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Update: Long COVID und das Immunsystem

Vor gut zwei Jahren bin ich meinem Vorsatz untreu geworden und habe mich im Blog zu COVID-19 geäußert – weil die Schnittmenge dieses Themas zu meinem, der Biologie der Autoimmunerkrankungen, nicht mehr zu übersehen war.

Zeit für ein kurzes Update! Kurz, weil ich einfach auf eine gute Übersicht in The Scientist verweisen kann, die diese Woche erschienen ist. In ihrem Artikel stellt Natalia Mesa die wichtigsten Mechanismen vor, die zu anhaltenden Symptomen unterschiedlichster Natur noch lange nach der akuten Infektion mit Sars-CoV-2 führen könnten: chronische Entzündungen, durch die Konfrontation mit dem Virus ausgelöste Autoimmunreaktionen, persistierende, also irgendwo im Körper weiterbestehende Viren, Veränderungen im Endothel, also der Auskleidung der Blutgefäße, und schließlich Mikrothrombosen: kleine Klumpen im Blut.

Diese Erklärungsansätze schließen einander nicht aus. Beispielsweise gehen chronische Entzündungen (fehlgeleitete angeborene Abwehr) und Autoimmunreaktionen (fehlgeleitete erworbene Abwehr) oft miteinander einher, wobei die Richtung der Verursachung unklar bleiben kann. Es kann auch sein, dass Long COVID ein grob gezimmertes Dach ist, unter das die Medizin derzeit mehrere Teilpopulationen von Betroffenen setzt, bei denen unterschiedliche Mechanismen zugeschlagen haben. Die Zukunft wird es zeigen.

In einer noch nicht begutachteten Übersichtsarbeit über gut 50 typische Long-COVID-Symptome von Lopez-Leon et al. führt übrigens ein Symptom mit großem Abstand: Fatigue.

Quelle: Lopez-Leon et al. 2021, https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-266574/v, CC BY 4.0

Wie neulich schon in Sachen Stammhirn- und Hypothalamus-Neuronen geschrieben, stellt sich die Frage, auf welchem Wege die SARS-Cov-2-Infektion bzw. die Immunreaktion darauf eine Veränderung im zentralen Nervensystem auslöst. Mesa nennt ein mögliches Bindeglied: Die zu den Immunzellen zählenden Mikrogliazellen, die unsere Nervenzellen beschützen sollen, könnten durch Botenstoffe in einen überaktiven Zustand versetzt werden, in dem sie den Nervenzellen Schaden zufügen.

Jack/Du Pasquier: Evolutionary Concepts in Immunology, Teil 1

Etwa A5 großes Buch mit einer Festung auf dem Cover; gehalten von meiner linken Hand; im Hintergrund eine mit Plattencovern dekorierte Arbeitszimmer-WandKeine Besprechung des 2019 erschienenen, 145 Seiten schmalen, aber gehaltvollen und klugen Büchleins von Robert Jack und Louis Du Pasquier – sondern simple Notizen zu Stellen, die für Band 2 des Autoimmunbuchs relevant sind – hier erst mal bis Ende Kapitel 2; Fortsetzung folgt.

Und zugleich der Anfang einer Reihe von Blogartikeln ähnlicher Art, wie ich sie schon in den Jahren 2011ff. zuhauf verfasst habe: eilige, holperige Notizen zu neuer (oder neu entdeckter) immunologischer Fachliteratur, einfach um „Friendly Fire“ wiederzubeleben und nicht alles nur unsichtbar in Scrivener zu verarbeiten, dem Programm, in und mit dem ich meine Bücher schreibe.

Vorwort: Versuch zu zeigen, wie Kräfte der Evolution Immunsysteme im Laufe der Stammesentwicklung geformt haben. Dobzhansky-Zitat (natürlich!).

Kapitel 1: Wie arbeitet Evolution?

  • Ernst Mayrs Wie- und Warum-Fragen (s. auch Anfang Arvay oder Autoimmunbuch, Bd. 1, S.16: Tinbergens 4 Fragen). Warum -> Anpassungswert, Evolution von Abwehrsystemen.
  • „Lebende Fossilien“: Quastenflosser ähnelt 400 Mio. J. alten Fossilien, hat zwar die ganze Zeit Mutationen angesammelt, aber in den Tiefen des Meeres hat sich die Umwelt und damit der Selektionsdruck kaum gewandelt -> erst Selektion macht Mutationen evolutionär bedeutsam.
  • Varianten = Sequenzelemente, die in mindestens 1% einer Population vertreten sind; Mutanten = in weniger als 1%, entweder gerade erst entstanden und noch nicht positiv selektiert – oder schädlich, aber noch nicht komplett eliminiert.
  • Menschen: Problem -> Lösung; Evolution: potenzielle Lösungen (Mutationen in den Genomen einiger Individuen einer Population) warten auf das passende Problem. Wie Lymphozyten.
  • Eukaryoten können schwach nachteilige Mutationen bewahren, da sie diploid sind; daher größere Toleranz genetischer Drift als haploide Organismen. Ansammlung solcher Mutationen in Keimbahn bietet großes Lösungspotenzial.
  • Mikroorganismen nicht nur wg, kurzer Generationszeit, sondern auch wg. riesiger Populationen im Vorteil; Selektion effektiver.
  • In codierenden Regionen bei Menschen 1 Variante alle 8 Basenpaare. Jeder Mensch hat statistisch mindestens 85 Gene, bei denen 1 Kopie durch Mutation zerstört wurde, und 35, bei denen beide Kopien zerstört wurden.
  • Ansammlung leicht nachteiliger Mutationen = Muller-Ratsche. Meiotische Rekombination bei sexueller Fortpflanzung löst das Problem. R. kombiniert auch Allele intakter Gene neu -> einzigartige Individuen. F. Jacob: „To create is to recombine.“ Gilt auch für somatische Rekombination in Lymphozyten.
  • Generationslücke: Reproduktionszeit 20 Minuten – 20 Jahre = Faktor 525.000. Wie konnten wir überleben? 1. Diploidie, Mutationsvorrat, s. o. 2. adaptives IS, Selektion von Keimbahn in Soma verlagert. Nun keimbahn-codierte Abwehr zu unflexibel.
  • Evolution IS: Flache Küstengewässer energie- und nährstoffreich; bakterienfressende Amöben wohl 1. eukar. Organismen; von Viren, Transposons und Bakterien befallen. Alles, was bei Abwehr hilft, wird getan, auch wenn die Lösungen bizarr wirken.
  • „Amöben“ (lt. Literaturangabe: Nanoflagellat Cafeteria roenbergensis!) integrieren Mavirus in ihr Genom, um Mimivirus-Attacken abzuwehren: Mavirus wird bei Infektion aktiviert, Amöbe stirbt, aber da um 2-3 Größenordnungen mehr Ma- als Mimiviren produziert wurden, können neue Mimiviren wenig neue Amöben anstecken.
  • IS ist enorm verschwenderisch. Mensch: jeden Tag Milliarden Immunzellen wie Granulo- oder Lymphozyten produziert und fast alle direkt danach wieder ungenutzt zerstört. Trotzdem evolutionär stabile Strategie, da Vorteil schwerer wiegen.

Kapitel 2: Von Einzeller- und Vielzeller-IS

  • Übergang zu Mehrzellern wegen Arbeitsteilung zwischen Zelltypen vorteilhaft; einzelne Zelle muss weniger Kompromisse zwischen ihren u. U. widerstreitenden Funktionen eingehen. Preis dafür: Fitness einzelner Zellen = 0.
  • 4 Situationen, die Architektur der Abwehr in Metazoen beeinflussen; Übergang hat Änderungen erzwungen: 1. Trennung Keimbahn-Soma, 2. Beschränkung zellulärer Kompetenzen, 3. Aufweichung Grenze Selbst-Nichtselbst, 4. großes Tempo + Reichweite mobiler Immunzellen.
  • 1. Erst strikte Trennung Keimbahn-Soma macht proteinbasiertes, somatisch diverses IS möglich, weil die erforderlichen riskanten Rekombinations- und Mutations-Runden so die DNA in der Keimbahn nicht gefährden.
  • 2. Phagozytose: Nur noch bestimmte Zelltypen dürfen das. Phagozytose in jeder Phase, von der Suche bis zur Fusion Phagosom-Lysosom, vom Zytoskelett abhängig. Zellen dürfen ihre Nachbarn nicht auffressen. Dictyostelium discoideum: etwa 1% patrouillierende Wächterzellen, da Slug attraktive Quelle für Energie und Metaboliten ist. Phagozytose von Ernährungsweise zu Verteidigungsmethode diszipliniert.  Weiterer Vorteil: Pathogene können Phagozytose nicht mehr flächendeckend ausnutzen. Legionella pneumophila befällt Süßwasseramöben, verbirgt sich in Phagozytose-Vakuolen und injiziert mit dort aufgebauter Spritze etwa 300 bakterielle Mediatoren ins Zytosol -> Zytoskelett verändert -> Bakterien vermehren sich in Vakuolen. Legionärskrankheit ist „Unglück“, das erst durch Klimaanlagen mit großen Wassertanks passieren konnte, weil die Legionellen nun in Aerosolen in unsere Lungen gelangen können, wo sie via Phagozytose alveolare Makrophagen befallen. Zeigt, dass grundlegende Phagozytose-Mechanismen seit über 600 Mio. J. unverändert sind! Andere Pathogene wie Salmonellen, Shigella, Listerien, Chlamydien können auch andere Zelltypen zur Phagozytose bewegen, indem sie von außen durch ihre „Spritzen“ Mediatoren injizieren, die zu Membranausstülpung usw. führen. Die Bestandteile des Phagozytose-Apparats sind also in vielen Zelltypen noch komplett da. Autophagie = „interne Phagozytose“, Selbstabbau als „Vetter“ der Phagozytose: Proteasomen haben relativ kleine Einlassöffnungen, daher sammelt sich in langlebigen Zellen Müll an -> in Vakuolen gepackt, die mit Lysosomen fusionieren. Abbaumethode auch bei Nährstoffmangel und zur Vernichtung zytosolischer Pathogene eingesetzt. Problem der Selbst-Nichtselbst-Erkennung; auch Mitochondrien könnten wegen Bakterien-Herkunft vernichtet werden. Aber nur Pathogene, die aus Phagosom entswischen, tragen Glycane, mit denen Innenseite der Phagosom-Membran gespickt ist; zytosolische Galectine binden daran -> Glycan-Galectin-Komplexe als Friss-mich-Signale für Autophagie-Maschinerie.
  • 3. Selbst = Gesellschaft der Zellen in Metazoen. Zur Erkennung Vielzahl an Oberflächenmarkern und passenden Rezeptoren entwickelt, auch für lösliche Mediatoren wie Hormone oder Zytokine, die Infos aus weiter entfernten Körperteilen übermitteln. Mobile Abwehr aber nicht nur gegen Pathogene = Nichtselbst, sondern auch gegen verändertes Selbst wie Krebszellen, apoptotische und nekrotische  Zellen. – Apoptotische Zellen werden bei Nematoden, die kein echtes IS haben, von Nachbarzellen vertilgt, die dafür kurz ihr Phagozytose-Programm aktivieren, Bei Säugern können ggf. Epithel-, Endothelzellen und Fibroblasten als Amateur-Phagozyten dienen, aber das meiste erledigen Makrophagen. Sterbende Zellen senden Finde-mich-Signale, bei Kontakt Friss-mich-Signale aus. Koevolution des Apoptose- und des Fressprogramms bei den Partnern. So schnell, dass sogar in Knochenmark oder Thymus, wo sehr viele Zellen sterben, kaum tote Zellen sichtbar werden. – Nekrose: Zellmembran nicht mehr dicht; diverse Ursachen: zu viel Apoptose, steriles Trauma, Vireninfektion, … Phagozyten deuten ausgetretene Zytosolbestandteile als Gefahrensignal. Anders als bei Apoptose wird u. U. Entzündung -> Immunreaktion ausgelöst. – Krebs: Zellen fangen an zu mogeln, um sich rascher zu teilen – schon bei Algenmatten zu beobachten. Es braucht also neben altruistischer Kooperation auch altruistische Bestrafung der Betrüger -> IS. Krebszellen sind so was wie endogene Pathogene, halten sich nicht an Regeln, müssen um jeden Preis zerstört werden.
  • 4. Mobilität der Immunzellen: Bei einfachsten Vielzellern wie Schwämmen keine komplexen Organe. Nächste Stufe: Nesseltiere (Cnidaria) mit 2 Zellschichten, Ectoderm und Endoderm. Dann 3 Keimblätter, neu: Mesoderm. Bei Diploblasten wie Nesseltieren ist Epidermis für Abwehr zuständig, enthält Rezeptoren (strukturell ähnlich denen von Wirbeltieren wie TLR), produziert antimikrobielle Peptide, betreibt Phagozytose. Hydra enthält bakterielles Mikrobiom und symbiotische grüne Algen, die nicht bekämpft werden dürfen; „Selbst + Freunde“ vs. Feinde. Auch manche Triploblasen wie Nematode Caenorhabditis elegans haben nur epitheliale Abwehr. Komplexe Metazoen brauchen aber mobiles IS, da Apoptose, Nekrose, Tumorbildung und Infektionen überall im Körper stattfinden können. Siehe Buchcover: Verteidigung einer mittelalterlichen Stadt/Burg: Arbeitsteilung in Entdeckung und Hilferufen; zuständige Zellen müssen kommunizieren und sich gerichtet weit und schnell fortbewegen können; koordinierte Zytoskelett-Aktivität erforderlich. Dafür geänderte Konstruktion nötig: Bei Invertebraten bestehen Gefäße aus extrazellulärer Matrix, bei Vertebraten aus Endothelzellen; intelligente Oberflächen zur Rekrutierung von Immunzellen usw.

Teil 2: angeborene Abwehr

Abb. 195: Adhäsion

Nach Erhalt eines Signals docken die Lymphozyten mit ihren Integrinen fest an die Endothelzellen an, die die Blutgefäße auskleiden.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 167: Gebremste Stachelkugeln

Naive T-Zellen haben im Blut die Gestalt von Stachelkugeln. Auf den Stacheln sitzen Selektine
und Selektin-Liganden, deren Gegenstücke sich auf den Endothelzellen finden, aus denen die Gefäßwände bestehen. Die Bindung zwischen Selektinen und Liganden bremst die T-Zellen in den Blutgefäßen ab, sodass sie an den richtigen Stellen ins Gewebe eindringen können.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Wie Lymphknoten entstehen

Mit dem Werden und Vergehen des Thymus im Lebensverlauf habe ich mich bereits ausführlich beschäftigt, etwa hier. Im letzten Beitrag habe ich die Herkunft der Lymphgefäße skizziert. (Kurz: Sie entstehen größtenteils durch Abknospung von Endothel, also Blutgefäßwänden, aus einigen Hauptadern des Embryos; in einigen Organen und Geweben tragen aber auch andere embryonale Zellen zu den Lymphgefäßen bei.) Weiter geht es mit der Entstehung den Lymphknoten.

Wer Autoimmunerkrankungen verstehen will, sollte Lymphknoten nicht ignorieren

Warum interessiert mich das überhaupt? Das Lymphsystem erfüllt im Wesentlichen drei Aufgaben: Erstens schafft es Flüssigkeit, die aufgrund des Blutdrucks aus den Kapillaren austritt und das Gewebe anschwellen lässt, in die größeren Blutgefäße zurück – jeden Tag etwa drei Liter. Zweitens transportiert es Proteine und vor allem Fette, die unser Verdauungssystem aus der Nahrung gewonnen hat, aus der Darmschleimhaut in den Blutkreislauf. Und drittens – jetzt wird es relevant für’s Buch – führt es den Lymphknoten, gewissermaßen den Kontaktbörsen des Immunsystems, Antigene und Immunzellen zu, und es schickt die dort von den Antigenen aktivierten Immunzellen in das Blut zurück, von dem sie sich an ihre Einsatzorte verfrachten lassen.

Neben den normalen Lymphknoten, die während der Embryonalentwicklung an vordefinierten Stellen entstehen, bilden sich im Körper später auch bedarfsgesteuerte Strukturen: zum einen kurz nach der Geburt die sogenannten Peyer-Plaques in der Darmschleimhaut, die dem Management unserer Beziehungen zur Darmflora dienen. Und zum anderen ein Leben lang improvisierte Lymphknötchen in der Nähe von Entzündungsherden, sogenannte tertiäre lymphatische Organe (TLO). Sie verkürzen die Transportwege für Antigene und Immunzellen und machen so die Bekämpfung der Entzündungsauslöser effizienter. Für das Buch habe ich sie als Feldlager skizziert.

Bei einer akuten Infektion ist das gut – aber bei einer chronischen Autoimmunerkrankung verstärkt es leider die Reaktion des Immunsystems auf körpereigene Antigene. Zudem unterstützen TLOs bei vielen Autoimmunerkrankungen ausgerechnet die schädlichen autoreaktiven Immunzellen, während sie andere, nützliche Immunzellen abweisen (siehe „Ärger mit dem Passwort“). Solche tertiären Lymphstrukturen entstehen im Prinzip ähnlich wie die normalen Lymphknoten, nämlich durch einen Dialog von Immunzellen und lokalen Bindegewebszellen. Daher sehen wir uns zunächst die normalen Entwicklung während der Embryogenese an.

Es beginnt im zweiten Monat

Im menschlichen Embryo schnüren sich im zweiten Monat zunächst sechs sogenannte Lymphsäcke von den Kardinalvenen im oberen Bereich des Rumpfes ab. Aus diesen Ausbuchtungen wächst dann das Lymphgefäßsystem allmählich in die Peripherie hinein, wie im letzten Beitrag beschrieben. Wo das Netzwerk besonders dicht ist, etwa in der Nachbarschaft des künftigen Verdauungstrakts, nennt man es Lymphplexus. Am Ende durchzieht das System den gesamten Körper, ähnlich wie der Amazonas das ganze Amazonasbecken drainiert.

Erste Ansätze zu Lymphknoten finden sich etwa ab Tag 36 der Embryonalentwicklung in der Nähe des Zusammenflusses zweier paarig angelegter Kardinalvenen, die dort zur Vena cardinalis communis fusionieren. Die Lymphsäcke, die noch überwiegend aus Endothel bestehen, werden jetzt mit Mesenchymzellen durchsetzt, die zur charakteristischen Zonenbildung in den Lymphknoten beitragen (H bis J in dieser Zeichnung). Weitere Mesenchymzellen bilden die Bindegewebskapsel und die Stützwände der Knoten (E bis G).

Dialoge zwischen Induktoren und Organisatoren

Doch woher wissen die Vorläuferzellen, wohin sie sich begeben sollen, mit welchen anderen Zellen sie sich wie zusammenlagern und welche genaue Funktion sie übernehmen sollen? Das wird über einen Austausch von Signalen organisiert. An einem Ort, der für einen Lymphknoten prädestiniert ist – einer sogenannten Anlage* -, wird zunächst ein Botenstoff namens TRANCE ausgeschüttet. Dieser lockt sogenannte lymphoid tissue inducer cells oder LTi-Zellen an. Das sind erste weiße Blutkörperchen, die eng mit den späteren Immunzellen verwandt sind. Über Rezeptoren auf ihrer Oberfläche nehmen sie Verbindung mit den Mesenchymzellen auf, die als lymphoid tissue organizer (LTo) bezeichnet werden. Die LTo-Zellen werden durch den Kontakt aktiviert: Sie überziehen sich mit Adhäsionsmolekülen, sozusagen Widerhaken oder Klebstoffen, und schütten sowohl entzündungstypische Botenstoffe (Zytokine) als auch Lockstoffe (Chemokine) aus. Durch diese positive Rückkopplung werden weitere Immunzellen rekrutiert, zur Ansiedlung ermuntert und aktiviert, ähnlich wie bei einer Entzündung.

Nach der Geburt

All dies geschieht im Embryo, also noch ohne Kontakt zu fremden Antigenen. Aber sobald nach der Geburt der Darm des Säuglings mit Mikroben besiedelt wird, erfährt die Entwicklung des Lymphgewebes noch einen Schub. Vor allem in der Darmschleimhaut bilden sich durch den Kontakt zur Darmflora tertiäre Lymphorgane, und zwar ähnlich wie eben beschrieben, also angestoßen durch LTi-Zellen und andere Immunzellen, die sich in der Darmschleimhaut niederlassen und mit ihren Nachbarzellen in Kontakt treten, um „Feldlager“ zu errichten. Mit diesen Strukturen kann das Immunsystem die Darmflora regelmäßig auf ihre Zusammensetzung prüfen und gegebenenfalls in ihre Schranken weisen.

Inwieweit auch die Bildung tertiärer Lymphorgane bei chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen der vorgeburtlichen Entstehung der Lymphknoten ähnelt und in welcher Hinsicht die beiden Prozesse voneinander abweichen, beschreibe ich im nächsten Beitrag.

 

* Auch in englischen Arbeiten heißen sie anlagen. In der Embryologie waren im 19. Jahrhundert deutsche Forscher führend, und die Fachsprache hat diesen Ausdruck übernommen.

Literatur:

Manuela Ferreira et al. (2012): Stroma cell priming in enteric lymphoid organ morphogenesis

Lucille Rankin et al. (2013): Diversity, function, and transcriptional regulation of gut innate lymphocytes

Florence R. Sabin und die Herkunft der Lymphgefäße

Heute blogge ich mal billig, indem ich mich selbst plagiiere: indem ich einen Abschnitt zitiere, den ich eben in den Wikipedia-Artikel über die Anatomin Florence Rena Sabin eingefügt habe. Bis gerade eben hätte man meinen können, das einzig Besondere an Sabin sei die Tatsache, dass sie als erste Frau der American Association of Anatomists vorstand und als erste Frau ein weltweit führendes Rockefeller-Institut leiten durfte. Nun, diese Vorreiterrolle kam nicht von ungefähr; Sabin hat herausragende Forschung betrieben.

Zwei ihrer Arbeiten, 1902 und 1904 erschienen, werden in aktuellen Reviews zur Entstehung der Lymphgefäße zitiert, die ich für das Buch ausgewertet habe. Was hier natürlich fehlt, sind die Wikilinks zu Fachbegriffen wie Endothel. Wohlan:

Herkunft der Lymphgefäße aus den Blutgefäßen

Zu den wissenschaftlichen Leistungen Sabins gehören ihre sorgfältigen Färbeversuche an Tierembryonen, mit denen sie die damals bereits seit gut 200 Jahren diskutierte Frage klären wollte, woher die Lymphgefäße der Wirbeltiere stammen. Zwei Hypothesen standen sich gegenüber: Viele Anatomen glaubten wie der Mediziner G. Lovell Gulland, die Flüssigkeit, die sich im Bindegewebe ansammle, übe einen Druck auf die benachbarten Zellen aus und schaffe sich so Hohlräume, die sich miteinander verbänden und schließlich mit den Blutgefäßen in Verbindung träten. Auch die Anatomen George S. Huntington und Charles F. W. McClure vertraten ein solches Zentripetalmodell (Ausdehnung des embryonalen Lymphsystems von der Peripherie in Richtung Zentrum). Sie untersuchten histologische Schnittserien von Katzenembryonen und meinten zu erkennen, dass die ersten Endothelzellen der Lymphgefäße aus isolierten Vorläuferzellen im Mesenchym entstehen. Diese lymphatischen Endothelzellen würden sich zunächst zu einem Netzwerk und erst anschließend mit dem Blutgefäßsystem verbinden, um die Lymphe aus dem Gewebe ins Blut abzuführen.

Florence Sabin war überzeugt, dass Schnittserien keinen sicheren Aufschluss über die Ausbreitung des entstehenden Lymphsystems und über Verbindungen zwischen Lymphgefäßen und Blutgefäßen geben können, und setzte stattdessen auf die Injektion von Tusche in die ersten lymphgefäßartigen Strukturen in Schweineembryonen unterschiedlichen Alters. Dabei sah sie, dass sich an den Kardinalvenen knospenartige Lymphsäcke bilden, die sich dann durch Sprossung verlängern und miteinander verbinden, sodass ein Netzwerk entsteht. Dieses Lymphgefäßnetz breitet sich vom Zentrum (den Kardinalvenen) in die Peripherie aus (Zentrifugalmodell).

Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts standen molekulare, genetische und bildgebende Verfahren zur Verfügung, mit denen man das Schicksal von Zellen im Lauf der Entwicklung wirklich verfolgen kann (sogenanntes Fate mapping oder Lineage tracing). Dabei zeigte sich, dass ein Großteil der Lymphgefäße höherer Wirbeltiere tatsächlich aus Vorläufern im Endothel der Kardinalvenen und der von ihnen abzweigenden Blutgefäße des Embryos abstammt, wie von Sabin postuliert. Ein kleiner Teil scheint jedoch zumindest in einigen Organen und Gewebetypen nichtvenösen Ursprungs zu sein.

Literatur: 

Florence Rena Sabin: The origin and development of the lymphatic system. Johns Hopkins Press, Baltimore 1913

Jan Kazenwadel, Natasha L. Harvey: Morphogenesis of the lymphatic vasculature: A focus on new progenitors and cellular mechanisms important for constructing lymphatic vessels. In: Developmental Dynamics. Band 245, Nr. 3, 1. März 2016, ISSN 1097-0177, S. 209–219, doi:10.1002/dvdy.24313

Jonathan Semo, Julian Nicenboim, Karina Yaniv: Development of the lymphatic system: new questions and paradigms. In: Development. Band 143, Nr. 6, 15. März 2016, ISSN 0950-1991, S. 924–935, doi:10.1242/dev.132431

The Florence R. Sabin Papers

Sialinsäure aus rotem Fleisch: ein Xenoautoantigen

Notizen zu zwei Artikeln der Arbeitsgruppe um Ajit Varki (Menschwerdung, Coevolution mit Malaria-Erregern usw.), v. a.

Tho Pham et al.: Evidence for a novel human-specific xeno-auto-antibody response against vascular endothelium. Blood 114(25), 2009, doi: 10.1182/blood-2009-05-220400

Varki 2012: Eine Sialinsäure, die vor allem in rotem Fleisch vorkommt und vom Menschen aufgrund einer Mutation nach der Abspaltung vom Schimpansen-Ast des Stammbaums nicht mehr hergestellt wird, wird bei Fleisch essenden Menschen ins Gewebe (genauer: in die Glycoproteine der Zellmembranen) eingebaut und ruft die Bildung von Xenoautoantikörpern („Fremd-Selbst-Antikörpern“) hervor, die Entzündungen verstärken können.

[Sialinsäuren = N– und O-Derivate der Neuraminsäure (Acylneuraminsäure), bilden oft die Endglieder der Zuckerreste der Glykoproteine auf allen Wirbeltier-Zellmembranen]   Weiterlesen