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Austausch eines einzigen Gens versetzt Mäuse-Thymus um 500 Millionen Jahre zurück

So zumindest der plakative Teaser einer Meldung, die vor gut einem Jahr bei „Science Daily“ erschien. Ein Forscherteam um J. B. Swann an der Uni Freiburg hatte transgene Mäuse hergestellt, in deren Zellen das Gen Foxn1, das einen Regulator der Thymusentwicklung codiert, durch das verwandte, aber evolutionär ältere Wirbeltier-Gen Foxn4 ersetzt ist. Während ein normaler Mäuse-Thymus nur wenige B-Zellen enthält, entsteht bei einer Produktion des Regulators FOXN4 ein Lymphorgan, das sowohl T- als auch B-Zellen heranreifen lässt und an den daher als „bipotent“ bezeichneten Thymus-Vorläufer bei Fischen erinnert. Die Arbeit ist frei verfügbar:

Jeremy B. Swann et al.: Conversion of the Thymus into a Bipotent Lymphoid Organ by Replacement of Foxn1 with Its Paralog, Foxn4. Cell Reports, 2014; DOI: 10.1016/j.celrep.2014.07.017 (PDF)

Der Transkriptionsfaktor FOXN1 ist in Säugetieren unabdingbar für die Differenzierung von TEC-Vorläuferzellen in reife TECs. Er ist vermutlich in einem Wirbeltier-Urahn durch Duplikation des älteren Gens Foxn4 entstanden und hat eine sehr ähnliche, aber im Detail andere DNA-Bindungs-Domäne.

Die Vorfahren der Wirbeltiere waren sogenannte Schädellose. Von diesem Unterstamm der Chordatiere leben nur noch die Lanzettfischchen. Im Embryo des Lanzettfischchens Branchiostoma floridae, das kein Foxn1-Gen hat, wird im Rachen-Endoderm Foxn4 exprimiert. Das brachte die Forscher auf den Gedanken, dass in dieser Region des Embryos, aus der bei Wirbeltieren ja die Thymusanlage entsteht, vor der Entstehung von Foxn1 der ältere Transkriptionsfaktor FOXN4 für die Ausbildung eines Thymus-ähnlichen Lymphorgans gesorgt hat. In den TECs im Thymus stammesgeschichtlich „mittelalter“ Wirbeltiere wie der Katzenhaie, Zebrafische und Reisfische werden sowohl Foxn1 als auch Foxn4 exprimiert, in Säugetier-TECs normalerweise nur noch Foxn1.

Wenn man aber in transgenen Mäusen die Foxn1-Expression ausschaltet und zugleich die FOXN4-Produktion erhöht, kann dieses Protein FOXN1 bei der Thymusentwicklung zumindest teilweise ersetzen. Es entstehen normal funktionierende cTECs und mTECs. Allerdings ist ihre Keratin-Expression abnorm: Die meisten TECs exprimieren nun sowohl den Cortex-Marker Keratin 8 als auch das Mark-typische Keratin 5. Außerdem kommen im Thymus der FOXN4-produzierenden Mäuse zahlreiche unreife B-Zellen vor, die sich dort auch teilen. Sie halten sich vor allem rings um die Blutgefäße auf, die den Thymus durchziehen – vermutlich, weil die Fibroblasten dort FLT3-Ligand exprimieren, ein Schlüsselelement der B-Zell-Entwicklung, die sich normalerweise im Knochenmark abspielt. Das FOXN4-produzierende Thymus-Epithel ist also nicht nur zur T-Zell-Entwicklung imstande, sondern bietet auch B-Zellen ein entwicklungsfreundliches Umfeld. Bei Fischen, die von Natur aus sowohl Foxn1 als auch Foxn4 exprimieren, ist die Anwesenheit von B-Zellen im Thymus dann auch normal. Unklar bleibt, ob die im Thymus der transgenen Mäuse entstehenden B-Zellen und T-Zellen vom selben Vorläufer-Zelltyp abstammen, der sich erst im Thymus für einen Entwicklungsweg entscheidet, oder von zwei unterschiedlichen Vorläufern, die bereits „vorbestimmt“ aus dem Knochenmark in den Thymus einwandern.

Die T-Zell-Reifung im Säugetier-Thymus hängt von vier FOXN1-abhängigen Faktoren ab: CCL25, CXCL12, KITL und DLL4. DLL4 steht dabei an der Spitze der Hierarchie. Die B-Zell-Entwicklung im Thymus der genetisch veränderten, Foxn4 exprimierenden Mäuse ist zusätzlich vom allgemeinen Lymphopoese-Faktor IL-7 abhängig. Das Verhältnis von DLL4 zu IL-7 entscheidet darüber, ob der Thymus viele oder wenige unreife B-Zellen hervorbringt. DLL4 ist membrangebunden, das Zytokin IL-7 diffundiert.

Evolution: Man vermutet heute, dass es separate B- und T-Zell-ähnliche Zelltypen bereits in den Urahnen aller Wirbeltiere gab und die immense, durch somatische Rekombination entstehende B- und T-Zell-Rezeptorvielfalt erst später hinzukam. Die ersten Thymus-ähnlichen Lymphorgane entstanden wohl mit Hilfe des Transkriptionsfaktors FOXN4. Nach dessen Duplikation wurden FOXN4 und FOXN1 wohl gemeinsam exprimiert. Auf dem Weg zu den Säugetieren übernahm dann FOXN1 allein die Aufgabe; das Expressionsniveau von Dll4 in den TECs stieg an, und der Thymus war fortan nicht mehr bipotent, sondern nur noch für die T-Zell-Reifung zuständig.

Neandertaler-Erbe in unserem Immunsystem

Sapiens-Neandertaler-Paar_650Schnelle Notizen zu 14 kürzlich gelesenen Artikeln – nicht allgemein verständlich aufbereitet, nicht korrekturgelesen und in dieser Form wahrscheinlich nur für mich selbst nützlich. 🙂 Das Ganze wird im letzten Teil des Buches verwurstet, in dem ich die Evolution unseres Immunsytems chronologisch abhandle.

Gibbons A. (2014): Neandertals and moderns made imperfect mates. Science 343, 31.01.2014 (News zu den Arbeiten von Sankararaman et al. 2014, s. u., sowie Vernot & Akey 2014)

Vernot & Akey haben nur moderne Humangenome aus dem 1000 Genomes Project verglichen und daraus Rückschlüsse auf Neandertaler-Einkreuzungen gezogen; Sankararaman et al. haben auch Neandertaler-Genomsequenz einbezogen. Neandertaler haben Spuren in Haut, Nägeln und Haaren (Keratin) hinterlassen; Nachfahren der Hybriden waren weniger fruchtbar als „reine“ moderne Menschen.

In über 60% von 1004 ostasiatischen und europäischen Genomen Neandertaler-Version des Keratinfunktion-Gens. Keratin macht Haut wasserdicht, blockiert Pathogene, macht Haut wärme- und kälteempfindlich -> Anpassung an kältere Habitate?

Neandertaler-Allele, die Risiko für Krankheiten wie Lupus, Morbus Crohn usw. erhöhen, haben Neandertalern vermutlich nicht geschadet, passten aber schlecht zum neuen Kontext im modernen Menschen.

Weitere Neandertaler-Allele -> Hautfarbe.

In allen untersuchten modernen Humangenomen zusammen 20 bzw. 30% des Neandertaler-Genoms wiedergefunden; in einem Individuum stammen 1-3% des Genoms vom Neandertaler. Einkreuzung vor etwa 60.000 Jahren.

Etwa 20 Regionen des Humangenoms enthalten keine Neandertaler-DNA -> negative Selektion wegen Fortpflanzungsnachteilen der Hybriden. Frauen bleiben wegen doppeltem X-Chromosom eher fruchtbar -> Jetzt wird untersucht, ob wir mehr DNA von weiblichen als von männlichen Neandertalern übernommen haben. (Gemeint ist wahrscheinlich das Geschlecht der gemischten Kinder, nicht des reinen Neandertaler-Elternteils – da macht es keinen Unterschied, solange männliche Hybriden mit Neandertaler-X und modernem Y ebenso (un)fruchtbar sind wie männliche Hybriden mit modernem X und Neandertaler-Y.)

Sankararaman S. et al. (2014): The genomic landscape of Neanderthal ancestry in present-day humans. nature, doi:10.1038/nature12961

Vergleich zwischen Neandertaler-Genomen und 1004 modernen Genomen (darunter 176 Yoruba, mutmaßlich Neandertaler-frei) -> Neandertaler-Haplotypen abgeleitet. Regionen mit vielen Neandertaler-Allelen enthalten viele Gene, die Keratinfilamente beeinflussen -> Haut und Haar -> Anpassung moderner Menschen an außerafrikanische Umwelt erleichtert? Große Neandertaler-Allel-freie „Wüsten“ im Humangenom, z. B. auf X-Chromosom, das viele Gene für männliche Fruchtbarkeit enthält; nur teilweise durch geringe Populationsgröße kurz nach Einkreuzung zu erklären  -> negative Selektion, evlt. weil Neandertaler-Allele im Genom-Kontext des modernen Menschen Fruchtbarkeit minderten.

Haplotyp-Längen -> Kreuzung vor etwa 2000 Generationen, also 37.000-86.000 Jahren. Neandertaler-Anteil in individuellen Genomen: heute durchschnittlich 1,15% in Europa, 1,38% in Ostasien; kurz nach Einkreuzung über 3% (abgeleitet aus Anteil in „Nicht-Wüsten-Regionen“). Größerer Anteil in Ostasiaten evtl. wegen über lange Zeit kleinerer Populationen als in Europa -> negative Selektion weniger effektiv. Mutmaßlichem Neandertaler-Anteil an einzelnen Genorten: bis zu 62% in ostasiatischen, bis zu 64% in europäischen Populationen. In einigen dieser Regionen Anzeichen für positive Selektion, an an deren negative Selektion.

Aus Neandertalern stammende Allele beeinflussen Risiko für SLE/Lupus, primär biliäre Zirrhose (beides: Transportin-3), Morbus Crohn (Chromosom 10: Zinkfinger-Protein 365, Chromosom 12: Gen unbekannt?), IL-18-Level (Regulator der angeborenen und erworbenen Immunität) , Typ-2-Diabetes, Rauchen und Größe des Blinden Flecks.

Obwohl bei der Einkreuzung nur etwa fünfmal mehr Zeit seit der Aufspaltung zwischen Neandertalern und Vorfahren der modernen Menschen vergangen war als heute seit der Aufspaltung zwischen Europäern und Westafrikanern, war die Fruchtbarkeit der Hybriden wohl wegen Schneeball-Effekten (Dobzhansky-Müller-Inkompatibilitäten) stark reduziert.

Prüfer K. et al. (2014): The complete genome sequence of a Neanderthal from the Altai Mountains. Nature 505, doi:10.1038/nature12886

Hochwertige Genomsequenz einer Neandertaler-Frau aus der Denisova-Höhle in Altai-Gebirge, Sibirien – gewonnen aus einem Zehenknochen aus einer etwa 50.000 Jahre alten Schicht. In derselben Höhle, aber in einer etwas jüngeren Schicht wurde auch der Fingerknochen gefunden, aus dem die vorläufige Genomsequenz des Denisova-Menschen ermittelt wurde. Vergleich mehrerer Neandertaler-Genome (auch aus dem Kaukasus und Kroatien, s. Karte Abb. 1), des Denisova-Menschen-Genoms und 25 moderner Humangenome -> Modell der Einkreuzungsereignisse zwischen modernem Menschen, Denisova, Neandertaler und einem unbekannten Hominiden (Abb. 8).  Weiterlesen