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Epstein-Barr-Viren kapern und überdauern in B-Zellen

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Etliche Bakterien und Viren entziehen sich der Abwehr, indem sie sich ausgerechnet im Inneren von Immunzellen einnisten. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), das in T-Zellen überdauert. Viel häufiger und zum Glück weniger gefährlich ist das Epstein-Barr-Virus (EBV), das zu den Herpes-Viren gehört und sich in unseren B-Zellen versteckt. Einmal infiziert, trägt man es so ein Leben lang mit sich herum, und meistens bemerkt man davon nichts.

Bis zum 35. Lebensjahr haben sich über 95 Prozent aller Menschen das Virus zugezogen. Während sich in den Entwicklungsländern – wie früher auch bei uns – die meisten bereits als Kleinkinder symptomfrei anstecken, infizieren sich etliche Menschen in hoch entwickelten Ländern mit guter Hygiene erst als Jugendliche oder junge Erwachsene und entwickeln dann das Pfeiffer-Drüsenfieber. Nach einer akuten Infektionsphase in den Mandeln startet das Virus ein Latenzprogramm: Es nistet sich in langlebigen B-Gedächtniszellen ein, in denen es nicht weiter stört, aber die Funktion der B-Zellen subtil beeinflussen kann. Die B-Gedächtniszellen wandern über die Blutbahn in andere Organe.

Schon lange steht das Virus im Verdacht, bei Menschen mit entsprechender genetischer Veranlagung den Ausbruch von Autoimmunerkrankungen zu fördern, etwa Lupus, Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis, Hashimoto-Thyreoiditis, Sjögren-Syndrom, Typ-1-Diabetes, systemische Sklerose oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Gegen welches Organ oder Gewebe sich die Autoimmunreaktionen richten, scheint von ererbten Risikoallelen abzuhängen, insbesondere von bestimmten MHC-Klasse-II-Genvarianten und einer Veranlagung zu einem Mangel an regulatorischen T-Zellen (Tregs). Aber wie tragen die Viren zum Ausbruch der Autoimmunerkrankung bei? Alle möglichen Mechanismen werden in der Literatur diskutiert: molekulare Mimikry zwischen EBV-Proteinen wie EBNA-1 und menschlichen Proteinen wie dem Lupus-Autoantigen Ro, Bystander Activation autoreaktiver T-Zellen durch Entzündungssignale aus den infizierten B-Zellen, Epitope Spreading über das anfangs dominante EBV-Antigen hinaus oder polyklonale Antikörperbildung im Zuge der Vermehrung und Aktivierung der befallenen B-Zellen.

Außerdem wurde spekuliert, die Viren könnten naive autoreaktive B-Zellen so umprogrammieren, dass sie sich auch ohne Aktivierung durch Autoantigen-Kontakt in sehr langlebige Gedächtnis-B-Zellen umwandeln, die dann später Autoimmunreaktionen auslösen. Die Viren könnten auch endogene Retroviren wie HERV-K18 oder HERV-W aktivieren, die normalerweise untätig in unserem Genom schlummern, nach ihrer Erweckung durch EBV aber Superantigene herstellen, die zahlreiche T-Zellen polyklonal aktivieren könnten. Bewiesen ist aber nichts.

Dass im Blut von Patienten mit Autoimmunerkrankungen manchmal deutlich mehr Anti-EBV-Antikörper oder EBV-DNA-Moleküle nachzuweisen sind als bei Gesunden, belegt noch keine Verursachung der Erkrankung durch EBV: Vielleicht stört umgekehrt die Autoimmunerkrankung das Gleichgewicht in den infizierten B-Zellen, sodass die Viren aus ihrem Latenzzustand erwachen und sich vermehren. Da die üblichen Tiermodelle für Autoimmunerkrankungen, insbesondere Mäuse- und Rattenstämme, sich nicht mit EBV infizieren lassen, können auch Tierversuche keine rasche Klärung bringen.

Was kann uns das Hadza-Mikrobiom wirklich lehren?

P1180271_Hadza-Umwelt_650Wie in den Notizen zu Schnorr et al. beschrieben, leben die Hadza-Jäger und -Sammler in Tansania vor allem von Knollen, Affenbrotbaum-Früchten (sehr reich an Vitamin C!), Honig und Wild, wobei die pflanzliche Kost übers Jahr gerechnet mit etwa 70% überwiegt und Frauen mehr ballaststoffreiche Pflanzenteile, Männer dafür mehr Fleisch zu sich nehmen.

Im Januar hat Jop de Vrieze in Science das Projekt des US-amerikanischen Anthropologen und Tropenmediziners Jeff Leach vorgestellt, der bei den Hadza nicht nur über zwei Jahre hinweg zahlreiche Stuhl- und Hautflora-Proben sowie Proben ihrer Nahrungsmittel und ihres Trinkwassers einsammelt, sondern auch selbst einen Monat wie die Hadza leben und die Auswirkungen auf sein eigenes Mikrobiom analysieren lassen will. Seine Motivation: Seine Tochter ist an Typ-1-Diabetes erkrankt, und er hofft auf neue Therapieansätze, da die Hadza viel seltener „moderne Krankheiten“ wie Diabetes, Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen bekämen als Menschen in Industriegesellschaften.

Mir kommt ein Monat viel zu kurz vor, zumal da sich gerade gezeigt hat, dass die Kost und die sonstige Lebensweise der Hadza  stark von den Jahreszeiten abhängt. Dass ihr Mikrobiom eine so hohe Biodiversität und damit auch eine große Resilienz (Rückstellkraft bei Störungen) aufweist, dürfte gerade mit diesen Schwankungen zu tun haben: Je nach Lebensalter und Jahreszeit sind gerade andere Bakterien gefragt, die später evtl. wieder ins zweite oder dritte Glied zurücktreten, aber erhalten bleiben, um bei Bedarf wieder zu dominieren.   Weiterlesen

Das Honeymoon-Tal

P1170830_AIE-Verlauf_Schübe_Honeymoon-Tal_650Viele Autoimmunerkrankungen verlaufen schubförmig. Am bekanntesten ist das bei der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (RR-MS). Aber auch bei Typ-1-Diabetes kann auf den ersten Ausbruch von Symptomen, der zur Diagnose führt, eine Zeit der scheinbaren Genesung folgen – die sogenannte Honeymoon-Phase. Und bei den meisten Autoimmunerkrankungen geht der symptomatischen Phase (oberhalb der gestrichelten Linie) unbemerkt eine langjährige Entgleisung des Immunsystems voran, bei der nach und nach mehr Autoantikörper oder autoreaktive T-Zellen entstehen und es den regulatorischen T-Zellen immer schwerer fällt, diese selbstzerstörerischen Elemente in den Griff zu bekommen.

Neue Literatur bis einschließlich Dezember 2013, Teil 4

Der Rest, wieder unkommentiert und noch nicht verschlagwortet:

T cells and Transplantation: Drug-resistant immune cells protect patients from graft-versus-host disease after bone marrow transplant. T3

Bile Compound Prevents Diabetes in Mice: A chemical prevalent in the bear gallbladder abates a cellular stress response and stalls the progression of type 1 diabetes in rodents. T3

Matarese G et al. (2013): Hunger-promoting hypothalamic neurons modulate effector and regulatory T-cell responses (Open Access) T3
Dazu auch Neurons Govern Immunity: Hunger-associated molecules in the hypothalamus suppress inflammation.

Yu X et al. (2013): TH17 Cell Differentiation Is Regulated by the Circadian Clock (Abstract; PDF aber an anderer Stelle erhältlich) T3, T4
Dazu auch Time for T cells: Circadian rhythms control the development of inflammatory T cells, while jet lag sends their production into overdrive.

Scher JU et al. (29139: Expansion of intestinal Prevotella copri correlates with enhanced susceptibility to arthritis (Open Access) T4
Dazu auch Gut Microbes May Impact Autoimmunity: Researchers show that the prevalence of one genus of bacteria correlates with the onset of rheumatoid arthritis.

Zhong W et al. (2013): Immune anticipation of mating in Drosophila: Turandot M promotes immunity against sexually transmitted fungal infections (Open Access) T4
Dazu auch Frisky Fruit Flies: Researchers show that Drosophila females upregulate an immune gene for protection against sexually transmitted infections before copulation.

Simmonds MJ et al. (2013): Skewed X chromosome inactivation and female preponderance in autoimmune thyroid disease: an association study and meta-analysis (Abstract) T4

Alexandraki KI et al. (2013): Are patients with autoimmune thyroid disease and autoimmune gastritis at risk of gastric neuroendocrine neoplasms type 1? (Abstract) T3

Leskela S et al. (2013) Plasmacytoid Dendritic Cells in Patients With Autoimmune Thyroid Disease (Abstract) T3

Ioannou M et al. (2013): In Vivo Ablation of Plasmacytoid Dendritic Cells Inhibits Autoimmunity through Expansion of Myeloid-Derived Suppressor Cells (Open Access) T3

Simmonds MJ et al. (2013): GWAS in autoimmune thyroid disease: redefining our understanding of pathogenesis (Abstract) T3

Rege S, Hodgkinson SJ (2013): Immune dysregulation and autoimmunity in bipolar disorder: Synthesis of the evidence and its clinical application (Abstract) T3?

Karelien: zwei Notizen zu Schilddrüsen- und Betazell-Autoantikörpern

Vor allem für mich selbst als Erinnerungsstütze trage ich zwei Erkenntnisse aus der Karelien-Literatur nach:

(1) Kondrashova et al., Signs of β-Cell Autoimmunity in Nondiabetic Schoolchildren (2007): Zwar ist Typ-1-Diabetes in Finnland viel häufiger als im russischen Karelien. Aber Betazellautoimmunität, angezeigt durch verschiedene Autoantikörper, ist im russischen Teil genauso häufig wie in Finnland (mit Ausnahme des Antikörpers gegen  Tyrosinphosphatase IA-2, der in Finnland häufiger ist). Das heißt: Die Autoimmunprozesse setzen bei den Kindern mit etwa derselben Quote ein, aber in Finnland führen sie zu einer Erkrankung, während sie im russischen Karelien viele Jahre lang keinen Schaden anrichten. Das spricht für die Theorie, dass Autoimmunerkrankungen nicht durch das bloße Aufkommen von Autoimmunvorgängen bedingt sind, sondern durch ein Versagen der Regulierungsmechanismen, die solche Vorgänge zwar nicht abschalten, aber in Schach halten können.

(2) Kondrashova-Dissertation, 2009: Bei den untersuchten Schuldkindern (mittleres Alter: 11 Jahre) waren Schilddrüsen-Autoantikörper bei den Mädchen fast acht Mal so häufig wie bei den Jungen: etwa dasselbe Verhältnis wie bei den Prävalenzen erwachsener Frauen und Männer. Das heißt: Um den starken Frauenüberschuss bei Hashimoto-Thyreoiditis zu erklären, muss man vielleicht gar nicht auf Sexualhormone und Mikrochimerismus durch Schwangerschaften zurückgreifen; der reine X-Dosis-Effekt könnte ausreichen. Die Hormonveränderungen während der Pubertät könnten allerdings einen Beitrag leisten, denn die meisten der Kinder, bei denen Schilddrüsen-Aantikörper nachgewiesen wurden, waren älter als 11.

Karelien

Eine Skizze fürs Buch:

Karelien_650Was darin noch fehlt, sind die Zahlen: Untersucht wurden Schulkinder in der finnischen Region Karelien (linkes Wappen) und in der russischen Republik Karelien (rechtes Wappen), Durchschnittsalter 11 Jahre.

Sie gehören überwiegend zur selben ethnischen Gruppe, sodass Risiko-Genorte für die Erkrankungen ungefähr gleich stark vertreten sind. Die Vitamin-D-Konzentrationen in ihrem Blut und im Blut ihrer Mütter sind nahezu gleich, und sie nehmen etwa gleich viele glutenhaltige Getreideprodukte zu sich – in Russland sogar etwas mehr und evtl. auch früher. Die finnischen Kinder werden im Durchschnitt erheblich länger gestillt als die russischen.

Im finnischen Teil Kareliens ist bei ihnen

  • die Prävalenz von Typ-1-Diabetes 6-mal so groß wie im russischen Teil,
  • die Prävalenz von Zöliakie 4,6-mal so groß wie im russischen Teil,
  • der Anteil mit Antikörpern gegen Schilddrüsen-Autoantigene 5,5- bis 6,5-mal so groß wie im russischen Teil,
  • die Prävalenz von Allergien deutlich höher als im russischen Teil.

Im russischen Teil Kareliens sind

  • Wurminfektionen, z. B. Spulwurminfektionen, erheblich häufiger als im finnischen Teil,
  • 73% der Kinder mit Helicobacter pylori infiziert, während es im finnischen Teil 5% sind,
  • Infektionen mit Hepatitis A, Toxoplasma gondii und Enteroviren erheblich häufiger als im finnischen Teil, und
  • prozentual erheblich mehr Kinder ohne Diabetes oder Allergien Hepatitis-A-seropositiv als Kinder, die an Diabetes und/oder Allergien leiden.

Das Bruttosozialprodukt beträgt in Finnland gut 40.000 US-$, in der russischen Republik Karelien 5780 US-$ pro Kopf. Alles in allem stützen diese Zahlen die Hygiene- oder Alte-Freunde-Hypothese.

Die Prävalenz von Typ-1-Diabetes ist in Finnland höher als in jedem anderen Land der Welt; 2006 hat sie 63 pro 100.000 erreicht.

Skizzen zur Definition von Autoimmunerkrankungen

Genug der lurchartigen T-Zellen, eiförmigen B-Zellen und monströsen Makrophagen: Es müssen auch ein paar dröge Abbildungen ins Buch!

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(Obere Abb. nach Shoenfeld 1994, untere nach McGonagall/McDermott 2006; Erläuterungen folgen im Buch.)

Überblick: Typ-1-Diabetes

Langerhans-Insel, Foto: Wikipedia-User Polarlys

Langerhans-Insel, Foto: Wikipedia-User Polarlys

Diese Review-Sammlung der Zeitschrift Cold Spring Harbor Perspectives in Medicine umfasst 18 frei zugängliche Artikel aus dem Jahr 2012, von denen ich bisher fünf gelesen habe. Notizen zum Einführungsartikel:

Mark A. Atkinson, Pathogenese und Naturgeschichte von T1D: sehr guter Überblick, auch über ungeklärte Fragen.

Anteil T1D-Fälle, die erst bei Erwachsenen diagnostiziert werden: 35-50%. Etwa 5-15% der Erwachsenen mit T2D-Diagnose dürften tatsächlich T1D haben. 2 Gipfel: erster bei Kindern von 5-7 Jahren, zweiter nahe Pubertät. M und F etwa gleich oft betroffen, leichter Männerüberschuss. T1D-Diagosen im Herbst und Winter häufiger als im Frühjahr/Sommer -> evtl. Umweltfaktor an Symptomausbruch beteiligt. Studie SEARCH: Etwa 0,26% aller unter 20-Jährigen haben Diabetes (T1D oder T2D); bei unter 10-Jährigen 19,7/100.000 neue Fälle/Jahr, bei über 10-Jährigen 18,6/100.000; Ethnien: bei weißen Nicht-Latinos unter 10 Jahren höchste Inzidenz (24,8/100.000).

Bandbreite der Inzidenzen zwischen Ländern, aus denen Daten vorliegen: über 350-fach! I. A. positiv korreliert mit Breitengrad. Selten in Indien, China, Venezuela; sehr häufig in Finnland (> 60/100.000/Jahr) und Sardinien (etwa 40/100.000/Jahr); > 20/100.000/Jahr in Schweden, Norwegen, Portugal, GB, Kanada, Neuseeland. Estland: weniger als 75 Meilen von Finnland entfernt, aber T1D-Rate weniger als 1/3 der finnischen. Puerto Rico: selbe Rate wie Festland-USA, benachbartes Kuba dagegen weniger als 3/100.000/Jahr. Inzidenzen steigen weltweit seit Jahrzehnten, besonders stark bei den unter 5-Jährigen. In Schweden scheint Plateau erreicht zu sein. Anstieg viel zu schnell für Verschiebung der genetischen Empfänglichkeit. Anteil Betroffener mit Risikoallelen (v. a. im MHC-II-Komplex) scheint vielmehr gesunken zu sein.   Weiterlesen

Hormonwerte sind nicht alles: Hypothyreose-unabhängige Symptome bei Hashimoto-Thyreoiditis

In der Patientenszene häufen sich seit Jahrzehnten Berichte von Hashimoto-Patienten, denen es trotz Hormonwerten im Normalbereich schlecht geht. Viele kämpfen gegen die TSH-Wert-Fixierung ihrer Ärzte an, die so etwas gerne als „psychisches Problem“ abtun. Neuerdings zeichnet sich in der Fachwelt ein Umdenken ab: Mehrere Forschergruppen bestätigen die Existenz von ernsten Symptomen und krankhaften Gewebsveränderungen bei Hashimoto-Thyreoiditis, die nicht von der Schilddrüsenhormonversorgung abhängen, sondern vermutlich durch die Autoimmunreaktionen selbst bedingt sind. Hier fasse ich einige Arbeiten zusammen – wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet, gesundheitsbedingt ziemlich flüchtig und wahrscheinlich mit noch mehr Tippfehlern als sonst: Ich sehe momentan sehr schlecht, möchte aber meinen Rückstand aufholen.

Johannes Ott et al.: The incidence of lymphocytic thyroid infiltration and Hashimoto’s thyroiditis increased in patients operated for benign goiter over a 31-year period. Virchows Arch 2011, 459, 277-281, doi: 10.1007/s00428-011-1130-x

Die HT-Inzidenz scheint in den letzten Jahrzehnten gestiegen zu sein. Autoren haben Lymphpzyten-Infiltration der Schilddrüse (lymphocytic thyroid infiltration = LTI) in Gewebsproben von 1050 Patienten untersucht, die wegen eines gutartigen Kropfs an der Schilddrüse operiert worden waren. Ausmaß LTI (Grad 0-4) korreliert positiv mit HT. Vergleich der Jahre 1979-1989 und 1994-2009: Nach der Erhöhung der Salziodierung in Österreich höhere HT-Inzidenz als vorher – was natürlich kein Beleg für einen kausalen Zusammenhang ist. [Weiteres Problem: die winzige Zahl histologisch eindeutiger Hashimoto-Fälle – insgesamt 8 von 1050, also 0,8%!] In der Lit. genannte mögliche Ursachen für steigende Inzidenz: intauterine Erreger-Exposition (Enterovirus usw.), industrielle Endokrindisruptoren oder Schwermetalle, radioaktive Strahlung (Tschernobyl), Iodierung. Mögliche pathophysiologische Mechanismen: erhöhte Immugenität von stark iodiertem Thyreoglobulin, toxische Wirkung von Iod auf Schilddrüsenzellen oder direkte Stimulation der Immunzellen durch Iod. [Arbeit für meine Zwecke unergiebig.]

Johannes Ott et al.: Hashimoto’s Thyroiditis Affects Symptom Load and Quality of Life Unrelated to Hypothyroidism: A Prospective Case–Control Study in Women Undergoing Thyroidectomy for Benign Goiter. Thyroid 2011, 21(2), 161-167; doi: 10.1089/thy.2010.0191.

Prospektive Kohortenstudie an 426 euthyreoiden Frauen, die wegen gutartigen Kropfs operiert wurden. Gewebsuntersuchung: 28 der Frauen (6,6%) hatten HT. Aufteilung in zwei Gruppen: Anti-TPO-Antikörper-Werte > bzw. ≤ 121,0 iU/ml. In beiden Gruppen nahmen etwa 30% Schilddrüsenhormone. Mittlere Zahl der von den Patientinnen berichteten Symptome war in der Gruppe mit hohen Anti-TPO-Antikörper-Werten signifikant größer. TSH-Werte: kein signifikanter Unterschied (1,7 bzw. 1,4 µU/ml). Chronische Erschöpfung, trockenes Haar, chronische Reizbarkeit, chronische Nervosität, chronische Schwäche, Schlafstörungen, Vorgeschichte Brustkrebs und frühe Fehlgeburten sowie niedrigere Lebensqualität (allgemeiner Gesundheitszustand, Einschränkungen durch körperliche Beeinträchtigungen, Vitalität, Teilnahme am Sozialleben, geistige Gesundheit; ermittelt mit SF-36-Fragebogen): alle signifikant mit hohen Anti-TPO-Antikörper-Werten assoziiert. Schluss: Diese HT-typischen Symptome können auch auftreten, wenn keine Hypothyreose vorliegt.  Weiterlesen

Linkshändigkeit, Migräne, Dyslexie und Immunstörungen

Chronologische Sammelbesprechung von fünf Arbeiten aus den letzten 30 Jahren; noch nicht allgemeinverständlich aufbereitet; Anlass der Recherche war mein erster (und hoffentlich letzter), harmloser und kurzer Migräne-Anflug mit Aura vorletzte Woche:

Norman Geschwind, Peter Behan: Left-handedness: Association with immune disease, migraine, and developmental learning disorder. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 79, 1982, 5097-5100

Leonardo da Vinci, ein berühmter Linkshänder (mutmaßliches Selbstporträt)

Eine damals aufsehenerregende Arbeit, in der die aus klinischen Beobachtungen gewonnene Hypothese getestet werden sollte, dass bei Linkshändern und ihren Angehörigen Autoimmunerkrankungen, Migräne und Lernschwierigkeiten wie Dyslexie gehäuft auftreten. In zwei voneinander unabhängigen Studien wurden Immunstörungen und Lernschwierigkeiten bei Linkshändern deutlich häufiger festgestellt als bei Rechtshändern. In einer dritten Studie wurde der Linkshänderanteil bei Menschen mit Migräne bzw. der Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis mit dem Linkshänderanteil in einer Kontrollgruppe aus der Allgemeinbevölkerung verglichen; er war höher.   Weiterlesen