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Der Stempel, den ich gerne hätte: „in mice, not humans!“

Mitte August habe ich den reichweitestärksten Tweet meiner bisherigen Social-Media-„Karriere“ und zugleich den erfolgreichsten deutschsprachigen Wissenschaftskommunikations-Tweet der Woche geschrieben. Verrückterweise wurde er wohl auch wegen des süßen Babyfotos so oft geliket und retweetet, dessen Verwendung ich gerade kritisierte:

Längst nicht jeder wird den ernsten Hintergrund dieses Tweets verstanden haben oder nachvollziehen können – aber es waren auch viele WissenschaftlerInnen und WissenschaftskommunikatorInnen dabei, und einige Rückmeldungen haben mir gezeigt, dass ich mit meinem Frust nicht alleine bin: Seit Jahren werden uns sowohl in der Fachpresse als auch in der Laienpresse Ergebnisse von Mikrobiom-Sudien an Tiermodellen so verkauft, als gälten sie eins zu eins auch für Menschen. Mal sind es die Studienpublikationen selbst, die das in der Überschrift suggerieren und erst irgendwo in der Einleitung oder gar im Methodenteil klarstellen, dass man an einem bestimmten Mäusestamm gearbeitet hat. Mal sind es die Pressemitteilungen der Forschungseinrichtung, die diesen Umstand erst gegen Ende beiläufig erwähnen und zugleich durch das mitgelieferte Bildmaterial falsche Erwartungen wecken, wie in diesem Fall. Und mal fallen die Mäuse und Ratten erst beim Transfer der Nachricht in die Tagespresse unter den Tisch.

Es sind nicht nur Provinzblätter und Werbeseiten, die falsche Erwartungen wecken: Ich habe mich hier schon einmal über eine krasse Text-Bild-Schere im News-Teil des renommierten Wissenschaftsjournals Science mokiert, in dem eine Studie zu Unterschieden zwischen der Darmflora männlicher und weiblicher Mäuse und damit einhergehenden Neigungen zu Autoimmunerkrankungen mit einer Illustration aufgehübscht wurde, in der eine Frau und ein Mann zu sehen sind.

Bei Twitter hat mich dann prompt jemand belehrt: Mäuse und Menschen seien als Säugetiere so eng verwandt und einander physiologisch so ähnlich, dass man an Mäusen gewonnene Erkenntnisse über irgendwelche Mechanismen und Signalwege an der Darmwand durchaus auf Menschen übertragen könne. I beg to differ, und das möchte ich hier anhand zweier aktueller Übersichtsarbeiten näher ausführen – in Ergänzung dessen, was ich bereits vor drei Jahren über Mäuse schrieb (Live fast, Love hard, Die young):

Nguyen, T. L. A., Vieira-Silva, S., Liston, A., & Raes, J. (2015). How informative is the mouse for human gut microbiota research? Disease Models & Mechanisms8(1), 1–16. http://doi.org/10.1242/dmm.017400

Hugenholtz, F., & de Vos, W. M. (2018). Mouse models for human intestinal microbiota research: a critical evaluation. Cellular and Molecular Life Sciences75(1), 149–160. http://doi.org/10.1007/s00018-017-2693-8

Ja, anatomisch und physiologisch haben Mäuse und wir vieles gemeinsam. Aber es gibt auch biologische Unterschiede: im Genom, in der Ernährung, in der Anatomie und Physiologie des Verdauungstrakts und seiner Teile (einschließlich des örtlichen Immunsystems), in der Zusammensetzung der Magen- und Darmflora und in den krankhaften Veränderungen dieses Mikrobioms.

Genom

Mit Mäusen meine ich im Folgenden Stämme der Art Mus musculus, die zum Teil seit über 100 Jahren als Versuchstiere gezüchtet werden. (Als Haustiere werden sogenannte Farbmäuse schon seit 1200 v. Chr. kultiviert, anfangs in China.) Es gibt über 400 Zuchtstämme.

Der letzte gemeinsame Vorfahr von Maus und Mensch lebte vor über 90 Millionen Jahren. Dennoch stimmen wegen einer starken Konservierung (also Selektionsvorteilen der alten Sequenzen gegenüber neuen Varianten, die durch Mutation entstehen) über 85 Prozent ihres Genoms noch überein. Die größten Unterschiede finden sich nicht in DNA-Abschnitten, die Proteine codieren, sondern in Steuerungssequenzen wie den Bindungsstellen von Transkriptionsfaktoren.

Insbesondere das Immunsystem und seine Regulierung haben sich zwischen Maus und Mensch stark auseinander entwickelt. Die Unterschiede im lokalen Immunsystem des Verdauungstrakts dürften einer der Gründe dafür sein, dass die Ergebnisse vieler an Mäusen durchgeführten Studien zu Entzündungen und Erkrankungen mit Beteiligung des Immunsystems bei Menschen nicht reproduziert werden konnten.

Das Gen für TLR5, jenen Rezeptor der angeborenen Abwehr, um den es in der Nature-Veröffentlichung von Fulde et al. geht, die mit dem süßen Baby „beworben“ wurde, gibt es sowohl bei Menschen als auch bei Mäusen. Überhaupt ähneln sich die TLR-Repertoires beider Arten – identisch aber sind sie nicht. Es ist auch nicht sicher, dass die einander genetisch entsprechenden Rezeptoren in Maus und Mensch exakt dieselben Funktionen ausüben, in denselben Zelltypen zu denselben Zeiten exprimiert werden, dieselben Signalketten auslösen und so weiter.

Ernährung, Energie- und Vitamin-Gewinnung

Mäuse sind Allesfresser, wobei der Großteil ihrer Kost pflanzlich ist. Ihre Nahrung enthält wesentlich mehr schwer aufzuschließende Kohlenhydrate als unsere. Menschen sind im Prinzip ebenfalls Omnivoren, die aber weniger schwer verdauliche Pflanzenbestandteile zu sich nehmen. Auch der Aufbau des Verdauungstrakts strikter Veganer ist evolutionär an die gemischte, fleischhaltige Kost ihrer Urahnen angepasst. Unsere Darmflora reagiert dagegen zügig (wenn auch mit recht subtilen Anpassungen) auf eine Ernährungsumstellung.

Ein Problem bei Mäuse-Studien: Die Zusammensetzung des Trockenfutters wird von den Herstellern nicht offengelegt und schwankt offenbar je nach Agrarmarktlage. Manchmal enthält es beispielsweise Luzerne, die wiederum Phytoestrogene enthalten kann. Diese Substanzen können im Körper wie Estrogen wirken und damit etwa Immunreaktionen oder auch die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen.

Die Transitzeit einer Mahlzeit beträgt beim Menschen 14-76 Stunden – je schwerer verdaulich, desto länger. Resistente Stärke ist zum Beispiel fast 20 Stunden länger in uns unterwegs als leicht verdauliche Stärke. Bei Mäusen ist die Transitzeit mit 6-7 Stunden deutlich kürzer: Wie alle kleinen Warmblüter haben sie eine viel höhere Stoffwechselrate und daher einen (relativ zum Körpergewicht) viel größeren Stoffumsatz als wir. Sie müssen fast rund um die Uhr fressen, um ihren Energiebedarf zu stillen – und haben daher nur wenige Stunden Zeit, ihre schwer verdauliche Nahrung aufzuschließen. Sie lösen dieses Problem mit einem Trick, den wir Menschen (zum Glück!) nicht beherrschen.

Im vorderen Bereich des Mäuse-Dickdarms gibt es eine „Schleimfalle“: Falten und Furchen, in denen mit Darmbakterien durchmischter Nahrungsbrei hängen bleibt. Von dort wird er ein Stück „stromaufwärts“ in den Blinddarm geschoben. In dieser Fermentierkammer gewinnen die Bakterien Fettsäuren, Vitamin K und einige B-Vitamine aus der Kost. Die Nährstoffe und Vitamine können im Dickdarm nicht resorbiert werden und werden mit dem Kot ausgeschieden. Aber Mäuse fressen ihren Kot (sogenannte Koprophagie) und nehmen die wertvollen Stoffe beim zweiten Durchlauf im Dünndarm ins Blut auf. Auch ein Teil der wertvollen Darmflora wird so recycelt.

Aufbau des Verdauungstrakts

Mäuse haben – anders als wir – einen großen drüsenfreien Vormagen, der als reiner Nahrungsspeicher dient und mit einem pH-Wert von 3 bis 4 weniger sauer ist als der menschliche Magen mit seinem pH-Wert von etwa 1. In diesem weniger aggressiven Milieu gedeihen Bakterien: Die Wand des Vormagens ist mit einem Biofilm aus Lactobacillus-Arten ausgekleidet. Auch der Drüsenmagen, der sich an diese Kammer anschließt, ist weniger sauer als der menschliche Magen, da sich in ihm ständig frische Kost mit den Magensäften und der älteren Kost vermischt. Im menschlichen Magen überleben nur wenige Bakterien, die sich an die starke Säure angepasst haben: Streptokokken, Prevotella und Helicobacter pylori.

Der Dünndarm ist bei beiden Arten der längste Teil des Verdauungstrakts. Mit 33 cm ist er bei der Maus 2,5-mal so lang wie der Dickdarm, beim Menschen mit 700 cm 7-mal so lang. Noch deutlicher werden die Verhältnisse bei der Betrachtung der Flächen: In der Maus hat der Dünndarm eine 18-mal größere Oberfläche als der Dickdarm, beim Menschen beträgt der Faktor sogar 400. Durch diese riesige Grenzschicht wird ein Großteil der Nährstoffe in den Körper aufgenommen.

Die Schleimhaut des Dünndarms ist bei der Maus glatt, beim Menschen wirft sie ringförmige Falten, die die Oberfläche vergrößern und den im Schleim lebenden Bakterien Nischen bieten. Die Zotten oder Villi, die ebenfalls die Oberfläche vergrößern, sind dafür bei der Maus länger als beim Menschen.

Der Dickdarm einer Maus ist bis zu 14 cm lang, der eines Menschen etwa 105 cm – relativ zur Körpermasse also viel kürzer als bei dem kleinen, leichten Nager. Man unterscheidet Blinddarm (Caecum – nicht zu verwechseln mit dem Wurmfortsatz, der von Laien oft als Blinddarm bezeichnet wird) und Grimmdarm (Colon). Der Mäuse-Blinddarm dient, wie im vorigen Abschnitt erwähnt, als Fermentationskammer und ist mit 3 bis 4 cm ziemlich lang. Beim Menschen findet die Fermentation dagegen nur im Colon statt; der etwa 6 cm kurze Blinddarm hat keine wichtige Funktion. Der Wurmfortsatz ist bei Mäusen nicht so klar vom Blinddarm abgegrenzt wie wie bei uns. Der Grimmdarm ist bei der Maus glattwandig, beim Menschen hat er Ausbuchtungen (Hausten genannt).

Die Becherzellen, die den Darmschleim produzieren, konzentrieren sich bei der Maus auf den Dünndarm und den Anfang des Dickdarms, während sie sich beim Menschen bis hinunter zum Rektum über die ganze Länge verteilen. Die Paneth-Zellen, die antibakterielle Produkte wie die Defensine ausschütten, fehlen bei der Maus im Colon; es gibt sie nur im Blinddarm. Beim Menschen finden sich dagegen auch einige im Anfang des Colons. Auch die Menge, die Speicherung und die Ausschüttung von Defensinen unterscheiden sich zwischen den Arten; das wiederum kann über die Regulierung der örtlichen Immunreaktionen die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen.

Die Colon-Schleimhaut des Menschen produziert den Schleim schneller (etwa 240 µm/h) als die der Maus (etwa 100 µm/h). Die Colon-Schleimschicht wird beim Menschen etwa 480 µm dick und bei der Maus etwa 190 µm. Der Schleim hat eine ähnliche Zähigkeit und Porosität und besteht aus ähnlichen Schleimproteinen, die allerdings in beiden Arten anders glykosyliert werden. Die unterschiedlichen Glykane, die dabei seitlich an das Protein-Grundgerüst angehängt werden, sodass das Makromolekül schließlich wie eine Flaschenbürste aussieht, beeinflussen wiederum die Selektion der Darmflora.

Zusammensetzung des Mikrobioms

Die Darmflora von Maus und Mensch wird von zwei Bakterienstämmen (Stämmen im Sinne von phyla, nicht strains) dominiert, den Bacteroidetes und den Firmicutes. Das gilt auch für viele andere Säugetiere, egal ob Pflanzen- oder Fleischfresser. Dennoch gibt es beträchtliche Unterschiede.

Um diese Unterschiede zu entdecken, muss man sich auf Bakterien konzentrieren, die bei der Mehrheit der untersuchten Mäuse bzw. Menschen vorkommen, und die „Ferner-liefen-Bakterien“ ausklammern, die zwar zur Diversität des Mikrobioms einer der Art beitragen, aber nur in einem Bruchteil der untersuchten Individuen nachzuweisen sind. Sogenannte metagenomische Analysen haben gezeigt: Von den 60 Gattungen der Kern-Darmflora von Mäusen gehören 25 auch zum Kernbestand im menschlichen Darm. Allerdings haben nur 4 Prozent der Mäuse-Bakteriengene mehr oder weniger identische Entsprechungen im Pool der Menschen-Bakteriengene. Ein Beispiel: Lactobacillus reuteri kommt sowohl in Mäusen als auch in Menschen vor, aber die Stämme in den Mäusen (jetzt im Sinne von strains – verdammte terminologische Ambivalenz!) haben andere Urease-Gene, die diese Enzyme befähigen, in einem sauren Milieu zu leben. Auf der funktionellen Ebene sind die Unterschiede kleiner: 80 Prozent der in den Metagenomik-Datenbanken verzeichneten Gen- bzw. Protein-Funktionen sind sowohl bei der Maus als auch beim Menschen vertreten.

Auch wenn eine Bakterien-Gattung bei Mensch und Maus vertreten ist, kann sie in einer der Arten dominieren und in der anderen eine Randerscheinung bleiben. Im Mäuse-Dünndarm sind FaecalibacteriumPrevotella und Ruminococcus viel seltener als im menschlichen Dünndarm. Dafür sind TuricibacterAlistipes und Lactobacillus bei Mäusen viel dominanter als bei uns. Die Gattungen Clostridium, Bacteroides und Blautia sind in beiden Arten etwa gleich stark vertreten.

Wie hier im Blog schon mehrfach besprochen, prägen die sogenannten segmentierten filamentösen Bakterien (SFB) im Darm von Mäusen die Reifung des Immunsystems – vor allem, indem sie in der Schleimhaut junger Mäuse die Bildung von entzündungsfördernden Th17-Helferzellen auslösen. Das prägt nicht nur die „Stimmung“ des örtlichen Immunsystems, sondern sogar die Entwicklung des Gehirns. Bis vor wenigen Jahren dachte man, im menschlichen Darm gebe es gar keine SFB. Inzwischen wurden diese Bakterien, die zu den Firmicutes zählen und auch als Candidatus arthromitus bezeichnet werden, im Mikrobiom einiger (aber längst nicht aller) Kleinkinder unter drei Jahren entdeckt. Ob sie dort eine ähnlich prägende Rolle spielen wie in jungen Mäusen und so womöglich die Neigung bestimmter Erwachsener zu chronischen Entzündungen fördern, ist noch unklar.

Erschwert werden Vergleiche zwischen Mensch und Maus durch die enormen Mikrobiom-Unterschiede zwischen den untersuchten Mäusen. Nicht nur der Zuchtstamm, sondern auch ihr Futter, die Einrichtung, in der sie gehalten werden, und der Käfig, in dem sie mit anderen Mäusen zusammenleben, prägen die Zusammensetzung. (Man denke an die Koprophagie!)

Enterotypen

Auch beim Menschen unterscheidet sich die Mikrobiom-Zusammensetzung zwischen den Individuen. Seit einigen Jahren kennt man drei Enterotypen: Gruppen, deren Darmflora von jeweils anderen Bakterien dominiert wird. Wie klar und stabil diese Gruppen voneinander abgegrenzt sind, ist allerdings umstritten, und wie sie zustande kommen, ist unbekannt.

Bei Labormäusen wurden bislang zwei Enterotypen identifiziert: Wenn Lachnospiraceae und Ruminococcaceae dominieren, entspricht dies dem menschlichen Enterotyp 3; wenn Bacteroidaceae und Enterobacteriaceae vorherrschen, ähnelt dies dem menschlichen Enterotyp 1. Auch bei Wildmäusen lassen sich zwei Enterotypen unterscheiden, die von Bacteroides oder Robinsoniella dominiert werden.

Bei den Labormäusen korreliert die Einteilung mit dem Artenreichtum des Mikrobioms und mit der Neigung zu Entzündungen. Der Bacteroidaceae/Enterobacteriaceae-Enterotyp ist artenärmer und weist mehr Calciprotectin auf, das als Entzündungsmarker fungiert. Das entspricht den Verhältnissen bei Menschen mit starkem Übergewicht, deren Darmflora ebenfalls verarmt und durch ähnliche Bakteriengruppen (Bacteroidetes und Proteobacteria) dominiert ist und die ebenfalls stärker zu Entzündungen neigen.

Krankhafte Veränderungen

Während sich das Mikrobiom in Maus-Modellen für Fettleibigkeit auf ähnliche Weise verschiebt wie beim Menschen, sind die Parallelen bei anderen Erkrankungen längst nicht so stark. So kann zum Beispiel nach wie vor kein Modell für Colitis ulcerosa alle wichtigen Eigenschaften des Erkrankungsprozesses und der Darmflora-Veränderung rekapitulieren.

Das führt auch zum Scheitern von Therapie-Ansätzen. So hatte man nach Studien an IL-10-Knockout-Mäusen große Hoffnungen, dass das Zytokin IL-10 chronisch-entzündliche Darmerkrankungen eindämmen könne. In klinischen Studien an Menschen ließ sich der Effekt aber nicht reproduzieren – vermutlich, weil Menschen einen großen Pool recht unterschiedlicher IL-10-Rezeptoren haben.

Mäuse mit humanisierter Darmflora: keine Patentlösung

Angesichts der Unterschiede zwischen den Darmfloren von Maus und Mensch und der Unvollkommenheit, mit der viele Tiermodelle menschliche Erkrankungen imitieren, liegt es nahe, das Mikrobiom der Mäuse menschenähnlicher zu machen. Dazu kann man keimfreie, also ohne eigenes Mikrobiom geborene und gehaltene junge Mäuse mit menschlicher Darmflora animpfen. Man spricht dann von humanisierten gnotobiotischen Mäusen – „gnotobiotisch“, weil man dann weiß, welche Bakterien in ihnen leben (griechisch gnosis = Wissen).

Dabei können sich alle der in der menschlichen Darmflora vorkommenden Stämme (Phyla), 11 von 12 der Klassen und etwa 88 Prozent der Gattungen aus dem humanen Mikrobiom im Mäusedarm ansiedeln: gar keine schlechte Annäherung. Aber dieses aus dem Menschen stammende Mikrobiom und die Maus haben keine gemeinsame Evolution durchlaufen, sie haben sich nicht über Jahrmillionen aneinander anpassen können. Und wie sich zeigt, reifen humanisierte gnotobiotische Mäuse nicht normal; sie reagieren zum Beispiel nicht normal auf Infektionen. Vielleicht liegt es daran, dass Bakterien und Mäusezellen nicht genau dieselbe Sprache sprechen, ihre Botenstoffe und Signalketten also wegen der 90 Millionen Jahre getrennter Evolution von Maus und Mensch nicht mehr zueinander passen. Oder bei der Ansiedlung gehen einige seltene, aber für die Entwicklung essentielle Bakterien verloren.

An Mäusen führt kein Weg vorbei

All das heißt nicht, dass man keine Mikrobiom-Forschung oder keine immunologischen Studien an Mäusen betreiben sollte. Mäuse sind klein, haben eine kurze Generationsdauer und sind günstig in der Anschaffung und im Unterhalt. Man kann sie auch genetisch verändern, um z. B. bestimmte Gene „auf Knopfdruck“ auszuschalten (sog. Knockout-Mäuse). Für viele Versuche müssen sie getötet werden, etwa um ihnen Gewebeproben zu entnehmen – und zwar in großer Zahl, um statistisch belastbare Ergebnisse zu erhalten. Dieselben Untersuchungen etwa an Schweinen oder Affen durchzuführen, wäre ethisch und praktisch problematisch. Grundlegende Mechanismen oder Signalwege lassen sich an Mäusen durchaus ermitteln – aber sie müssen gründlich am Menschen überprüft werden.

Forscherinnen und Wissenschaftskommunikatoren sollten der Versuchung eigener vorschneller Extrapolationen und erst recht mutwillig evozierter Missverständnisse widerstehen: Wer an Mäusen geforscht hat, sollte das bereits in der Überschrift und im Abstract deutlich machen. Und die Menschen in den PR-Abteilungen der Forschungseinrichtungen sollten wirklich die Finger von süßen Babyfotos und Formulierungen wie „Kindheit“ lassen, wenn es um junge Mäuse geht. Auch der inflationäre Gebrauch von Superlativen, mit denen die jeweilige Studie aus dem medialen Grundrauschen herausgehoben werden soll, geht letzten Endes nach hinten los: Wenn ich innerhalb einer Woche lese, dank der bahnbrechenden Studie A sei nun endlich bewiesen, dass die Darmflora in einem kleinen Zeitfenster nach der Geburt fürs ganze Leben geprägt werde, und die bahnbrechende Studie B habe endlich gezeigt, dass anhaltender Durchfall bei Erwachsenen die Darmflora nachhaltig verändern könne, dann werde ich nächste Woche die bahnbrechenden Studien C, D und E mit einem Achselzucken an mir vorüberziehen lassen.

Geschlechtsspezifische Unterschiede im Mikrobiom von Menschen mit chronischem Erschöpfungssyndrom

Vor knapp zwei Jahren war ich noch skeptisch und auch ein wenig spöttisch, was das sogenannte Mikrogenderom angeht. Damals waren geschlechtsspezifische Unterschiede im Mikrobiom, die mit Autoimmunerkrankungen korrelieren, ausschließlich bei einem Tiermodell für Diabetes (NOD-Maus) nachgewiesen. Die in der Fachpresse suggerierte Übertragbarkeit auf den Menschen erschien mir fraglich, da man bis dahin nur bei traditionell lebenden Hadza in Tansania gewisse Unterschiede in der Zusammensetzung der Bakterienpopulationen im Darm gefunden hatte, die vermutlich auf die unterschiedliche Kost von Männern und Frauen zurückgehen: „Mag sein, dass wir nur noch genauer hinsehen müssen, um auch in anderen menschlichen Populationen geschlechtsspezifische Darmflora-Nuancen zu entdecken, die, wenn es sie gibt, dann vermutlich auch (auf höchst subtile und verschachtelte Weise) mit unserem Immunsystem wechselwirken und insofern womöglich ihr Scherflein zu den höheren Autoimmunerkrankungsrisiken von Frauen beitragen. Aber das ist noch ein langer Weg, den wir auch ohne Kunstworte aus der Hölle beschreiten können.“

Inzwischen sind wir einen Schritt weiter: Ein australisches Autorenteam um Amy Wallis hat 2016 und 2017 auf kleine bis mittelstarke geschlechtsspezifische Interaktionen zwischen Darmbakterien aus der Abteilung der Firmicutes und den Symptomen von Menschen mit chronischem Müdigkeits- oder Erschöpfungssyndrom (CES) hingewiesen.

CES trifft Frauen häufiger und schwerer

CES ist eine chronische Erkrankung unter Beteiligung des Nerven- und Immunsystems, die sich unter anderem durch pathologische Abgeschlagenheit und starke Erschöpfung bereits nach leichter körperlicher Betätigung auszeichnet. Die Ursachen sind nicht bekannt, und wie bei einigen Autoimmunerkrankungen belasten die schwierige, oftmals um Jahre verzögerte Diagnose und ärztliche Ignoranz die Betroffenen zusätzlich. Einiges spricht für eine starke Beteiligung des Immunsystems an der Erkrankung, aber offenbar eher des angeborenen als des erworbenen Arms unserer Abwehr. Damit ist CES wohl keine Autoimmunerkrankung, sondern eher eine chronische Entzündung.

Wie viele Autoimmunerkrankungen trifft auch CES mehr Frauen als Männer, etwa im Verhältnis 2:1. Bei 9 von 13 durch Fragebögen erhobenen Faktoren berichteten die hier befragten Patientinnen stärkere CES-Symptome als Patienten, was vermutlich nicht auf ein sogenanntes overreporting, also – salopp gesagt – eine größere Wehleidigkeit von Frauen zurückzuführen ist, sondern tatsächlich auf schwerere Beeinträchtigungen. So gehen die höheren Symtomberichtswerte von Frauen oftmals mit höheren Zytokinwerten im Blut einher.

Bakteriensuppe durchsequenzieren – oder Bakteriengattungen kultivieren?

Interessanterweise mussten die Forscher nun ganz genau hinschauen, um geschlechtsspezifische Unterschiede in der Darmflora der untersuchten und befragten 274 Patientinnen und Patienten zu entdecken. Grundsätzlich kann man die Zusammensetzung der Darmflora auf zwei Weisen analysieren:

Entweder durch Metagenomik, also indem man – wiederum salopp gesagt – eine Stuhlprobe komplett durch einen DNA-Sequencer jagt und die gefundenen Basensequenzen mit Datenbanken abgleicht, in denen die Erbinformationen von Bakterien hinterlegt sind. So findet man sehr viele Bakterienarten oder sogar -stämme, aber man weiß nicht, ob es sich bei diesen Organismen um etablierte „Mitbewohner“ handelt oder um Verunreinigungen oder „Durchreisende“, etwa aus einer Mahlzeit oder einer akuten Infektion.

Oder durch den Versuch, möglichst viele der Organismen in Kulturmedien anzusiedeln, die den Lebensbedingungen im Darm nahekommen, und sie auszuzählen. Bei dieser Kultivierung kann man nur die Gattung der Bakterien bestimmen, aber dafür kann man gut abschätzen, wie groß ihr Anteil an der Darmflora ist. Die Forscher haben sich für Letzteres entschieden.

Gut für das eine Geschlecht, schlecht für das andere?

Auf der Ebene der Bakterien-Gattungen waren die Mikrobiome der Frauen und Männer im Durchschnitt nahezu gleich zusammengesetzt. Aber es gab zahlreiche Korrelationen zwischen den CES-Symptomstärken und dem Anteil der Gattungen im Mikrobiom der Patientinnen und Patienten – und viele dieser positiven wie negativen Korrelationen waren geschlechtsspezifisch. Beispielsweise kamen im Darm von Frauen, die besonders starke Erschöpfung nach körperlichen Tätigkeiten angaben, mehr Clostridien vor als im Darm von Patienten, die nach einer Kraftanstrengung weniger erschöpft waren – aber bei Männern, die stark unter diesem CES-Symptom litten, war der Clostridien-Anteil nicht erhöht. Zweites Beispiel: Im Darm männlicher Patienten, die besonders stark unter Schmerzen litten, fanden sich deutlich weniger Eubakterien als bei Betroffenen, die schwächere Schmerzen hatten – aber auch weniger als bei Frauen, die besonders starke Schmerzen hatten. Der Darm von Frauen mit starken Schmerzen enthielt dafür signifikant weniger Streptokokken als der Darm von Betroffenen mit schwächeren Schmerzen – aber auch von Männern mit starken Schmerzen.

Besonders stark klafften die Korrelationen zwischen Bakterienhäufigkeit und Symptomstärke bei der letztgenannten Gattung auseinander: Bei 9 der 13 erhobenen Symptomfaktoren unterschieden sich die Korrelationen zwischen männlichen und weiblichen CES-Patienten signifikant, und stets war die Korrelation bei den Frauen negativ und bei den Männern positiv. Wollte man diese Zusammenhänge kausal interpretieren, hieße das: Streptokokken schützen Frauen vor heftigen Symptomen, verstärken aber die Belastung der Männer durch die Krankheit.

Das andere Extrem waren die Bifidobakterien, die nicht zur Abteilung Firmicutes gehören, sondern zu den Actinobakterien: Nur bei einem einzigen Symptom unterschied sich die Korrelation zwischen Bifidobakterien-Häufigkeit im Darm und Symptomschwere signifikant zwischen den Geschlechtern; insgesamt schienen diese Bakterien – wiederum kausal gedeutet – beide Geschlechter eher vor schweren Symptomen zu schützen.

Wie wirkt der Darminhalt auf das Nervensystem ein?

Über die Mechanismen, die solche kausalen Zusammenhänge möglicherweise vermitteln, konnten die Autoren nur Hypothesen aufstellen, denn ein mutmaßlich entscheidender Vermittlungsweg – der Hormonstatus – war bei den Patientinnen und Patienten nicht erhoben worden. Bekannt ist, dass viele Darmbakterien Hydroxysteroid-Dehydrogenasen produzieren, also Enzyme, die Vorformen von Sexualhormonen verstoffwechseln und so zum Beispiel den Estrogen-Pegel im Körper beeinflussen können. Unsere Sexualhormone wiederum docken an die Hormonrezeptoren vieler Zellen an und beeinflussen so unter anderem das Immun- und das Nervensystem – und damit zum Beispiel unsere Schmerzwahrnehmung.

Es gibt aber auch einen Rückkanal, und damit ist die Richtung des Kausalzusammenhangs offen: Ein durch eine Erkrankung aus dem Lot geratenes Hormonsystem kann die Darmflora durcheinander bringen, teils durch direkte Einwirkung auf die Bakterien, teils vermittelt durch die Darmschleimhautzellen. Und schließlich könnte beides – ein Ungleichgewicht in der Darmflora und starke CES-Symptome – Folge von etwas Drittem sein, zum Beispiel von Vorlieben für bestimmte Nahrungs- oder Genussmittel. Ernährungsgewohnheiten wiederum können vom Geschlecht beeinflusst sein, teils kulturell, teils hormonell vermittelt. Vor allem bei männlichen CES-Patienten scheint der D-Laktat- oder -Milchsäure-Spiegel im Blut sowohl mit der Schwere kognitiver und neurologischer Symptome als auch mit der übermäßigen Vermehrung bestimmter Bakterien im Darm zusammenzuhängen.

Ignorieren gilt nicht

Erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur der aktuelle Hormonspiegel geschlechtsspezifische Interaktionen – etwa zwischen Darmflora und Gehirn – vermitteln kann, sondern unter Umständen auch der ehemalige Hormonstatus des Embryos oder des Neugeborenen. Denn wie ich im übernächsten Beitrag darlegen werde, prägt insbesondere Testosteron die Entwicklung des männlichen Nerven- und Immunsystems bereits kurz vor und nach der Geburt, in der sogenannten Minipubertät. Obwohl Jungen während ihrer Kindheit kaum noch Testosteron produzieren, hält diese frühe Wirkung an, weil sie sich epigenetisch dauerhaft niederschlägt: durch die Methylierung der DNA und damit die Ablesbarkeit zahlreicher Gene auf all unseren Chromosomen.

Dieses Durcheinander aufzuklären, wird nicht leicht. Dazu müsste man (1.) in allen klinischen Studien zwischen Männern und Frauen und möglichst auch in allen präklinischen Tierversuchen zwischen Männchen und Weibchen unterscheiden, (2.) stets auch den Hormonstatus ermitteln – und (3.) die Zusammensetzung des Mikrobioms noch genauer aufklären, am besten durch Kombination beider oben erläuterter Ansätze (Metagenomik und Kulturen).

Einfach nur die durchschnittliche Häufigkeit der Bakterien-Gattungen in Proben aus Männern und Frauen zu vergleichen und dabei keine Auffälligkeiten festzustellen, reicht jedenfalls nicht aus, um die Existenz und medizinische Bedeutung eines Mikrogenderoms beim Menschen auszuschließen.

Literatur

A. Wallis et al. (2016): Support for the Microgenderome: Associations in a Human Clinical Population

A. Wallis et al. (2017): Support for the microgenderome invites enquiry into sex differences

 

Mundflora und Immunreaktionen von mittelalterlichen Bewohnern des Klosters Dalheim

Ergänzende Informationen zu Adler et al.; auch diese Zusammenfassung ist noch nicht allgemein verständlich aufbereitet:

Warinner C et al. (2104): Pathogens and host immunity in the ancient human oral cavity. Nature Genetics 46, 336,344, doi:10.1038/ng.2906

Zahnstein enthält viele verwertbare Informationen (DNA, Proteine) und ist in vielen alten Schädeln zu finden. Die Autoren haben (1) die Mundflora von mittelalterlichen Menschen mit leichter bis schwerer Parodontitis analysiert, (2) 40 opportunistische Pathogene charakterisiert, (3) alte mutmaßliche Atibiotikaresistenzgene identifiziert, (4) das Genom des Parodontitis-assoziierten Keims Tannerella forsythia rekonstruiert und (5) 239 bakterielle sowie 43 menschliche Proteine identifiziert, die einen historisch alten Zusammenhang zwischen Faktoren unseres Immunsystems, Pathogenen des „roten Komplexes“ und Parodontitis belegen.

Die humane Mundflora umfasst über 2000 Bakterien-Taxa, darunter viele Keime, die an Parodontitis, Atemwegs-, kardiovaskulären und systemischen Erkrankungen beteiligt sind. Zahnstein = komplexer, mineralisierter Biofilm, der aus Zahnbelag (Plaque), Speichel und der Flüssigkeit in Zahnfleischtaschen entsteht.

Adler et al. haben die alte Mundflora nur auf Phylumebene analysiert und gezielt nach einigen Arten gesucht. Zur Charakterisierung des Gesundheitszustands wurden hier nun an vier Skeletten aus dem mittelalterlichen Kloster Dalheim (Deutschland, etwa 950-1200 n. Chr.) genauere Analysen durchgeführt. 2699 mikrobielle OTUs (operational taxonomic units) identifiziert. Dominant: 1 Archäen- und 9 Bakterien-Phyla (mit absteigenden Anteilen: Firmicutes, Actinobacteria, Proteobacteria, Bacteroidetes, Synergistetes, Chloroflexi, Fusobacteria, Spirochetes, Euryarchaeota), die alle auch moderne Mundflora dominieren. Bemerkenswert selten: Bodenbakterien wie Acidobacteria -> kaum Verunreinigung der Proben.   Weiterlesen

Darmflora der Hutterer: keine Enterotypen, sondern jahreszeitliche Unterschiede

Skizze fürs Buch, zu Davenport et al., „Seasonal variation in human microbiome composition“, PLOS ONE, März 2014:

Hutterer_Sommer_Winter_Mikrobiom_650Die Autoren haben die Darmflora von 60 Mitgliedern mehrerer Hutterer-Gemeinschaften in den USA analysiert. Die Hutterer essen überwiegend selbst angebaute bzw. konservierte Lebensmittel, die gemeinschaftlich zubereitet werden. Die nach wie vor umstritteten drei Enterotypen*, in die die Menschheit zerfallen soll, fanden Emily Davenport und ihre Mitarbeiter nicht. Stattdessen variiert die Zusammensetzung des Mikrobioms mit den Jahreszeiten: Im Sommer, wenn die Menschen viel Frisches essen, sind Bacteroidetes signifikant stärker vertreten als im Winter, wenn viel Eingemachtes auf den Tisch kommt. Im Winter nehmen dafür die Firmicutes und die Actinobacteria zu.

Bei allen Darmflora-Vergleichen – zum Beispiel zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien oder (Ess-)Kulturen oder Menschen in verschiedenen Klimazonen, aber auch zwischen Gesunden und Menschen mit Autoimmunerkrankungen bzw. chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – sollte man also darauf achten, dass die Proben zu vergleichbaren Jahreszeiten entnommen wurden.

Interessant auch: Laut Suzuki & Worobey (Geographical variation of human gut microbial composition, 2014) ist der Anteil der Firmicutes im Darm von Menschen in hohen Breiten (also Gegenden mit langen Wintern) deutlich höher als in Äquatornähe, wo wiederum die „sommerlichen“ Bacteroidetes einen größeren Anteil einnehmen.

*  Enterotypen = Darmflora-Grundtypen, die durch hohe Dichten an Bacteroides, Prevotella bzw. Ruminococcus geprägt sein sollen

Fettgewebe-Mikrobiom-Dysbiose als Ursache von Adipositas und kardiovaskulären Ereignissen?

Zusammenfassung nur des Abstracts und des Fazits:

Burcelin R et al. Metagenome and metabolism: the tissue microbiota hypothesis. Diabetes, Obesity and Metabolism 15 (Suppl. 3), 61-70, 2013

Das Mikrobiom des Verdauungstrakts mit seinen über 5 Mio. unterschiedlichen Genen gilt aus Symbiont, der unser Immunsystem, das Gefäßsystem des Verdauungstrakts und wahrscheinlich auch das Nervensystem prägt/mitentwickelt. Versuche an keimfreien und gezielt besiedelten Mäusen haben gezeigt, dass das Mikrobiom an Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit beteiligt ist. Kürzlich entdeckt: Bakterielle DNA im Gewebe (Leber, Fettgewebe, Blut) -> Es gibt wohl auch ein Gewebe-Mikrobiom, das das Immunsystem beeinflusst.

Abb. 4: Pyrosequenzierung von 16S-rDNA aus der stromal vascular fraction von Fettgewebe -> Vergleich der Zusammensetzung des Fettgewebe-Mikrobioms bei BMI < 23 (gesund), 23 < BMI < 30 (übergewichtig) und BMI > 30 (fettleibig): Anteil Proteobacteria steigt, Anteil Firmicutes sinkt mit BMI. Innerhalb der Firmicutes keine systematischen Verschiebungen. Bei den Proteobacteria steigt Anteil der Gattung Ralstonia mit dem BMI deutlich an -> vermutlich kausaler Zusammenhang.

Hypothese: Eine Gewebe-Mikrobiom-Dysbiose, bei der sich bestimmte gramnegative Bakterien stark vermehren, könnte kardiovaskuläre Ereignisse verursachen. Diese Bakterien und ihre Zielstrukturen in unseren Zellen zu identifizieren könnte helfen, ursächliche Therapien anstelle von Symptombekämpfung (Hyperglykämie usw.) zu entwickeln.

Über- und Unterrepräsentation bakterieller Proteine bei Morbus Crohn

Juste C et al. Bacterial protein signals are associated with Crohn’s disease. Gut Online first, doi:10.1136/gutjnl-2012-303786 (2104)

(Zusammenfassung nur bzgl. der Funktionen der bei M. Crohn über-/unterrepräsentierten Bakterienproteine; deren Verwendbarkeit als qualitative oder gar quantitative diagnostische Marker interessiert mich nicht.)

Abstract: Analyse der bakteriellen Proteine aus dem Darm von Morbus-Crohn-Patienten zeigt: Viele Proteine aus Bacteroides überrepräsentiert (auch im Vergleich zur Zahl der Bacteroides, also echte Überexpression); Funktion: ermöglichen opportunistischen Bakterien Besiedlung der Schleimschichten, Überwindung der Barriere und Schleimhaut-Invasion. Mit der Überexpression der z. T. stark immunogenen Proteine geht eine stärkere IgA-Bedeckung der Bakterienzellen bei Morbus Crohn einher. Unterrepräsentiert (schwach exprimiert) sind v. a. Proteine von Firmicutes und einigen Prevotella-Arten sowie aus unserem eigenen Proteom das Pankreas-Zymogen-Granulamembran-Glykoprotein 2 (oder wie auch immer das auf Deutsch heißen mag), kurz GP2, das normalerweise an Bakterien bindet und so wohl deren Adhäsion am Schleim und damit eine Entzündungsreaktion verhindert.*  Weiterlesen

Gleich und gleich gesellt sich gern: Proteobacteria bei Dickdarm-Entzündungen

Winter SE, Bäumler AJ. Why related bacterial species bloom simultaneously in the gut: principles underlying the ‚Like will to like‘ concept. Cellular Microbiology 2014, 16(2). 179-184

Im gesunden Dickdarm dominieren obligate anaerobe Bakterien aus den Stämmen Bacteroidetes (Klasse Bacteroidia) und Firmicutes (Klasse Clostridia); Arten aus den Stämmen Proteobacteria und Actinobacteria sind meist selten. Homöostase -> idealer Nährstoffaufschluss und Infektionsresistenz. Dysbiose: Clostridien gehen zurück, fakultative anaerobe Proteobacteria breiten sich aus.

Aber wie wird das Gleichgewicht aufrecht erhalten, bzw. wie kommt es zur Dysbiose? Und wieso werden dabei ganze Stämme regelrecht ausgetauscht, statt dass nur einzelne arten häufiger bzw. seltener werden? Lozupone et al. (2012) haben das mit Rasenpflege verglichen: Bei schweren Zwischenfällen wird die nackte Erde freigelegt, und statt Gras können sich Unkräuter ausbreiten. Aber diese Metapher sagt noch nichts über die Mechanismen.

Beobachtung bei Mäusen: Tiere, die viele Kommensalen der Art Escherichia coli beherbergen, sind besonders anfällig für Infektionen mit Salmonella enterica und Campylobacter jejeuni, die zum selben Stamm (Proteobacteria) gehören. -> Similis-simili-gaudet-Hypothese. Vielleicht lokale Umweltbedingung, die alle Arten eines Stammes fördert?

Normale Labormäuse gehören zu einem von zwei Enterotypen: entweder hohe Diversität der Darmflora und Dominanz von Clostridien und Bacteroidia – oder geringere Diversität, weniger Clostridien und (relativ) mehr Proteobacteria, oft verbunden mit schwacher Entzündung. Bei Menschen ist die Existenz bzw. Omnipräsenz und Bedeutung von Enterotypen allerdings noch umstritten.

Mausmodelle für Colitis: Entzündungsreaktion auf chemischen Trigger oder genetische Disposition erhöht Häufigkeit fakultativer Anaerobier, v. a. aus der Familie Enterobaceriaceae (Stamm Proteobacteria). Auch bei Infektion mit dem Einzeller Toxoplasma gondii breiten sich Enterobaceriaceae in der Darmflora unkontrolliert aus. Einige pathogene Enterobacteriae lösen mit Virulenzfaktoren ihrerseits Entzündung aus, um sich gegenüber anderen Bakterien einen Wachstumsvorteil zu verschaffen.

Menschen: Bei Morbus Crohn, Antibiotika-Behandlung, HIV-Enteropathie (chronische Diarrhö) und anderen Erkrankungen des Dickdarms ebenfalls Proteobacteria-Blüte im Verbund mit Clostridien-Rückgang. Aber sind es dieselben Selektionskräfte, die die Proteobacteria fördern und den Clostridien zu schaffen machen? Wahrscheinlich nicht.

Proteobacteria profitieren von einem Mechanismus, bei dem reaktive Sauerstoff- und Stickstoff-Species entstehen. Diese antimikrobiellen Substanzen diffundieren vom Epithel weg ins Lumen und wandeln sich dabei in Elektronenakzeptoren wie Tetrathionat oder Nitrat um. Pathogene S. enterica und kommensale E. coli können diese Elektronenakzeptoren für ihre anaerobe Respiration und damit für ein starkes Wachstum im Dickdarm nutzen.

Fitnessvorteil für Proteobacteria: Die fakulativen Anaerobier können durch die anaerobe Respiration nichtfermentierbare Substrate oder Fermentationsendprodukte als Kohlenstoffquellen nutzen und vermeiden so die Konkurrenz um fermentierbare Nährstoffe, auf die die obligaten Anaeroben (Bacteroidias und Clostridia) angewiesen sind.

Rückgang der Clostridien: wahrscheinlich durch eine andere, noch unbekannte Selektionskraft, denn Clostridien haben keine terminalen Oxidoreduktasen und können daher auf die Elektronenakzeptoren, die bei der Entzündung entstehen, nichts reagieren. Es muss ein Faktor sein, der nicht auf alle Clostridien nachteilig wirkt: Clostridium difficile und einige andere Arten aus der Familie der Lachnospiraceae vermehren sich nämlich bei Darmentzündungen, statt zu verschwinden.

Clostridien produzieren bei der Fermentation kurzkettige Fettsäuren, die entzündungshemmend auf das Immunsystem einwirken, indem sie die Rezeptoren regulatorischer T-Zellen (Tregs) stimulieren. Daher kann es sein, dass ein Rückgang der Clostridien (zum Beispiel durch Antibiotika) der erste Schritt zur Dysbiose ist: Wenn sie fehlen, wird eine einmal gestartete Entzündung nicht rechtzeitig gestoppt, und die Entzündungsprodukte fördern dann die Proteobacteria.

Mikrobiom und Autoimmunerkrankungen, IV

Noch nicht allgemeinverständlich aufbereitete Notizen:

Tianyi Zhang et al.: Host Genes Related to Paneth Cells and Xenobiotic Metabolism Are Associated with Shifts in Human Ileum-Associated Microbial Composition. PLoS ONE 7(6): e30044. doi: 10.1371/journal.pone.0030044

(selbes Team und ähnliches Thema wie bei dieser bereits zusammengefassten Arbeit; wenig Neues)

Abstract: Sequenzdaten usw. von 84 Personen mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa oder ohne CED; Fragestellung: Wie sind die Wirt-Mikrobiom-Beziehungen bei CED gestört? Ergebnis stützt die Hypothese, dass die Wirtsgene für die Paneth-Zellen in der Darmschleimhaut sowie für den Xenobiotika-Stoffwechsel bei der Wechselwirkung zwischen Wirt und Darmflora eine wichtige Rolle spielen.   Weiterlesen

Mikrobiom und Autoimmunerkrankungen, III

Noch nicht allgemeinverständlich aufbereitete Notizen

Li et al.: Inflammatory Bowel Diseases Phenotype, C. difficile and NOD2 Genotype Are Associated with Shifts in Human Ileum Associated Microbial Composition. PLoS ONE 7(6): e26284. doi: 10.1371/journal.pone.0026284

Test der Hypothese, dass Polymorphismen in Genen der angeborenen Immunabwehr, die mit Morbus Crohn in Verbindung stehen, mit Verschiebungen in der Zusammensetzung der Darmflora im Ileum (Krumm- oder Hüftdarm) assoziiert sind, also mit Dysbiose. Sequenzierung von 16S-rRNA aus Stuhlproben, die bei Biopsien aus makroskopisch nicht von der Krankheit betroffenen Regionen des Ileums von 52 Morbus-Crohn-, 58 Colitis-ulcerosa-Patienten und 60 Kontrollpersonen ohne CED gewonnen wurde. Drei verschiedene Sequenzierungsmethoden führten zum selben Resultat: CED-Phänotyp, Clostridium difficile und NOD2-Genotyp waren assoziiert; die Gesamtzusammensetzung des Mikrobioms war verändert. CED-Phänotyp und NOD2-Genotyp waren auch mit einer veränderten relativen Häufigkeit der Gruppe C. coccoides/E. rectales assoziiert. CED-Phänotyp, Rauchen und CED-Medikation gingen mit einer veränderten relativen Häufigkeit von F.-prausnitzii-Unterarten einher. -> Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Auswirkungen von genetischen Faktoren und Umweltfaktoren auf CED zumindest teilweise durch die Darmflora vermittelt werden.    Weiterlesen