinflussen und so auch indirekt die Ablesung von Genen verändern. Die Lehrbücher und das Internet sind voll von wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Schemazeichnungen, in denen diese Abläufe mehr oder weniger vereinfacht dargestellt sind, etwa in einer Übersichtsarbeit von 2024 oder als Adobe Stock Image.

Der Itaconat-Weg

Immer wieder sprachen aber Versuchsergebnisse dagegen, dass dies der einzige Mechanismus ist, über den Glucocorticoide im Zellkern die Ablesung entzündungsfördernder Gene hemmen und die Ablesung entzündungshemmener Gene fördern. 2024 gab es einen Durchbruch: Ein Forschungsteam um Jean-Philippe Auger und Gerhard Krönke (Nature-Publikation hinter Bezahlschranke) klärte einen weiteren Wirkungsweg auf, der auch unter Stoffwechsel- und Evolutionsaspekten ziemlich einleuchtend ist – und daher auch in Band 2 meines Buches eingeht. Er führt über die Mitochondrien aktivierter Makrophagen.

In diesen Organellen, die – siehe Titelbild! – gerne als Kraftwerke der Zellen bezeichnet werden, wird aus unserer Nahrung Energie generiert – vor allem in Form von ATP-Molekülen, die dann in der ganzen Zelle biochemische Reaktionen oder Transportprozesse befeuern, die eine Energiezufuhr benötigen. Diese Energiegewinnung verläuft über drei jeweils mehrschrittige Teilprozesse:

  1. Noch außerhalb der Mitochondrien, im Zytosol, findert die Glykolyse statt. Dabei wird Glucose (6 Kohlenstoffatome) zu 2 Pyruvat-Molekülen (3 Kohlenstoffatome) zerlegt, die von einem Enzymkomplex ins Innere der Mitochondrien transportiert werden.
  2. In den Mitochondrien wird Pyruvat zu Acetyl-CoA (2 Kohlenstoffatome) und Kohlendioxid zerlegt. Auch andere Stoffwechselvorgänge wie der Abbau von Fettsäuren können Acetyl-CoA liefern. Im Citrat- oder Tricarbonsäure-Zyklus wird dieses dann zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut; dabei werden energiereiche Elektronen in den Molekülen NADH und FADH2 gebunden. (Dieser Zyklus kann unter bestimmten Umweltbedingungen auch rückwärts verlaufen.)
  3. In der Atmungskette, die in der inneren Mitochondrien-Membran abläuft, wird durch schrittweise Übertragung der energiereichen Elektronen aus NADH und FADH2 ein Protonengradient über die Membran aufgebaut, der schließlich zur Gewinnung von ATP genutzt wird – ein Vorgang, den man sich wie die Stromgenerierung an einem Kraftwerk in einer Staumauer vorstellen kann, bei der ja ebenfalls ein Gradient (Höhenunterschied des Wassers zu beiden Seiten der Mauer) zur Energiegewinnung ausgenutzt wird.

Für uns ist hier der zweite, zyklische Stoffwechselweg entscheidend. Eines seiner frühen Zwischenprodukte ist die Aconitsäure oder cis-Aconitat. Normalerweise wird dieses gleich weiter zu cis-Citrat umgewandelt. Anders in sogenannten aktivierten Makrophagen: Behandelt man diese Immunzellen mit Lipopolysacchariden oder LPS (einem hochwirksamen Antigen aus der Hülle gramnegativer Bakterien, das die antibakterielle Abwehr stimuliert) plus Gamma-Interferon (einem an Entzündungsdreaktionen, etwa nach einer Virusinfektion, beteiligten Zytokin), so wechseln die Makrophagen in den Kampfmodus. Unter anderem stellen sie das Enzym Aconitat-Decarboxylase 1 (ACOD1) her, das in ihre Mitochondrien einwandert. Dort wandelt es Aconitat zu einem Nebenprodukt des Citrat-Zyklus um: Itaconat. (Ja, der Entdecker dieser Reaktion hat das Reaktionsprodukt einfach durch Umstellen der Buchstaben von Aconitat benannt!)

Itaconat wirkt auf mehreren Wegen entzündungshemmend – was zunächst pradox wirkt, da aktivierte Makrophagen ja eigentlich Infektionen und andere Störungen bekämpfen sollen, wozu sie eine Entzündungsreaktion unterstützen sollten. Das tun sie auch; ich gehe im nächsten Artikel darauf ein. Aber damit die Entzündung rechtzeitig beendet wird, entsteht Itaconat. Dieses Molekül ist ein klassischer Imunmetabolit: ein Stoffwechselprodukt, das zugleich als Signal innerhalb des Immunsystems wirkt. Es ist immunmodulierend, und zwar auf vielfältige Weise. So blockiert es ein Enzym in den Makrophagen-Mitochondrien, dessen Aktivität die Produktion entzündungsfördernder Zytokine und reaktiver Sauerstoffspecies fördert, die als Stress-Signale ebenfalls Entzündungen anheizen. Und es blockiert ein anderes Enzym, das normalerweise im Zellkern die Ablesung von Genen beeinflusst; auch das bremst Entzündungen.

Itaconat kann die Makrophagen auch verlassen und sich im Serum ansammeln. Von dort aus können weitere immunzellen es aufnehmen. So hat man festgestellt, dass Itaconat (bzw. künstlich hergestellte Itaconat-Derivate, die leichter zu erforschen sind) die T-Zell-Differenzierung verschiebt: Es entstehen mehr entzündungshemmende regulatorische T-Zellen (Tregs) und weniger entzündungsfördernde Th17-Zellen.

Alternative zur Glucocorticoid-Therapie?

Und jetzt kommt’s: Neben LPS, Gamma-Interferon und anderen Entzündungstriggern wie Sport können auch Glucocorticoide die Itaconat-Produktion in den Mitochondrien von Makrophagen stark erhöhen – und zwar in bereits aktivierten Makrophagen. Die Steroidhormone binden an einen Rezeptor im Zytosol, der dort das Enzym Pyruvatdehydrogenase (PDH) festhält. Durch die Bindung des Hormons löst sich der Rezeptor vom Enzym, und dieses kann in die Mitochondrien einwandern, wo es den Citratzyklus beeinflusst und damit die Itaconat-Produktion erhöht.

Glucocorticoide rufen gerade bei längerer, systemischer Gabe viele Nebenwirkungen hervor, die zum Teil so schwer werden, dass die Therapie angebrochen werden muss. Daher hat der neu entdeckte Clucocorticoid-Wirkungsweg über das Itaconat aus den Mitochondrien aktivierter Makrophagen großes Interesse geweckt: Vielleicht lassen sich stabile Itaconat-Derivate entwickeln, die die entzündungshemmende Wirkung beibehalten, aber zugleich weniger schwere Nebenwirkungen mit sich bringen.

Aber Vorsicht: Itaconat ist gewiss kein Wundermittel. Während es bei chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen womöglich die überschießenden Immunreaktionen einhegen kann, scheint es bei Krebs und Sepsis eher zu schaden. Es behindert zum Beispiel Immunreaktionen, die Tumorzellen zum Absterben bringen sollen. Und bei einer Sepsis scheint es die aus dem Ruder gelaufene Entzündung sogar zu verstärken, statt sie zu beenden. Bis zu einem möglichen Einsatz wird daher noch viel Pyruvat den Citratzyklus hinunterfließen.

Literatur:

Studie in Nature entschlüsselt, wie Kortison Entzündungen dämpft (PM zu Auger et al., 2024)

Yin Luo et al. (2024): Metabolic Regulation of Inflammation: Exploring the Potential Benefits of Itaconate in Autoimmune Disorders

Eva M. Pålsson-McDermott, Luke A.J. O’Neill (2025): Gang of 3: How the Krebs cycle-linked metabolites itaconate, succinate, and fumarate regulate macrophages and inflammation

Maria Tada, Michihito Kono (2025): Metabolites as regulators of autoimmune diseases

Yifan Xie (2025): Itaconate: A Potential Therapeutic Strategy for Autoimmune Disease

 

 

Strukturformel des künstlichen Steroidhormons Dexamethason

Steroid-Responder

Dieser Beitrag wird persönlich und am Ende auch emotional. Die medizinischen Sachverhalte erkläre ich nur oberflächlich und nur dort, wo es mir für das Verständnis notwendig erscheint. In nächster Zeit wird es vermutlich auch wieder sachlich-wissenschaftliche Artikel geben, in denen ich zumindest auf einen Aspekt genauer eingehe. Denn durch einen dieser irren Zufälle, die das Leben für uns bereithält, habe ich mich in den Wochen unmittelbar vor den hier geschilderten Vorgängen intensiv mit dem Wirkmechanismus von Glucocorticoiden beschäftigt.

Am 12. November, einem normalen Arbeitstag im Institut, hatte ich nachmittags eine Netzhautablösung. Ich kam aus einer Besprechung, und von jetzt auf gleich erschien im rechten Gesichtsfeld ein dunkelgrauer Viertel-, später dann Drittelkreis, das heißt: Der Bereich, in dem ich nichts mehr sah, wurde rasch größer. Ich erkannte sofort, was los war, da sich meine Netzhautablösung am anderen, linken Auge vor knapp 14 Jahren durch einen ähnlichen Ausfall bemerkbar gemacht hatte. Wie damals sah ich auch diesmal keine Lichtblitze, von denen ja immer die Rede ist als Alarmsignal. Ich bin noch fünf Minuten an die frische Luft gegangen, um auszuschließen, dass einfach mein Kreislauf schlapp gemacht hatte. Als sich die Sicht nicht besserte, brach ich rasch auf, denn eine Netzhautablösung ist ein Notfall, der eine sofortige Reaktion erfordert.

Durch eine veraltete Angabe auf der Website meiner Augenpraxis habe ich mich erst dorthin begeben, um meine Vermutung überprüfen zu lassen. Ich stand vor verschlossener Tür. Gerade habe ich noch einmal nachgesehen: Die falschen Öffnungszeiten stehen immer noch auf der Website, obwohl ich die Praxis sowohl per SMS als auch per Mail auf den Fehler aufmerksam gemacht habe. Also weiter nach Hause, mit der beschissenen Praxis-KI telefoniert und diese angebrüllt, weil sie die Option „Notfall“ nicht vorsieht und mich nicht zu einem Menschen durchstellen konnte, obwohl der Praxisverbund angeblich noch einige Stunden erreichbar sein sollte. Aufgelegt, den Dienst-Laptop ausgepackt, das L-Thyroxin, die Zahnbürste, das Ladekabel und noch ein paar Kleinigkeiten in den Rucksack geworfen, ein Taxi bestellt und mich zur Notaufnahme der Uni-Augenklinik fahren lassen. (Als ich gerade mit dem Taxiunternehmen sprach, versuchte wohl tatsächlich jemand vom Praxisverbund, mich zurückzurufen – zu spät. Als ich im Taxi saß, schickte man mir eine SMS mit der dringenden Empfehlung, mich zur Uni-Klinik zu begeben. Ach.)

Dort das übliche, langwierige, mehrschrittige Aufnahmeverfahren: zentrale Anmeldung, dann (eine Neuerung gegenüber Anfang 2012!) eine Etage tiefer in eine unabhängige Augenarztpraxis, die die Triage vornimmt. Weittropfen, warten, der Arzt kam, ich war als Erste dran, er hatte zwei Botschaften für mich. Erstens ein Lob: Gut, dass Sie so schnell reagiert haben! Zweitens: Ja, das ist eine Netzhautablösung. Überweisung in die eigentliche Uni-Augenklinik. Dort weitere Tropfen, Augendruckmessung, eine weitere Untersuchung, die die Netzhautablösung bestätigte, Ausfüllen eines Selbstauskunftbogens, stationäre Aufnahme. Gespräch mit einer Ärztin, am nächsten Tag sollte ich operiert werden.

Sowohl im Sebstauskunftbogen als auch mündlich wies ich auf meine Glucocorticoid-Unverträglichkeit hin, die sich 2021 nach meiner zweiten Katarakt-Operation gezeigt hatte: Die steroidhormon- bzw. glucocorticoidhaltigen Tropfen, die man mir verschrieben hatte, um eine Entzündung des operierten Auges zu verhindern, ließ nach einigen Wochen meinen Augeninnendruck in sehr ungesunde Höhen steigen. Die Tropfen wurden abgesetzt, der Druck wurde medikamentös gesenkt und in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder überwacht – erst engmaschig, nach seiner Normalisierung noch alle sechs Monate. Denn ein zu hoher Augeninnendruck schädigt über kurz oder lang den Sehnerv, was zur Erblindung führen kann. Eine solche Reaktion auf Glucocorticoid-haltige Augentropfen wird als Steroid-Glaukom bezeichnet; sie tritt bei etwa jeder 20. Person auf. Diese Menschen nennt man Steroid-Responder. Warum das so ist und warum 95 Prozent der Bevölkerung bei identischer Behandlung von diesem Effekt verschont bleiben, ist unbekannt.

Den Ärzt*innen und Pfleger*innen war diesmal, 2025, also im Prinzip bekannt, was Glucocorticoid-Tropfen in diesem Auge angerichtet hatten. Oder: Es hätte ihnen bekannt sein müssen, wenn sie meine mehrfachen Hinweise ernst genommen hätten. Die Operation verlief normal, abgesehen davon, dass man (wie übrigens auch bei der Star-Operation 2021) ein kleines Blutgefäß getroffen hatte, sodass meine Sklera hinterher blutrot war. Am Tag nach der Operation erhielt ich erstmals Tropfen, und zwar (wie ich jetzt weiß) solche mit dem stärksten Glucocorticoid überhaupt: Dexamethason. Je stärker das Glucocorticoid, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Steroid-Glaukom auftritt. Erneut wies ich auf den Vorfall 2021 hin, aber es hieß: Egal, das wirkt am besten, wir versuchen es damit.

Bei den Messungen in der Klinik und auch bei den beiden ersten Kontrollterminen bei einer niedergelassenen Ärztin in der Woche nach meiner Entlassung war der Augeninnendruck tatsächlich normal. Wie ich inzwischen weiß: kein Wunder, denn nach Beginn der Glucocorticoid-Behandlung dauert es oft Wochen, manchmal Monate, bis der Druck entgleist. Da darf man sich nicht zu früh in Sicherheit wiegen. Genau das ist aber geschehen: Zwischen dem zweiten und dritten Verlaufskontrolltermin in der Praxis lagen 13 Tage, fast zwei Wochen. Und in dieser Zeit – in der ich weiterhin viermal täglich die Glucocorticoid-Tropfen applizierte, außerdem abends eine Salbe mit demselben Wirkstoff – ist es passiert: Der Druck ist völlig entgleist.

Ich merkte davon lange nichts; anders als viele andere Betroffene hatte ich keine Schmerzen. Erst kurz vor dem dritten Kontrolltermin kam es vor, dass mir beim Aufstehen aus dem Sitzen schwarz vorm rechten Auge wurde – komplett, im gesamten Gesichtsfeld, für ein oder zwei Sekunden. Zwei Tage vor der Kontrolle geschah es zum ersten Mal, am nächsten Tag zwei- oder dreimal, beim Kontrolltermin selbst im Wartezimmer noch einmal. Der Sehnerv fuhr durch die abrupte Druckänderung beim Aufstehen kurz komplett herunter; danach war wieder alles „gut“. Die Messungen mit zwei verschiedenen Methoden ergaben dann am Donnerstagmorgen einen Augeninnendruck von 50 mm Hg: ein exorbitant hoher, äußerst gefährlicher Wert, der umgehend durch die Gabe sowohl von Tropfen (BRIMO-Vision sine) als auch einer Tablette (Glaupax) gesenkt werden musste. Einige Stunden später wurde ich erneut vorstellig; der Wert lag da bei 30 mm Hg: Die Medikation wirkte also, reichte aber noch nicht. Abends sollte ich einmalig erneut eine halbe Glaupax nehmen. Die Glucocorticoid-Tropfen wurden selbstverständlich sofort abgesetzt.

Am folgenden Tag, vorgestern, wurde der Druck erneut zweimal gemessen. Morgens war er noch zu hoch, am frühen Nachmittag lag er bei 20, also im Normalbereich, der bis etwa 21 mm Hg reicht. Gestern wurde der Druck in einer anderen Filiale der Augenpraxiskette, die auch am Samstag Patienten empfängt, zu 21 im betroffenen rechten und 20 im linken Auge bestimmt. Das sieht doch ganz gut aus. Dennoch werde ich BRIMO-Vision sine wohl noch eine Weile weiter zweimal täglich tropfen müssen – zusätzlich zu einem anderen Tropfen, mit dem ich mittags das Makula-Ödem bekämpfe, eine weitere postoperative Komplikation, die zu stark verzerrtem, verkleinerten und unscharfen Sehen führt und schon für sich genommen ziemlich lästig und beängstigend sein kann. Und dann ist die Frage, wie sich der Augeninnendruck entwickelt, sobald ich BRIMO-Vision sine absetzen darf. Und wie es um die Netzhaut steht, denn die kann erst per Ophthalmoskopie untersucht werden, wenn die Glaukom-Gefahr gebannt ist.

Das alles klingt vermutlich arg genervt, aber doch noch sachlich. Ich rationalisiere im Allgemeinen ganz ordentlich, lade mir medizinische Fachlieratur zu den Erkrankungen und Fachinfos zu den Medikamenten herunter, höre Hörbücher und Podcasts, schlage mit Spaziergängen im Zoo und im Veedel die Zeit tot, soweit das dunkle, regnerische Wetter es zulässt. Bis gestern war ich zwar energielos, sauer und traurig, aber alles hielt sich im Rahmen. Letzte Nacht jedoch hatte ich einen Albtraum, aus dem ich hochschreckte, und dann überrollte mich die Angst vorm Erblinden. Dem linken Auge geht es nämlich auch nicht gut; es zeigt Anzeichen von Überlastung oder aber … hm … Netzhaut-Problemen. Bitte nicht auch das noch, nicht schon wieder.

Lesen und schreiben kann ich seit dem 12. November nur wenig, radfahren überhaupt nicht. Für meine Psyche ist der Mangel an Gedankenfutter, an intellektueller Betätigung – sei es auf der Arbeit oder privat, etwa in Sachen Autoimmunbuch – fatal, gerade in Kombination mit der Dunkelheit da draußen und dem Mangel an körperlicher Betätigung. Denn selbst wenn das Makula-Ödem nicht wäre und ich wieder ordentlich räumlich sehen könnte, müsste ich alles vermeiden, was den Augeninnendruck hochtreiben kann: bücken, heben, aber auch radfahren oder Yoga oder Gymnastik machen. Trotz Vitamin D spüre ich, wie mir die saisonale Depression, die mich im vorigen Winter vollständig verschont hat, auf die Schulter klopft.

Und ich bin wirklich sauer, eher auf das Gesundheitssystem als auf einzelne Personen. Sowohl in der Klinik als auch in der Praxis arbeiten freundliche, engagierte Menschen, die sich um ihre Patientinnen und Patienten bemühen. Aber im Stress, in der Rödelei gehen offenbar selbst so deutliche Warnhinweise, wie ich sie gegeben habe, komplett unter. Wie kann das sein? Warum hat meine jetzige Ärztin keinen automatischen Zugriff auf meine Patientenakte in der anderen Filiale desselben Praxisverbunds, in die 2021 klipp und klar eingetragen wurde: „V. a. Steroid-Responder“? Warum lagen zwischen zwei Kontrollterminen 13 Tage, mitten in dem Zeitfenster, in dem eine Augeninnendruck-Entgleisung bei einem „High responder“ wie mir typischerweise auftritt? Muss ich jetzt wirklich meine ePA aktivieren, der ich mich bisher aus den bekannten Datenschutz-Gründen verweigert habe? Hätte das überhaupt etwas geändert? Muss ich mir „Steroid-Responder!“ auf die Stirn tätowieren lassen, um mein Augenlicht beim nächsten Mal nicht komplett einzubüßen?

Vor allem: Hat der Sehnerv, hat die Makula, haben die Netzhäute diesen Clusterfuck im Großen und Ganzen gut überstanden? Wird alles wieder gut? Ich werde berichten. Am Dienstag ist der nächste Kontrolltermin.

Gesichtslähmung

Ich dachte eigentlich, ich hätte mein diesjähriges Kontingent an „interessanten“ Erkrankungen bereits ausgeschöpft, aber nein. Seit gestern habe ich eine rechtsseitige Gesichtslähmung, genauer: eine idiopathische periphere Fazialisparese. Die vorangegangenen starken Nackenschmerzen lassen zwar nach, aber da mein rechtes Auge wegen des stark reduzierten Lidschlags leicht austrocknet, kann ich längst nicht mehr so lange am Bildschirm arbeiten oder lesen wie gewohnt. Eine solche Lähmung kann einige Wochen oder einige Monate oder (mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa zehn Prozent) ein Leben lang anhalten.

Versuch, die Stirn zu runzeln (das harmloseste meiner heutigen Gruselbilder)

Es wurmt mich, dass sich dadurch die Arbeit am Autoimmunbuch schon wieder erheblich verzögert. Das tut mir so leid für meine Unterstützer, die nun noch länger auf das Buch warten müssen. Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um die Regeneration zu unterstützen. Dazu gehört momentan eine massive Medikation mit Prednison, einem Glucocorticoid, das stark immunsupprimierend wirkt und daher auch – in viel niedrigeren Dosen – bei einigen Autoimmunerkrankungen verschrieben wird. Dazu gehört aber auch, dass ich mein rechtes Auge wirklich schone, denn das linke ist ja schon seit der Netzhautablösung am Anfang dieses Jahres nicht mehr so doll. :-/ Ich kann nur an eure Geduld appellieren – und an meine eigene.

The Epigenetics of Autoimmune Diseases, Kap. 17: Sexualhormone

Für die DNA-Transkription müssen die Nukleosomen umgebaut werden.

Notizen zum 17. Kapitel des Buches von Moncef Zouali (Hg.); noch nicht allgemein verständlich aufbereitet

Virginia Rider und Nabih I. Abdou, “Hormones: epigenetic contributors to gender-biased autoimunity”, in M. Zouali (Hg.), “The Epigenetics of Autoimmune Diseases”, Wiley-Blackwell 2009

Einführung

Zwar werden die Grundlagen für die immunologische Selbsterkennung schon früh in der Entwicklung gelegt, aber bei Erwachsenen muss diese Selbsttoleranz durch bestimmte Schlüsselfaktoren aufrecht erhalten werden. Denn autoreaktive T-Zellen mit schwachen Antigenrezeptoren können der klonalen Selektion entgehen, und somatische Mutationen könnten B-Zellen mit autoreaktiven Antigenrezeptoren erzeugen. Ein Verlust der Selbsttoleranz tritt bei Frauen erheblich häufiger auf als bei Männern. Systemischer Lupus erythematodes (SLE) trifft Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter 9 mal öfter als Männer.   Weiterlesen

The Epigenetics of Autoimmune Diseases, Kap. 8: Stress und Schilddrüsen-Autoimmunität

Notizen zum 8. Kapitel des Buches von Moncef Zouali (Hg.), Autor: Agathocles Tsatsoulis; noch nicht allgemein verständlich aufbereitet

Einführung

Schilddrüsen-Autoimmunkrankheiten wie Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow stellen sich ein, wenn das Immunsystem seine Toleranz gegen Selbst-Antigene in der Schilddrüse einbüßt. Ob es zu Morbus Basedow und damit zu einer Überfunktion (Hyperthyreose) kommt oder zu Hashimoto-Thyreoiditis und damit langfristig zu einer Unterfunktion (Hypothyreose), wird wohl nicht nur durch genetische Faktoren beeinflusst, sondern auch durch epigenetische Effekte, die wiederum von Umweltfaktoren wie Stress verändert werden können.

Stress wirkt über neuroendokrine Signale (Hormone) auf das Immunsystem. Während einer Stressreaktion werden die Hypothalamus-Hypophysen-Achse und das sympathische Nervensystem aktiviert, was zu Erhöhungen der Glucocorticoid- und Katecholamin-Konzentrationen führt. Beide Systeme sollen den Stressoren entgegenwirken und die Homöostase erhalten.

Lange glaubte man, Stresshormone – vor allem Glucocorticoide – würden allgemein immunsuppressiv wirken, doch Stress wirkt unterschiedlich aufs Immunsystem.   Weiterlesen