Schlagwort-Archive: Autoimmunerkrankungen

Leider nach wie vor unklar: Warum hilft Selen bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse?

schwarzes, graues und rotes Selen (Foto:Tomihahndorf)

Der folgende Artikel aus der Open-Access-Zeitschrift Autoimmune Diseases erhebt den Anspruch, erste Hinweise auf den Mechanismus hinter der therapeutischen Wirkung von Selengaben bei Hashimoto-Thyreoiditis (evtl. auch bei Morbus Basedow) zu geben. Leider löst er diesen Anspruch nicht ganz ein: Die Autoren haben so sehr mit der englischen Sprache gekämpft, dass die Kernaussage sowohl im Text als auch in der zentralen Grafik der Publikation unverständlich bleibt, und die Redakteure der Hindawi Publishing Corporation haben den Verfassen nicht nur nicht beigestanden, sondern mit ihrer schlampigen Arbeit sogar für weitere Verwirrung gesorgt. Sehr schade, auch mit Blick auf das Renommee von Open-Access-Journalen. Ich habe mir aber weitere aktuelle Arbeiten zum Thema Selen und Autoimmunerkrankungen beschafft und werde weiter berichten.

Csaba Balázs und Viktória Kaczur: Effect of Selenium on HLA-DR expression of Thyrocytes. Autoimmune Diseases, 2012, doi: 10.1155/2012/374635

Abstract: Mit dem Experiment sollte geklärt werden, ob Selen (Se) in In-vitro-Kulturen menschlicher Thyreozyten (Schilddrüsenzellen) die Expression von HLA-DR-Molekülen und die Produktion freier Sauerstoffradikale beeinflusst. Die Zellen wurden in der Gegenwart von Gamma-Interferon kultiviert, was zur Expression von HLA-DR-Molekülen führte. Selen inhibierte diese Expression in dosisabhängiger Weise. Dieser Effekt korrelierte negativ mit der antioxidativen Kapazität.   Weiterlesen

Schließen Autoimmunerkrankungen und Allergien einander aus? Teil 2

Gestern habe ich von einer großen Studie aus dem Jahr 2006 berichtet, der zufolge Asthma bzw. die dahinter stehende Th2-Dominanz der Immunabwehr die Wahrscheinlichkeit des späteren Auftretens etlicher Autoimmunerkrankungen senkt. Einer ähnlichen Fragestellung gingen drei Jahre später italienische Forscher mit einer anderen Methodik nach:

Roberto Bergamaschi et al: Inverse relationship between multiple sclerosis and allergic respiratory diseases. Neurol Sci 2009, 30/2: 115-118, DOI: 10.1007/s10072-009-0036-8

Abstract: Die Entdeckung der Th17-Zellen, die sowohl Autoimmunerkrankungen als auch Allergien zu fördern scheinen, hat das alte Th1-/Th2-Paradigma in Frage gestellt. Die Autoren haben 200 Patienten mit der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) und eine gleichgroße Kontrollgruppe auf die Prävalenz allergischer Atemwegserkrankungen  untersucht. Die MS-Patienten litten erheblich seltener unter allergischen Atemwegserkrankungen (odds ratio 0,30) und unter allergischer Rhinitis (Heuschnupfen, odds ratio 0,25) als die Kontrollgruppe. Außerdem war die MS bei Patienten, die zusätzlich Allergien hatten, im Durchschnitt schwächer als bei den Patienten ohne Allergien.   Weiterlesen

Schließen Autoimmunerkrankungen und Allergien einander aus? Teil 1

Diese Frage wird schon lange diskutiert und erforscht. Dahinter steckt das bis vor wenigen Jahren kaum hinterfragte Standardmodell der zweiarmigen erworbenen Immunabwehr: Im gesunden Organismus sind die Th1-dominierte zelluläre und die Th2-dominierte humorale Immunabwehr im Gleichgewicht; die Botenstoffe im Th1-Arm hemmen den Th2-Arm und umgekehrt; beide Abwehrtypen werden so im Zaum gehalten.

Wird das Gleichgewicht – beispielsweise aufgrund genetischer Anlagen – zugunsten des Th1-Arms gestört, so kommt es typischerweise zu Autoimmunerkrankungen: Die zelluläre Abwehr richtet sich gegen körpereigenes Gewebe und wird zum Selbstläufer, weil die Entzündungsreaktion nicht mehr von Th2-Botenstoffen eingedämmt wird. Gewinnt dagegen der Th2-Arm die Oberhand, so entwickelt der Betroffene Allergien oder Asthma: Es werden massenhaft Antikörper gegen an sich harmlose Pollen oder andere Umweltstoffe freigesetzt; der Mangel an hemmenden Th1-Cytokinen führt wiederum zur Chronifizierung.

Doch dann zeigte sich, dass es neben T-Helferzellen von Typ 1 und 2 noch weitere Subpopulationen gibt, die nicht zu diesem einfachen Wippen-Modell passen. Neben den Th17-Zellen wären vor allem die regulatorischen T-Zellen oder Tregs zu nennen, die im Normalfall beide Arme der erworbenen Immunabwehr bremsen, bevor es zu chronischen Reaktionen kommt, und die dies bei Autoimmunerkrankungen oder Allergien nicht schaffen, weil es zu wenige von ihnen gibt oder weil sie inaktiv sind.

Dennoch sind viele Autoimmunerkrankungen tatsächlich Th1-dominiert, während Allergien Th2-geprägt sind. Müsste dann nicht eine vorliegende Erkrankung aus einer der beiden Kategorien eine weitere Erkrankung aus der anderen Kategorie ausschließen oder zumindest unwahrscheinlicher machen bzw. schwächer ausfallen lassen? Dieser Fragestellung sind bereits viele Forschergruppen nachgegangen – mit widersprüchlichen Ergebnissen. Hier und in den folgenden beiden Artikeln stelle ich zwei Studien und einen Review-Artikel vor.   Weiterlesen

Prospektive Studie: Stress doch nicht an der Entstehung von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse beteiligt

Diese Studie ist leider hinter einer Bezahlschranke versteckt – wie so viele Forschungsarbeiten, die aus öffentlichen Mitteln (also letztlich aus unseren Steuern und Abgaben) finanziert werden. Daher stelle ich nur die Zusammenfassung vor.

Grigoris Effraimidis et al. (2012): Involvement of stress in the pathogenesis of autoimmune thyroid disease: A prospective study. Psychoneuroendocrinology, available online 5 January 2012, http://dx.doi.org/10.1016/j.psyneuen.2011.12.009

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Das Jahr der Rückkehr zum ökologischen Denken

Trotz ergiebiger Autoimmun-Fachlektüre in den letzten Wochen hat die Kraft zum Bloggen nicht gereicht. Kurz vor dem Jahreswechsel möchte ich wenigstens berichten, wie ich das Jahr 2011, mein Sabbatjahr, vorläufig beurteile.

Wie bereits im August in meiner Rezension des Buches „The Autoimmune Epidemic“ von Donna Nakazawa Jackson angedeutet, bin ich 2011 durch die Fachlektüre vor allem zum ökologischen Denken zurückgekehrt, das mich in den 1980ern stark geprägt hat. Die Artikel über Humane Endogene Retroviren (HERVs), das Human Metagenome Project, die Hologenom-Theorie, molekulare Mimikry, die Zusammenhänge zwischen Infektionen und Autoimmunerkrankungen, die Symbiosen von Pflanzen oder Tieren und Mikroorganismen, evolutionär konservierte mikrobielle Antigene usw., die ich in den letzten Wochen gelesen habe, haben mir erneut verdeutlicht, dass wir Entgleisungen der angeborenen und der erworbenen Immunabwehr nur richtig verstehen werden, wenn wir nicht mehr angestrengt auf das Humangenom starren, sondern akzeptieren, dass wir Gemeinschaftswesen sind: Ökosysteme, in denen zahlreiche virale Gene, mikrobielle Genome, Einzeller und auch größere Mitbewohner wie Würmer maßgebliche Rollen spielen (oder spielten).   Weiterlesen

Klaus Resch, Michael U. Martin, Volkhard Kaever, „Immunpharmakologie“

Dieses 2010 im Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, erschienene Lehrbuch ist die beste mir bekannte deutschsprachige Einführung nicht nur in die Immunpharmakologie, sondern auch in die Immunologie. Das didaktische Geschick der Autoren und die klaren Illustrationen von Sabine Seifert erleichtern die Orientierung in diesem schwierigen Fachgebiet enorm.

Wohlgemerkt: Leichte Lektüre ist auch dieses Werk nicht; allein die ausufernde und m. E. oft inkonsistente, ja hilflose Begrifflichkeit der Immunologie erfordert höchste Konzentration. So werden Immunzellen teils nach ihrem Herkunftsorgan, teils nach ihrer Funktion, nach ihrem Aussehen oder einfach nach den auf ihrer Oberfläche nachweisbaren Markern benannt. Und jene T-Helferzellen, die nach den Th1- und den Th2-Zellen entdeckt wurden, hat man nicht etwa Th3 getauft, sondern Th17 — weil sie Interleukin 17 herstellen. Wer nun meint, Th1-Zellen würden Interleukin 1 produzieren, hat sich geschnitten: Es ist Interleukin 2. Frag nicht nach Logik … Aber das kann man nicht den Autoren dieses Buches anlasten.   Weiterlesen

Ernährung und Autoimmunerkrankungen, Teil 1

Biothymian mit Vorkoster

Achtung: Bitte lesen Sie diesen Text nicht als Empfehlung für oder gegen bestimmte Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel. Ich fasse hier lediglich Literatur zusammen. Was die Autoren schreiben, muss nicht stimmen und kann z. B. durch neuere, gründlichere Studien überholt sein!

Zwar gebe ich in diesem Blog keine Behandlungsempfehlungen ab; das wäre leichtsinnig, da ich keine Medizinerin, sondern Biologin bin. Zudem liegt jeder Fall anders, sodass pauschale Tipps gefährlich sein können. Dennoch möchte ich hier einige Notizen zusammentragen, um Betroffenen Anhaltspunkte für eigene Recherchen oder Beratungsgespräche mit ihren Ärztinnen oder Ärzten zu geben. Den Anfang macht nicht ein Fachartikel, sondern ein Sachbuch, das ich hier bereits besprochen habe.

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Geschlechtsunterschiede bei Autoimmunerkrankungen aus pathologischer Sicht

Hebel umlegen, um Entzündungen zu bremsen

DeLisa Fairweather, Sylvia Frisancho-Kiss and Noel R. Rose: Sex Differences in Autoimmune Disease from a Pathological Perspective. American Journal of Pathology, 2008;173:600-609, DOI: 10.2353/ajpath.2008.071008

Zusammenfassung/Notizen, noch nicht allgemein verständlich aufbereitet

Etwa 8% der Bevölkerung haben Autoimmunerkrankungen, 78% davon sind Frauen. Die akute und die chronische Phase von Autoimmunerkrankungen verlaufen bei Männern und Frauen unterschiedlich. Frauen reagieren auf Infektionen, Impfungen und Verletzungen mit einer verstärkten Antikörperproduktion und einer Immunantwort, die von Th2-Zellen dominiert ist, während bei Männern die Entzündung und die Th1-Antwort im Vordergrund stehen.   Weiterlesen

Fahrplan für die nächsten Wochen

Lieber Apfelschorle: Kraftstoff für die Lesereise

Nachdem es gesundheitlich bergauf zu gehen scheint, habe ich einen Recherche- und Schreib-Fahrplan für die nächsten Wochen zusammengestellt. Seit gestern widme ich mich dem umfangreichen Themenkomplex Immunsystem und Geschlechterunterschiede, mit dem allein man ein halbes Buch füllen kann:

  • Das X-Chromosom und Immunfunktionen
  • Estrogen, Testosteron und Immunfunktionen
  • Geschlechtsabhängige Unterschiede bei Autoimmunerkrankungen
  • Rolle von Testosteron im männlichen Lebensverlauf
  • Fortpflanzungsmaximierung und starke Immunabwehr als antagonistische Selektionskriterien
  • Estrogenrezeptoren als Transkriptionsfaktoren
  • Xenoestrogene als mögliche Ursache für die Zunahme von Autoimmunerkrankungen
  • Sekundäre Geschlechtsmerkmale als Anzeiger für gute Pathogenabwehr
  • MHC-Diversitäts-Optimierung bei der Partnerwahl – auch beim Menschen?
  • Veränderung der Partnerwahlkriterien je nach Pathogen-Belastung der Umwelt
  • Stress-linked immunocompetence handicap hypothesis (eine griffige deutsche Übersetzung muss ich mir noch einfallen lassen)

Als nächstes großes Thema habe ich die humanen endogenen Retroviren ins Auge gefasst – aber das dauert noch eine Weile.