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Asthma ist mit rheumatoider Arthritis assoziiert

Vor elf Jahren habe ich hier drei Texte zum Verhältnis zwischen Allergien bzw. Asthma und Autoimmunerkrankungen veröffentlicht:

Schließen Autoimmunerkrankungen und Allergien einander aus? Teil 1

Schließen Autoimmunerkrankungen und Allergien einander aus? Teil 2

Schließen Autoimmunerkrankungen und Allergien einander aus? Teil 3

Das durchwachsene Fazit: Einige Autoimmunerkrankungen könnten bei Menschen mit (bestimmten Formen von) Asthma seltener auftreten als bei Menschen ohne Asthma. Andere Studien fanden keine positive oder negative Assoziationen zwischen Asthma oder Allergien auf der einen und verschiedenen Autoimmunerkrankungen auf der anderen Seite.

Die Vorstellung, dass Asthma oder Allergien vor Autoimmunerkrankungen „schützen“, wurde durch das schon damals veraltete Konzept einer einseitigen Dominanz Th1- oder des Th2-Wegs im Immunsystem gefördert, dem zufolge entweder die zelluläre Abwehr (über)aktiv wird oder aber die humorale Abwehr, also die Antikörperproduktuion. Asthma und Allergien wurden mehrheitlich dem Th2-Arm zugeordnet, Autoimmunerkrankungen dem Th1-Arm. Schon 2012 war aber klar, dass Th17-Zellen und regulatorische T-Zellen bei vielen Erkrankungen ebenfalls wichtig sind und dass der Th1- und Th2-Arm einander keineswegs vollständig hemmen: Bei vielen Autoimmunstörungen, die primär durch überaktive T-Effektorzellen (also durch den Th1-Arm) geprägt sind, lassen sich auch hohe Konzentrationen von Autoantikörpern (Th2-Arm) nachweisen – nur ist oft nicht klar, ob sie zum Erkrankungsmechanismus beitragen oder ein reines Epiphänomen darstellen.

Zeit für ein Update! Der Anlass ist eine neue koreanische Studie, in der das Verhältnis von rheumatoider Arthritis (RA), einer von Th1- und Th17-Zellen geprägten Autoimmunerkrankung, zu Asthma bronchiale und anderen chronischen entzündlichen Atemwegserkrankungen untersucht wurde, bei denen Th2-Zellen dominieren:

Kim et al. (2023): Association of rheumatoid arthritis with bronchial asthma and asthma-related comorbidities: A population-based national surveillance study

An der Studie beteiligten sich gut 14.000 Personen über 40 Jahren. Bei ihnen war RA signifikant mit Asthma, allergischer Rhinitis und Sinusitis assoziiert. Die Korrelation war also nicht negativ im Sinne einer Schutzwirkung, sondern positiv: Menschen mit Asthma hatten z. B. mit einer gut doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit auch RA wie Menschen ohne Asthma. Das Studiendesign erlaubte zwar keine Aussagen über die Richtung des Zusammenhangs, aber da Asthma und Allergien oft bereits in jungen Jahren auftreten, Rheuma aber erst spät im Leben, liegt es nahe, dass Asthma und Allergien Risikofaktoren für Rheuma sind und nicht umgekehrt. Es gibt auch Längsschnittstudien, die darauf hindeuten.

Neu gegenüber den Untersuchungen, die ich 2012 vorgestellt habe, ist der vorgeschlagene Mechanismus hinter diesem Zusammenhang: Schleimhautentzündungen in den Atemwegen erhöhen die sogenannte Citrullinierung. Bei dieser enzymatischen Reaktion wird die Aminosäure Arginin, die in unseren Proteinen vorkommt, in die ähnliche Aminosäure Citrullin umgewandelt, die der menschliche Körper normalerweise nicht herstellt. Diese kleine Modifikation kann dazu führen, dass ein Protein eine etwas andere Faltungskonfiguration einnimmt und daher dem Immunsystem fremd vorkommt. So kann eine Autoimmunreaktion ausgelöst werden, die sich gegen ein körpereigenes Protein richtet. Das scheint bei seropositivem Rheuma der Fall zu sein – siehe Abbildung 111 und Abbildung 231 aus Band 1 des Autoimmunbuchs sowie meine Zusammenfassungen der Arbeiten von Wegner et al. und Routsias et al. Auch Asthma verstärkt die Citrullinierung, und Asthma-Patient*innen haben mehr Antikörper gegen citrullinierte Proteine im Blut als Menchen ohne Asthma.

Wo ich schon dabei war, habe ich auch noch die Abstracts zweier weiterer Veröffentlichungen ausgewertet:

Charoenngam et al. (2020): Patients with asthma have a higher risk of rheumatoid arthritis: A systematic review and meta-analysis

Eine Metaanalyse von Kohortenstudien zeigt, dass Patient*innen mit Asthma ein etwa um den Faktor 1,4 (signifikant) erhöhtes Risiko haben, an RA zu erkranken. Auch eine Metaanalyse von Fall-Kontroll-Studien zeigt ein etwa um den Faktor 1,3 erhöhtes Risiko.

Williams et al. (2023): The uni-directional association of atopic dermatitis and rheumatoid arthritis: a systematic review and meta-analysis

Atopische Dermatitis oder Neurodermitis ist ein gutes Beispiel für die Unzulänglichkeit des alten Th1-versus-Th2-Paradigmas: Die Erkrankung beginnt mit einer Dominanz von Th2-Helferzellen, die die IgE-Antikörper-Produktion fördern, und geht dann zu einer Th1-Dominanz über.

In dieser Studie ist die Richtung klar: Patient*innen mit Rheuma haben kein signifikant erhöhtes Risiko, auch atopische Dermatitis zu bekommen. Umgekehrt geht eine atopische Dermatitis aber wohl mit einem höheren Risik einher, auch an Rheuma zu erkranken. Bei anderen Formen von Arthritis zeigten sich keine klaren Zusammenhänge.

Da die atopische Dermatitis durch häufige Entzündungen der Haut geprägt ist, könnte auch hier die Citrullinierung eines Proteins in der Haut das Bindeglied zum Rheuma sein. Das ist aber Spekulation meinerseits; es geht nicht aus dem Abstract hervor.

Schübe

Seit einer halben Ewigkeit habe ich hier nichts mehr geschrieben. Die Corona-Krise hat ihren Teil dazu beigetragen, außerdem Ablenkungen wie die Website der Scientists-for-Future-Regionalgruppe Köln/Bonn und die Baumkolumne im Principia-Magazin. Zurzeit beschäftige ich mich mit der Entstehung von Pflanzengallen, und das ist tatsächlich ein Thema, das ebenso gut hierher passen würde wie in die Baumkolumne, denn es hat viel mit Abwehrreaktionen auf Pathogene zu tun. Es steht auch noch ein längerer Artikel über das Immunsystem der Fledertiere aus, ausgelöst durch die Corona-Krise, aber auch eine hervorragende Basis für ein Kapitel über die Evolution des Immunsystems der Säugetiere im zweiten Band des Autoimmunbuchs – der aber noch eine Weile auf sich warten lässt.

Im und nach dem Urlaub (den wir notgedrungen zu Hause verbracht haben, da an eine Reise durch Schweden und auf die finnischen Aland-Inseln nicht zu denken war) habe ich außerdem einen Hashimoto-Schub (oder zwei?) durchgemacht. Auch nach neun Jahren brauche ich meistens zwei Tage, um zu realisieren, dass ich gerade einen Schub habe, denn die Symptome sind vielfältig und manchmal irreführend, und erst nach einer Weile fängt die Schilddrüse selbst an zu schmerzen. Dann fällt der Groschen.

In der Zeit vor und kurz nach meiner Hashimoto-Diagnose, als ich hormonell noch nicht gut eingestellt war, ist mein Blutzuckerwert ab und zu heftig entgleist; ich hatte beängstigende Unterzuckerungserscheinungen wie abrupt einsetzende Kraftlosigkeit beim Radfahren oder auch beim Gehen. Damals habe ich mir Traubenzucker besorgt und in all meine Taschen verteilt, um im Notfall zumindest noch genug Energie aufzubringen, um mich nach Hause zu schleppen. Dann war jahrelang Ruhe; die Blutwerte deuteten nicht auf Diabetes hin, und die Traubenzucker-Plättchen zerbröselten oder setzten Staub an. Ich räumte sie wieder aus den Taschen. Jetzt aber habe ich sie wieder jederzeit griffbereit, denn es ging plötzlich wieder los: vor einigen Wochen totale Entkräftung bei einem harmlosen Spaziergang, letzten Freitag Durst-Attacken und entsprechende Rennerei …

Manchmal schwellen die Lymphknoten am Hals bei einem Schub an; ein wenig dick sind sie seit Jahren ständig. Oft juckt die Haut, teils am ganzen Körper, teils nur am Hals. Das Halsjucken geht dem Schilddrüsen-Druckschmerz oft voraus; ich vermute, dass es ein Zeichen für die Infiltration der entzündeten Schilddrüse durch Immunzellen und die Ausschüttung von Botenstoffen wie Histamin ist. Weitere körperliche Symptome können Verdauungsprobleme oder Schwindelgefühle sein. Die leichte chronische Entzündung, die während eines Schubs aufflammt, macht sich auch an den Ohrläppchen bemerkbar, die plötzlich selbst nickelfreie Ohrringe nicht mehr vertragen, heiß werden, anschwellen und nässen, und an einem allgemeinen Krankheitsgefühl wie bei einer Erkältung: Die Schwerkraft scheint sich verdoppelt zu haben, und die Gelenke ziehen.

Am unangenehmsten aber sind die psychischen Symptome, die teils nur durch die Länge von einer Depression zu unterscheiden sind: Steckt ein Schub dahinter, klingen sie nach wenigen Tagen ab. Typische Begleiter eines Schubs sind schlechte Laune, Unleidlichkeit, Ungeduld mit mir selbst und anderen sowie eine durch und durch negative Sicht auf die Welt und meine Situation, die objektiv in vieler Hinsicht sehr gut ist.

Noch schlimmer sind die Tage, an denen ich völlig unbeteiligt durch die Welt schlafwandle, gewissermaßen als Zuschauerin meines Lebens. Es ist, als wäre ich von der Umwelt durch eine Doppel- oder Dreifachverglasung isoliert. Nur durch ständige bewusste Anstrengung kann ich den Reizen aus der Außenwelt genug Aufmerksamkeit widmen, um zu Fuß oder auf dem Rad sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Keine Ahnung, ob man mir das anmerkt; ich gehe normal zur Arbeit oder zum Einkaufen und „funktioniere“ offenbar halbwegs, aber es gelingt mir in solchen Phasen nicht, innerlich mit der Welt in Verbindung zu treten.

Hashimoto-Thyreoiditis: Wenn das Immunsystem ein lebenswichtiges Organ angreift

Ich habe kürzlich einen Vortrag gehalten, auf dessen Folien neben Zeichnungen aus Band 1 und für Band 2 auch einige neue Zeichnungen vorkommen. Der Vortrag dauert etwa 45-60 Minuten, ist also für eine 90-minütige Veranstaltung geeignet, etwa bei Selbsthilfegruppen oder in Bildungseinrichtungen oder Kliniken. (Anfragen bitte an die im Impressum genannte Mailadresse!)


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Abb. 215: Regulierung von Immunreaktionen durch das ZNS

Immunreaktionen werden auf mehreren Wegen beendet. Das zentrale Nervensystem (ZNS) empfängt Nervensignale von hinführenden oder afferenten Nerven (AN) und sendet über die wegführenden oder efferenten Nerven (EN) Stoppsignale aus. Der Hypothalamus (HT) registriert Zytokine aus der Immunreaktion und befiehlt der Hypophyse (HP), die Nebennierenrinde (NNR) anzuweisen, entzündungshemmendes Kortison auszuschütten. Und die Immunreaktion bringt Tregs hervor, deren Botenstoffe wie IL-10 ebenfalls immunsuppressiv wirken.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 197: Was ist eine Entzündung?

Medizinstudenten lernen im Studium die fünf klassischen Entzündungszeichen auswendig: rubor, tumor, calor, dolor und functio laesa, also Rötung, Schwellung, Erwärmung, Schmerz und Funktionsbeeinträchtigung . Der Schmerz ist eine Folge der örtlichen Reizung der Nerven und führt zu genesungsförderlichen Verhaltensweisen wie der Schonung des betroffenen Körperteils, solange dessen Funktion beeinträchtigt ist. Die Rötung rührt von einer starken Durchblutung her, die den raschen Transport von Immunzellen an ihren Einsatzort gewährleistet. Die Schwellung geht auf eine örtlich erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände zurück, die den Immunzellen das Eindringen ins Gewebe erleichtert. Ausgelöst wird sie durch die Ausschüttung von Histamin, Serotonin und anderen sogenannten Gefäßmediatoren.

Die an den Entzündungsherd vorgedrungenen Immunzellen übernehmen unterschiedliche Aufgaben: B-Zellen werden zu Plasmazellen und schütten spezifische Antikörper aus, die die Antigene bedecken und so unter anderem die Komplementreaktion auslösen. Granulozyten schütten den Inhalt ihrer Granula aus, bringen so Keime oder beschädigte Zellen zum Absterben, schädigen aber auch das umliegende Gewebe. Phagozyten wie die Makrophagen vertilgen Keime und abgestorbene Zellen, und so weiter. Durch die Granula-Ausschüttung und den Zerfall beschädigter Zellen ist entzündetes Gewebe sauer: Der pH-Wert sinkt von etwa 7,5 in gesundem Gewebe auf etwa 5,5 oder noch stärker ab.

Die Erwärmung zeugt von starker Stoffwechseltätigkeit und wird, wenn sie das ganze System erfasst, als Fieber bezeichnet. Die Übertemperatur ist offenbar nicht nur eine unvermeidliche Nebenwirkung der Entzündungsprozesse, sondern stärkt die Widerstandskraft gegen Infektionen. Biochemische Reaktionen laufen – bis zu einer Obergrenze, an der Enzyme und andere Proteine zerfallen – umso schneller ab, je wärmer es ist. Das gilt auch für die Produktion von Antikörpern und antimikrobiellen Substanzen.

Zu Beginn verstärkt sich eine Entzündungsreaktion selbst. Zum Beispiel schütten Mastzellen, die an antikörperbedeckte Antigene binden, aus ihren Granula Histamin aus, das die Gefäßwände durchlässiger macht, sodass noch mehr B-Zellen, Antikörper und Mastzellen an den Ort des Geschehens kommen. Eine Entzündung ist aber ein Ausnahmezustand. Wird sie chronisch, so schädigt sie das Gewebe und das Gesamtsystem. Das ist beispielsweise bei Autoimmunerkrankungen der Fall. Normalerweise setzt recht bald eine Gegensteuerung ein, zum Beispiel durch den Abtransport der Keime und beschädigten Zellen und durch die beruhigende Wirkung regulatorischer T- und B-Zellen auf andere Lymphozyten. Nach Beseitigung der akuten Gefahr wird das umliegende Gewebe zur Regeneration angeregt, zum Beispiel zur Wundschließung durch verstärkte Zellteilung.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 187: Darmepithelzellen als Dolmetscher

Darmepithelzellen sind Dolmetscher: Nehmen sie mit Rezeptoren wie TLR-9 im Darminneren Bakterien wahr, so schütten sie Zytokine ins Gewebe aus, die eine Entzündung verhindern. Zugleich regen sie B-Zellen zur Herstellung von Antikörpern an, mit denen sie die Bakterien auf Abstand halten können.

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Abb. 148: Komplementfaktoren

Der Komplementfaktor C1 (oben links) bindet an Antikörper, die sich an Antigene auf Pathogenen wie diesem Bakterium angelagert haben, und löst Reaktionskaskaden aus. Die dabei gebildeten Membranangriffskomplexe aus C9 stanzen Löcher in Pathogen-Membranen.

Wasser dringt ein und bringt sie zum Platzen. Außerdem werden Gefäße geweitet, sodass Immunzellen schneller zum Ort der Infektion gelangen. Mastzellen schütten Histamin aus, das die Entzündungsreaktion fördert. Phagozyten wie Makrophagen werden angelockt und fressen die Pathogene.

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Abb. 15: Henne oder Ei?

Was kam zuerst: die Autoimmunreaktion, bei der B-Zellen Antikörper gegen Autoantigene wie DNA herstellen, oder die Enzündung, bei der Autoantigene freigesetzt werden? Diese
Henne-Ei-Frage lässt sich bei vielen Erkrankungen noch nicht eindeutig beantworten.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 14: Das Spektrum der Autoimmun- und autoinflammatorischen Erkrankungen

Das Spektrum der Autoimmunerkrankungen und autoinflammatorischen Erkrankungen mit einigen Beispielen. Oft werden auch Krankheiten im Mittelfeld als Autoimmunerkrankungen aufgefasst, obwohl sie nicht alle Witebsky-Rose-Kriterien erfüllen.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de