Schlagwort-Archive: Antibiotika

Cartoon eines Mitochondriums als Fabrik, die vor allem Energieträger erzeugt

Die Rolle der Mitochondrien in systemischen Autoimmunerkrankungen

Mein Text über T-Zellen mit Stoffwechselproblemen ist gut sieben Jahre alt. Höchste Zeit für ein Update: Welche Rolle spielt der Zellstoffwechsel bei der Entstehung und der Bekämpfung von systemischen Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Lupus (SLE)? Was geschieht mit den Zellen und Regelkreisläufen des Immunsystems, wenn unsere Mitochodrien nicht so funktionieren, wie sie es sollten? Der aktuellen Kenntnisstand dazu ist in einem Review nachzulesen (Open Access):

Blanco LP, Kaplan MJ (2023): Metabolic alterations of the immune system in the pathogenesis of autoimmune diseases. PLoS Biol 21(4): e3002084. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3002084

Der Artikel enthält ein Glossar mit den wichtigsten Grundbegriffen und einige mittelprächtige Abbildungen. Viele Aussagen sind – wie so oft in narrativen Reviews – recht vage, nach dem Schema: X könnte Y bewirken. Und man verliert sich leicht in den zahlreichen Details der dargestellten Signalketten und Stoffwechselwege, die ich im Folgenden weglasse.

Bevor ich die Arbeit zusammenfasse: ein Wort zur sogenannten Mitochondrien-Medizin. Ich reagiere etwas allergisch auf den Ausdruck, da mir dieser alternativmedizinische Ansatz arg esoterisch erscheint, wie ein Glaubenssystem, dessen Anhänger ab und zu auch mich zu bekehren versucht haben oder in mir eine Verbündete zu sehen meinten. Insofern passt es, dass dieser Text nach dem über die Just-so-Stories erscheint: Die Hypothese, auf der Mitochondrien-Medizin fußt, klingt furchtbar einleuchtend, aber das Ganze ist nicht gerade evidenzbasiert. Dysfunktionale Mitochondrien sind tatsächlich an (zumindest einigen) Autoimmunerkrankungen beteiligt. Aber die Zusammenhänge sind komplex und vermutlich nicht bei allen Autoimmunerkrankungen gleich, und die entsprechenden Therapieansätze sind so unausgereift, dass gegenüber schlichten Ernährungsregeln oder anderen Formen der Selbsttherapie zur Mitochondrien-„Heilung“ vorerst gehörige Skepsis angebracht ist. Jetzt aber zu Blanco und Kaplan:

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Vom Kaiserschnitt bis zur Erdnussbutter: Einflüsse auf das kindliche Immunsystem

Unter dem Titel Early-Life Microbiome wurden in The Scientist zwei Studien beschrieben, in denen – anders als in der gestern vorgestellten Mäuse-Studie – die Entwicklung des Mikrobioms von Kleinkindern untersucht wurde. (Die Fachartikel selbst stecken hinter Bezahlschranken.) Das erste Team hat Stuhlproben aus den ersten drei Lebensjahren von 39 finnische Kindern analysiert. Während in der Darmflora der meisten vaginal geborenen Kindern Bacteroides vorherrschten, fehlten diese Bakterien bei den per Kaiserschnitt zur Welt gekommenen und auch bei einigen vaginal geborenen Kindern in den ersten 6-18 Monaten. Nach einer frühen Antibiotika-Therapie wegen Atemwegs- oder Ohrinfekten fanden sich im Mikrobiom der Kinder Antibiotikaresistenz-Gene, von denen einige wenige noch lange nach der Behandlung nachzuweisen waren. Das andere Team hat die Entwicklung der Darmflora von 43 US-amerikanischen Kindern über die ersten beiden Lebensjahre verfolgt und festgestellt, dass neben der Geburtsmethode und Antibiotika auch die Muttermilch bzw. Muttermilchersatz die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen. Kausale Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und später auftretenden Störungen des Immunsystems wie Allergien oder Autoimmunerkrankungen lassen sich mit solchen Studien allerdings nicht nachweisen.

Einen Schritt zur Aufklärung des Zusammenhangs zwischen früher Darmflora-Dysbiose und späterem Asthma hat das Team um K. E. Fujimura in seiner Arbeit „Neonatal gut microbiota associates with childhood multisensitized atopy and T cell differentiation“ unternommen, über die ebenfalls The Scientist berichtet: Neonatal Gut Bacteria Might Promote Asthma. Kinder, in deren Darmflora im Alter von einem Monat vier „gute“ Bakteriengruppen (Bifidobacteria, Lactobacillus, Faecalibacterium und Akkermansia) schwächer und zwei Pilze (darunter Candida) stärker vertreten waren als bei den meisten Gleichaltrigen, hatten im Alter von zwei Jahren ein dreimal höheres Allergierisiko und im Alter von vier Jahren ein deutlich erhöhtes Asthmarisiko. Diese Risiken werden offenbar durch Stoffwechselprodukte der Darmflora vermittelt, die die Entwicklung der T-Zellen beeinflussen. Den Allergie- und Asthma-anfälligen Kindern fehlten entzündungshemmende Fettsäuren und Oligosaccharide (Zucker), die die Darmflora aus der Muttermilch produziert. T-Zellen aus gesunden Erwachsenen, die Stoffwechselprodukten der Mikrobiome der Hochrisiko-Kinder ausgesetzt wurden, entwickelten sich bevorzugt zu Th2-Helferzellen, die mit Allergien in Verbindung gebracht werden. Zugleich bildeten sich weniger regulatorische T-Zellen (Tregs), die Allergien dämpfen können. Unter den Darmflora-Produkten fielt vor allem das Lipid 12,13-DiHOME auf, das alleine schon die Entwicklung von T-Zellen zu Tregs verhindern konnte.

Um Allergierisiken geht es auch in einem weiteren The-Scientist-Artikel: Study: Nail-Biters, Thumb-Suckers Have Fewer Allergies. In einer Längsschnittstudie haben Stephanie J. Lynch und ihre Kollegen gut 1000 Neuseeländer untersucht, die 1972 oder 1973 geboren wurden. Unter denjenigen, die als Kinder am Daumen gelutscht oder an ihren Nägeln geknabbert hatten, reagierten 39 Prozent in einem Allergietest positiv auf mindestens ein gängiges Allergen. Wer nichts davon getan hatte, kam auf 49 Prozent. Und nur bei 31 Prozent derer, die früher sowohl am Daumen gelutscht als auch an den Nägeln gekaut hatten, schlug der Allergietest an: eine Bestätigung der Hygiene-Hypothese, denn durch das Lutschen und Knabbern nehmen Kinder Mikroorganismen aus ihrer Umwelt auf. Bei Asthma oder Heuschnupfen zeigten sich dagegen keine Unterschiede zwischen den Gruppen.

Auch zur alten Streitfrage, ob eine frühe Allergen-Exposition spätere Überreaktionen des Immunsystems eher fördert oder hemmt, gibt es Neues. Unter dem Titel Further Support for Early-Life Allergen Exposure berichtet The Scientist über eine Metaanalyse von 146 Studien mit zusammen über 200.000 Kindern. Die Ergebnisse: Kleinkinder, die schon früh Eier oder Erdnüsse zu sich nehmen, haben ein geringeres Risiko, später allergisch auf diese Lebensmittel zu reagieren. Bei Milch, Fisch und Muscheln, Nüssen und Weizen gab es dagegen keine hinreichenden Indizien für eine Schutzwirkung durch frühe Aufnahme in den Speiseplan. Auch für einen Schutz vor Autoimmunerkrankungen wie Zöliakie durch eine frühe Konfrontation des Immunsystems mit Weizen oder anderen Gluten-Quellen fanden die Forscher keine Hinweise.

Frühe Antibiotika-Gaben verändern Mikrobiom, Gen-Expression im Darm, Immunsystem und Diabetes-Risiko

Bevor ich die vor dem Urlaub begonnene Artikelserie zum Immunsystem, Krebs und Autoimmunerkrankungen zu Ende bringe, möchte ich auf einige neuere Arbeiten über das Immunsystem und das Mikrobiom von Menschen- und Mäusekindern hinweisen. Den Anfang macht eine Studie an jungen NOD-Mäusen:

Antibiotic Therapy During Infancy Increases Type 1 Diabetes Risk in Mice: eine Meldung zu A. E. Livanos et al., „Antibiotic mediated gut microbiome perturbation accelerates development of type 1 diabetes in mice“ (Bezahlschranke, daher nur Abstract gelesen)

Für Typ-1-Diabetes gibt es genetische Risikofaktoren, aber auch Trigger in unserer Lebenweise – anders lässt sich der rasante Anstieg der Prävalenz in den westlichen Ländern im letzten halben Jahrhundert nicht erklären. Schon länger hat man die Veränderung der frühkindlichen Darmflora durch Antibiotika im Verdacht, den Ausbruch der Erkrankung in späteren Jahren zu fördern.

In dieser Studie erkrankten Mäuse des für Typ-1-Diabetes anfälligen NOD-Stamms mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn sie in der ersten Lebensphase mit Antibiotika behandelt wurden. Die Jungmäuse erhielten die erste Tylosin-Gabe, während sie noch gesäugt wurden, und zwei kurz danach. Diese Pulse sollten dem Timing vieler Antibiotika-Behandlungen von Kleinkindern entsprechen.

Mit 32 Wochen war der Anteil der an Diabetes erkrankten männlichen Mäuse im Tylosin-Arm doppelt so hoch wie im Vergleichsarm. Kurz nach den Antibiotika-Gaben veränderte sich zudem die Darmflora der männlichen Tiere; vor allem Bifidobacteria und die Bacteroidales der S247-Familie gingen zurück. Diese Bakterien-Taxa werden beim Menschen mit einer gesunden, ungestörten Darmflora assoziiert: Bifidobacteria helfen Säuglingen, den Zucker aus der Muttermilch abzubauen, und S247-Bacteroidales sind bei isoliert lebenden indigenen Gruppen viel stärker vertreten als bei US-Amerikanern.

Auch das Immunsystem der Mäuse veränderte sich infolge der Antibiotika-Gaben: In der Darmschleimhaut fanden sich weniger Th17-Helferzellen und weniger regulatorische T-Zellen (Tregs), zu deren Aufgaben die Abwehr von Pathogenen gehört. Im Darm der behandelten Mäuse wurde unter anderem das Gen für das Protein Serum-Amyloid A (SAA) schwächer exprimiert. Normalerweise regen Darmbakterien die Darmschleimhautzellen zur Produktion von SAA an, das wiederum Th17-Helferzellen anlockt. Auch der Lipidstoffwechsel der Bakterien und die Expression von Mäusegenen, die an der Cholesterinsynthese beteiligt sind, waren gestört. – Zu prüfen wäre nun, ob Antibiotika bei Menschenkindern ähnlich wirken.

Magenkeim Helicobacter pylori scheint zu Hashimoto-Thyreoiditis beizutragen

Auf ihrem im Mai 2016 vorgestellten Konferenz-Poster beleuchten Iryna Voloshyna et al. einen der mittlerweile zahlreichen Zusammenhänge zwischen unserem Mikrobiom und Autoimmunerkrankungen: Während in einer Vergleichsgruppe von Gesunden 53 Prozent Anzeichen für eine Infektion* mit dem Magenbakterium Helicobacter pylori aufwiesen, waren es unter 146 Menschen mit Hashimoto-Thyreoiditis 70 Prozent: ein statistisch signifikanter, aber an sich noch nicht sensationeller Unterschied. Zudem steht er im Widerspruch zu älteren Studien, darunter der hier bereits besprochenen Arbeit von V. Bassi et al., der zufolge Morbus-Basedow-Patienten wohl, Hashimoto-Patienten aber nicht überdurchschnittlich mit H. pylori infiziert sind.

Aber jetzt kommt’s: Die Forscher haben die Helicobacter-Infektion bei den Versuchsteilnehmern mit Hashimoto-Thyreoiditis mit der Gabe von drei Antibiotika über 14 Tage bekämpft. Bei 86 Prozent der Betroffenen war das erfolgreich. In dieser Gruppe ging die Konzentration der für die Autoimmunerkrankung typischen und mutmaßlich auch an ihrem Fortschreiten beteiligten Anti-TPO-Autoantikörper signifikant zurück, und zwar nach 30 Tagen auf etwa 38 Prozent der Ausgangskonzentration. Ihr Schilddrüsengewebe war im Ultraschall zudem deutlich weniger entzündet als das derjenigen Teilnehmer, bei denen die antibiotische Eliminierung der Keime misslungen war. Bei diesen „Non-respondern“ blieb auch die Autoantikörper-Konzentration unverändert hoch.

Auf die TSH-, T3- und T4-Werte hatte die Eliminierung des Magenkeims keinen Einfluss – was auch kein Wunder ist, da alle Hashimoto-Patientinnen und -Patienten mit L-Thyroxin auf normale Hormonwerte eingestellt waren.

Dies ist, wie gesagt, nur eine von vielen Arbeiten aus den letzten Jahren, die enge und zum Teil komplexe Zusammenhänge zwischen Autoimmunerkrankungen und einzelnen Angehörigen, der Zusammensetzung oder dem Artenreichtum unseres Mikrobioms aufzeigen. Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch bei Krebserkrankungen. Darauf gehe ich in einigen der folgenden Blogbeiträge näher ein.


* Die pauschale Einstufung von H. pylori als Pathogen ist allerdings umstritten: Vielen Menschen bereitet dieses Bakterium keine Gesundheitsprobleme, und einige Stämme des Bakteriums scheinen sogar vor bestimmten Erkrankungen zu schützen, während andere Stämme wirklich aggressiv sind.

Etablierung der Hautflora nach der Geburt: Ohne Tregs keine Toleranz

Eine aktuelle Arbeit, die genau zu dem Teil des Buches passt, den ich gerade schreibe, nämlich zur Entwicklung des Immunsystems rund um die Geburt:

T. C. Scharschmidt et al.: A Wave of Regulatory T Cells into Neonatal Skin
Mediates Tolerance to Commensal Microbes. Immunity 43, 1011–1021, November 17, 2015, doi: 10.1016/j.immuni.2015.10.016

Dazu auch Anna Azvolinsky: Birth of the Skin Microbiome

Unsere Haut ist eine der wichtigsten Barrieren zwischen der Außenwelt und unserem Körper und zugleich ein wichtiges Immunorgan. Ein Quadratzentimeter enthält über eine Million Lymphozyten und ist mit etwa einer Million Bakterien besiedelt. Das Mikrobiom der Haut unterscheidet sich grundlegend von der Flora etwa in unserem Darm oder in den Atemwegen, und die Ausbildung der Hautflora ist viel schlechter untersucht als die Etablierung der Darmflora. Unsere Haut ist vielschichtig und enthält zahlreiche Strukturen wie Haarfollikel oder schweiß- und Talgdrüsen, und sie wird im täglichen Leben häufig verletzt, wobei auch Bakterien in die tieferen Schichten eindringen – ohne dort normalerweise Entzündungen auszulösen.

Das kalifornische Forscherteam hat nun an Mäusen untersucht, wann und wie sich die Toleranz des Immunsystems gegenüber dem Bakterium Staphylococcus epidermis ausbildet, einem Kommensalen, der bei Mensch und Maus vorkommt. Bringt man die Bakterien auf die intakte Haut junger, aber ausgewachsener Mäuse auf, so kommt es zu einer gewissen T-Zell-Reaktion, aber nicht zu einer merklichen Entzündung. Kratzt man die Mäuse einige Wochen später und trägt erneut Bakterien auf die nunmehr verletzte Haut auf, so entzündet sie sich, es wandern viele Neutrophile (Zellen der angeborenen Abwehr) in die Haut ein, und die T-Zellen (Zellen der erworbenen Abwehr) reagieren stark auf die Eindringlinge. Das Immunsystem hat also durch den Erstkontakt keine Toleranz ausgebildet.

Anders, wenn man das Experiment mit eine Woche alten Mäusen beginnt, die vier Wochen später gekratzt und erneut mit den Bakterien konfrontiert werden: Bei ihnen werden dann nur wenige T-Zellen aktiv, und die Entzündung fällt sehr schwach aus. Der Organismus ist offenbar gegen Staphylococcus epidermis tolerant geworden. Dafür sind offenbar spezifische regulatorische T-Zellen oder Tregs vonnöten, die vor allem während der zweiten Lebenswoche der Mäuse recht abrupt in die Haut einwandern. Tregs aus dem Thymus sind auch in der Darmschleimhaut notwendig, um das Immunsystem gegen die Darmflora milde zu stimmen. Anders als im Darm beeinflusst die Zahl der Keime auf der Haut aber nicht die Zahl der Tregs.

Über 80 Prozent der CD4+-T-Zellen in der Haut von 1-2 Wochen alten Mäusen sind Tregs, während es bei erwachsenen Mäusen etwa 50 Prozent sind. Ihre Dichte in der Haut ist bei den Baby-Mäusen doppelt so hoch wie bei den ausgewachsenen Tieren, und sie sind hochgradig aktiviert – wiederum im Unterschied zu den Haut-Tregs erwachsener Mäuse. In tiefer liegenden Gewebeschichten kommt es nach der Geburt nicht zu einer Treg-Akkumulation; diese ist also hautspezifisch.

Behandelt man die neugeborenen Mäuse kurz vor dem ersten Auftragen von Staphylococcus epidermis mit einem Rezeptorantagonisten, der spezifisch die Auswanderung von Tregs aus dem Thymus unterbindet, so werden die Mäuse nicht tolerant gegen den Keim: nach dem Aufkratzen der Haut und dem zweiten Kontakt mit den Bakterien reagieren sie mit einer starken Entzündungsreaktion – anders als die Kontrollgruppe, in der die Wanderung der Tregs aus dem Thymus in die Haut nicht unterbunden wurde.

Außerdem enthält die Haut der Tiere mehr für Staphylococcus-Antigene spezifische Effektor-T-Zellen und weiterhin nur wenige für Staphylococcus-Antigene spezifische Tregs, obwohl die migrationshemmende Wirkung des vier Wochen zuvor verabreichten Rezeptorantagoisten längst abgeklungen ist und andere Tregs durchaus in der Haut vorkommen. Die Antigen-spezifischen Tregs müssen also im richtigen Zeitfenster – ein bis zwei Wochen nach der Geburt der Mäuse – aus dem Thymus in die Haut gelangen, um eine Toleranz gegen Kommensalen aus der Hautflora aufzubauen.

Anders als im Darm, in dem sowohl angeborene, direkt aus dem Thymus stammende Tregs (nTregs oder tTregs) als auch in der Peripherie durch Antigen-Präsentation induzierte Tregs (iTregs) an der peripheren Toleranz beteiligt sind, scheinen iTregs in der Haut nicht an der Etablierung der Toleranz gegen Kommensalen beteiligt zu sein – zumindest nicht in diesem frühen Zeitfenster. Auch die Mechanismen, über die Tregs andere Immunzellen tolerant stimmen, unterscheiden sich offenbar: Im Darm spielt das von den Tregs ausgeschüttete, entzündungshemmende Zytokin IL-10 eine große Rolle, während ein IL-10-Mangel das Gleichgewicht in der Haut nicht weiter zu stören scheint.

Auch die abrupte, massive Einwanderung hoch aktiver Tregs und während der zweiten Lebenswoche der Mäuse scheint hautspezifisch zu sein: Im Darm kommt es gar nicht zu einer solchen Welle, und in der Lunge ist sie erstens viel schwächer (Tregs stellen dort höchstens 15 Prozent der CD4+-T-Zellen statt über 80 Prozent) und zweitens offenbar nicht für die Ausbildung der Toleranz gegen Atemwegs-Kommensalen zuständig.

Auffällig ist, dass die Haarfollikel in der Haut der jungen Mäuse genau zur Zeit der Treg-Einwanderung entstehen. Tregs halten sich in der Haut von Mäusen wie Menschen bevorzugt an den Haarfollikeln auf. Vielleicht sondern die entstehenden Follikel ein Chemokin ab, das die Tregs anzieht. Da sich an den Haarwurzeln besonders viele Kommensalen ansiedeln, wäre es evolutionär von Vorteil, wenn auch die periphere Toleranzausbildung vor allem dort stattfände.

Da die Barrierefunktion der Haut nicht nur lokale, sondern (etwa bei der Entstehung von Asthma) auch systemische Auswirkungen hat, sollte man mit allem, was die Ausbildung einer normalen Hautflora und einer Toleranz des Immunsystems gegen diese Kommensalen beeinträchtigen könnte, sehr aufpassen – etwa mit Antibiotika-Behandlungen bei Neugeborenen.

Knut und der ganze Rest: Urlaubsnachlese

Knut hat es postum noch ein vermutlich letztes Mal geschafft, das Sommerloch zu füllen: Während meines Urlaubs ging die Nachricht um, dass der Eisbär an einer Autoimmunerkrankung zugrunde gegangen ist, nämlich an einer Anti-NMDA-Rezeptor-Encephalitis. Hier der entsprechende Forschungsartikel von H. Prüss et al.: Anti-NMDA Receptor Encephalitis in the Polar Bear (Ursus maritimus) Knut.

Weitere Immunsystem-Meldungen und -Fachartikel der letzten Wochen; über einige davon werde ich demnächst noch bloggen:

Mikrobiom

Antibiotics and the Gut Microbiome
Antibiotics given to infant mice may have long-term effects on the animals’ metabolism and gut microbiota.

The Sum of Our Parts
Putting the microbiome front and center in health care, in preventive strategies, and in health-risk assessments could stem the epidemic of noncommunicable diseases.

How Fats Influence the Microbiome
Mice fed a diet high in saturated fat show shifts in their gut microbes and develop obesity-related inflammation.

Skin Microbes Help Clear Infection
In a small study, researchers find a link between an individual’s skin microbiome and the ability to clear a bacterial infection.
Die Studie (Open Access): The Human Skin Microbiome Associates with the Outcome of and Is Influenced by Bacterial Infection

Genetics, Immunity, and the Microbiome
The makeup of an individual’s microbiome correlates with genetic variation in immunity-related pathways, a study shows.
Die Studie (Open Access): Host genetic variation impacts microbiome composition across human body sites

Thymus

Nur 160 Plätze für T-Vorläuferzellen im Thymus frei
Abstract (Rest hinter Paywall): Multicongenic fate mapping quantification of dynamics of thymus colonization.

Lymphgewebe

Rethinking Lymphatic Development
Four studies identify alternative origins for cells of the developing lymphatic system, challenging the long-standing view that they all come from veins.

Brain Drain
The brain contains lymphatic vessels similar to those found elsewhere in the body, a mouse study shows.

Krebs und Autoimmunität

Body, Heal Thyself
Reviving a decades-old hypothesis of autoimmunity
Review (Open Access): Cancer-Induced Autoimmunity in the Rheumatic Diseases

Autoimmun-Uveitis

Bacteria to Blame?
T cells activated in the microbe-dense gut can spark an autoimmune eye disease, a study shows.

Multiple Sklerose

Melatonin for MS?
Improvements in multiple sclerosis symptoms correlate with higher levels of the sleep hormone, a study finds.

Taufliegen: Erhöhung der genetischen Vielfalt zur Pathogenabwehr

Fending Off Infection in Future Generations
Female fruit flies challenged with infection during their lifetimes have offspring with greater genetic diversity.

Plazenta

The Prescient Placenta
The maternal-fetal interface plays important roles in the health of both mother and baby, even after birth.

Asthma

Wie Bauernhöfe vor Asthma schützen
Spezifisches Protein senkt Überreaktionen des Immunsystems ab

Selbstmedikation von Affen bei Peitschenwurm-Infektionen

Sickness behaviour associated with non-lethal infections in wild primates (Abstract)

Auswertung Wissenschafts-Newsletter, Teil 1

Nach langer Pause wegen Überstunden und Krankheit stürze ich mich wieder in die Arbeit am Buch. Ich bin immer noch mit der Beschreibung der wichtigsten Mechanismen beschäftigt, über die Infektionen mutmaßlich Autoimmunerkrankungen auslösen: molekulare Mimikry, Bystander Activation, Epitope Spreading und polyklonale Aktivierung, z. B. durch Superantigene.

Nebenbei wühle ich mich durch die Wissenschafts-Newsletter der letzten Monate. Evtl. fürs Buch relevante Meldungen verlinke ich hier. Den Anfang macht The Scientist, vor allem mit Meldungen zum Mikrobiom.

Microbes Fight Chronic Infection: Eine am 23.10.2014 in Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass Clostridium scindens und in geringerem Umfang 10 weitere Bakterien-Taxa aus dem Darm-Mikrobiom Antibiotika-behandelte (und daher dysbiotische) Mäuse vor Infektionen mit Clostridium difficile schützen können. Evtl. lässt sich daraus eine Therapie für dysbiotische Menschen entwickeln, die weniger riskant ist als die Stuhltransplantationen, die derzeit in, äh, aller Munde sind.

Gut Microbes Trigger Malaria-Fighting Antibodies: Eine am 04.12.2014 in Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass E. coli im Darm von Mäusen die Bildung von Antikörpern gegen den Kohlenwasserstoff Galα1-3Galb1-4GlcNAc-R (kurz: α-gal) auslöst, der sowohl an der Oberfläche der Bakterien als auch auf Malaria-Erregern (bei Mäusen Plasmodium berghei, bei Menschen Plasmodium falciparum) zu finden ist. Diese Antikörper sind auch im Blut gesunder Menschen in großen Mengen anzutreffen. Dank einer Dreifach-Mutation in den gemeinsamen Vorfahren der Menschen und der Menschenaffen stellen unsere Zellen kein α-gal mehr her, sodass die Antikörper nicht den eigenen Körper angreifen. Mit P. berghei infizierte Mäuse mit den durch das Bakterium induzierten Antikörpern im Blut erkrankten nur halb so häufig an Malaria wie Mäuse ohne die Antikörper.    Weiterlesen

Mundflora und Immunreaktionen von mittelalterlichen Bewohnern des Klosters Dalheim

Ergänzende Informationen zu Adler et al.; auch diese Zusammenfassung ist noch nicht allgemein verständlich aufbereitet:

Warinner C et al. (2104): Pathogens and host immunity in the ancient human oral cavity. Nature Genetics 46, 336,344, doi:10.1038/ng.2906

Zahnstein enthält viele verwertbare Informationen (DNA, Proteine) und ist in vielen alten Schädeln zu finden. Die Autoren haben (1) die Mundflora von mittelalterlichen Menschen mit leichter bis schwerer Parodontitis analysiert, (2) 40 opportunistische Pathogene charakterisiert, (3) alte mutmaßliche Atibiotikaresistenzgene identifiziert, (4) das Genom des Parodontitis-assoziierten Keims Tannerella forsythia rekonstruiert und (5) 239 bakterielle sowie 43 menschliche Proteine identifiziert, die einen historisch alten Zusammenhang zwischen Faktoren unseres Immunsystems, Pathogenen des „roten Komplexes“ und Parodontitis belegen.

Die humane Mundflora umfasst über 2000 Bakterien-Taxa, darunter viele Keime, die an Parodontitis, Atemwegs-, kardiovaskulären und systemischen Erkrankungen beteiligt sind. Zahnstein = komplexer, mineralisierter Biofilm, der aus Zahnbelag (Plaque), Speichel und der Flüssigkeit in Zahnfleischtaschen entsteht.

Adler et al. haben die alte Mundflora nur auf Phylumebene analysiert und gezielt nach einigen Arten gesucht. Zur Charakterisierung des Gesundheitszustands wurden hier nun an vier Skeletten aus dem mittelalterlichen Kloster Dalheim (Deutschland, etwa 950-1200 n. Chr.) genauere Analysen durchgeführt. 2699 mikrobielle OTUs (operational taxonomic units) identifiziert. Dominant: 1 Archäen- und 9 Bakterien-Phyla (mit absteigenden Anteilen: Firmicutes, Actinobacteria, Proteobacteria, Bacteroidetes, Synergistetes, Chloroflexi, Fusobacteria, Spirochetes, Euryarchaeota), die alle auch moderne Mundflora dominieren. Bemerkenswert selten: Bodenbakterien wie Acidobacteria -> kaum Verunreinigung der Proben.   Weiterlesen

Zu viel Sauerstoff: Mikrobiom-Dysbiose bei Morbus Crohn

Weitere schnelle Notizen, wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet:

Gevers D et al. The treatment-naive microbiome in new-onset Crohn’s disease. Cell Host & Microbe 15, 382-392, March 12, 2014 

Zusammenfassung

Nach bisher widersprüchlichen Angaben über Art der Dysbiose bei Morbus Crohn hier Analyse des Mikrobioms in bislang größter pädiatrischer Morbus-Crohn-Kohorte. Zunahme von Enterobacteriaceae, Pasteurellaceae, Veillonellaceae sowie Fusobacteriaceae und Abnahme von Erysipelotrichales, Bacteroidales sowie
Clostridiales korreliert stark mit Krankheitsstatus. Antibiotika-Gaben verstärken die Abnahme der letztgenannten Bakterienordnungen und damit die Dysbiose – keine gute Idee. Für eine frühe und einfache Diagnose sind Analysen der rektalen schleimhautnahen Darmflora am besten geeignet; Krummdarm- und Fäkal-Mikrobiom sind anders zusammengesetzt und weniger aussagekräftig.

Einleitung + Ergebnisse

Studie an 668 Patienten (447 mit M. Crohn, 221 Kontrollen mit nicht-entzündlichen Darmproblemen) im Alter von 3-17 Jahren; Next-Generation-Sequencing und multivariate Analyse mit Berücksichtigung zahlreicher demografischer und klinischer Kovariaten wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Krankheitsschwere, Verhalten und Ort; Mikrobiom-Proben wurden vor Behandlungsbeginn entnommen.

Entzündungen sind stark mit Rückgang des Artenreichtums und mit veränderter Häufigkeit einiger Taxa assoziiert. Neben den bereits etablierten Taxa-Assoziationen (Enterobacteriaceae, Bacteroidales, Clostridiales) wurden positive Korrelationen zwischen M. Crohn und Häufigkeit von Pasteurellaceae (Haemophilus sp.), Veillonellaceae, Neisseriaceae und Fusobacteriaceae gefunden. Ein paar dieser Taxa (darunter Pasteurellaceae und Neisseriaceae) korrelieren negativ mit dem Alter der Patienten, sind also bei den jüngsten am häufigsten.

Bacteroides und Clostridiales waren in der Kontrollgruppe häufiger. Spezifische negative Assoziationen mit M. Crohn: Gattungen Bacteroides, Faecalibacterium, Roseburia, Blautia, Ruminococcus und Coprococcus sowie eine Reihe von Taxa aus den Familien Ruminococcaceae und Lachnospiraceae. Vor allem der Rückgang des entzündungshemmenden Faecalibacterium prausnitzii im Ileum (Krummdarm) ist ein frühes Warnzeichen für Entzündungen.  Weiterlesen

Das Marshall-Protokoll: Antibiotika gegen Autoimmunerkrankungen? Lieber nicht.

Schon lange will ich etwas über das sogenannte Marshall Protocol schreiben, eine Therapie weit abseits der evidenzbasierten Medizin, bei der Autoimmunerkrankungen nicht etwa durch Immunsuppression, sondern durch Immunstimulation behandelt werden. Leider konnte ich keine einzige Studie finden, in der diese Therapie kritisch überprüft worden wäre – was kein Wunder ist, da es auch von dem australischen Elektroingenieur Dr. Trevor Marshall und seinen Mitarbeitern selbst keine qualitätsgeprüften Veröffentlichungen gibt, in denen das Therapieprotokoll anhand von Tierversuchen oder wenigstens In-vitro-Zellkulturen untersucht worden wäre – von randomisierten kontrollierten Studien ganz zu schweigen. Die Therapie fußt einzig auf Anekdoten und einem Computermodell.

Marshall, selbst an Sarkoidose erkrankt, geht davon aus, dass diese und zahlreiche weitere Autoimmunerkrankungen, chronische Entzündungen und andere Krankheiten allesamt auf Infektionen mit zellwandlosen, intrazellulär lebenden und daher mit herkömmlichen Mitteln nicht nachweisbaren Bakterien zurückzuführen seien: den sogenannten L-Formen. Dass Bakterien in Zellen eindringen, sich so der Immunabwehr entziehen und zugleich eine chronische Entzündung auslösen können, ist zunächst kein abwegiger Gedanke. Doch dass alle möglichen Krankheiten (von ALS über Asperger, Morbus Crohn, Multiple Sklerose, Rückenschmerzen, Demenz, Depressionen, Epilepsie, Migräne, Nierensteine, Panikattacken, Rheuma und Makuladegeneration bis zu Schizophrenie) auf einen Befall unserer Phagozyten mit noch nicht näher charakterisierten Bakterien und eine dadurch ausgelöste chronische Th1-Immunantwort zurückzuführen seien, ist zunächst nicht mehr als eine gewagte Behauptung.  Weiterlesen