Da ist der Wurm drin: Können Darmparasiten Autoimmunerkrankungen eindämmen?

Peitschenwurm-Ei

A. ist 14 Monate alt, als bei ihr eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED) diagnostiziert wird. Das Kind kränkelt ständig, die Medikamente haben starke Nebenwirkungen. Nach eingehenden Recherchen entschließen sich die Eltern zu einer umstrittenen, in ihrem Land nicht zugelassenen Therapie: Im Ausland lassen sie ihrer Tochter eine Dosis Peitschenwurm-Eier verabreichen, die aus dem Stuhl eines Spenders gewonnen wurden. Diese Darmparasiten entwickeln sich im Verdauungstrakt und lösen eine Abwehrreaktion aus, die die Würmer nicht abtötet, aber das Immunsystem des Kindes so umstimmt, dass die Läsionen im Darm abheilen und die Blutwerte sich normalisieren.

Eine Wundergeschichte, wie sie zu Tausenden im Internet kursieren – von Anbietern unorthodoxer Therapien und missionarisch beseelten Betroffenen lanciert? Überprüfen lassen sich die Anekdoten kaum. Aber die Fachliteratur zeigt, dass solche Verzweiflungstaten ein solideres evolutionsbiologisches Fundament haben als viele etablierte Therapien.   Weiterlesen

„Balzgesang“ von Taufliegenmännchen beeinflusst Immunsystem der Weibchen

Diese Studie liefert ein Beispiel für die enge Verzahnung von Sinnes- bzw. Nerven- und Immunsystem, die auch bei der Untersuchung psychischer Störungen immer stärker in den Fokus rückt. (Bei vielen dieser Störungen hat man mittlerweile Autoimmunreaktionen nachgewiesen.)

Elina Immonen und Michael G. Ritchie: The genomic response to courtship song stimulation in female Drosophila melanogaster. Proc. R. Soc. B, Published online before print October 5, 2011. doi: 10.1098/rspb.2011.1644.

Die Autoren haben „Balzgesänge“ von Männchen zweier Drosophila-Arten (D. melanogaster und D. simulans) aufgenommen und untersucht, wie diese Aufnahmen die Genexpression in Weibchen der Art D. melanogaster beeinflussen. Die „Balzgesänge“ — rhythmische Tonfolgen, die die Männchen mit ihren Flügeln erzeugen— sind neben olfaktorischen, haptischen und optischen Reizen ein  wesentliches Element der Paarungsanbahnung bei Taufliegen.   Weiterlesen

Nächtliche „Lichtverschmutzung“ schwächt Immunabwehr von Hamstern

Tracy A. Bedrosian et al.: Chronic exposure to dim light at night suppresses immune responses in Siberian hamsters. Biol. Lett. 23 June 2011 vol. 7 no. 3 468-471. doi: 10.1098/rsbl.2010.1108

Nächtliches Kunstlicht („Lichtverschmutzung“) verändert bei einigen Tieren den Zeitpunkt der Fortpflanzung und ihre Aktivitätsmuster, was die Überlebenschancen verringern kann. Es unterdrückt auch Immunreaktionen, was ebenfalls das Überleben beeinträchtigt. Die Autoren haben Dsungarische Zwerghamster (Phodopus sungorus), deren Vorfahren in ihrer Heimat keinen Lichtsmog kannten, vier Wochen lang nachts Dämmerlicht von 5 lux ausgesetzt; das ist fünfmal so hell wie Vollmond, entspricht etwa der realen urbanen Lichtverschmutzung und reicht aus, um die Melatonin-Ausschüttung bei Hamstern zu stören. (Melatonin ist das Hormon, das unseren Tag-Nacht-Rhythmus steuert.)   Weiterlesen

Zwei Artikel über „soziale Immunität“

Teil einer Ameisenkolonie

Vorweg: In den letzten Wochen habe ich sehr viel Fachliteratur durchgearbeitet, aber mir fehlt die Zeit, diese Artikel hier ausführlich vorzustellen. Daher gehe ich dazu über, nur die Abstracts zusammenzufassen und mehrere solcher Zusammenfassungen zu jeweils einem Blogartikel zu kombinieren. So hoffe ich den Rückstand aufzuholen und das Gelesene für mich selbst und ggf. weitere Interessenten leichter zugänglich zu machen.
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Literaturanschaffung III

Ein herrliches Kontrastprogramm — beide Werke werden in meinem Buch ihren Niederschlag finden!

Auf Luis P. Villarreal (Origin of Group Identity. Viruses, Addiction and Cooperation. Springer 2009) und seine Idee von den „Abhängigkeitsmodulen“, mit denen Parasiten, vor allem Viren, sich ihre Wirte gefügig gemacht und sich zugleich selbst domestiziert haben, hat mich Fran Ryan in seinem Buch Virolution aufmerksam gemacht. Eine Geschichte des Lebens von den ersten Anfängen bis zu den heutigen menschlichen Kulturen mit ihren Schriftsprachen, Religionen und Wissenschaften zu verfassen, die auf dieser einen Grundidee von der Gruppenidentität aufbaut, ist schon gewagt: das verschrobene Werk eines beseelten Außenseiters oder doch eher die Ankündigung eines unausweichlichen Paradigmenwechsels? Ich werde berichten.

Scott McCloud (Comics machen. Alles über Comics, Manga und Graphic Novels. Carlsen 2007) hat nicht einfach ein How-To geschrieben, sondern in mehreren Büchern eine regelrechte Theorie des Comics (seiner Entstehung, Bedeutung, Rezeption usw.) entwickelt. Ich erhoffe mir zahlreiche Anregungen für die Illustrationen meines Buches, das zwar kein Comic werden wird, wohl aber eine halbe „Graphic Non-Fiction Novel“. Derzeit schwebt mir eine klare Aufteilung in Textseiten links und teils cartoonartige, teils nüchterne Abbildungen rechts vor.

Ein uneingelöstes Versprechen: Springer-Artikel sind unerschwinglich

Derk Haank, CEO, Springer Science+Business Media, auf der OAOD2010

Anlässlich der Open-Access-Tage, die derzeit in Regensburg stattfinden, und der Veröffentlichung der Ergebnisse der Umfrage des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ möchte ich an ein Versprechen erinnern, das Derk Haank (CEO, Springer Science+Business Media) mir im Dezember 2010 bei der Expertentagung „Open Access/Open Data“ in Köln gegeben hat.

Auf der Tagung bestand die Möglichkeit, den Teilnehmern des von Arnoud de Kemp moderierten Panels schriftlich Fragen zu stellen, die im letzten Teil der Diskussion beantwortet werden sollten. Ich habe Derk Haank auf die hohen Einzelartikelpreise der Springer-Fachzeitschriften aufmerksam gemacht, die für freie Publizisten ohne institutionelle Anbindung unerschwinglich sind — gerade, wenn man beim Recherchieren im Rahmen eines Übersetzungs- oder Lektoratsauftrags oder beim Schreiben eines Sach- oder Fachbuchs sehr viele Artikel einsehen muss, nur um hinterher festzustellen, dass ein Großteil davon die gesuchten Informationen (oft nur ein Fachbegriff oder eine Artbezeichnung, die man verifizieren will) gar nicht enthält.   Weiterlesen

Klaus Resch, Michael U. Martin, Volkhard Kaever, „Immunpharmakologie“

Dieses 2010 im Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, erschienene Lehrbuch ist die beste mir bekannte deutschsprachige Einführung nicht nur in die Immunpharmakologie, sondern auch in die Immunologie. Das didaktische Geschick der Autoren und die klaren Illustrationen von Sabine Seifert erleichtern die Orientierung in diesem schwierigen Fachgebiet enorm.

Wohlgemerkt: Leichte Lektüre ist auch dieses Werk nicht; allein die ausufernde und m. E. oft inkonsistente, ja hilflose Begrifflichkeit der Immunologie erfordert höchste Konzentration. So werden Immunzellen teils nach ihrem Herkunftsorgan, teils nach ihrer Funktion, nach ihrem Aussehen oder einfach nach den auf ihrer Oberfläche nachweisbaren Markern benannt. Und jene T-Helferzellen, die nach den Th1- und den Th2-Zellen entdeckt wurden, hat man nicht etwa Th3 getauft, sondern Th17 — weil sie Interleukin 17 herstellen. Wer nun meint, Th1-Zellen würden Interleukin 1 produzieren, hat sich geschnitten: Es ist Interleukin 2. Frag nicht nach Logik … Aber das kann man nicht den Autoren dieses Buches anlasten.   Weiterlesen

Zusammenhänge zwischen Schilddrüsen- und weiteren Autoimmunerkrankungen

Lymphozyt; Quelle: National Cancer Institute

A. P. Weetman, Diseases associated with thyroid autoimmunity: explanations for the expanding spectrum.
Clinical Endocrinology, 74, 2011, S. 411-418,
DOI: 10.1111/j.1365-2265.2010.03855.x

Notizen noch nicht allgemein verständlich aufbereitet

Zusammenfassung

Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse (autoimmune thyroid diseases, AITD) sind häufig mit weiteren Autoimmunerkrankungen sowie Krankheiten mit bislang unbekannten Ursachen assoziiert. In diesem Review werden neue Erkenntnisse über diese Assoziationen vorgestellt, hinter denen sowohl genetische Faktoren als auch Umwelteinflüsse stecken können.

Autoimmunerkrankungen, die mit AITD einhergehen

Hashimoto-Thyreoiditis (Hypothyreose, Schilddrüsenunterfunktion) und Morbus Basedow (Hyperthyreose, Schilddrüsenüberfunktion) treten oft familiär gehäuft auf, und etliche symptomfreie Angehörige haben die entsprechenden Autoantikörper im Blut. Zudem bilden die AITD in den betroffenen Individuen oder Familien Cluster mit weiteren Autoimmunerkrankungen. Die Aufklärung gemeinsamer Mechanismen bei der Pathogenese (Krankheitsentstehung) ist wichtig für unser grundlegendes Verständnis der Autoimmunerkrankungen und für die Verbesserung der Diagnose (Screening). Da AITD viel häufiger sind als die meisten mit ihnen assoziierten Krankheiten, ist es einfacher und aufschlussreicher, Betroffene mit den selteneren Erkrankungen auf AITD zu testen, als umgekehrt.   Weiterlesen

NZZ über Ernährung und Immunsystem

Ulrike Gebhardt gibt in der NZZ Online eine gute Übersicht über den aktuellen Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen Nahrung, Darmflora und Immunabwehr: Die Körperabwehr ist, was der Mensch isst. So berichtet sie von einer Studie von Gerhard Rogler am Universitätsspital Zürich, der Patienten mit der chronisch-entzündlichen Darmkrankheit Colitis ulcerosa getrocknete Heidelbeeren zu essen gibt, die sich im Tierversuch als entzündungshemmend erweisen haben.

Für Nichtschweizer: Eine Rande ist eine rote Rübe. Etwas verwirrend finde ich diese Passage:

Das beobachtete der Arzt J. F. Menkel schon vor gut 200 Jahren bei unterernährten Personen in England: Ihr Thymus, ein wichtiges Immunorgan hinter dem Brustbein, in dem «T-Zellen» ausgebildet werden, war deutlich geschrumpft.

Tatsächlich ist der Thymus aller erwachsenen Menschen „deutlich geschrumpft“: Dieses Organ, in dem sich unsere T-Lymphozyten entwickeln, stellt mit dem Eintritt der Geschlechtsreife seine Arbeit ein und bildet sich zurück. Vermutlich hat Menkel Kinder untersucht.

FAZ berichtet vom Rheumatologen-Kongress

Christina Hucklenbroich hat am 12. September bei FAZ.NET vom Rheumatogogen-Kongress in München berichtet. Den Vorträgen zufolge ist mittlerweile bei vielen Patienten eine vollständige Remission erreichbar, vor allem durch Kombinationstherapien — vorausgesetzt, sie erhalten rechtzeitig die richtige Diagnose und finden einen Rheumatologen, der sie richtig behandelt.

Rheumatologen, die neben rheumatoider Arthritis auch weitere Autoimmunerkrankungen wie Morbus Bechterew und Lupus erythematodes behandeln, sind in Deutschland allerdings Mangelware, sodass zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und dem Beginn der Therapie im Durchschnitt 13 Monate vergehen.