Die Lebensräume der „bad guys“

Welche Maßnahmen das Immunsystem gegen einen Krankheitserreger ergreift, hängt auch von seinem Aufenthaltsort ab: Antikörper können Antigene zum Beispiel nur außerhalb von Zellen erkennen, zur Vernichtung markieren oder außer Gefecht setzen. Auch die Zellen der Immunabwehr können nur in den Zellzwischenräumen und in der Blutbahn patrouillieren und weder auf unsere Oberhaut noch in andere Zellen wandern. Befallene Körperzellen machen sich aber durch Oberflächenmarker bemerkbar und werden dann z. B. von Phagozyten vertilgt.

Oben links: Viele Bakterien leben auf unserer Haut. Die meisten sind gutartig, ja, sie verteidigen uns sogar gegen Krankheitserreger, indem sie ihnen den Platz wegnehmen oder chemische Substanzen ausscheiden, die den Erregern schaden oder unseren Körper frühzeitig vor einem Angriff warnen. Gelegentlich mischen sich jedoch Schurken unter unsere Hautflora.

Oben rechts: Im Darmlumen tummeln sich ebenfalls zahlreiche Bakterien. Solange sie dem Darmepithel und dem von den Epithelzellen ausgeschiedenen schützenden Schleim nicht zu nahe kommen, bleiben sie unbehelligt.

Mitte links: Auch in den Zellzwischenräumen können sich Erreger ansiedeln. Hier müssen sie allerdings vor patrouillierenden Immunzellen und vor Antikörpern auf der Hut sein.

Mitte rechts: Etliche Bakterien und Viren dringen in unsere Zellen ein. Die Bakterien leben dort im Zytoplasma, während …

Unten rechts: … das Erbgut der Viren in den Zellkern gelangt und sich dort unter unser eigenes Erbgut mischt, um die Vermehrungsmaschinerie unserer Zellen zu nutzen. (Die Virenhüllen bleiben draußen, anders als es diese Skizze suggeriert – aber nacktes Viren-Erbgut ist schwer zu visualisieren.)

Unten links: Die Phagozyten unseres Immunsystems verschlingen Erreger und sollen sie eigentlich in ihren Vesikeln mit Hilfe von Enzymen und aggressiven Sauerstoffverbindungen abtöten und verdauen. Etliche Erreger haben aber Abwehrmechanismen entwickelt, sodass sie in den Verdauungsvesikeln überleben können.

Besetzungsliste: die „bad guys“

Das Immunsystem und seine Störungen kann man meines Erachtens nur aus einer ökologischen und evolutionsbiologischen Perspektive verstehen. Die Immunantwort hängt unter anderem davon ab, wer sich da in unserem Körper einzunisten versucht:

Oben links: verschiedene Bakterien; oben rechts: die im Buch immer wieder auftauchenden Bakterien-Karikaturen.

Zweite Reihe, links: verschiedene Viren, deren Hüllen oft geometrische Formen haben. Rechts daneben: meine Viren-Symbolbildchen – ganz rechts (Konservendose) eine geöffnete Hülle.

Dritte Reihe: Pilze und einzellige Parasiten (Entamoeba histolytica, der Erreger der Amöbenruhr, und der Malaria-Erreger Plasmodium). In all meinen Zeichnungen deutet ein Kreis oder Oval in der Mitte einer Zelle (Zellkern) auf einen Eukaryoten hin. Das gilt nicht nur für zellulären Erreger, sondern auch für unsere Immun- und sonstigen Körperzellen.

Unten ein Wurm, genauer: ein Hakenwurm. Die „Mikroskopaufnahme“ im Kreis zeigt, dass auch dies ein Eukaryot ist.

Angeborene und erworbene Immunantwort

Eine weitere Skizze fürs Autoimmunbuch:

Die angeborene Immunantwort (oben) reagiert schnell, aber unspezifisch auf Bakterien und andere Eindringlinge. Aufgrund allgemeiner Erkennungsmerkmale werden Erreger von Phagozyten gefressen, von den Proteinen des Komplementsystems angebohrt, sodass die auslaufen, oder mit chemischen Substanzen abgetötet. Sind sie bereits in Körperzellen eingedrungen, werden diese mitsamt ihrer gefährlichen Fracht abgetötet und sicher entsorgt.

Oft reicht das nicht aus, weil viele Erreger die angeborene Immunabwehr austricksen können. Die erworbene Immunantwort (unten) ist spezifischer: Antigenpräsentierende Zellen (APCs) führen den Lymphozyten charakteristische Erreger-Bestandteile vor. Nur Lymphozyten, deren Rezeptoren genau zu diesen Antigenen passen, vermehren sich stark und gehen durch Antikörperproduktion (B-Zellen) oder durch deren Unterstützung und andere Aktivitäten  (T-Zellen) gegen genau diese Erreger vor.  Gedächtniszellen sorgen dafür, dass eine erneute Infektion zu einem späteren Zeitpunkt rascher bekämpft werden kann.

Immunologisches im neuen „Spektrum der Wissenschaft“

Auf S. 9 des Juni-Heftes von Spektrum der Wissenschaft werden die Ergebnisse zweier Fachartikel zum Thema Darmflora und Immunabwehr zusammengefasst. Beide unterstützen die sogenannte Hygiene-Hypothese, der zufolge die Zunahme von Allergien und Autoimmunerkrankungen in den Industriestaaten mit einem übermäßigen Schutz des frühkindlichen Darmtrakts vor Mikroben oder mit einem verfrühten Verschluss des anfangs durchlässigen Darmepithels zusammenhängt:

Torsten Olszak und sein Team haben in Tierversuchen nachgewiesen, dass es in der Kindheit (jedenfalls von Mäusen) ein Zeitfenster gibt, in dem eine natürliche Darmflora nötig ist, um die sogenannten natürlichen Killerzellen in Schach zu halten und überschießenden Immunreaktionen wie Asthma und Allergien (und vermutlich auch Autoimmunerkrankungen) vorzubeugen. Der im März 2012 in Science erschienene Fachartikel ist im Netz als PDF frei zugänglich.

Auch David Hill und seine Mitarbeiter haben junge Mäuse ihrer natürlichen Darmflora beraubt und festgestellt, dass die Tiere später zu viele der für Allergien typischen IgE-Antikörper im Blut hatten und ihr Immunsystem überempfindlich reagierte. Das PDF dieses Artikels aus Nature Medicine findet sich ebenfalls im Netz. Beide Forschergruppen vermuten, dass die Verhältnisse beim Menschen ähnlich sind.

Auf den Seiten 22 bis 29 berichten Edgardo D. Carosella und Nathalie Rouas-Freiss von den Ergebnissen ihrer langjährigen Erforschung der Immuntoleranz im Mutterleib, die dafür sorgt, dass das mütterliche Immunsystem das Gewebe des heranwachsenden Embryos (der ja zur Hälfte väterliche, also fremde Proteine exprimiert) im Normalfall nicht attackiert. Die embryonalen Zellen exprimieren ungewöhnliche Oberflächenmarker, die in den HLA-G-Genen codiert sind und die natürlichen Killerzellen an Angriffen hindern. Das Intro des Artikels findet sich auf den Seiten von Spektrum der Wissenschaft; Abonnenten können dort auch das PDF abrufen.

Gäste mit unterschiedlichen Tischsitten

Weitere Skizzen fürs Autoimmunbuch. Die Mikroorganismen, die auf und in uns leben, spielen ganz unterschiedliche Rollen:

Kommensalen sitzen im übertragenen Sinne mit am Tisch und bedienen sich bescheiden an der Nahrung ihrer Wirte, ohne ihnen zu schaden.

Parasiten schaden ihren Wirten, indem sie zum Beispiel einen Großteil der Ressourcen an sich reißen, sodass die Wirte verhungern.

Symbionten bieten zum Tausch für eine Ressource, die sie erhalten, eine Gegengabe an (zum Beispiel einen Nährstoff, den die Wirte selbst nicht erzeugen können).

Umwelt oder Gene: eine falsche Alternative

Skizzen zum Einfluss von Umweltbedingungen und genetischer Ausstattung auf das Risiko von Autoimmunerkrankungen. Die Visualisierungsidee mit dem Rechteck, dessen Fläche durch beide Seiten gleichermaßen bestimmt ist, stammt von dem kanadischen Psychologen Donald Hebb.

Statistik-Skizzen

Etwa 78% aller Patienten mit Autoimmunerkrankungen sind Frauen. Es gibt aber auch Autoimmunerkrankungen, die bei Männern häufiger auftreten. Eine simple „logische Erklärung“ gibt es für diese Unterschiede nicht. So gibt es gleich zwei Autoimmunerkrankungen, die die Gallengänge in der Leber betreffen. Die primär biliäre Zirrhose (PBC), bei der zuerst die kleinen Gallengänge angegriffen werden, tritt zu 90% bei Frauen auf. Die primär sklerosierende Cholangitis (PSC), bei der die dickeren Gallengänge angegriffen werden, trifft dagegen in zwei Dritteln aller Fälle Männer:

Viele Autoimmunerkrankungen nehmen seit einigen Jahrzehnten zu, zum Teil dramatisch.  Weiterlesen

Ungefähr so logisch wie die Terminologie der Immunologen

Tiere gruppieren sich wie folgt:

a) Tiere, die dem Kaiser gehören,
b) einbalsamierte Tiere,
c) gezähmte,
d) Milchschweine,
e) Sirenen,
f) Fabeltiere,
g) herrenlose Hunde,
h) in diese Gruppierung gehörige,
i) die sich wie Tolle gebärden,
k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind,
l) und so weiter,
m) die den Wasserkrug zerbrochen haben,
n) die von weitem wie Fliegen aussehen.

 

Jorge Luis Borges, Die analytische Sprache von John Wilkins,
in: Das Eine und die Vielen. Essays zur Literatur, München 1966, S. 212,
Übersetzung: Karl August Horst