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Eine Impfung gegen Rheuma?

Eine kurze Literaturnotiz, die zudem nur auf dem Abstract eines Fachartikels beruht, da ich an den Volltext nicht herankomme:

Vilma Urbonaviciute et al. (2023): Therapy targeting antigen-specific T cells by a peptide-based tolerizing vaccine against autoimmune arthritis. In: PNAS, 12. Juni 2023, 120 (25) e2218668120

Bisherige Therapien bei Autoimmunerkrankungen bekämpfen meist recht unspezifisch die Entzündungen oder einzelne Symptome wie Schmerzen, oder man versucht das Immunsystem komplett „zurückzusetzen“, also z. B. alle B-Zellen (und damit auch die autoreaktiven B-Zell-Klone) zu eliminieren. All das geht mit erheblichen Nebenwirkungen einher.

Nun hat ein Forschungsteam an Mäusen einen spezifischeren und zudem vorbeugenden Ansatz erprobt: Ein MHC-Klasse-II-Protein (also ein „Antigen-Präsentationsteller“, wie man ihn normalerweise auf Makrophagen, Monozyten, dendritischen Zellen oder B-Zellen findet) wurde mit einem galatolysierten Kollagen-Typ-II-Peptid (kurz COL2) beladen. Diese Makromolekül-Kombination wurde Mäusen eines Zuchtstamms injiziert, der zu einer Autoimmun-Arthritis neigt, also einem Tiermodell einer rheumatoiden Arthritis.

Das Konstrukt ist positiv geladen und kann so direkt mit dem passenden antigenspezifischen T-Zell-Rezeptor interagieren, was zur Vermehrung eines bestimmten, sonst seltenen Typs von regulatorischen T-Zellen (Tregs) führt. Diese Tregs unterdrücken spezifisch die Autoimmunreaktionen auf den Collagen-Schnipsel, und zwar so stark, dass die Tiere trotz ihrer Veranlagung keine Arthritis bekommen. Überträgt man die Tregs auf andere Mäuse, so bekommen auch diese keine Autoimmun-Arthritis; damit ist der Beweis erbracht, dass wirklich diese regulatorischen T-Zellen die Toleranz des Immunsystems gegenüber dem körpereigenen Kollagen wiederherstellen.

Die Autor*innen hoffen, dass diese Form der Toleranz-Induktion durch Impfung auch beim Menschen funktioniert und bei Individuen mit entsprechender genetischer Prädisposition den Ausbruch von Rheuma und womöglich auch anderen Autoimmunerkrankungen verhindern kann. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg – wenn es überhaupt klappt und sich als sicher erweist.

Bedeutungsschwangerer Vergleich: Das Liebesleben der Seenadeln

Cartoon: links ein trächtiges Seepferdchen-Männchen, rechts ein verliebtes Weibchen, das an seinem Bauch lauscht

#NaNoWriMo22, Tag 7 (an Tag 6 habe ich Vorarbeiten für diesen Artikel erledigt)

Tiefseeanglerfische und Seenadeln – also die langgestreckten Grasnadeln, die gekrümmten Seepferdchen und ihre Verwandtschaft – haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam, einmal abgesehen davon, dass sie Fische sind: Die Tiefseeangler (Ceratioidei) leben allesamt in der finsteren Tiefsee und gelten aufgrund ihres ungewöhnlichen Körperbaus mit den riesigen Mäulern, den vorgeschobenen Unterkiefern und den spitzen Zähnen als hässlich, ja monströs – was allerdings auch daran liegt, dass die meisten Exemplare, die wir hier oben zu Gesicht bekommen, durch die Dekompression regelrecht zermatscht sind. Die Seenadeln (Syngnathidae) bevorzugen lichtdurchflutete Seegraswiesen im Flachwasser, haben winzige Mundöffnungen und wirken auf uns grazil und einnehmend.

Auch ihr Liebesleben ist auf den ersten Blick grundverschieden: Seenadelmännchen sind nicht winzig klein und wachsen nicht an einem Weibchen fest. Dafür werden sie trächtig! Das Spektrum reicht von einem einfachen Festkleben der Eier, die ihnen die Partnerin übergibt, am Bauch oder unter dem Schwanz, bis zum Austragen in einer komplett geschlossenen Bruttasche, einem veritablen Schwangerschaftsbauch wie in meinem Cartoon. Der männliche Organismus behütet und nährt den Nachwuchs, der zu diesem Zweck in ein schwamm- oder placentaartiges Gebilde eingebettet wird. Und der Vater stattet die Kleinen auch mit einem immunologischen Starter-Kit aus, sodass sie die vielen Bakterien und anderen potenziellen Krankheitserreger sofort bekämpfen können, wenn sie bei der Geburt aus dem schützenden Bauch ins weite Meer entlassen werden.

Und da taucht sie dann auf, die Parallele zu den Tiefseeanglern: Wie kommt es, dass das Immunsystem männlicher Seenadeln die Eier bzw. Embryonen nicht abstößt? Sie sind für den väterlichen Organismus doch hemiallograft, bestehen also zur Hälfte aus fremdem Gewebe, nämlich solchem mütterlichem Ursprungs. Normalerweise müssten sie – wie Transplantate – als „Nicht-Selbst“ bekämpft werden. Bei uns Säugetieren geschieht das nur deshalb nicht, weil zwischen der mütterlichen Gebärmutter und dem embryonalen Gewebe eine lückenlose Schutzschicht eingezogen ist, die keine MHC-Komplexe auf der Oberflächen trägt, sodass die mütterlichen Immunzellen gewissermaßen blind sind für das fremde Gewebe, das sich hinter diesem Wall verbirgt. (Das ist jetzt arg verkürzt dargestellt, soll hier aber reichen.)

Ein Forschungsteam um Olivia Roth am GEOMAR Helmholtz Centre for Ocean Research in Kiel untersucht die Schwangerschaften der Seenadeln seit über zehn Jahren, um unter anderem dieses Rätsel zu lösen. Dank des schon erwähnten breiten Spektrums (vom äußerlichen Festkleben der Eier am Bauch über offene Bruttaschen oder -rinnen bis zu geschlossenen Taschen, deren kleine Öffnung das Männchen erst zur Übernahme der Eier und später zur Geburt des ausgetragenen Nachwuchses kontrolliert öffnen kann) lässt sich hier einiges über die Evolution der Trächtigkeit lernen, das dem bloßen Studium der Säugetiere nicht zu entnehmen wäre. Denn bei den Säugetieren laufen alle Schwangerschaften im Grunde ähnlich ab; sie sind gewissermaßen alle vollkommen; „ein bisschen schwanger“ gibt es hier nicht!

Anders bei den Seenadeln. Hier zeigt sich: Je inniger der Kontakt zwischen väterlichem Organismus und Nachwuchs, desto stärker ist die Art „immundefizient“. Wie bei den Tiefseeanglern fehlen den Seepferdchen der Gattung Hippocampus und den Grasnadeln der Gattung Synghathus diejenigen Teile der erworbenen Abwehr, die eine Abstoßungsreaktion auslösen könnten. Die Gene im Haupthistokompatibilitätskomplex der Klasse II (MHC II) sind bei Syngnathus typhle abhanden gekommen oder defekt. Auch T-Zellen des Typs CD4+ scheinen bei dieser Art zu fehlen; sie hat also keine T-Helferzellen.

Andere Komponenten des Immunsystems sind zwar vorhanden und im Prinzip funktionstüchtig, werden aber bei Männchen während der Schwangerschaft herunterreguliert, um ihre immunologische Toleranz gegenüber den Halb-Fremdlingen in der Bruttasche zu erhöhen. Das gilt zum Beispiel für den Haupthistokompatibilitätskomplex der Klasse I (MHC I).

Eine Untersuchung der Entzündungsparameter bei Syngnathus typhle ergab deutliche Parallelen zu Säugetieren wie uns Menschen: Ganz zu Beginn einer Schwangerschaft, bei der Einnistung, tritt bei Grasnadeln wie Säugern eine lokale Entzündung auf, ohne die das zur Einbettung des befruchteten Eies nötige Gewebe gar nicht entstehen kann. Entzündungen fördern ja unter anderem die Bildung von Blutgefäßen. Dann folgt eine längere entzündungsfreie Phase, in der das elterliche Immunsystem maximale Toleranz übt. Schließlich steigen die Entzündungsparameter wieder an, denn die Geburt ist im Grunde nichts anderes als eine verspätete Abstoßung, ja ein Ausstoßen der nunmehr auch außerhalb des elterlichen Körpers lebensfähigen Kinder. Auch viele andere Gene, die bei uns Säugern in der Schwangerschaft je nach Phase stärker oder schwächer abgelesen werden als sonst, durchlaufen bei den Grasnadeln dieselbe Dynamik.

So, und warum interessiert mich das, warum gehört es ins Autoimmunbuch? Die meisten Autoimmunerkrankungen sind bei Frauen häufiger als bei Männern, teilweise extrem viel häufiger. Dafür werden in der Wissenschaft mehrere mögliche Ursachen diskutiert. Es könnte etwa an den weiblichen und männlichen Hormonen liegen, an den unterschiedlichen Genen auf dem X- und dem Y-Chromosom – oder am sogenannten X-Dosis-Effekt, also daran, dass Frauen zwei X-Chromosomen haben, Männer aber nur eines. Hinzu kommen Umweltfaktoren, etwa eine unterschiedliche Ernährung, unterschiedliche Berufe, unterschiedliche Kosmetika usw. Diese möglichen Ursachen schließen einander nicht aus, sondern könnten auch in Kombination miteinander das Erkrankungsrisiko herauf- oder herabsetzen.

Beim Menschen lassen sich diese Faktoren aber oftmals nicht sauber voneinander trennen: Das Geschlecht mit den beiden X-Chromosomen ist zugleich dasjenige, das Eizellen hervorbringt, die relativ groß sind und zum Beispiel Mitochondrien und Moleküle des Immunsystems enthalten. Und wer die Eizellen hervorbringt, trägt auch die Kinder aus – von Leihmutterschaften usw. einmal abgesehen. Aber auch Studien, die relativ einfach und ethisch unbedenklich wären, fehlen ärgerlicherweise. So wird seit Jahrzehnten spekuliert, ob eine Mutterschaft das Risiko für Hashimoto-Thyreoiditis erhöht, weil eine schlummernde Veranlagung während des immunologischen und hormonellen „Ausnahmezustands Schwangerschaft“ zum Ausbruch kommen könnte. Aber gute Statistiken dazu, also etwa Hashimoto-Prävalenzen bei 50-jährigen Frauen mit 0, 1, 2 oder 3 Kindern, habe ich noch nie gesehen!

Die Seenadeln bieten hier eine einmalige Chance: Es gibt ein männliches Geschlecht, das wie üblich zahlreiche winzige Spermien hervorbringt, und ein weibliches, das relativ wenige große, ressourcenreiche Eizellen produziert. Aber danach sind die Rollen vertauscht. Wie unterscheidet sich das Immunsystem der Männchen von dem der Weibchen – generell und insbesondere in den verschiedenen Phasen der männlichen Trächtigkeit? Geschlechtsspezifische Auswertungen habe ich in der Literatur noch nicht entdeckt, aber das kommt sicher noch.

Auch hier im Blog bleiben wir in den nächsten Tagen und Wochen noch beim Thema Fortpflanzung. Denn in der riesigen, bunten Klasse der Knochenfische (und auch bei ihren Cousins, den Knorpelfischen) gibt es offenbar fast nichts, was es nicht gibt. Freuen wir uns also auf die Reisfische, bei denen die Weibchen ihre Jungen im Geschlechtstrakt herumtragen, ohne im engeren Sinne schwanger zu sein. Und auf die Maulbrüter, bei denen teils beide Geschlechter, teils aber nur die Weibchen den Nachwuchs im Maul behüten, was sich wiederum deutlich in ihrem Immunsystem niederschlägt.

 

Literatur:

GEOMAR (2012): Der Beitrag der Väter. Wie männliche Fische das Immunsystem ihrer Nachkommen aktivieren können. Pressemitteilung.

Roth et al. (2020): Evolution of male pregnancy associated with remodeling of canonical vertebrate immunity in seahorses and pipefishes. Forschungsarbeit, Open Access.

Parker et al. (2021): Immunological tolerance in the evolution of male pregnancy. Forschungsarbeit, Open Access.

Abb. 253: Systemische Autoimmunerkrankungen

Angeborene Abwehr (links) und erworbene Abwehr (rechts) können einander bei einer systemischen Autoimmunerkrankung pathologisch verstärken. Die angeborene Abwehr – hier vertreten durch eine dendritische Zelle, eine natürliche Killerzelle, einen eosinophilen Granulozyten, einen Monozyten und einen Makrophagen – aktiviert B- und T-Zellen zum Beispiel über Botenstoffe wie Alpha-Interferon (IFN-α), transforming growth factor beta (TGF-β), den B-Zell-Aktivierungsfaktor (BAFF), die verstärkte Präsentation von Autoantigenen auf einem Übermaß an MHC-Klasse-II-Molekülen und die Freisetzung immer weiterer Autoantigene im Zuge einer Entzündungsreaktion. Die erworbene Abwehr – hier vertreten durch verschiedene T- und B-Zellen sowie Antikörper – produziert ihrerseits Stoffe, die die angeborene Abwehr alarmieren, etwa IL-6, IL-17, Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α), Lymphotoxin alpha (Lt-α), sowie Antikörper und Immunkomplexe.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 233: Weit verstreute Anlagen

Die bekannten Prädispositionen für Autoimmunerkrankungen sind fast über das ganze Genom verteilt und fallen in mehrere Klassen: bindungsunfähige oder allzu bindungsfreudige MHC-Klasse-II-Moleküle (Tabletts), überaktive T-Zell-Rezeptoren (Brille), inaktive Tregs (Schlafmaske), übermäßige Zytokinproduktion (Megafon), mangelhafte Autoantigenpräsentation im Thymus (geschrumpftes AAG), Wundheilungsstörungen (Pflaster) usw.

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Abb. 166: Modifizierte Autoantigene können Alarm auslösen

Oben: Ein Autoantigen lässt T-Zellen normalerweise kalt, wenn es ihnen auf MHC-Klasse-II-Molekülen präsentiert wird: Alle darauf reagierenden T-Zellen sind ja schon im Thymus aussortiert worden.

Unten: Wird ein Autoantigen modifiziert, zum Beispiel durch Nickelatome oder durch eine posttranslationale Modifikation, kann es u. U. an eine seltene MHC-Klasse-II-Variante binden, die sich den T-Zellen aus einem untypischen Winkel darbietet. Dann binden womöglich einige T-Zellen an den Komplex und schlagen Alarm. Das kann der Beginn einer Autoimmunstörung sein.

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Abb. 164: Professionelle und unprofessionelle Antigenpräsentation

Neben den professionellen antigenpräsentierenden Zellen (APCs) wie Makrophagen und dendritischen Zellen können während einer Entzündung oder einer Autoimmunerkrankung auch »unprofessionelle« APCs auftreten: Körperzellen, die ebenfalls MHC-Klasse-II-Moleküle herstellen, aber schlechter reguliert werden können als Immunzellen.

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Abb. 162: Aufbau der MHC-Moleküle

Die beiden Klassen der MHC- Moleküle sind erkennbar verwandt. Allerdings hat ein MHC-Klasse-I-Molekül nur eine Transmembran-Domäne; das β2-Mikroglobulin ist nicht in der Zellmembran verankert. Die β-Kette eines MHC-Klasse-II-Moleküls hat dagegen eine Transmembran-Domäne und beteiligt sich auch an der variablen Antigenbindungsstelle (Kuhle oben).

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Abb. 160: Der Unterschied zwischen MHC-Klasse I und II

Die Grube, in der ein MHC-Klasse-I-Molekül ein Antigen-Bruchstück aufnimmt und präsentiert, ist zu allen Seiten begrenzt. Bei MHC-Klasse-II-Molekülen ist sie an den Enden offen, sodass auch längere Peptide präsentiert werden können, die über die Grube hinausragen wie ein Baguette über ein Tablett. Jeder Mensch verfügt über ein großes, individuelles Repertoire an MHC-Molekülen.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 158: Korezeptoren wie CD4 stabilisieren die Antigen-Bindung

Oben: Eine Bindung zwischen einem T-Zell-Rezeptor (oben) und einem Komplex aus MHC-Molekül und Antigen-Peptid (unten) alleine ist instabil.

Unten: Korezeptoren wie CD4, die seitlich an das MHC-Molekül binden, stabilisieren die Bindung.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

 

Die Milch macht’s – zumindest bei Mäusen

Dass Muttermilch Antikörper enthält, die das Neugeborene in den ersten Monaten vor Infektionen schützen, ist schon länger bekannt. Aber Milch leistet noch mehr für das Immunsystem des Nachwuchses, wie zwei neuere Arbeiten zeigen:

M. K. Ghosh et al. (2016): Maternal Milk T Cells Drive Development of Transgenerational Th1 Immunity in Offspring Thymus (Open Access); dazu auch die Pressemitteilung der Universität: Vaccinating Babies Without Vaccinating Babies

In der Vorläuferstudie hatten die Forscher herausgefunden, dass Mäuse ihrem Nachwuchs beim Säugen nicht nur durch Antikörper, sondern auch durch Immunzellen eine Immunität gegen Pathogene vermitteln, mit denen ihr eigenes Immunsystem kürzlich konfrontiert wurde. Seltsamerweise ist diese Immunität noch beim erwachsenen Nachwuchs nachzuweisen, obwohl dieser keinerlei mütterliche Immunzellen mehr enthält. Die Natur und die Entstehung der Zellen, die diese Immunität vermitteln, sollte hier untersucht werden. Um eine Übertragung im Mutterleib auszuschließen, ließ man die gegen das Bakterium Mycobacterium tuberculosis oder gegen den Pilz Candida albicans immunisierten Mäuseweibchen fremden Nachwuchs aufziehen.

Die Immunität wird offenbar von Gedächtnis-T-Zellen übertragen, die über CD4+-Marker und MHC-Klasse-II-Komplexe verfügen – eine kuriose Kombination, denn normalerweise empfangen CD4+-T-Zellen Signale von antigenpräsentierenden Zellen wie etwa dendritischen Zellen, die Antigene auf MHC-Klasse-II-Komplexen präsentieren. Dendritische Zellen sind aber viel zu kurzlebig, um die hier beobachteten Effekte zu erklären; es waren eindeutig antigenpräsentierende CD4+-T-Zellen, die die Immunität übertrugen – vielleicht, weil nur T-Zellen gezielt in den Thymus wandern können. Wie diese Zellen an die MHC-Klasse-II-Komplexe gelangt sind, ist unklar. Die Autoren vermuten Trogozytose: die Übergabe von Membranflößen einschließlich MHC-Komplex und Kostimulatoren an einer immunologischen Synapse, also einer Bindungsstelle zwischen der (primären) antigenpräsentierenden Zelle und einer T-Zelle, deren T-Zell-Rezeptor spezifisch an den Komplex bindet. Diesen Mechanismus habe ich hier bereits vorgestellt.

Nach der Aufnahme über die Muttermilch wandern diese ungewöhnlichen mütterlichen Gedächtnis-T-Zellen gezielt in den Thymus und die Milz der Mäusebabies. Um an den Grenzen – also am Brustdrüsen-, Darm- und Thymusepithel – nicht von anderen Immunzellen aufgehalten zu werden, „verschlucken“ sie vermutlich ihre MHC-Klasse-II-Komplexe samt Antigenen in Vesikeln und befördern sie erst am Ziel wieder an die Zelloberfläche. Im Thymus werden die MHC-Klasse-II-Komplexe einschließlich der Antigene womöglich durch eine weitere Trogozytose an „ordentliche“ antigenpräsentierende Zellen übergeben, oder die CD4+-T-Zellen werfen die Antigene ab, und antigenpräsentierende Zellen nehmen sie auf.

Jedenfalls werden die Antigene aus den Pathogenen, mit denen die Mütter infiziert waren, nun den unreifen Mäusebaby-Thymozyten präsentiert, die daraufhin zu CD8+-T-Zellen mit einer Spezifität für diese Antigene heranreifen. Diese Immunitätsübertragung nennen die Autoren „maternal educational immunity“, um sie von der passiven Immunität zu unterscheiden, die vor allem durch mütterliche Antikörper in der Milch übertragen wird und sich rasch verliert, da diese Antikörper im Jungtier nicht nachproduziert werden können.

In der Pressemitteilung der Universität finden sich interessante Spekulationen über eine mögliche Nutzung dieses Mechanismus zur „indirekten Impfung“ von Säuglingen (nämlich durch Impfung der Mütter während der Schwangerschaft) und über die hohe historische Überlebensrate von Kleinkindern aus Adelsfamilien, die häufig von Ammen aus der Unterschicht gestillt wurden und so vielleicht eine besonders gute „Immunsystem-Erziehung“ genossen. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Reifung des Immunsystems bei jungen Mäusen anders verläuft als bei Menschenkindern.

M. A. Koch et al. (2016): Maternal IgG and IgA Antibodies Dampen Mucosal T Helper Cell Responses in Early Life (Bezahlschranke, nur Abstract und eine Abbildung); dazu auch Meldung „Breast Milk Primes Gut for Microbes“ in The Scientist

Mütterliche, über die Milch übertragene Antikörper der Typen IgG und IgA dienen vor allem dazu, Pathogene im Darm junger Mäuse zu bekämpfen, solange deren Immunsystem dazu noch nicht imstande ist – so glaubte man bisher. Jetzt zeigt sich, dass insbesondere IgG auch Immunreaktionen hemmt, und zwar solche gegen nützliche Bakterien, die nach der Geburt den Darm von Mäusebabies besiedeln. Fehlen die mütterlichen Antikörper, reagiert das Lymphgewebe am Darm heftig auf die neue Darmflora: Es entstehen viel mehr T-Helferzellen, die wiederum B-Zellen zur Produktion von Antikörpern gegen die gutartigen Darmbakterien anregen.

Allerdings scheinen die Mäuse, denen das mütterliche IgG vorenthalten wurde, keine langfristigen Gesundheitsschäden davonzutragen. Der Begleitartikel in The Scientist stellt dennoch Spekulationen über langfristige Folgen einer gestörten Mikrobiom-Entwicklung an, etwa Morbus Crohn und Colitis ulcerosa – nur um dann abzuwiegeln und auf die Unterschiede zwischen Mensch und Maus hinzuweisen. Zum Beispiel darauf, dass menschliche Muttermilch viel weniger IgG enthält als die von Mäusen. Es ist zum Mäusemelken.