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Die Darmflora der Inuit

Vor zwei Jahren war ich in Grönland und habe gesehen, wie stark die Kultur dort bei aller Modernisierung noch durch die Jagd geprägt ist. Seither habe ich mich gefragt, wie sich die traditionelle, an tierischen Fetten und Proteinen außerordentlich reiche Kost der Inuit auf die Zusammensetzung und Diversität ihrer Darmflora auswirkt.

Vergleiche zwischen dem Mikrobiom von Menschen mit „westlicher“ Ernährung und solchen aus traditionellen Agrargesellschaften in Afrika (etwa in Burkina Faso) oder Nordamerika (etwa bei den Hutterern) habe ich hier im Blog bereits vor Jahren vorgestellt. Nach meiner Rückkehr war ich erpicht darauf, zu erfahren, wie die Darmflora der Inuit aussieht: Ist sie artenreicher als unsere verarmte „westliche“ Darmflora? Dominieren in ihr wegen der Fleischlastigkeit der Kost womöglich andere Schlüsselorganismen?

Zu meiner großen Verwunderung fand ich dazu absolut nichts in der Fachliteratur: keine einzige Arbeit. Genetische Anpassungen der Inuit an ihren Lebensraum und deren Auswirkungen auf ihre Gesundheit waren durchaus untersucht worden, ihre Darmflora aber nicht – obwohl das nun wirklich sehr nahe lag. Seither habe ich die Literatursuche ab und zu wiederholt – und inzwischen bin ich fündig geworden:

Forscherinnen und Forscher um B. Jesse Shapiro haben 2017 in zwei Arbeiten die Resultate ihrer 16S-rRNA-Analysen von Stuhl- und Toilettenpapier-Proben veröffentlicht, die sie zum einen in Inuit-Siedlungen in Resolute Bay (Nunavut, Kanada) und zum anderen in Montréal (Québec, Kanada) bei Nachfahren von Europäern gesammelt haben. Diese Nukleinsäuren stammen aus den Ribosomen von Bakterien, und es gibt große Datenbanken, in denen man einer bestimmten Basensequenz eine Bakterienart oder -Gattung zuordnen kann.

Zur Überraschung des Teams unterschied sich die typische Darmflora der weitgehend traditionell lebenden Inuit kaum vom Artenspektrum im Darm der „westlich“ lebenden Leute aus Montréal. Die Unterschiede zwischen den Individuen in beiden Gruppen waren viel größer als die zwischen den Gruppen. Auch war das Mikrobiom der Inuit nicht auffällig vielfältiger als das der „Westler“. Allerdings waren Bakterienarten der Gattung Prevotella, die vor allem Ballaststoffe aus pflanzlicher Nahrung aufschließen können, bei den Inuit signifikant schwächer vertreten als bei den Städtern europäischer Herkunft.

In einer weiteren Analyse hat das Team die Veränderung der Darmflora-Zusammensetzung im Jahresverlauf untersucht – in der Annahme, dass die Kost der Inuit sich mit den Jahreszeiten stärker verändert als in der Großstadt. Sie fanden zwar Unterschiede, aber auch diese waren außerordentlich subtil: Bei den Inuit erklärt die Saisonalität einen etwas höheren Prozentsatz der Variabilität der Mikrobiom-Zusammensetzung als bei den europäischstämmigen Städtern. Diese Schwankungen schlagen sich aber nicht in einer klaren Zu- oder Abnahme bestimmter Bakterienarten, -gattungen oder -familien im Jahreszyklus nieder, sondern nur in stärkeren Abweichungen zwischen den Individuen in der Inuit-Gruppe. Vermutlich ist deren Ernährung (noch) nicht so standardisiert wie bei den Nachfahren der Europäer in der großen Stadt.

Womöglich – so die Autorinnen und Autoren – ist die alles homogenisierende „Verwestlichung“ der Lebensweise und Ernährung bereits zu stark vorangeschritten, um noch markante Unterschiede zu entdecken. Jedenfalls ist das Inuit-Mikrobiom weder das „andere Extrem“ im Vergleich zur artenreichen Darmflora sehr fleischarm lebender ländlicher Gemeinschaften, nämlich besonders artenarm, noch ein weiteres Exempel für die größere Darmflora-Vielfalt nicht westlich lebender Menschen: Es ähnelt in fast allem unserem eigenen Mikrobiom.

 

Girard, Catherine et al. “Gut Microbiome of the Canadian Arctic Inuit.” Ed. Rosa Krajmalnik-Brown. mSphere 2.1 (2017): e00297–16. PMC. Web. 18 Aug. 2018.

Dubois, Geneviève et al. “The Inuit Gut Microbiome Is Dynamic over Time and Shaped by Traditional Foods.” Microbiome 5 (2017): 151. PMC. 

Fotos vom Arctic Circle Trail zwischen Kangerlussuaq und Sisimiut sowie von Fleischmarkt in Nuuk, Westgrönland, 2016

Was kann uns das Hadza-Mikrobiom wirklich lehren?

P1180271_Hadza-Umwelt_650Wie in den Notizen zu Schnorr et al. beschrieben, leben die Hadza-Jäger und -Sammler in Tansania vor allem von Knollen, Affenbrotbaum-Früchten (sehr reich an Vitamin C!), Honig und Wild, wobei die pflanzliche Kost übers Jahr gerechnet mit etwa 70% überwiegt und Frauen mehr ballaststoffreiche Pflanzenteile, Männer dafür mehr Fleisch zu sich nehmen.

Im Januar hat Jop de Vrieze in Science das Projekt des US-amerikanischen Anthropologen und Tropenmediziners Jeff Leach vorgestellt, der bei den Hadza nicht nur über zwei Jahre hinweg zahlreiche Stuhl- und Hautflora-Proben sowie Proben ihrer Nahrungsmittel und ihres Trinkwassers einsammelt, sondern auch selbst einen Monat wie die Hadza leben und die Auswirkungen auf sein eigenes Mikrobiom analysieren lassen will. Seine Motivation: Seine Tochter ist an Typ-1-Diabetes erkrankt, und er hofft auf neue Therapieansätze, da die Hadza viel seltener „moderne Krankheiten“ wie Diabetes, Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen bekämen als Menschen in Industriegesellschaften.

Mir kommt ein Monat viel zu kurz vor, zumal da sich gerade gezeigt hat, dass die Kost und die sonstige Lebensweise der Hadza  stark von den Jahreszeiten abhängt. Dass ihr Mikrobiom eine so hohe Biodiversität und damit auch eine große Resilienz (Rückstellkraft bei Störungen) aufweist, dürfte gerade mit diesen Schwankungen zu tun haben: Je nach Lebensalter und Jahreszeit sind gerade andere Bakterien gefragt, die später evtl. wieder ins zweite oder dritte Glied zurücktreten, aber erhalten bleiben, um bei Bedarf wieder zu dominieren.   Weiterlesen

Die Darmflora der Hadza: die kleinen Helfer der Jäger und Sammler

Notizen noch nicht allgemein verständlich aufbereitet; für Teil 4 (Individualentwicklung Immunsystem) und Teil 5 (Evolution) des Buches:

Schnorr S. L. et al. (2014): Gut microbiome of the Hadza hunter-gatherers. Nature Communications 5: 3654, doi:10.1038/ncomms4654 (Open Access)

Abstract: Erstmals Darmflora ursprünglich lebender Jäger und Sammler analysiert und mit dem Mikrobiom von Italienern sowie Ackerbauern aus Burkina Faso und Malawi verglichen. Mikrobenreichtum und Biodiversität größer als in italienischer Stadtbevölkerung. Einzigartig: keinerlei Bifidobacterium; Unterschiede in der Darmflora von Männern und Frauen; Anreicherung von Prevotella, Treponema und unklassifizierten Bacteroidetes, die vermutlich beim Aufschluss ansonsten unverdaulicher Kohlenhydrate aus der überwiegend pflanzlichen Kost helfen; ungewöhnliche Proportionen bei den Clostridiales.

Intro: In Darmflora in ländlichen Gemeinschaften (wenig Antibiotika und „schlechtere“ Hygiene, unraffinierte, saisonal geprägte Kost) Bacteroidetes und Actinobacteria angereichert; in „westlicher Welt“ Diversität und Stabilität des Darm-Mikrobioms verringert. Wissenslücke: Darmflora von Jägern und Sammlern, obwohl das über 95% unserer Evolution unsere Lebensweise war. Hier: Stuhlproben von 27 Hadza aus zwei Lagern analysiert, die zu den etwa 200-300 letzten traditionell lebenden Hadza gehören – einer der letzten Jäger- und Sammler-Kulturen der Welt. Zwar sind sie moderne Menschen, aber sie leben am Eyasisee im Ostafrikanischen Graben in einer Umwelt, die derjenigen unserer Urahnen sehr ähnelt. Vergleich: Darmflora von 16 erwachsenen Italienern aus Bologna und Daten aus Burkina Faso und Malawi. Hadza und Italiener: selbes mittleres Alter (32 J.).   Weiterlesen

Dickdarmbakterien regulieren über kurzkettige Fettsäuren unser Immunsystem

J. K. Nicholson etl al: Host-Gut Microbiota Metabolic Interactions. Science 336, 08.06.2012, 1262-1267: Firmicutes wie Eubacterium, Roseburia, Faecalibacterium und Coprococcus zerlegen für den menschlichen Organismus unverdauliche Ballaststoffe wie Hemizellulosen im Dickdarm in kurzkettige Fettsäuren wie Buttersäure, Essigsäure oder Proprionsäure. Diese senken den pH-Wert im Dickdarm, hemmen durch die Ansäuerung das Wachstum von Pathogenen wie Salmonellen, stimulieren die Wasser- und Natriumabsorption, beteiligen sich an der Cholesterinsynthese, versorgen die Darmepithelzellen und einige Darmbakterien mit Energie und stimulieren die Leptinproduktion in Adipozyten (zumindest in Zellkulturen und Mäusen).   Weiterlesen

Dorfkinder in Burkina Faso haben eine andere Darmflora als Stadtkinder in Florenz

Neue Skizze fürs Buch; Erläuterungen folgen dort. Quelle: De Filippo et al., „Impact of diet in shaping gut microbiota revealed by a comparative study in children from Europe and rural Africa“, PNAS 107/33, 17.08.2010, 14691-14696