Archiv der Kategorie: Aus der Sekundärliteratur

Immunologische und virologische Meldungen des VBIO, Sept./Okt. 2011

Statt selbst viel zu schreiben, verweise und verlinke ich einfach auf einige Meldungen, die mir in letzter Zeit in den Newslettern des Biologenverbandes aufgefallen sind:

Erster Nachweis für Viren in der Erdgeschichte: Paget-Krankheit bei Dinosaurier entdeckt
Die Frage, wie alt Viren sind, wird im Autoimmunbuch angeschnitten werden: Eine lange Koevolution zwischen Viren und unseren Vorfahren, bei der endogenisierte Viren Funktionen im Immunsystem übernommen haben, setzt ja voraus, dass es Viren schon sehr lange gibt.

Programmierter Zelltod bei Morbus Crohn
Ein Forschungsteam um Claudia Günther und Christoph Becker (Uniklinik Erlangen) veröffentlichte am 15. September 2011 in Nature einen Artikel, dem zufolge das Fehlen des Enzyms Caspase-8 bei Patienten mit CED zu einem übermäßigen „Selbstmord“ (Apoptose) von Panethzellen im Darm und damit zu einer größeren Durchlässigkeit des Darmepithels für Bakterien führt.   Weiterlesen

Da ist der Wurm drin: Können Darmparasiten Autoimmunerkrankungen eindämmen?

Peitschenwurm-Ei

A. ist 14 Monate alt, als bei ihr eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED) diagnostiziert wird. Das Kind kränkelt ständig, die Medikamente haben starke Nebenwirkungen. Nach eingehenden Recherchen entschließen sich die Eltern zu einer umstrittenen, in ihrem Land nicht zugelassenen Therapie: Im Ausland lassen sie ihrer Tochter eine Dosis Peitschenwurm-Eier verabreichen, die aus dem Stuhl eines Spenders gewonnen wurden. Diese Darmparasiten entwickeln sich im Verdauungstrakt und lösen eine Abwehrreaktion aus, die die Würmer nicht abtötet, aber das Immunsystem des Kindes so umstimmt, dass die Läsionen im Darm abheilen und die Blutwerte sich normalisieren.

Eine Wundergeschichte, wie sie zu Tausenden im Internet kursieren – von Anbietern unorthodoxer Therapien und missionarisch beseelten Betroffenen lanciert? Überprüfen lassen sich die Anekdoten kaum. Aber die Fachliteratur zeigt, dass solche Verzweiflungstaten ein solideres evolutionsbiologisches Fundament haben als viele etablierte Therapien.   Weiterlesen

Klaus Resch, Michael U. Martin, Volkhard Kaever, „Immunpharmakologie“

Dieses 2010 im Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, erschienene Lehrbuch ist die beste mir bekannte deutschsprachige Einführung nicht nur in die Immunpharmakologie, sondern auch in die Immunologie. Das didaktische Geschick der Autoren und die klaren Illustrationen von Sabine Seifert erleichtern die Orientierung in diesem schwierigen Fachgebiet enorm.

Wohlgemerkt: Leichte Lektüre ist auch dieses Werk nicht; allein die ausufernde und m. E. oft inkonsistente, ja hilflose Begrifflichkeit der Immunologie erfordert höchste Konzentration. So werden Immunzellen teils nach ihrem Herkunftsorgan, teils nach ihrer Funktion, nach ihrem Aussehen oder einfach nach den auf ihrer Oberfläche nachweisbaren Markern benannt. Und jene T-Helferzellen, die nach den Th1- und den Th2-Zellen entdeckt wurden, hat man nicht etwa Th3 getauft, sondern Th17 — weil sie Interleukin 17 herstellen. Wer nun meint, Th1-Zellen würden Interleukin 1 produzieren, hat sich geschnitten: Es ist Interleukin 2. Frag nicht nach Logik … Aber das kann man nicht den Autoren dieses Buches anlasten.   Weiterlesen

NZZ über Ernährung und Immunsystem

Ulrike Gebhardt gibt in der NZZ Online eine gute Übersicht über den aktuellen Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen Nahrung, Darmflora und Immunabwehr: Die Körperabwehr ist, was der Mensch isst. So berichtet sie von einer Studie von Gerhard Rogler am Universitätsspital Zürich, der Patienten mit der chronisch-entzündlichen Darmkrankheit Colitis ulcerosa getrocknete Heidelbeeren zu essen gibt, die sich im Tierversuch als entzündungshemmend erweisen haben.

Für Nichtschweizer: Eine Rande ist eine rote Rübe. Etwas verwirrend finde ich diese Passage:

Das beobachtete der Arzt J. F. Menkel schon vor gut 200 Jahren bei unterernährten Personen in England: Ihr Thymus, ein wichtiges Immunorgan hinter dem Brustbein, in dem «T-Zellen» ausgebildet werden, war deutlich geschrumpft.

Tatsächlich ist der Thymus aller erwachsenen Menschen „deutlich geschrumpft“: Dieses Organ, in dem sich unsere T-Lymphozyten entwickeln, stellt mit dem Eintritt der Geschlechtsreife seine Arbeit ein und bildet sich zurück. Vermutlich hat Menkel Kinder untersucht.

FAZ berichtet vom Rheumatologen-Kongress

Christina Hucklenbroich hat am 12. September bei FAZ.NET vom Rheumatogogen-Kongress in München berichtet. Den Vorträgen zufolge ist mittlerweile bei vielen Patienten eine vollständige Remission erreichbar, vor allem durch Kombinationstherapien — vorausgesetzt, sie erhalten rechtzeitig die richtige Diagnose und finden einen Rheumatologen, der sie richtig behandelt.

Rheumatologen, die neben rheumatoider Arthritis auch weitere Autoimmunerkrankungen wie Morbus Bechterew und Lupus erythematodes behandeln, sind in Deutschland allerdings Mangelware, sodass zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und dem Beginn der Therapie im Durchschnitt 13 Monate vergehen.

miRNA aus pflanzlicher Nahrung reguliert Proteinsynthese in Säugern

In Zusammenhang mit der Hypothese, dass Umweltveränderungen in der industriellen und globalisierten Welt hinter der Zunahme vieler Autoimmunerkrankungen stecken, stellt sich die Frage nach den Mechanismen, über die Substanzen in der Umwelt auf unser Immunsystem einwirken könnten. Epigenetische Effekte wie Histonmodifikationen oder DNA-Methylierung dürften dabei eine große Rolle spielen. Ein weiterer Weg rückt allmählich ins Rampenlicht: miRNA.

Diese aus höchstens 22 Nukleotiden bestehenden Ribonukleinsäuren regulieren die Synthese zahlreicher Proteine in Pflanzen und Tieren, indem sie an deren von der DNA abgelesene „Bauanleitungen“, die Messenger-RNA, binden und sie damit für die proteinherstellenden Ribosomen unlesbar machen.

Wie spektrumdirekt berichtet, haben chinesische Wissenschaftler um Junfeng Zhang von der Nanjing-Universität nun nachgewiesen, dass miRNA aus Reis in Mäusen und vermutlich auch in Menschen den Cholesterinstoffwechsel beeinflusst — nicht nur über eine Artgrenze, sondern sogar über die Grenze zwischen Pflanzen- und Tierreich hinweg.

Bislang reine Spektulation (und zwar meine, nicht die der Forscher oder der spektrumdirekt-Autoren): Könnte miRNA aus unserer Nahrung auch das Immunsystem beeinflussen und dort womöglich — direkt oder indirekt — Kontrollmechanismen schwächen, die Immunreaktionen gegen körpereigene oder fremde, aber harmlose Antigene normalerweise hemmen?

Spektrum-Artikel über Xenohormone

Gut erholt aus dem Toskana-Urlaub zurückgekehrt, versuche ich gerade die Wissenschafts-Newsletter der letzten drei Wochen zu sichten. Dabei stieß ich auf den Hinweis, dass ein interessanter Artikel aus dem September-Heft von Spektrum der Wissenschaft derzeit kostenlos als PDF zur Verfügung steht:

Marie Tohmé, Jean Pierre Cravedi und Vincent Laudet: Störenfriede im Hormonhaushalt

Die Autoren gehen zwar nicht auf das Immunsystem oder gar auf Autoimmunerkrankungen ein, aber da Xenoestrogene usw. in der Fachliteratur gelegentlich als mögliche Ursachen für die Zunahme der Autoimmunerkrankungen in den letzten Jahrzehnten genannt werden, nehme ich den Artikel dennoch in meine Liste mit Hintergrund-Informationen auf.

Ernährung und Autoimmunerkrankungen, Teil 1

Biothymian mit Vorkoster

Achtung: Bitte lesen Sie diesen Text nicht als Empfehlung für oder gegen bestimmte Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel. Ich fasse hier lediglich Literatur zusammen. Was die Autoren schreiben, muss nicht stimmen und kann z. B. durch neuere, gründlichere Studien überholt sein!

Zwar gebe ich in diesem Blog keine Behandlungsempfehlungen ab; das wäre leichtsinnig, da ich keine Medizinerin, sondern Biologin bin. Zudem liegt jeder Fall anders, sodass pauschale Tipps gefährlich sein können. Dennoch möchte ich hier einige Notizen zusammentragen, um Betroffenen Anhaltspunkte für eigene Recherchen oder Beratungsgespräche mit ihren Ärztinnen oder Ärzten zu geben. Den Anfang macht nicht ein Fachartikel, sondern ein Sachbuch, das ich hier bereits besprochen habe.

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Donna Jackson Nakazawa, „The Autoimmune Epidemic“

Im Rahmen meiner Hintergrundlektüre und „Konkurrenzproduktanalyse“ habe ich mir vor einigen Wochen dieses Sachbuch der amerikanischen Journalistin Donna Jackson Nakazawa angeschafft (Touchstone, 2008, 328 Sn., € 18,20). Der etwas reißerische Untertitel „Bodies gone haywire in a world out of balance – and the cutting-edge science that promises hope“ ließ Schlimmes befürchten, aber das Buch hat mich trotz einiger Schwächen positiv überrascht. Ich habe viel daraus gelernt, und etwas widerwillig räume ich ein, dass es sogar zu einer Veränderung meiner Einschätzung der industriellen Entwicklung und meiner politischen Überzeugungen beiträgt. Kurz gesagt: Widerstrebend kehre ich gerade zu einigen „grünen“, zivilisationskritischen Ansichten zurück, von denen ich mich in den letzten 20 Jahren zugunsten einer optimistischeren, fortschrittszugewandteren Einstellung verabschiedet hatte. Das Kranksein bestimmt das Bewusstsein.   Weiterlesen

Frank Ryan: Virolution – Die Macht der Viren in der Evolution, Kap. 8

Fortsetzung meiner Exzerpte der Kapitel 5 und 6 und 7 von Ryans Buch, wiederum noch nicht allgemein verständlich aufbereitet

8. Autoimmunkrankheiten

Etwa 5 % der Menschen in den Industrieländern leiden unter Autoimmunkrankheiten: In unterschiedlichen Organen treten Entzündungen auf, die nicht eindeutig auf Infektionen zurückzuführen sind. Zur Diagnose ist oft der Nachweis bestimmter gegen körpereigenes Gewebe gerichteter Antipkörper nötig.

Zu den häufigsten Autoimmunkrankheiten gehört der Systemische Lupus erythematodes (SLE), bei dem das Immunsystem die eigene Doppelstrang-DNA angreift, sodass man DNA-spezifische Antikörper findet. Bei 85 % der Patienten mit rheumatoider Arthritis ist ein Antikörper nachweisbar, der sich gegen  Immunglobulin G (IgG) richtet, ein Protein, das zur normalen Immunantwort gehört. Im Falle von Typ-1-Diabetes greifen weiße Blutkörperchen und Antikörper die Betazellen in den Langerhans-Inseln an, die in der Bauchspeicheldrüse Insulin herstellen. In Tests werden Antikörper gegen die Glutamat-Decarboxylase 65 (GAD65) nachgewiesen, ein für die Arbeit der Langerhans-Inseln notwendiges Enzym. Bei Multipler Sklerose (MS) führen Angriffe des Immunsystems auf die Myelinscheiden zur Demyelinisierung von Axonen im Zentralnervensystem. Alle Autoimmunerkrankungen lassen sich durch die Gabe von Steroiden beeinflussen, die die Immunantwort unterdrücken. Auch Beta-Interferon und ähnliche Medikamente verbessern den Zustand vieler Patienten.   Weiterlesen