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Magenkeim Helicobacter pylori scheint zu Hashimoto-Thyreoiditis beizutragen

Auf ihrem im Mai 2016 vorgestellten Konferenz-Poster beleuchten Iryna Voloshyna et al. einen der mittlerweile zahlreichen Zusammenhänge zwischen unserem Mikrobiom und Autoimmunerkrankungen: Während in einer Vergleichsgruppe von Gesunden 53 Prozent Anzeichen für eine Infektion* mit dem Magenbakterium Helicobacter pylori aufwiesen, waren es unter 146 Menschen mit Hashimoto-Thyreoiditis 70 Prozent: ein statistisch signifikanter, aber an sich noch nicht sensationeller Unterschied. Zudem steht er im Widerspruch zu älteren Studien, darunter der hier bereits besprochenen Arbeit von V. Bassi et al., der zufolge Morbus-Basedow-Patienten wohl, Hashimoto-Patienten aber nicht überdurchschnittlich mit H. pylori infiziert sind.

Aber jetzt kommt’s: Die Forscher haben die Helicobacter-Infektion bei den Versuchsteilnehmern mit Hashimoto-Thyreoiditis mit der Gabe von drei Antibiotika über 14 Tage bekämpft. Bei 86 Prozent der Betroffenen war das erfolgreich. In dieser Gruppe ging die Konzentration der für die Autoimmunerkrankung typischen und mutmaßlich auch an ihrem Fortschreiten beteiligten Anti-TPO-Autoantikörper signifikant zurück, und zwar nach 30 Tagen auf etwa 38 Prozent der Ausgangskonzentration. Ihr Schilddrüsengewebe war im Ultraschall zudem deutlich weniger entzündet als das derjenigen Teilnehmer, bei denen die antibiotische Eliminierung der Keime misslungen war. Bei diesen „Non-respondern“ blieb auch die Autoantikörper-Konzentration unverändert hoch.

Auf die TSH-, T3- und T4-Werte hatte die Eliminierung des Magenkeims keinen Einfluss – was auch kein Wunder ist, da alle Hashimoto-Patientinnen und -Patienten mit L-Thyroxin auf normale Hormonwerte eingestellt waren.

Dies ist, wie gesagt, nur eine von vielen Arbeiten aus den letzten Jahren, die enge und zum Teil komplexe Zusammenhänge zwischen Autoimmunerkrankungen und einzelnen Angehörigen, der Zusammensetzung oder dem Artenreichtum unseres Mikrobioms aufzeigen. Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch bei Krebserkrankungen. Darauf gehe ich in einigen der folgenden Blogbeiträge näher ein.


* Die pauschale Einstufung von H. pylori als Pathogen ist allerdings umstritten: Vielen Menschen bereitet dieses Bakterium keine Gesundheitsprobleme, und einige Stämme des Bakteriums scheinen sogar vor bestimmten Erkrankungen zu schützen, während andere Stämme wirklich aggressiv sind.

Hormonwerte sind nicht alles: Hypothyreose-unabhängige Symptome bei Hashimoto-Thyreoiditis

In der Patientenszene häufen sich seit Jahrzehnten Berichte von Hashimoto-Patienten, denen es trotz Hormonwerten im Normalbereich schlecht geht. Viele kämpfen gegen die TSH-Wert-Fixierung ihrer Ärzte an, die so etwas gerne als „psychisches Problem“ abtun. Neuerdings zeichnet sich in der Fachwelt ein Umdenken ab: Mehrere Forschergruppen bestätigen die Existenz von ernsten Symptomen und krankhaften Gewebsveränderungen bei Hashimoto-Thyreoiditis, die nicht von der Schilddrüsenhormonversorgung abhängen, sondern vermutlich durch die Autoimmunreaktionen selbst bedingt sind. Hier fasse ich einige Arbeiten zusammen – wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet, gesundheitsbedingt ziemlich flüchtig und wahrscheinlich mit noch mehr Tippfehlern als sonst: Ich sehe momentan sehr schlecht, möchte aber meinen Rückstand aufholen.

Johannes Ott et al.: The incidence of lymphocytic thyroid infiltration and Hashimoto’s thyroiditis increased in patients operated for benign goiter over a 31-year period. Virchows Arch 2011, 459, 277-281, doi: 10.1007/s00428-011-1130-x

Die HT-Inzidenz scheint in den letzten Jahrzehnten gestiegen zu sein. Autoren haben Lymphpzyten-Infiltration der Schilddrüse (lymphocytic thyroid infiltration = LTI) in Gewebsproben von 1050 Patienten untersucht, die wegen eines gutartigen Kropfs an der Schilddrüse operiert worden waren. Ausmaß LTI (Grad 0-4) korreliert positiv mit HT. Vergleich der Jahre 1979-1989 und 1994-2009: Nach der Erhöhung der Salziodierung in Österreich höhere HT-Inzidenz als vorher – was natürlich kein Beleg für einen kausalen Zusammenhang ist. [Weiteres Problem: die winzige Zahl histologisch eindeutiger Hashimoto-Fälle – insgesamt 8 von 1050, also 0,8%!] In der Lit. genannte mögliche Ursachen für steigende Inzidenz: intauterine Erreger-Exposition (Enterovirus usw.), industrielle Endokrindisruptoren oder Schwermetalle, radioaktive Strahlung (Tschernobyl), Iodierung. Mögliche pathophysiologische Mechanismen: erhöhte Immugenität von stark iodiertem Thyreoglobulin, toxische Wirkung von Iod auf Schilddrüsenzellen oder direkte Stimulation der Immunzellen durch Iod. [Arbeit für meine Zwecke unergiebig.]

Johannes Ott et al.: Hashimoto’s Thyroiditis Affects Symptom Load and Quality of Life Unrelated to Hypothyroidism: A Prospective Case–Control Study in Women Undergoing Thyroidectomy for Benign Goiter. Thyroid 2011, 21(2), 161-167; doi: 10.1089/thy.2010.0191.

Prospektive Kohortenstudie an 426 euthyreoiden Frauen, die wegen gutartigen Kropfs operiert wurden. Gewebsuntersuchung: 28 der Frauen (6,6%) hatten HT. Aufteilung in zwei Gruppen: Anti-TPO-Antikörper-Werte > bzw. ≤ 121,0 iU/ml. In beiden Gruppen nahmen etwa 30% Schilddrüsenhormone. Mittlere Zahl der von den Patientinnen berichteten Symptome war in der Gruppe mit hohen Anti-TPO-Antikörper-Werten signifikant größer. TSH-Werte: kein signifikanter Unterschied (1,7 bzw. 1,4 µU/ml). Chronische Erschöpfung, trockenes Haar, chronische Reizbarkeit, chronische Nervosität, chronische Schwäche, Schlafstörungen, Vorgeschichte Brustkrebs und frühe Fehlgeburten sowie niedrigere Lebensqualität (allgemeiner Gesundheitszustand, Einschränkungen durch körperliche Beeinträchtigungen, Vitalität, Teilnahme am Sozialleben, geistige Gesundheit; ermittelt mit SF-36-Fragebogen): alle signifikant mit hohen Anti-TPO-Antikörper-Werten assoziiert. Schluss: Diese HT-typischen Symptome können auch auftreten, wenn keine Hypothyreose vorliegt.  Weiterlesen

Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen

Ich habe in diesem Blog bereits mehrere Fachartikel über Zusammenhänge zwischen Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und weitere Autoimmunerkrankungen vorgestellt: den Review von Weetman (2011), die Fragebogen-Querschnittstudie von Boelaert et al. (2010) und die Arbeit von Sirota et al. (2009),  die Assoziationen mit Einzelnukleotid-Polymorphismen untersucht haben. Zur Ergänzung fasse ich hier einen neuen brasilianischen Review zusammen.

Teresa Cristina Martins Vicente Robazzi, Luis Fernando Fernandes Adan: Autoimmune thyroid disease in patients with rheumatic diseases. Rev Bras Reumatol 52(3), 2012, 417-430 (ohne doi)

Abstract: Bei Patienten mit Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis (z. B. Sjögren-Syndrom, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes (SLE) oder Sklerodermie) werden häufig auch Fehlfunktionen der Schilddrüse und/oder Schilddrüsen-Autoantikörper festgestellt. Die Autoren fassen Erkenntnisse über Assoziationen zwischen endokrinen und rheumatischen Autoimmunerkrankungen in verschiedenen Altersgruppen und klinischen Situationen zusammen. Dazu haben sie große medizinische Literaturdatenbanken durchsucht. Trotz einiger Widersprüche in der Literatur stellen sie fest, dass Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und rheumatische Erkrankungen positiv assoziiert sind, was auf gemeinsame Ursachen oder Mechanismen hindeuten kann.   Weiterlesen

Leider nach wie vor unklar: Warum hilft Selen bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse?

schwarzes, graues und rotes Selen (Foto:Tomihahndorf)

Der folgende Artikel aus der Open-Access-Zeitschrift Autoimmune Diseases erhebt den Anspruch, erste Hinweise auf den Mechanismus hinter der therapeutischen Wirkung von Selengaben bei Hashimoto-Thyreoiditis (evtl. auch bei Morbus Basedow) zu geben. Leider löst er diesen Anspruch nicht ganz ein: Die Autoren haben so sehr mit der englischen Sprache gekämpft, dass die Kernaussage sowohl im Text als auch in der zentralen Grafik der Publikation unverständlich bleibt, und die Redakteure der Hindawi Publishing Corporation haben den Verfassen nicht nur nicht beigestanden, sondern mit ihrer schlampigen Arbeit sogar für weitere Verwirrung gesorgt. Sehr schade, auch mit Blick auf das Renommee von Open-Access-Journalen. Ich habe mir aber weitere aktuelle Arbeiten zum Thema Selen und Autoimmunerkrankungen beschafft und werde weiter berichten.

Csaba Balázs und Viktória Kaczur: Effect of Selenium on HLA-DR expression of Thyrocytes. Autoimmune Diseases, 2012, doi: 10.1155/2012/374635

Abstract: Mit dem Experiment sollte geklärt werden, ob Selen (Se) in In-vitro-Kulturen menschlicher Thyreozyten (Schilddrüsenzellen) die Expression von HLA-DR-Molekülen und die Produktion freier Sauerstoffradikale beeinflusst. Die Zellen wurden in der Gegenwart von Gamma-Interferon kultiviert, was zur Expression von HLA-DR-Molekülen führte. Selen inhibierte diese Expression in dosisabhängiger Weise. Dieser Effekt korrelierte negativ mit der antioxidativen Kapazität.   Weiterlesen

L-Thyroxin hemmt die zerstörerische Entzündung der Schilddrüse bei Hashimoto-Thyreoiditis

Interleukin-2, Bändermodell

Eine bereits ältere und sicher nicht weltbewegende Studie, die dennoch eine Zusammenfassung verdient, weil sie zeigt, dass die Standardtherapie bei Hashimoto-Thyreoiditis (Gaben des Schilddrüsenhormons L-Thyroxin) nicht nur die Symptome des Schilddrüsenhormonmangels bekämpft, sondern den Zerfall der Schilddrüse durch Angriffe von Immunzellen verlangsamt:

Feyzullah Guclu et al (2009): Down-regulation of the auto-aggressive processes in patients with hypothyroid Hashimoto’s thyroiditis following substitutive treatment with L-thyroxine. Eur. Cytokine Netw., Vol. 20 n° 1, March 2009, 27-32. doi: 10.1684/ecn.2009.0147

Abstract: Etwa zwei Prozent der Bevölkerung entwickeln eine Hashimoto-Thyreoiditis. Ziel der Studie: die Rolle von Zytokinen (Interleukine IL-2, IL-4, IL-12 und Interferon IFN-γ) in der Pathogenese und die Veränderung der Zytokinkonzentrationen durch die Behandlung mit L-Thyroxin ermitteln. Methode: Analyse des Blutes von 65 Frauen (18-73 Jahre alt), die mit Hashimoto-Thyreoiditis in eine Klinik eingewiesen wurden, vor Behandlungsbeginn sowie nach 10-12 Wochen L-Thyroxin-Gabe, nach der die Patientinnen wieder euthyroid waren (d. h. TSH zwischen 1 und 2 µIU/mL). [Das kommt mir sehr kurz vor; bei mir hat die Einstellung über ein Jahr gedauert. In einer Klinik kann man sicherlich etwas energischer vorgehen als bei einer Betreuung durch den Hausarzt/die Hausärztin, aber dass zwischen den beiden Blutanalysen maximal 12 Wochen lagen, könnte m. E. ein Grund für die Nichtsignifikanz einer Zytokinspiegeländerung sein; s. u.] Ergebnisse: Nach der Behandlung waren der TSH-Spiegel im Serum signifikant verringert und der FT4-Spiegel (freies Thyroxin) signifikant erhöht; die Konzentration der Anti-Tg- und der Anti-TPO-Antikörper sowie des Zytokins IL-12 waren signifikant gesunken. Die Verringerung des IFN-γ-Spiegels war dagegen nicht signifikant. Bei IL-2 und IL-4 wurden keine Veränderungen festgestellt. Schluss: Die Veränderungen könnten darauf hindeuten, dass die Behandlung mit L-Thyroxin einen von T-Helferzellen des Typs 1 (Th1) dominierten Entzündungsvorgang verlangsamt oder stoppt.   Weiterlesen