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Die Milch macht’s – zumindest bei Mäusen

Dass Muttermilch Antikörper enthält, die das Neugeborene in den ersten Monaten vor Infektionen schützen, ist schon länger bekannt. Aber Milch leistet noch mehr für das Immunsystem des Nachwuchses, wie zwei neuere Arbeiten zeigen:

M. K. Ghosh et al. (2016): Maternal Milk T Cells Drive Development of Transgenerational Th1 Immunity in Offspring Thymus (Open Access); dazu auch die Pressemitteilung der Universität: Vaccinating Babies Without Vaccinating Babies

In der Vorläuferstudie hatten die Forscher herausgefunden, dass Mäuse ihrem Nachwuchs beim Säugen nicht nur durch Antikörper, sondern auch durch Immunzellen eine Immunität gegen Pathogene vermitteln, mit denen ihr eigenes Immunsystem kürzlich konfrontiert wurde. Seltsamerweise ist diese Immunität noch beim erwachsenen Nachwuchs nachzuweisen, obwohl dieser keinerlei mütterliche Immunzellen mehr enthält. Die Natur und die Entstehung der Zellen, die diese Immunität vermitteln, sollte hier untersucht werden. Um eine Übertragung im Mutterleib auszuschließen, ließ man die gegen das Bakterium Mycobacterium tuberculosis oder gegen den Pilz Candida albicans immunisierten Mäuseweibchen fremden Nachwuchs aufziehen.

Die Immunität wird offenbar von Gedächtnis-T-Zellen übertragen, die über CD4+-Marker und MHC-Klasse-II-Komplexe verfügen – eine kuriose Kombination, denn normalerweise empfangen CD4+-T-Zellen Signale von antigenpräsentierenden Zellen wie etwa dendritischen Zellen, die Antigene auf MHC-Klasse-II-Komplexen präsentieren. Dendritische Zellen sind aber viel zu kurzlebig, um die hier beobachteten Effekte zu erklären; es waren eindeutig antigenpräsentierende CD4+-T-Zellen, die die Immunität übertrugen – vielleicht, weil nur T-Zellen gezielt in den Thymus wandern können. Wie diese Zellen an die MHC-Klasse-II-Komplexe gelangt sind, ist unklar. Die Autoren vermuten Trogozytose: die Übergabe von Membranflößen einschließlich MHC-Komplex und Kostimulatoren an einer immunologischen Synapse, also einer Bindungsstelle zwischen der (primären) antigenpräsentierenden Zelle und einer T-Zelle, deren T-Zell-Rezeptor spezifisch an den Komplex bindet. Diesen Mechanismus habe ich hier bereits vorgestellt.

Nach der Aufnahme über die Muttermilch wandern diese ungewöhnlichen mütterlichen Gedächtnis-T-Zellen gezielt in den Thymus und die Milz der Mäusebabies. Um an den Grenzen – also am Brustdrüsen-, Darm- und Thymusepithel – nicht von anderen Immunzellen aufgehalten zu werden, „verschlucken“ sie vermutlich ihre MHC-Klasse-II-Komplexe samt Antigenen in Vesikeln und befördern sie erst am Ziel wieder an die Zelloberfläche. Im Thymus werden die MHC-Klasse-II-Komplexe einschließlich der Antigene womöglich durch eine weitere Trogozytose an „ordentliche“ antigenpräsentierende Zellen übergeben, oder die CD4+-T-Zellen werfen die Antigene ab, und antigenpräsentierende Zellen nehmen sie auf.

Jedenfalls werden die Antigene aus den Pathogenen, mit denen die Mütter infiziert waren, nun den unreifen Mäusebaby-Thymozyten präsentiert, die daraufhin zu CD8+-T-Zellen mit einer Spezifität für diese Antigene heranreifen. Diese Immunitätsübertragung nennen die Autoren „maternal educational immunity“, um sie von der passiven Immunität zu unterscheiden, die vor allem durch mütterliche Antikörper in der Milch übertragen wird und sich rasch verliert, da diese Antikörper im Jungtier nicht nachproduziert werden können.

In der Pressemitteilung der Universität finden sich interessante Spekulationen über eine mögliche Nutzung dieses Mechanismus zur „indirekten Impfung“ von Säuglingen (nämlich durch Impfung der Mütter während der Schwangerschaft) und über die hohe historische Überlebensrate von Kleinkindern aus Adelsfamilien, die häufig von Ammen aus der Unterschicht gestillt wurden und so vielleicht eine besonders gute „Immunsystem-Erziehung“ genossen. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Reifung des Immunsystems bei jungen Mäusen anders verläuft als bei Menschenkindern.

M. A. Koch et al. (2016): Maternal IgG and IgA Antibodies Dampen Mucosal T Helper Cell Responses in Early Life (Bezahlschranke, nur Abstract und eine Abbildung); dazu auch Meldung „Breast Milk Primes Gut for Microbes“ in The Scientist

Mütterliche, über die Milch übertragene Antikörper der Typen IgG und IgA dienen vor allem dazu, Pathogene im Darm junger Mäuse zu bekämpfen, solange deren Immunsystem dazu noch nicht imstande ist – so glaubte man bisher. Jetzt zeigt sich, dass insbesondere IgG auch Immunreaktionen hemmt, und zwar solche gegen nützliche Bakterien, die nach der Geburt den Darm von Mäusebabies besiedeln. Fehlen die mütterlichen Antikörper, reagiert das Lymphgewebe am Darm heftig auf die neue Darmflora: Es entstehen viel mehr T-Helferzellen, die wiederum B-Zellen zur Produktion von Antikörpern gegen die gutartigen Darmbakterien anregen.

Allerdings scheinen die Mäuse, denen das mütterliche IgG vorenthalten wurde, keine langfristigen Gesundheitsschäden davonzutragen. Der Begleitartikel in The Scientist stellt dennoch Spekulationen über langfristige Folgen einer gestörten Mikrobiom-Entwicklung an, etwa Morbus Crohn und Colitis ulcerosa – nur um dann abzuwiegeln und auf die Unterschiede zwischen Mensch und Maus hinzuweisen. Zum Beispiel darauf, dass menschliche Muttermilch viel weniger IgG enthält als die von Mäusen. Es ist zum Mäusemelken.

Frühe Antibiotika-Gaben verändern Mikrobiom, Gen-Expression im Darm, Immunsystem und Diabetes-Risiko

Bevor ich die vor dem Urlaub begonnene Artikelserie zum Immunsystem, Krebs und Autoimmunerkrankungen zu Ende bringe, möchte ich auf einige neuere Arbeiten über das Immunsystem und das Mikrobiom von Menschen- und Mäusekindern hinweisen. Den Anfang macht eine Studie an jungen NOD-Mäusen:

Antibiotic Therapy During Infancy Increases Type 1 Diabetes Risk in Mice: eine Meldung zu A. E. Livanos et al., „Antibiotic mediated gut microbiome perturbation accelerates development of type 1 diabetes in mice“ (Bezahlschranke, daher nur Abstract gelesen)

Für Typ-1-Diabetes gibt es genetische Risikofaktoren, aber auch Trigger in unserer Lebenweise – anders lässt sich der rasante Anstieg der Prävalenz in den westlichen Ländern im letzten halben Jahrhundert nicht erklären. Schon länger hat man die Veränderung der frühkindlichen Darmflora durch Antibiotika im Verdacht, den Ausbruch der Erkrankung in späteren Jahren zu fördern.

In dieser Studie erkrankten Mäuse des für Typ-1-Diabetes anfälligen NOD-Stamms mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn sie in der ersten Lebensphase mit Antibiotika behandelt wurden. Die Jungmäuse erhielten die erste Tylosin-Gabe, während sie noch gesäugt wurden, und zwei kurz danach. Diese Pulse sollten dem Timing vieler Antibiotika-Behandlungen von Kleinkindern entsprechen.

Mit 32 Wochen war der Anteil der an Diabetes erkrankten männlichen Mäuse im Tylosin-Arm doppelt so hoch wie im Vergleichsarm. Kurz nach den Antibiotika-Gaben veränderte sich zudem die Darmflora der männlichen Tiere; vor allem Bifidobacteria und die Bacteroidales der S247-Familie gingen zurück. Diese Bakterien-Taxa werden beim Menschen mit einer gesunden, ungestörten Darmflora assoziiert: Bifidobacteria helfen Säuglingen, den Zucker aus der Muttermilch abzubauen, und S247-Bacteroidales sind bei isoliert lebenden indigenen Gruppen viel stärker vertreten als bei US-Amerikanern.

Auch das Immunsystem der Mäuse veränderte sich infolge der Antibiotika-Gaben: In der Darmschleimhaut fanden sich weniger Th17-Helferzellen und weniger regulatorische T-Zellen (Tregs), zu deren Aufgaben die Abwehr von Pathogenen gehört. Im Darm der behandelten Mäuse wurde unter anderem das Gen für das Protein Serum-Amyloid A (SAA) schwächer exprimiert. Normalerweise regen Darmbakterien die Darmschleimhautzellen zur Produktion von SAA an, das wiederum Th17-Helferzellen anlockt. Auch der Lipidstoffwechsel der Bakterien und die Expression von Mäusegenen, die an der Cholesterinsynthese beteiligt sind, waren gestört. – Zu prüfen wäre nun, ob Antibiotika bei Menschenkindern ähnlich wirken.

Etablierung der Hautflora nach der Geburt: Ohne Tregs keine Toleranz

Eine aktuelle Arbeit, die genau zu dem Teil des Buches passt, den ich gerade schreibe, nämlich zur Entwicklung des Immunsystems rund um die Geburt:

T. C. Scharschmidt et al.: A Wave of Regulatory T Cells into Neonatal Skin
Mediates Tolerance to Commensal Microbes. Immunity 43, 1011–1021, November 17, 2015, doi: 10.1016/j.immuni.2015.10.016

Dazu auch Anna Azvolinsky: Birth of the Skin Microbiome

Unsere Haut ist eine der wichtigsten Barrieren zwischen der Außenwelt und unserem Körper und zugleich ein wichtiges Immunorgan. Ein Quadratzentimeter enthält über eine Million Lymphozyten und ist mit etwa einer Million Bakterien besiedelt. Das Mikrobiom der Haut unterscheidet sich grundlegend von der Flora etwa in unserem Darm oder in den Atemwegen, und die Ausbildung der Hautflora ist viel schlechter untersucht als die Etablierung der Darmflora. Unsere Haut ist vielschichtig und enthält zahlreiche Strukturen wie Haarfollikel oder schweiß- und Talgdrüsen, und sie wird im täglichen Leben häufig verletzt, wobei auch Bakterien in die tieferen Schichten eindringen – ohne dort normalerweise Entzündungen auszulösen.

Das kalifornische Forscherteam hat nun an Mäusen untersucht, wann und wie sich die Toleranz des Immunsystems gegenüber dem Bakterium Staphylococcus epidermis ausbildet, einem Kommensalen, der bei Mensch und Maus vorkommt. Bringt man die Bakterien auf die intakte Haut junger, aber ausgewachsener Mäuse auf, so kommt es zu einer gewissen T-Zell-Reaktion, aber nicht zu einer merklichen Entzündung. Kratzt man die Mäuse einige Wochen später und trägt erneut Bakterien auf die nunmehr verletzte Haut auf, so entzündet sie sich, es wandern viele Neutrophile (Zellen der angeborenen Abwehr) in die Haut ein, und die T-Zellen (Zellen der erworbenen Abwehr) reagieren stark auf die Eindringlinge. Das Immunsystem hat also durch den Erstkontakt keine Toleranz ausgebildet.

Anders, wenn man das Experiment mit eine Woche alten Mäusen beginnt, die vier Wochen später gekratzt und erneut mit den Bakterien konfrontiert werden: Bei ihnen werden dann nur wenige T-Zellen aktiv, und die Entzündung fällt sehr schwach aus. Der Organismus ist offenbar gegen Staphylococcus epidermis tolerant geworden. Dafür sind offenbar spezifische regulatorische T-Zellen oder Tregs vonnöten, die vor allem während der zweiten Lebenswoche der Mäuse recht abrupt in die Haut einwandern. Tregs aus dem Thymus sind auch in der Darmschleimhaut notwendig, um das Immunsystem gegen die Darmflora milde zu stimmen. Anders als im Darm beeinflusst die Zahl der Keime auf der Haut aber nicht die Zahl der Tregs.

Über 80 Prozent der CD4+-T-Zellen in der Haut von 1-2 Wochen alten Mäusen sind Tregs, während es bei erwachsenen Mäusen etwa 50 Prozent sind. Ihre Dichte in der Haut ist bei den Baby-Mäusen doppelt so hoch wie bei den ausgewachsenen Tieren, und sie sind hochgradig aktiviert – wiederum im Unterschied zu den Haut-Tregs erwachsener Mäuse. In tiefer liegenden Gewebeschichten kommt es nach der Geburt nicht zu einer Treg-Akkumulation; diese ist also hautspezifisch.

Behandelt man die neugeborenen Mäuse kurz vor dem ersten Auftragen von Staphylococcus epidermis mit einem Rezeptorantagonisten, der spezifisch die Auswanderung von Tregs aus dem Thymus unterbindet, so werden die Mäuse nicht tolerant gegen den Keim: nach dem Aufkratzen der Haut und dem zweiten Kontakt mit den Bakterien reagieren sie mit einer starken Entzündungsreaktion – anders als die Kontrollgruppe, in der die Wanderung der Tregs aus dem Thymus in die Haut nicht unterbunden wurde.

Außerdem enthält die Haut der Tiere mehr für Staphylococcus-Antigene spezifische Effektor-T-Zellen und weiterhin nur wenige für Staphylococcus-Antigene spezifische Tregs, obwohl die migrationshemmende Wirkung des vier Wochen zuvor verabreichten Rezeptorantagoisten längst abgeklungen ist und andere Tregs durchaus in der Haut vorkommen. Die Antigen-spezifischen Tregs müssen also im richtigen Zeitfenster – ein bis zwei Wochen nach der Geburt der Mäuse – aus dem Thymus in die Haut gelangen, um eine Toleranz gegen Kommensalen aus der Hautflora aufzubauen.

Anders als im Darm, in dem sowohl angeborene, direkt aus dem Thymus stammende Tregs (nTregs oder tTregs) als auch in der Peripherie durch Antigen-Präsentation induzierte Tregs (iTregs) an der peripheren Toleranz beteiligt sind, scheinen iTregs in der Haut nicht an der Etablierung der Toleranz gegen Kommensalen beteiligt zu sein – zumindest nicht in diesem frühen Zeitfenster. Auch die Mechanismen, über die Tregs andere Immunzellen tolerant stimmen, unterscheiden sich offenbar: Im Darm spielt das von den Tregs ausgeschüttete, entzündungshemmende Zytokin IL-10 eine große Rolle, während ein IL-10-Mangel das Gleichgewicht in der Haut nicht weiter zu stören scheint.

Auch die abrupte, massive Einwanderung hoch aktiver Tregs und während der zweiten Lebenswoche der Mäuse scheint hautspezifisch zu sein: Im Darm kommt es gar nicht zu einer solchen Welle, und in der Lunge ist sie erstens viel schwächer (Tregs stellen dort höchstens 15 Prozent der CD4+-T-Zellen statt über 80 Prozent) und zweitens offenbar nicht für die Ausbildung der Toleranz gegen Atemwegs-Kommensalen zuständig.

Auffällig ist, dass die Haarfollikel in der Haut der jungen Mäuse genau zur Zeit der Treg-Einwanderung entstehen. Tregs halten sich in der Haut von Mäusen wie Menschen bevorzugt an den Haarfollikeln auf. Vielleicht sondern die entstehenden Follikel ein Chemokin ab, das die Tregs anzieht. Da sich an den Haarwurzeln besonders viele Kommensalen ansiedeln, wäre es evolutionär von Vorteil, wenn auch die periphere Toleranzausbildung vor allem dort stattfände.

Da die Barrierefunktion der Haut nicht nur lokale, sondern (etwa bei der Entstehung von Asthma) auch systemische Auswirkungen hat, sollte man mit allem, was die Ausbildung einer normalen Hautflora und einer Toleranz des Immunsystems gegen diese Kommensalen beeinträchtigen könnte, sehr aufpassen – etwa mit Antibiotika-Behandlungen bei Neugeborenen.

Das Immunsystem in der Embryonalentwicklung: zwei Überraschungen

Nach langer Pause zwei schnörkel- und skizzenlose Anmerkungen zur Entwicklung des Immunsystems während der Embryogenese, die ich in Teil 4 des Buches behandle:

1. Aliens aus dem Dottersack

Bis vor wenigen Jahren dachte man, all unsere Immunzellen seien Nachfahren der Stammzellen im Knochenmark – und somit „Blätter“ am hämatopoetischen Stammbaum, den ich hier vor einer Weile in zwei Artikeln vorgestellt habe. Dann entdeckte man, dass das auf die Mikrogliazellen (makrophagenähnliche Zellen in unserem Gehirn) nicht zutrifft: Diese gehen vielmehr auf Vorläuferzellen zurück, die während der frühen Embryonalentwicklung noch vor der Schließung der Blut-Hirn-Schranke aus dem Dottersack (!) ins spätere Gehirn einwandern. Diese Ur-Mikrogliazellen sind also extraembryonale Aliens; sie gehören zu keinem der drei Keimblätter, aus denen ansonsten all unsere Gewebe und Organe entstehen: Endoderm, Mesoderm und Exoderm. Dass wir bis an unser Lebensende auf Zellen angewiesen sind, die nicht aus einem Keimblatt hervorgegangen sind, hätte man vor wenigen Jahren noch für völlig unmöglich erklärt.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass das auch auf viele andere Gewebsmakrophagen zutrifft – zum Beispiel die Makrophagen, die im Herzmuskelgewebe Patrouille laufen und die Homöostase aufrecht erhalten. Diese Zellen, die teils direkt auf Vorläufer im Dottersack, teils auf Dottersackzellen-Nachfahren aus der fetalen Leber zurückgehen, sind offenbar ebenfalls imstande, sich ein Leben lang durch Teilung selbst zu erhalten. Erst bei einer Entzündung wandern zusätzlich aus Knochenmark-Stammzellen entstandene Monozyten in das Gewebe ein, die dort zu Makrophagen heranreifen.

Diese „Notfall-Makrophagen“ siedeln sich aber in vielen Geweben nicht dauerhaft an, sondern werden nach erfolgreicher Bekämpfung der Entzündung von den örtlichen Gewebsmakrophagen abgetötet und beseitigt. In einjährigen Mäusen etwa stammen die meisten Makrophagen in der Leber, im Gehirn und in der Haut (also Kupffer-, Mikroglia- und Langerhans-Zellen) größtenteils noch von den Dottersack- und Leber-Vorfahren ab, während sich das Verhältnis in den Lungen mit zunehmendem Alter zugunsten der Monozyten-Makrophagen verschiebt.

Lit.: A. Dey, J. Allen, P. A. Hankey-Giblin (2015): Ontogeny and polarization of macrophages in inflammation: blood monocytes versus tissue macrophagesE. Gomez Perdiguero et al. (2015): Tissue-resident macrophages originate from yolk-sac-derived erythro-myeloid progenitors

2. Neonatales Immunsystem voll entwickelt und aktiv unterdrückt

Lange glaubte man, Neugeborene seien so anfällig für Infektionen, weil ihr Immunsystem noch sehr unreif sei. Wie sich Ende 2013 herausstellte, ist es tatsächlich bereits voll entwickelt: Das Knochenmark, aus dem die Zellen der angeborenen Abwehr und die B-Zellen hervorgehen, ist schon lange vor der Geburt aktiv, und auch der Thymus, in dem die positive und negative Selektion der T-Zellen stattfindet, hat seine Arbeit schon aufgenommen.

Das Immunsystem wird aber in den ersten Lebenswochen aktiv unterdrückt, um eine Besiedlung des Darms mit lebensnotwendigen Bakterien und anderen Mikroorganismen zu ermöglichen. Dafür sind spezielle rote Blutkörperchen oder Erythrozyten zuständig, die den Oberflächenmarker CD71 tragen und vor allem in wenigen Wochen vor und nach der Geburt hergestellt werden. Sie produzieren das Enzym Arginase-2, das zu einem Mangel an der Aminosäure Arginin führt. Dieser Mangel wiederum hemmt die Herstellung von Zytokinen in den Zellen der angeborenen Abwehr.

Zwar können sich Neugeborene wegen dieses Mangels an Abwehrstoffen leicht mit Erregern wie Escherichia coli oder Listeria monocytogenes anstecken. Aber dafür reagieren sie auf die Besiedlung mit unserem Mikrobiom-Starterkit nicht mit einer heftigen Immunreaktion, die noch weitaus gefährlicher wäre.

Lit.: S. Elahi et al. (2013): Immunosuppressive CD71+ erythroid cells compromise neonatal host defence against infection

Vergleich der Darmflora in Amazonien, Malawi und den USA

Eine hervorragende Ergänzung zu der Arbeit von De Filippo et al., die ich bereits für eine Buchskizze genutzt habe. Zusammenfassung, noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet:

Tanya Yatsunenko et al.: Human gut microbiome viewed across age and geography. Nature 486, 222–227 (14.06.2012), doi:10.1038/nature11053; PDF

Abstract: Analyse des Mikrobioms aus Stuhlproben von 531 Personen und der Genaktivität im Stuhl von 110 dieser Personen. Gesunde Kinder und Erwachsene aus der Amazonasgegend in Venezuela, dem ländlichen Malawi und Metropolen in den USA. In den ersten drei Lebensjahren reift das Darm-Mikrobiom in allen drei Populationen auf ähnliche Weise; z. B. ändert sich die Genaktivität, die mit der Vitaminsynthese und dem Vitaminstoffwechsel zusammenhängt, mit dem Alter. Die Artenzusammensetzungen und die Repertoires der Genfunktion unterscheiden sich deutlich zwischen den USA und den beiden anderen Ländern.   Weiterlesen