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Cartoon eines Mitochondriums als Fabrik, die vor allem Energieträger erzeugt

Die Rolle der Mitochondrien in systemischen Autoimmunerkrankungen

Mein Text über T-Zellen mit Stoffwechselproblemen ist gut sieben Jahre alt. Höchste Zeit für ein Update: Welche Rolle spielt der Zellstoffwechsel bei der Entstehung und der Bekämpfung von systemischen Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Lupus (SLE)? Was geschieht mit den Zellen und Regelkreisläufen des Immunsystems, wenn unsere Mitochodrien nicht so funktionieren, wie sie es sollten? Der aktuellen Kenntnisstand dazu ist in einem Review nachzulesen (Open Access):

Blanco LP, Kaplan MJ (2023): Metabolic alterations of the immune system in the pathogenesis of autoimmune diseases. PLoS Biol 21(4): e3002084. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3002084

Der Artikel enthält ein Glossar mit den wichtigsten Grundbegriffen und einige mittelprächtige Abbildungen. Viele Aussagen sind – wie so oft in narrativen Reviews – recht vage, nach dem Schema: X könnte Y bewirken. Und man verliert sich leicht in den zahlreichen Details der dargestellten Signalketten und Stoffwechselwege, die ich im Folgenden weglasse.

Bevor ich die Arbeit zusammenfasse: ein Wort zur sogenannten Mitochondrien-Medizin. Ich reagiere etwas allergisch auf den Ausdruck, da mir dieser alternativmedizinische Ansatz arg esoterisch erscheint, wie ein Glaubenssystem, dessen Anhänger ab und zu auch mich zu bekehren versucht haben oder in mir eine Verbündete zu sehen meinten. Insofern passt es, dass dieser Text nach dem über die Just-so-Stories erscheint: Die Hypothese, auf der Mitochondrien-Medizin fußt, klingt furchtbar einleuchtend, aber das Ganze ist nicht gerade evidenzbasiert. Dysfunktionale Mitochondrien sind tatsächlich an (zumindest einigen) Autoimmunerkrankungen beteiligt. Aber die Zusammenhänge sind komplex und vermutlich nicht bei allen Autoimmunerkrankungen gleich, und die entsprechenden Therapieansätze sind so unausgereift, dass gegenüber schlichten Ernährungsregeln oder anderen Formen der Selbsttherapie zur Mitochondrien-„Heilung“ vorerst gehörige Skepsis angebracht ist. Jetzt aber zu Blanco und Kaplan:

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Selektionsdruck durch Seuchen

Pestarzt_650_gespiegeltFür die meisten Betroffenen nur ein schwacher Trost, aber evolutionsbiologisch faszinierend: Dass Risikogenvarianten für Autoimmunerkrankungen nicht längst „weggemendelt“ wurden, liegt wohl daran, dass sie mit höheren Überlebenschancen bei Infektionserkrankungen einhergehen.

So deutet einiges darauf hin, dass manche afrikanische und asiatische Ethnien eine stärkere genetische Neigung zu Lupus (SLE) haben als beispielsweise Europäer, weil eine Variante in einem Gen für einen Rezeptor für das konstante Ende von Antikörpern das Risiko verringert, an Malaria zu sterben – um den Preis eines höheren Lupus-Risikos (Clatworthy et al. 2007).

Eine ähnliche positive Selektion hat wohl der Cholera-Erreger Vibrio cholerae im bengalischen Gangesdelta ausgeübt: Viele Bengalen tragen genetische Varianten in sich, die einerseits die Schlagkraft des angeborenen Arms ihres Immunsystems gegen Cholera, andererseits aber auch die Neigung zu Colitis ulcerosa erhöhen (Karlsson et al. 2013).

Selektionsdruck_Malaria_Pest_Cholera_Roma_650

In Europa schließlich dürften die Pestepidemien des Mittelalters und der frühen Neuzeit einen starken Selektionsdruck auf unser Immunsystem ausgeübt haben. Das wird beim Vergleich der Immunsystem-Gene von „alteingesessenen“ Rumänen, rumänischen Roma und Nordwestindern deutlich.

Die Vorfahren der Roma sind zwischen 900 und 1100 n. Chr. aus dem Nordwesten Indiens nach Europa eingewandert (weiße Punkte und Pfeil in der Karte). Seither sind sie in Rumänien im Großen und Ganzen ähnlichen Umweltbedingungen und damit auch einem ähnlichen Selektionsdruck durch Infektionen ausgesetzt wie die übrige Bevölkerung Rumäniens (schwarzer Punkt in der Karte). Sie haben sich aber genetisch kaum vermischt.

Laayouni et al. (2014) haben mehrere Gene für sogenannte toll-like receptors aufgespürt, die in diesen beiden europäischen Populationen in den letzten Jahrhunderten eine konvergente Entwicklung durchlaufen haben: TLR1, TLR6 und TLR10. Kleine Varianten in diesen Genen verändern die Zytokin-Ausschüttung, die durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöst wird. Bei den Nordwestindern, die den Roma genetisch ansonsten noch recht nahe stehen, finden sich diese Varianten nicht – ebenso wenig wie bei den Yoruba in Afrika oder bei den Han-Chinesen.

Unter einem positiven Selektionsdruck stand bei den Rumänen und den Roma offenbar auch eine Variante des Gens ADAMTS12, die das Risiko erhöht, an rheumatoider Arthritis zu erkranken. Etliche TLR-Varianten erhöhen ebenfalls die Neigung zu Autoimmunstörungen oder chronischen Entzündungen.

Rubens: Gicht oder rheumatoide Arthritis?

Zu den ältesten Quellen für das Aufkommen der rheumatoiden Arthritis in Europa zählen Gemälde des Barockmalers Peter Paul Rubens (1577-1640), der vermutlich selbst unter schwerer rheumatoider Arthritis litt – auch wenn er die Krankheit als Gicht bezeichnete.

Rubens_Selbstporträt_1638_sw_450In seinem Atelier übernahmen zahlreiche Helfer die Ausführung großer Teile der Gemälde, Aber für die Gesichter und Hände blieb er selbst zuständig, und Kunsthistoriker nehmen an, dass er in seinen Vorstudien oftmals die eigenen Hände porträtierte.

Das Selbstporträt, auf dem diese Zeichnung basiert, entstand vermutlich um 1638. Zur amerikanischen Herkunft des unbekannten Erregers, der die Autoimmunerkrankung rheumatoide Arthritis mutmaßlich auslöst, habe ich hier früher schon etwas geschrieben.

Neuere Literatur bis einschließlich Dezember 2013, Teil 1

Ich war noch mal im Urlaub (Teneriffa – einige Fotos auf meiner Facebook-Seite) und habe jetzt die Durchsicht der beiden ersten Buchteile wieder aufgenommen: fehlende Zeichnungen vermerken, vorhandene Zeichnungen an den passenden Stellen einbauen, Bildunterschriften schreiben usw.

Während der letzten Monate ist aber auch wieder einiges an Fachliteratur aufgelaufen. Ich werde die Arbeiten hier nicht besprechen, sondern nur Stichwörter bzw. Kernaussagen notieren – vor allem als Erinnerungsstütze für mich selbst. Längst nicht alles davon wird im Buch landen. Die Zitationen sind schlampig und die Reihenfolge ist willkürlich – so, wie mir die Artikel beim Durchstöbern der E-Mail-Newsletter usw. gerade entgegenkommen. Zunächst vier Arbeiten aus meinen offenen Browser-Tabs:

Kim,  Seoyoung C., et al. (2013): Dipeptidyl Peptidase-4 Inhibitors In Type 2 Diabetes May Reduce The Risk Of Autoimmune Diseases (Abstract) T3
Dazu auch Medication used to control blood sugar in people with type 2 diabetes may also reduce risk of autoimmune diseases
Transmembranprotein DPP4 ist unter anderem Kostimulator in T-Lymphozyten- und Makrophagen-Zellmembran; Aktivität bei vielen Autoimmunerkrankungen verändert; DPP4-Inhibitoren wie Linagliptin, Saxagliptin und Sitagliptin können offenbar Inzidenzen von Autoimmunerkrankungen wie RA, SLE, CED, Psoriasis oder MS bei Typ-2-Diabetes-Patienten senken.

Elahi, Shokrollah, et al. (2013): Immunosuppressive CD71+ erythroid cells compromise neonatal host defence against infection (Abstract) T4
Dazu auch Der wahre Grund: Warum Neugeborene so leicht an Infektionen erkranken
sowie Newborn Immune Systems Suppressed
Bei Neugeborenen fehlen nicht etwa schlagkräftige Immunzellen, weil diese erst in den folgenden Wochen und Monaten heranreifen, sondern ihre Aktivität wird durch Neugeborenen-spezifische CD71+-Zellen – Vorläufern der roten Blutkörperchen – aktiv unterdrückt, um die Besiedlung des Darms mit einer nützlichen Darmflora zu ermöglichen.

Marichal, Thomas, et al. (2013): A Beneficial Role for Immunoglobulin E in Host Defense against Honeybee Venom (Abstract) T2, T3
Mäuse, denen man so viel Bienengift injiziert, wie 1-2 Stiche liefern, bilden daraufhin IgE, das sie vor der potenziell tödlichen Wirkung einer zweiten Injektion einer erheblich höheren Giftdosis schützt. Diese Resistenz gegen Insektengifte könnte erklären, warum IgE – das heute überwiegend bei Allergien produziert wird – evolutionär konserviert wurde.

De la Herrán-Arita, Alberto K. ,  et al. (2013): CD4+ T Cell Autoimmunity to Hypocretin/Orexin and Cross-Reactivity to a 2009 H1N1 Influenza A Epitope in Narcolepsy (Abstract) T3
Dazu auch Narcolepsy confirmed as autoimmune disease
Studie, die die Hypothese bestätigt, dass Narkolepsie eine Autoimmunerkrankung ist, was die Zunahme von Narkolepsie-Fällen nach den Schweinegrippe-Impfungen mit Pandemrix erklären kann (molekulare Mimikry). Bei Narkolepsie gehen die Neuronen verloren, die das „Wachheitshormon“ Hypocretin herstellen. Bestimmte CD4+-T-Zellen, die Hypcretin angreifen, können nur bei Narkoleptikern nachgewiesen werden.

Gemäßigter Langzeit-Alkoholkonsum scheint RA-Risiko bei Frauen deutlich zu senken

Ethanol (Strukturformel)

Diese Literaturzusammenfassung – wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet – schließt an die Arbeit über die negative Korrelation von Alkoholkonsum und Hashimoto-Erkrankungen an, über die ich vor einigen Monaten berichtet habe. Die Indizien verdichten sich, dass diese Effekte nicht einfach auf eine erbliche Veranlagung zurückzuführen sind, die sowohl eine Neigung zum Alkoholkonsum als auch ein verringertes Erkrankungsrisiko bewirkt, sondern dass Alkohol tatsächlich dämpfend auf die Entzündungsprozesse einwirkt, die an Autoimmunerkrankungen beteiligt sind. Interessant auch, dass es nicht auf die Art der alkoholischen Getränke (Bier, Wein oder Spirituosen) anzukommen scheint.

Daniela Di Giuseppe et al.: Long term alcohol intake and risk of rheumatoid arthritis in women: a population based cohort study. BMJ 2012;345:e4250, doi:10.1136/bmj.e4230 (Open Access)

Abstract: Daten aus der schwedischen Mammografie-Kohorte, 34.141 Frauen der Geburtsjahrgänge 1914 bis 1948, Befragungen 1987 und 1997; Follow-up Anfang 2003 bis Ende 2009 mit 226.032 Personenjahren: 197 neue Fälle von rheumatoider Arthritis (RA). Statistisch signifikant 37% geringeres RA-Risiko bei Frauen, die >4 Gläser Alkohol pro Woche (1 Glas = 15 g Ethanol) tranken, ggü. Frauen, die <1 Glas/Woche oder gar keinen Alkohol tranken. Konsum aller Alkoholtypen (Bier, Wein, Schnaps) einzeln nichtsignifikant invers mit RA-Risiko assoziiert. Langzeiteffekte: Frauen, die sowohl 1987 als auch 1997 angaben, >3 Gläser/Woche zu trinken, hatten gegenüber denen, die gar keinen Alkohol tranken, ein um 52% reduziertes RA-Risiko. Weiterlesen

Schützen Alkohol- und Tabakkonsum vor Hashimoto-Thyreoiditis?

Bitte nicht gleich lossaufen, sondern erst den Artikel lesen. 🙂

Grigoris Effraimidis, Jan G. P. Tijssen, Wilmar M. Wiersinga: Alcohol Consumption as a Risk Factor for Autoimmune Thyroid Disease: A Prospective Study. Eur Thyroid J, 7. Juni 2012 (doi defekt, Abstract hier)

Soll man überhaupt über Studien berichten, in denen als gesundheitsschädigend eingestufte Verhaltensweisen wie Trinken und Rauchen plötzlich als mögliche Schutzfaktoren für bestimmte Autoimmunerkrankungen diskutiert werden? Ja, natürlich. Mündige Patienten können nur dann (im Idealfall gemeinsam mit ihren Ärzten) abwägen, was sie an ihrem Leben ändern sollten, um Verschlimmerungen einmal diagnostizierter Autoimmunerkrankungen aufzuhalten, wenn sie rundum informiert sind.

Dies ist die erste prospektive Studie zur Auswirkung von Alkoholkonsum auf den Ausbruch einer Hypothyreose bei anfangs noch gesunden Personen, in deren Familien Schilddrüsenerkrankungen bekannt sind. Prospektive Studien haben gegenüber den weitaus häufigeren retrospektiven Studien den Vorteil, dass falsche Erinnerungen bei nachträglichen Befragungen usw. weitgehend ausgeschlossen werden können.   Weiterlesen

Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Autoimmunerkrankungen

Zusammenfassung der Abstracts einiger Arbeiten:

Mesut Ogrendik: Rheumatoid arthritis is linked to oral bacteria: etiological association. Mod Rheumatol 19, 2009, 453-456, doi: 10.1007/d10165-009-0194-9 (Open Access)
Klinische Studien haben Hinweise auf signifikante Assoziationen zwischen diesen beiden Erkrankungen erbracht. Im Serum und der Gelenkflüssigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) wurden hohe Titer von Antikörpern gegen anaerobe Mundbakterien gefunden. In ihrer Gelenkflüssigkeit wurden Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythensis und Prevotella intermedia nachgewiesen. Antibiotika, die gegen Infektionen mit anaeroben Mundbakterien helfen, wirken auch gegen RA. Der Autor des Reviews kommt zu dem Schluss, dass diese Bakterien direkt mit der Etiologie der RA zusammenhängen. Umso wichtiger sei es, Parodontitis zu behandeln und ihre Chronifizierung zu verhindern.

B. S. Patil, S. Patil, T. R. Gururaj: Probable autoimmune causal relationship between peridontitis and Hashimoto thyroiditis: A systemic review. Niger J Clin Pract 14, 2011, 253-261, doi: 10.4103/1119-3077.86763 (Open Access)
Manifestation und Fortschreiten von Parodontitis hängen von vielen Faktoren ab; es gibt z. B. Zusammenhänge mit systemischen Erkrankungen. Hashimoto-Thyreoiditis wurde als eine mögliche Ursache für Parodontitis diskutiert.  Die Mechanismen ähneln sich (Autoantikörper …). Bei Hashimoto-Patienten führt eine Parodontitis-Behandlung oft nicht zum Erfolg.  Abb.: mögliche Mechanismen: Hashimoto-Thyreoiditis -> Endothel-Fehlfunktion -> nicht genug NO verfügbar -> erhöhter oxidativer Stress -> erhöhte Serum-Prostanoide, Zytokine und Matrix-Metalloproteasen -> Parodontitis. Und/oder Hashomoto-Th. -> Stress -> veränderte Mikrozirkulation im Zahnfleisch -> veränderte Beweglichkeit der Zellen bei Entzündung -> Parodontitis. Weiterlesen

Ernährung und Autoimmunerkrankungen, Teil 2

Flavoinoide, z. B. aus Äpfeln, sollen entzündungsfördernde Zytokine hemmen.

Achtung: Bitte lesen Sie diesen Text nicht als Empfehlung für oder gegen bestimmte Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel. Ich fasse hier lediglich Literatur zusammen. Was die Autoren schreiben, muss nicht stimmen und kann z. B. durch neuere, gründlichere Studien überholt sein!

Einige der Ernährungsempfehlungen aus Donna J. Nakazawas Sachbuch „The Autoimmune Epidemic“, die ich hier notiert habe, werden durch die aktuelle Fachliteratur in Frage gestellt – andere aber bekräftigt. Eine knappe Übersicht findet sich hier:

Carlo Selmi, Koichi Tsuneyama, Nutrition, geoepidemiology, and autoimmunity

Autoimmune Reviews 9 (2010), Sn. A267-A270, doi:10.1016/j.autrev.2009.12.001

In den letzten Jahren häufen sich die Indizien, dass bestimmte Mikronährstoffe (unter anderem Vitamin D, Vitamin A, Selen, Zink, Omega-3-Fettsäuren, Probiotika und Flavonoide) eine wichtige Rolle in der Immunantwort bei Infektionen, Allergien und Autoimmunerkrankungen spielen.   Weiterlesen

Estrogen und Autoimmunerkrankungen

Strukturformel von Estrogen

Sara E. Walker, Estrogen and Autoimmune Disease. Clinical Reviews in Allergy and Immunology, 40/1, 2011, 60-65, DOI: 10.1007/s12016-010-8199-x

Notizen noch nicht allgemein verständlich aufbereitet

Abstract: Estrogene haben sowohl immunstimulierende als auch immunsuppressive Eigenschaften. Bei Systemischem Lupus erythematodes (SLE) geht eine Schwangerschaft mit Krankheitsschüben einher. Bei Frauen nach der Menopause mit rheumatoider Arthritis (RA) mildern Estrogen-Gaben hingegen die aktive RA und Osteoporose ab.   Weiterlesen