Geoepidemiologie der Autoimmunerkrankungen

Eine schnelle Skizze für das Epidemiologie-Kapitel des Buches. Jetzt hätte ich gerne zwei Wochen frei, um in einem Rutsch weiterzuschreiben …

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Prävalenzen und Inzidenzen

Eine Skizze für das epidemiologische Kapitel des Autoimmunbuchs:

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In der epidemiologischen Fachliteratur ist von Prävalenzen und Inzidenzen die Rede. Die Prävalenz einer Krankheit ist ihre Häufigkeit, zum Beispiel in der Bevölkerung eines Landes, bei den Frauen einer Region oder bei den bis zu 6 Jahre alten Kindern auf einer Insel. Sie wird meist pro 100.000 Personen angegeben. Im Bild wäre die Prävalenz 4000 – oder 4 Prozent (4000/100.000). Die Bezeichnung leitet sich vom lateinischen praevalere = vorherrschen ab.

Die Inzidenz (vom lateinischen incidere = anfallen) gibt dagegen an, wie viele neue Fälle in einem Jahr auftreten. Im Bild betrüge die aktuelle Inzidenz der Beispielkrankheit 1000 pro 100.000 oder 1 Prozent. Prävalenzen und Inzidenzen sind ohne weitere Angaben kaum miteinander zu vergleichen. Klar ist, dass die Inzidenz bei chronischen Erkrankungen praktisch immer deutlich kleiner ist als die Prävalenz, da Letztere auch die in den vorangegangenen Jahren aufgetretenen Fälle umfasst, sofern die Betroffenen noch leben.

Wenn die Inzidenz im letzten Jahrzehnt größer ist als im Jahrzehnt zuvor oder die Inzidenz unter Kleinkindern größer als die unter Jugendlichen, deutet das darauf hin, dass die Krankheit häufiger wird. Das ist z. B. bei Typ-1-Diabetes in der westlichen Welt der Fall – und neuerdings auch in China. Auch beim Vergleich von Prävalenzen, beispielsweise zwischen mehreren Ländern oder Breitengrad-Gürteln der Erde, muss man aufpassen: Wurden sie ungefähr zur selben Zeit erhoben? Und sind sie wirklich unterschiedlich – oder wird die Krankheit in einem Land womöglich nur weniger sorgfältig oder nach anderen Kriterien diagnostiziert?

Closing the gap: rp13-Rückblick und Ausblick aufs HealthCareCamp

(Fortsetzung meines Rückblicks auf die Gesundheits-Sessions bei der diesjährigen re:publica; hier geht es zu Teil 1.)

Trotz der schwierigen Akustik im Workspace C hat sich der Besuch der vier Gesundheitsvorträge am re:publica-Mittwoch unbedingt gelohnt. Den Anfang machte Thomas Schmidt von der TU Braunschweig und vom Online-Portal Firsttrimester, auf dem Ersttrimester-Screening-Risikoberechnungen für Ärzte angeboten werden. In seinem Vortrag „Soziale Netze im ärztlichen Behandlungsraum“ erklärte er, was seine Kollegen und er mit einer Ärztebefragung und Auswertungen von Zugriffszahlen über die Orte herausgefunden haben, an denen Ärzte sich online über Behandlungsmethoden informieren. Seine Kernthese fasst er in seinem Blog so zusammen: „Konferenzen und Unis sind schön und gut, aber Wikipedia-Artikel haben bessere Reichweiten.“

Die Auswertung von Inforamtionsangeboten für Ärzte ergab: Zertifikate bringen herzlich wenig, der Aufbau der Seiten sollte ganz einfach sein (eine Menüspalte rechts wird beispielsweise ingoriert), und SEO lohnt sich: Die meisten Fachbesucher kommen über Google. Wikipedia-Artikel zu medizinischen Themen werden auch dann fleißig gelesen, wenn am Anfang die bekannte Warnung wegen unzureichender Belege steht. Darin spiegelt sich die Erfahrung, dass viele medizinische Wikipedia-Artikel von Fachleuten geschrieben wurden und im Großen und Ganzen stimmen.  Weiterlesen

Mind the gap: Der lange Weg des Gesundheitswesens ins Netz (re:publica-Rückblick, Teil 1 von 2)

Von Montag bis Mittwoch war ich in Berlin auf der re:publica – meiner dritten. Diesmal habe ich mich auf die Themen Opendata/OpenGov, neue Wege in der Wissenschaftsberichterstattung und Gesundheit konzentriert. Die Gesundheitsthemen, von denen im Folgenden ausschließlich die Rede sein wird, werden auf der re:publica von Tobias Neisecke kuratiert, der die Sessions am Dienstag und Mittwoch auch moderierte.

Tobias habe ich im März in Freiburg kennen gelernt, und zwar gegen Ende des Workshops zu systematischen Übersichtsarbeiten, den die Cochrane Collaboration zweimal im Jahr anbietet: Gerd Antes, der Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums, machte im Rahmen seiner Vorlesung einige unvorsichtige Behauptungen über den Einfluss von Social Media auf die Verbreitung von evidenzbasiertem Medizinwissen, und Tobias, der zufällig neben mir saß, warf ganz zu Recht ein, das sei jetzt aber nicht gerade evidenzbasiert gewesen. 🙂

Die Situation war typisch, und zwar branchenübergreifend: Koryphäen, die sich mit Social Media nicht auskennen (was keine Schande ist), meinen dennoch darüber urteilen zu können (was zum Problem werden kann). Das verzögert das letztlich zwangsläufige Zusammenwachsen der Welten und schränkt Gestaltungsspielräume ein. Um einen Stoßseufzer zu zitieren, den Frank Krings vom diesjährigen Buchcamp absetzte:

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Hokuspokus im Thymus

Endlich eine neue Skizze fürs Buch: Medulläre Thymus-Epithelzellen (mTEC) exprimieren das Gen AIRE, das einen universellen Transkriptionsfaktor codiert. Dieser dockt an beliebige Gene in den Zellkernen an und sorgt für die ektopische (d. h. nicht am üblichen Ort erfolgende) Herstellung aller möglicher eigentlich gewebe- und organspezifischer Proteine im Thymus. Auf diese Weise präsentieren die Thymus-Epithelzellen (hier als Illusionskünstler dargestellt) den jungen T-Zellen nahezu alle körpereigenen Proteine.P1110584_Thymus_AIRE_zentrale_Toleranz_Zauberer_650

Immunzellen, die stark auf eines dieser Proteine ansprechen (Sprechblasen), würden später zu Autoimmunreaktionen neigen und müssen daher ausgeschaltet werden. Das Ergebnis dieses Selektionsvorgangs nennt man „zentrale Toleranz“, da fast nur solche Immunzellen übrig bleiben, die körpereigene Antigene in Ruhe lassen. Ergänzt wird er später im Körper durch weitere Selektions- und Umpolungsvorgänge, die peripheren Toleranzmechanismen. Mutationen im Gen AIRE oder andere Störungen der Selektion im Thymus führen bereits im Kindesalter zu schweren, oft gegen eine Vielzahl körpereigener Antigene gerichteten Autoimmunreaktionen.

Status: Alive and Kicking (na ja)

Doch, ich lebe noch, und ich arbeite auch ab und zu am Buch. Heute zum Beispiel. Leider gab und gibt es wieder gesundheitliche Querschüsse (unter anderen eine leichte Gastritis – das Biopsie-Ergebnis erfahre ich am Montag), und ich war beruflich sehr eingespannt. Aber heute klappe ich endlich wieder das Whiteboard auf und mache mindestens eine Skizze.

In den nächsten Wochen werde ich dieses Blog gelegentlich für ein paar sachfremde Beiträge nutzen, denn ich besuche Barcamps, die zum Teil mit Blogparaden verbunden sind, und die Institution, für die ich arbeite, hat kein Blog. Den immensen Rückstau an neuer Autoimmun-Fachliteratur werde ich in den nächsten Monaten höchstens in ganz kleinen Häppchen abarbeiten: Das Buchmanuskript geht vor.

Proximate und ultimate Ursachen

Nikolaas_Tinbergen_02_250Noch eine Skizze fürs Buch. Der niederländische Verhaltensforscher Nikolaas Tinbergen (1907-1988) vertrat den Standpunkt, eine biologische Erklärung müsse vier Fragen beantworten, um vollständig zu sein:

  • Welcher Mechanismus steckt hinter dem Phänomen?
  • Wie entwickelt sich das Phänomen ontogenetisch, also im Lauf eines  Lebens?
  • Welchen Anpassungsvorteil hat es mit sich gebracht?
    • Wie ist es phylogenetisch, also im Lauf der Stammesgeschichte entstanden?