Archiv der Kategorie: Aus der Fachliteratur

Darmflora der Hutterer: keine Enterotypen, sondern jahreszeitliche Unterschiede

Skizze fürs Buch, zu Davenport et al., „Seasonal variation in human microbiome composition“, PLOS ONE, März 2014:

Hutterer_Sommer_Winter_Mikrobiom_650Die Autoren haben die Darmflora von 60 Mitgliedern mehrerer Hutterer-Gemeinschaften in den USA analysiert. Die Hutterer essen überwiegend selbst angebaute bzw. konservierte Lebensmittel, die gemeinschaftlich zubereitet werden. Die nach wie vor umstritteten drei Enterotypen*, in die die Menschheit zerfallen soll, fanden Emily Davenport und ihre Mitarbeiter nicht. Stattdessen variiert die Zusammensetzung des Mikrobioms mit den Jahreszeiten: Im Sommer, wenn die Menschen viel Frisches essen, sind Bacteroidetes signifikant stärker vertreten als im Winter, wenn viel Eingemachtes auf den Tisch kommt. Im Winter nehmen dafür die Firmicutes und die Actinobacteria zu.

Bei allen Darmflora-Vergleichen – zum Beispiel zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien oder (Ess-)Kulturen oder Menschen in verschiedenen Klimazonen, aber auch zwischen Gesunden und Menschen mit Autoimmunerkrankungen bzw. chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – sollte man also darauf achten, dass die Proben zu vergleichbaren Jahreszeiten entnommen wurden.

Interessant auch: Laut Suzuki & Worobey (Geographical variation of human gut microbial composition, 2014) ist der Anteil der Firmicutes im Darm von Menschen in hohen Breiten (also Gegenden mit langen Wintern) deutlich höher als in Äquatornähe, wo wiederum die „sommerlichen“ Bacteroidetes einen größeren Anteil einnehmen.

*  Enterotypen = Darmflora-Grundtypen, die durch hohe Dichten an Bacteroides, Prevotella bzw. Ruminococcus geprägt sein sollen

Fettgewebe-Mikrobiom-Dysbiose als Ursache von Adipositas und kardiovaskulären Ereignissen?

Zusammenfassung nur des Abstracts und des Fazits:

Burcelin R et al. Metagenome and metabolism: the tissue microbiota hypothesis. Diabetes, Obesity and Metabolism 15 (Suppl. 3), 61-70, 2013

Das Mikrobiom des Verdauungstrakts mit seinen über 5 Mio. unterschiedlichen Genen gilt aus Symbiont, der unser Immunsystem, das Gefäßsystem des Verdauungstrakts und wahrscheinlich auch das Nervensystem prägt/mitentwickelt. Versuche an keimfreien und gezielt besiedelten Mäusen haben gezeigt, dass das Mikrobiom an Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit beteiligt ist. Kürzlich entdeckt: Bakterielle DNA im Gewebe (Leber, Fettgewebe, Blut) -> Es gibt wohl auch ein Gewebe-Mikrobiom, das das Immunsystem beeinflusst.

Abb. 4: Pyrosequenzierung von 16S-rDNA aus der stromal vascular fraction von Fettgewebe -> Vergleich der Zusammensetzung des Fettgewebe-Mikrobioms bei BMI < 23 (gesund), 23 < BMI < 30 (übergewichtig) und BMI > 30 (fettleibig): Anteil Proteobacteria steigt, Anteil Firmicutes sinkt mit BMI. Innerhalb der Firmicutes keine systematischen Verschiebungen. Bei den Proteobacteria steigt Anteil der Gattung Ralstonia mit dem BMI deutlich an -> vermutlich kausaler Zusammenhang.

Hypothese: Eine Gewebe-Mikrobiom-Dysbiose, bei der sich bestimmte gramnegative Bakterien stark vermehren, könnte kardiovaskuläre Ereignisse verursachen. Diese Bakterien und ihre Zielstrukturen in unseren Zellen zu identifizieren könnte helfen, ursächliche Therapien anstelle von Symptombekämpfung (Hyperglykämie usw.) zu entwickeln.

Über- und Unterrepräsentation bakterieller Proteine bei Morbus Crohn

Juste C et al. Bacterial protein signals are associated with Crohn’s disease. Gut Online first, doi:10.1136/gutjnl-2012-303786 (2104)

(Zusammenfassung nur bzgl. der Funktionen der bei M. Crohn über-/unterrepräsentierten Bakterienproteine; deren Verwendbarkeit als qualitative oder gar quantitative diagnostische Marker interessiert mich nicht.)

Abstract: Analyse der bakteriellen Proteine aus dem Darm von Morbus-Crohn-Patienten zeigt: Viele Proteine aus Bacteroides überrepräsentiert (auch im Vergleich zur Zahl der Bacteroides, also echte Überexpression); Funktion: ermöglichen opportunistischen Bakterien Besiedlung der Schleimschichten, Überwindung der Barriere und Schleimhaut-Invasion. Mit der Überexpression der z. T. stark immunogenen Proteine geht eine stärkere IgA-Bedeckung der Bakterienzellen bei Morbus Crohn einher. Unterrepräsentiert (schwach exprimiert) sind v. a. Proteine von Firmicutes und einigen Prevotella-Arten sowie aus unserem eigenen Proteom das Pankreas-Zymogen-Granulamembran-Glykoprotein 2 (oder wie auch immer das auf Deutsch heißen mag), kurz GP2, das normalerweise an Bakterien bindet und so wohl deren Adhäsion am Schleim und damit eine Entzündungsreaktion verhindert.*  Weiterlesen

Zu viel Sauerstoff: Mikrobiom-Dysbiose bei Morbus Crohn

Weitere schnelle Notizen, wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet:

Gevers D et al. The treatment-naive microbiome in new-onset Crohn’s disease. Cell Host & Microbe 15, 382-392, March 12, 2014 

Zusammenfassung

Nach bisher widersprüchlichen Angaben über Art der Dysbiose bei Morbus Crohn hier Analyse des Mikrobioms in bislang größter pädiatrischer Morbus-Crohn-Kohorte. Zunahme von Enterobacteriaceae, Pasteurellaceae, Veillonellaceae sowie Fusobacteriaceae und Abnahme von Erysipelotrichales, Bacteroidales sowie
Clostridiales korreliert stark mit Krankheitsstatus. Antibiotika-Gaben verstärken die Abnahme der letztgenannten Bakterienordnungen und damit die Dysbiose – keine gute Idee. Für eine frühe und einfache Diagnose sind Analysen der rektalen schleimhautnahen Darmflora am besten geeignet; Krummdarm- und Fäkal-Mikrobiom sind anders zusammengesetzt und weniger aussagekräftig.

Einleitung + Ergebnisse

Studie an 668 Patienten (447 mit M. Crohn, 221 Kontrollen mit nicht-entzündlichen Darmproblemen) im Alter von 3-17 Jahren; Next-Generation-Sequencing und multivariate Analyse mit Berücksichtigung zahlreicher demografischer und klinischer Kovariaten wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Krankheitsschwere, Verhalten und Ort; Mikrobiom-Proben wurden vor Behandlungsbeginn entnommen.

Entzündungen sind stark mit Rückgang des Artenreichtums und mit veränderter Häufigkeit einiger Taxa assoziiert. Neben den bereits etablierten Taxa-Assoziationen (Enterobacteriaceae, Bacteroidales, Clostridiales) wurden positive Korrelationen zwischen M. Crohn und Häufigkeit von Pasteurellaceae (Haemophilus sp.), Veillonellaceae, Neisseriaceae und Fusobacteriaceae gefunden. Ein paar dieser Taxa (darunter Pasteurellaceae und Neisseriaceae) korrelieren negativ mit dem Alter der Patienten, sind also bei den jüngsten am häufigsten.

Bacteroides und Clostridiales waren in der Kontrollgruppe häufiger. Spezifische negative Assoziationen mit M. Crohn: Gattungen Bacteroides, Faecalibacterium, Roseburia, Blautia, Ruminococcus und Coprococcus sowie eine Reihe von Taxa aus den Familien Ruminococcaceae und Lachnospiraceae. Vor allem der Rückgang des entzündungshemmenden Faecalibacterium prausnitzii im Ileum (Krummdarm) ist ein frühes Warnzeichen für Entzündungen.  Weiterlesen

Gleich und gleich gesellt sich gern: Proteobacteria bei Dickdarm-Entzündungen

Winter SE, Bäumler AJ. Why related bacterial species bloom simultaneously in the gut: principles underlying the ‚Like will to like‘ concept. Cellular Microbiology 2014, 16(2). 179-184

Im gesunden Dickdarm dominieren obligate anaerobe Bakterien aus den Stämmen Bacteroidetes (Klasse Bacteroidia) und Firmicutes (Klasse Clostridia); Arten aus den Stämmen Proteobacteria und Actinobacteria sind meist selten. Homöostase -> idealer Nährstoffaufschluss und Infektionsresistenz. Dysbiose: Clostridien gehen zurück, fakultative anaerobe Proteobacteria breiten sich aus.

Aber wie wird das Gleichgewicht aufrecht erhalten, bzw. wie kommt es zur Dysbiose? Und wieso werden dabei ganze Stämme regelrecht ausgetauscht, statt dass nur einzelne arten häufiger bzw. seltener werden? Lozupone et al. (2012) haben das mit Rasenpflege verglichen: Bei schweren Zwischenfällen wird die nackte Erde freigelegt, und statt Gras können sich Unkräuter ausbreiten. Aber diese Metapher sagt noch nichts über die Mechanismen.

Beobachtung bei Mäusen: Tiere, die viele Kommensalen der Art Escherichia coli beherbergen, sind besonders anfällig für Infektionen mit Salmonella enterica und Campylobacter jejeuni, die zum selben Stamm (Proteobacteria) gehören. -> Similis-simili-gaudet-Hypothese. Vielleicht lokale Umweltbedingung, die alle Arten eines Stammes fördert?

Normale Labormäuse gehören zu einem von zwei Enterotypen: entweder hohe Diversität der Darmflora und Dominanz von Clostridien und Bacteroidia – oder geringere Diversität, weniger Clostridien und (relativ) mehr Proteobacteria, oft verbunden mit schwacher Entzündung. Bei Menschen ist die Existenz bzw. Omnipräsenz und Bedeutung von Enterotypen allerdings noch umstritten.

Mausmodelle für Colitis: Entzündungsreaktion auf chemischen Trigger oder genetische Disposition erhöht Häufigkeit fakultativer Anaerobier, v. a. aus der Familie Enterobaceriaceae (Stamm Proteobacteria). Auch bei Infektion mit dem Einzeller Toxoplasma gondii breiten sich Enterobaceriaceae in der Darmflora unkontrolliert aus. Einige pathogene Enterobacteriae lösen mit Virulenzfaktoren ihrerseits Entzündung aus, um sich gegenüber anderen Bakterien einen Wachstumsvorteil zu verschaffen.

Menschen: Bei Morbus Crohn, Antibiotika-Behandlung, HIV-Enteropathie (chronische Diarrhö) und anderen Erkrankungen des Dickdarms ebenfalls Proteobacteria-Blüte im Verbund mit Clostridien-Rückgang. Aber sind es dieselben Selektionskräfte, die die Proteobacteria fördern und den Clostridien zu schaffen machen? Wahrscheinlich nicht.

Proteobacteria profitieren von einem Mechanismus, bei dem reaktive Sauerstoff- und Stickstoff-Species entstehen. Diese antimikrobiellen Substanzen diffundieren vom Epithel weg ins Lumen und wandeln sich dabei in Elektronenakzeptoren wie Tetrathionat oder Nitrat um. Pathogene S. enterica und kommensale E. coli können diese Elektronenakzeptoren für ihre anaerobe Respiration und damit für ein starkes Wachstum im Dickdarm nutzen.

Fitnessvorteil für Proteobacteria: Die fakulativen Anaerobier können durch die anaerobe Respiration nichtfermentierbare Substrate oder Fermentationsendprodukte als Kohlenstoffquellen nutzen und vermeiden so die Konkurrenz um fermentierbare Nährstoffe, auf die die obligaten Anaeroben (Bacteroidias und Clostridia) angewiesen sind.

Rückgang der Clostridien: wahrscheinlich durch eine andere, noch unbekannte Selektionskraft, denn Clostridien haben keine terminalen Oxidoreduktasen und können daher auf die Elektronenakzeptoren, die bei der Entzündung entstehen, nichts reagieren. Es muss ein Faktor sein, der nicht auf alle Clostridien nachteilig wirkt: Clostridium difficile und einige andere Arten aus der Familie der Lachnospiraceae vermehren sich nämlich bei Darmentzündungen, statt zu verschwinden.

Clostridien produzieren bei der Fermentation kurzkettige Fettsäuren, die entzündungshemmend auf das Immunsystem einwirken, indem sie die Rezeptoren regulatorischer T-Zellen (Tregs) stimulieren. Daher kann es sein, dass ein Rückgang der Clostridien (zum Beispiel durch Antibiotika) der erste Schritt zur Dysbiose ist: Wenn sie fehlen, wird eine einmal gestartete Entzündung nicht rechtzeitig gestoppt, und die Entzündungsprodukte fördern dann die Proteobacteria.

Westliche Kost löst in neuem Tiermodell für Morbus Crohn Dysbiose und E.-coli-Invasion aus

Martinez-Medina M et al. Western diet induces dysbiosis with increased E coli in CEABAC10 mice, alters host barrier function favouring AIEC colonisation. Gut 2014;63:116-124

Hold GL. Western lifestyle: a ‚master‘ manipulator of the intestinal microbiota? Gut 2014;63-1 (Kommentar zu Martinez-Medina M et al. 2014)

Gegenstand der Studie an einem neuen Maus-Modell für Morbus Crohn: Auswirkungen fett- und zuckerreicher „westlicher Kost“ auf die Zusammensetzung der Darmflora, den Zustand der Darmschleimhaut und die Anfälligkeit für AIEC-Infektionen in CEABAC10-Mäusen, die bestimmte humane Zelladhäsionsmoleküle (CEACAMs) exprimieren. AIEC = adhärent-invasive Escherichia coli.

Westliche Kost ist mit reduzierter Darmflora bei gleichzeitiger Zunahme von schleimabbauenden Bakterien aus dem Stamm Bacteroidetes (Gruppe Bacteroides/Prevotella) sowie Ruminococcus torques (Familie Lachnospiraceae, Stamm Firmicutes) assoziiert, wobei die genetischen Anlagen des Wirts sein Mikrobiom ebenfalls beeinflussen.

Zunahme der AIEC in den Mäusen entspricht der Situation in Morbus-Crohn-Patienten, vor allem, wenn deren Ileum (Krummdarm) betroffen ist: AIEC haben Typ-I-Pili und Geißeln, die an CEACAM6 binden – ein typisches Oberflächenprotein, das durch das Bakterium und auch durch proinflammatorische Zytokine des Wirts hochreguliert wird. Hochregulierung -> noch mehr von diesen Bakterien in der Lamina propria (Bindegewebsschicht unter dem Epithel der Schleimhaut) und in Makrophagen; Bakterien überleben in deren Phagolysosomen.

Verschiebung der Mikrobiom-Zusammensetzung -> Darmschleimhaut wird durchlässiger, Barrierefunktion (Zahl der Becherzellen, Mucin-Expression, Dicke der Schleimschicht) beeinträchtigt, Expression von Genen der angeborenen Abwehr verstärkt, Entzündungskaskaden hochgeregelt: mehr Nod2 (intrazellulärer Rezeptor, der Bakterienzellwandbestandteile erkennt) und TLR5 (Rezeptor, der Flagellin erkennt) -> MAP-Kinase-Weg und NF-κB-Signalweg -> Sekretion entzündungsfördernder Zytokine wie TNFα.

AIEC profitiert als opportunistisches Pathogen (Pathobiont) von den lokalen Bedingungen, die bei entsprechender genetischer Disposition durch westliche Kost geschaffen werden.

Zusammenfassung des Morbus-Crohn-Modells in Abb. 6: Westliche Kost (Ursache 1) -> Dysbiose -> leichte Entzündung (TNFα hochreguliert); bei genetischer Disposition des Wirts (CEACAM-Überexpression, Ursache 2) -> stärkere Dysbiose; bei Gegenwart von AIEC-Keimen (Ursache 3) -> Besiedlung des Darms durch den Pathobionten -> Entzündung verstärkt (TNFα noch weiter hochreguliert). Barrierefunktion wird immer schwächer, Immunreaktion immer stärker.

Offene Frage: Übertragbarkeit der Tierversuchsergebnisse auf Menschen; anderes Mikrobiom, andere Immunreaktionen …

Besonderheiten des Mikrobioms von Kindern, Schwangeren und Morbus-Crohn-Patienten

Lozupone CA et al. Meta-analyses of studies of the human microbiota. Genome Res. 2013 23: 1704-1714 (Open Access)

Da viele Mikrobiom-Studien auf Sequenzierungen derselben Targets im Gen für die bakterielle 16S rRNA (ribosomale RNA) beruhen, sind sie im Prinzip für Metaanalysen geeignet, aber unterschiedliche experimentelle Techniken/Protokolle können subtile biologische Unterschiede überdecken. Proben aus nicht-westlichen ländlichen Kulturen sowie von Kindern lassen sich gut von Proben Erwachsener aus westlichen Kulturen unterscheiden. Das Mikrobiom von Morbus-Crohn-Patienten und von Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel ähnelt eher dem typischen Kinder-Mikrobiom als dem erwachsener Kontrollen.

Für Körperteile typische Taxa: Ruminococcaceae, Bacteroidaceae und Lachnospiraceae im adulten Darm, Lactobacillaceae in der Vagina, Propionibacteraceae/Staphylococcaceae auf  der Haut, Streptococcaceae/Prevotellaceae im Mund.

Alter: Bei Kleinkindern viele Enterococcaceae, Enterobacteraceae, Streptococcaceae, Lactobacillaceae, Clostridiaceae und Bifidobacteraceae, dann innerhalb von 1-3 Jahren Übergang zu Dominanz von Lachnospiraceae, Ruminococcaceae, Bacteroidaceae, Prevotellaceae u. a.  Die Darmflora von Kleinstkindern ähnelt noch stärker der typischen Vaginal- und Hautflora als der Erwachsenen-Darmflora.

Lebensweise/Ernährung: viele Prevotellaceae in Erwachsenen aus ländlichen/nichtwestlichen Kulturen (Burkina Faso, Malawi, Venezuela), viele Bacteroidaceae in Erwachsenen aus westlichen Kulturen (USA, Italien).

Anreicherung kindertypischer Bakterien-Taxa bei Morbus Crohn und gegen Ende der Schwangerschaft: Bei Crohn-Patienten mehr Enterobacteraceae und Lactobacillaceae im Darm, dafür deutlich weniger Lachnospiraceae und unklassifizierte Bacteroidales (erwachsenentypisch) als bei gesunden Kontrollpersonen (Willing et al. 2010). Im letzten Schwangerschaftsdrittel mehr Enterobacteraceae, Streptococcaceae und Enterococcaceae, dafür sind einige erwachsenentypische Lachnospiraceae- und Ruminococcaceae-Familien unterrepräsentiert. Morbus Crohn = starke Entzündung im Darm; interessanterweise sind auch in Stuhlproben von Schwangeren im letzten Trimester Entzündungsmarker wie IFNG, IL2, IL6 und TNF signifikant erhöht.

Biologische Eigenschaften der bei Kindern, Schwangeren und Crohn-Patienten angereicherten Bakterien: Lachnospiraceae insgesamt unterrepräsentiert, aber bestimmte Clostridiales wie Clostridium bolteae gegenüber gesunden, nicht schwangeren Erwachsenen angereichert. Diese „infant/disturbance-adapted taxa“ zeichnen sich durch Gene aus, die vermutlich Resistenz gegen osmotischen und oxidativen Stress sowie bestimmte Stoffwechsel-Fähigkeiten vermitteln.

 

Archäogenetik des humanen Mikrobioms

Schnelle Notizen zu vier Artikeln über die DNA-Sequenzierung von altem menschlichem Kot (Koprolithen) und die daraus rekonstruierte Zusammensetzung des Mikrobioms – technisch erst seit zwei, drei Jahren möglich:

Tito R. Y. et al. (2012): Insights from characterizing extinct human gut microbiomes. PLOS ONE (Open Access)

Etwa 8000 Jahre alte Koprolith-Proben aus der Hind Cave („versteinerte“ Kothaufen aus offener Höhle in den südlichen USA): überwiegend unbekannte rDNA-Quellen. Etwa 1600 Jahre alte Proben aus Caserones (Verdauungstrakt natürlicher Mumien, nördliches Chile): ähneln am ehesten Kompost. Etwa 1400 Jahre alte Proben aus Rio Zape (mit Ton bedeckter Abfallhaufen in tiefer, trockener Höhler im nördlichen Mexiko): Großer Anteil ähnelt dem Darm-Mikrobiom aus heutigen bäuerlichen Gemeinschaften; eine der Proben dürfte von einem Kind stammen (kindertypische Darmflora). Außerdem Daten aus den Stuhl-Analysen von Ötzi und einem 1918 verstorbenen und im Gletschereis eingefrorenen österreichischen Soldaten herangezogen. -> Humanmikrobiome aus altem Stuhl – auch vom 1918 verstorbenen Europäer – ähneln viel stärker der Darmflora der Landbevölkerung in Burkina Faso (und zum Teil von nichtmenschlichen Primaten) als jener US-amerikanischer Großstädter -> deutlicher Hinweis, dass der moderne westliche Lebensstil sich in den letzten <100 Jahren stark auf unsere Darmflora ausgewirkt hat.   Weiterlesen

Neandertaler-Erbe in unserem Immunsystem

Sapiens-Neandertaler-Paar_650Schnelle Notizen zu 14 kürzlich gelesenen Artikeln – nicht allgemein verständlich aufbereitet, nicht korrekturgelesen und in dieser Form wahrscheinlich nur für mich selbst nützlich. 🙂 Das Ganze wird im letzten Teil des Buches verwurstet, in dem ich die Evolution unseres Immunsytems chronologisch abhandle.

Gibbons A. (2014): Neandertals and moderns made imperfect mates. Science 343, 31.01.2014 (News zu den Arbeiten von Sankararaman et al. 2014, s. u., sowie Vernot & Akey 2014)

Vernot & Akey haben nur moderne Humangenome aus dem 1000 Genomes Project verglichen und daraus Rückschlüsse auf Neandertaler-Einkreuzungen gezogen; Sankararaman et al. haben auch Neandertaler-Genomsequenz einbezogen. Neandertaler haben Spuren in Haut, Nägeln und Haaren (Keratin) hinterlassen; Nachfahren der Hybriden waren weniger fruchtbar als „reine“ moderne Menschen.

In über 60% von 1004 ostasiatischen und europäischen Genomen Neandertaler-Version des Keratinfunktion-Gens. Keratin macht Haut wasserdicht, blockiert Pathogene, macht Haut wärme- und kälteempfindlich -> Anpassung an kältere Habitate?

Neandertaler-Allele, die Risiko für Krankheiten wie Lupus, Morbus Crohn usw. erhöhen, haben Neandertalern vermutlich nicht geschadet, passten aber schlecht zum neuen Kontext im modernen Menschen.

Weitere Neandertaler-Allele -> Hautfarbe.

In allen untersuchten modernen Humangenomen zusammen 20 bzw. 30% des Neandertaler-Genoms wiedergefunden; in einem Individuum stammen 1-3% des Genoms vom Neandertaler. Einkreuzung vor etwa 60.000 Jahren.

Etwa 20 Regionen des Humangenoms enthalten keine Neandertaler-DNA -> negative Selektion wegen Fortpflanzungsnachteilen der Hybriden. Frauen bleiben wegen doppeltem X-Chromosom eher fruchtbar -> Jetzt wird untersucht, ob wir mehr DNA von weiblichen als von männlichen Neandertalern übernommen haben. (Gemeint ist wahrscheinlich das Geschlecht der gemischten Kinder, nicht des reinen Neandertaler-Elternteils – da macht es keinen Unterschied, solange männliche Hybriden mit Neandertaler-X und modernem Y ebenso (un)fruchtbar sind wie männliche Hybriden mit modernem X und Neandertaler-Y.)

Sankararaman S. et al. (2014): The genomic landscape of Neanderthal ancestry in present-day humans. nature, doi:10.1038/nature12961

Vergleich zwischen Neandertaler-Genomen und 1004 modernen Genomen (darunter 176 Yoruba, mutmaßlich Neandertaler-frei) -> Neandertaler-Haplotypen abgeleitet. Regionen mit vielen Neandertaler-Allelen enthalten viele Gene, die Keratinfilamente beeinflussen -> Haut und Haar -> Anpassung moderner Menschen an außerafrikanische Umwelt erleichtert? Große Neandertaler-Allel-freie „Wüsten“ im Humangenom, z. B. auf X-Chromosom, das viele Gene für männliche Fruchtbarkeit enthält; nur teilweise durch geringe Populationsgröße kurz nach Einkreuzung zu erklären  -> negative Selektion, evlt. weil Neandertaler-Allele im Genom-Kontext des modernen Menschen Fruchtbarkeit minderten.

Haplotyp-Längen -> Kreuzung vor etwa 2000 Generationen, also 37.000-86.000 Jahren. Neandertaler-Anteil in individuellen Genomen: heute durchschnittlich 1,15% in Europa, 1,38% in Ostasien; kurz nach Einkreuzung über 3% (abgeleitet aus Anteil in „Nicht-Wüsten-Regionen“). Größerer Anteil in Ostasiaten evtl. wegen über lange Zeit kleinerer Populationen als in Europa -> negative Selektion weniger effektiv. Mutmaßlichem Neandertaler-Anteil an einzelnen Genorten: bis zu 62% in ostasiatischen, bis zu 64% in europäischen Populationen. In einigen dieser Regionen Anzeichen für positive Selektion, an an deren negative Selektion.

Aus Neandertalern stammende Allele beeinflussen Risiko für SLE/Lupus, primär biliäre Zirrhose (beides: Transportin-3), Morbus Crohn (Chromosom 10: Zinkfinger-Protein 365, Chromosom 12: Gen unbekannt?), IL-18-Level (Regulator der angeborenen und erworbenen Immunität) , Typ-2-Diabetes, Rauchen und Größe des Blinden Flecks.

Obwohl bei der Einkreuzung nur etwa fünfmal mehr Zeit seit der Aufspaltung zwischen Neandertalern und Vorfahren der modernen Menschen vergangen war als heute seit der Aufspaltung zwischen Europäern und Westafrikanern, war die Fruchtbarkeit der Hybriden wohl wegen Schneeball-Effekten (Dobzhansky-Müller-Inkompatibilitäten) stark reduziert.

Prüfer K. et al. (2014): The complete genome sequence of a Neanderthal from the Altai Mountains. Nature 505, doi:10.1038/nature12886

Hochwertige Genomsequenz einer Neandertaler-Frau aus der Denisova-Höhle in Altai-Gebirge, Sibirien – gewonnen aus einem Zehenknochen aus einer etwa 50.000 Jahre alten Schicht. In derselben Höhle, aber in einer etwas jüngeren Schicht wurde auch der Fingerknochen gefunden, aus dem die vorläufige Genomsequenz des Denisova-Menschen ermittelt wurde. Vergleich mehrerer Neandertaler-Genome (auch aus dem Kaukasus und Kroatien, s. Karte Abb. 1), des Denisova-Menschen-Genoms und 25 moderner Humangenome -> Modell der Einkreuzungsereignisse zwischen modernem Menschen, Denisova, Neandertaler und einem unbekannten Hominiden (Abb. 8).  Weiterlesen

Zwei neue Arbeiten zur Hashimoto-Thyreoiditis

Noura Bougacha-Elleuch et al., A 20 year history of clinical and genetic study of thyroid autoimmunity in a Tunisian multigenerational family: Evidence for gene interaction. Meta Gene 2014 (Open Access): interessante Langzeitstudie an einer tunesischen Großfamilie, in der Morbus Basedow, Hashimoto-Thyreoiditis und primär idiopathisches Myxödem (das oft mit Hypothyreose bzw. Hashimoto-Thyreoiditis einhergeht) gehäuft auftreten. Die bekannten Risikogenorte vermögen jeder für sich nur einen kleinen Teil dieser Häufung zu erklären. Offenbar spielen mehrere, zum Teil noch unbekannte genetische Risikofaktoren zusammen. Abb. 2: Stammbaum der Familie über acht Generationen – Wahnsinn!

Halil Hüseyin Biyikli et al., Assessing the Relationship between Serum Ghrelin Levels and Metabolic Parameters and Autoimmunity in Patients with Euthyroid Hashimoto’s Thyroiditis. Endocrine Practice 2013 (PDF): Hypothyreose geht bekanntlich oft mit starker Gewichtszunahme einher. Für euthyreote (d. h. hormonell gut eingestellte) HT-PatientInnen lagen bisher widersprüchliche Ergebnisse vor. – 48 euthyreote Hashimoto-PatientInnen wurden mit 41 Kontrollpersonen verglichen; Alter, Geschlecht und BMI gematcht. Insulin und HOMA-IR (Insulinresistenz) in beiden Gruppen gleich; mittlerer Taillenumfang, Nüchternglukose-, LDL-Cholesterin- und Triglycerid-Werte bei HT signifikant höher; Ghrelin bei HT signifikant niedriger als in Kontrollgruppe (416,9±224,4 ggü. 689,9±191,6 pg/ml; p<0.001).  Weiterlesen