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Sauerstoff im Verdauungstrakt: am falschen Ort verheerend

Darm_Sauerstoff_Bakteriendichte_schwarz_650Die Sauerstoffkonzentration nimmt im Verdauungstrakt vom Magen bis zum Enddarm ab (schwarzer Keil), die Zahl und der Artenreichtum der Bakterien und anderer Bestandteile der Darmflora nehmen dagegen zu (weißer Keil und Keimzahlen). Typische Mikrobiom-Komponenten in den einzelnen Abschnitten:

1  Magen: Lactobacillus, Streptococcus, Hefen

2  Zwölffingerdarm (Duodenum, 1. Abschnitt des Dünndarms): Streptococcus, Lactococcus, Staphylococcus

3  Jejunum (2. Abschnitt des Dünndarms): Lactobacillus, Streptococcus, Enterococcus, Hefen

4  Ileum (3. Abschnitt des Dünndarms): Segmented filamentous bacteria (aus der Familie Clostridiaceae), Enterobacteriaceae, Bacteroides, Clostridium

5  Dickdarm (Colon): Bacteroides, Clostridium, Lachnospiraceae, Proteobacteria, Actinobacteria, Prevotellaveae, TM7, Fusobacteria, Verrucomicrobium

6  End- oder Mastdarm: wie Dickdarm

Im gesunden Dickdarm finden wir überwiegend obligate Anaerobier, also Bakterien, für die Sauerstoff ein Gift ist. Bei einer chronischen Entzündung setzt die Darmschleimhaut allerdings ständig reaktive Sauerstoffspezies frei: kleine, sehr reaktionsfreudige, sauerstoffhaltige Moleküle, die eigentlich die Ursache einer Entzündung – z. B. eine Infektion – bekämpfen sollen. Im Dickdarm kann das Gegenteil geschehen:

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Der austretende Sauerstoff schafft – wie ein Schwarzer Raucher, eine hydrothermale Quelle in der Tiefsee – eine neue Überlebensnische. Fakultativ anaerobe Bakterien (rechts), die eigentlich in den oberen Atemwegen, der Mundhöhle oder dem Magen beheimatet sind und dort meist keinen Schaden anrichten, siedeln sich hier an. Sie nehmen den Platz der heimischen Dickdarmbakterien ein, die durch den Sauerstoff zugrunde gehen (links).

Bei Morbus Crohn sind in den entzündeten Darmabschnitten solche fakultativen Anaerobier zu finden, die den Sauerstoff nutzen können oder zumindest aushalten und somit einen Überlebensvorteil haben. Da das Darm-Immunsystem nicht an diese Neusiedler gewöhnt ist und daher nicht tolerant auf sie reagiert, verstärkt sich die Abwehrreaktion, sodass u. U. noch mehr Sauerstoff freigesetzt wird: ein Teufelskreis.

Quellen:

  • Brown E M et al. 2013, „The role of the immune system in governing host-microbe interactions in the intestine“
  • Juste C et al. 2014, „Bacterial protein signals are associated with Crohn’s disease“ – Zusammenfassung hier im Blog
  • Gevers D et al. 2014, „The treatment-naive microbiome in new-onset Crohn’s disease“ – Zusammenfassung hier im Blog

Über- und Unterrepräsentation bakterieller Proteine bei Morbus Crohn

Juste C et al. Bacterial protein signals are associated with Crohn’s disease. Gut Online first, doi:10.1136/gutjnl-2012-303786 (2104)

(Zusammenfassung nur bzgl. der Funktionen der bei M. Crohn über-/unterrepräsentierten Bakterienproteine; deren Verwendbarkeit als qualitative oder gar quantitative diagnostische Marker interessiert mich nicht.)

Abstract: Analyse der bakteriellen Proteine aus dem Darm von Morbus-Crohn-Patienten zeigt: Viele Proteine aus Bacteroides überrepräsentiert (auch im Vergleich zur Zahl der Bacteroides, also echte Überexpression); Funktion: ermöglichen opportunistischen Bakterien Besiedlung der Schleimschichten, Überwindung der Barriere und Schleimhaut-Invasion. Mit der Überexpression der z. T. stark immunogenen Proteine geht eine stärkere IgA-Bedeckung der Bakterienzellen bei Morbus Crohn einher. Unterrepräsentiert (schwach exprimiert) sind v. a. Proteine von Firmicutes und einigen Prevotella-Arten sowie aus unserem eigenen Proteom das Pankreas-Zymogen-Granulamembran-Glykoprotein 2 (oder wie auch immer das auf Deutsch heißen mag), kurz GP2, das normalerweise an Bakterien bindet und so wohl deren Adhäsion am Schleim und damit eine Entzündungsreaktion verhindert.*  Weiterlesen

Besonderheiten des Mikrobioms von Kindern, Schwangeren und Morbus-Crohn-Patienten

Lozupone CA et al. Meta-analyses of studies of the human microbiota. Genome Res. 2013 23: 1704-1714 (Open Access)

Da viele Mikrobiom-Studien auf Sequenzierungen derselben Targets im Gen für die bakterielle 16S rRNA (ribosomale RNA) beruhen, sind sie im Prinzip für Metaanalysen geeignet, aber unterschiedliche experimentelle Techniken/Protokolle können subtile biologische Unterschiede überdecken. Proben aus nicht-westlichen ländlichen Kulturen sowie von Kindern lassen sich gut von Proben Erwachsener aus westlichen Kulturen unterscheiden. Das Mikrobiom von Morbus-Crohn-Patienten und von Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel ähnelt eher dem typischen Kinder-Mikrobiom als dem erwachsener Kontrollen.

Für Körperteile typische Taxa: Ruminococcaceae, Bacteroidaceae und Lachnospiraceae im adulten Darm, Lactobacillaceae in der Vagina, Propionibacteraceae/Staphylococcaceae auf  der Haut, Streptococcaceae/Prevotellaceae im Mund.

Alter: Bei Kleinkindern viele Enterococcaceae, Enterobacteraceae, Streptococcaceae, Lactobacillaceae, Clostridiaceae und Bifidobacteraceae, dann innerhalb von 1-3 Jahren Übergang zu Dominanz von Lachnospiraceae, Ruminococcaceae, Bacteroidaceae, Prevotellaceae u. a.  Die Darmflora von Kleinstkindern ähnelt noch stärker der typischen Vaginal- und Hautflora als der Erwachsenen-Darmflora.

Lebensweise/Ernährung: viele Prevotellaceae in Erwachsenen aus ländlichen/nichtwestlichen Kulturen (Burkina Faso, Malawi, Venezuela), viele Bacteroidaceae in Erwachsenen aus westlichen Kulturen (USA, Italien).

Anreicherung kindertypischer Bakterien-Taxa bei Morbus Crohn und gegen Ende der Schwangerschaft: Bei Crohn-Patienten mehr Enterobacteraceae und Lactobacillaceae im Darm, dafür deutlich weniger Lachnospiraceae und unklassifizierte Bacteroidales (erwachsenentypisch) als bei gesunden Kontrollpersonen (Willing et al. 2010). Im letzten Schwangerschaftsdrittel mehr Enterobacteraceae, Streptococcaceae und Enterococcaceae, dafür sind einige erwachsenentypische Lachnospiraceae- und Ruminococcaceae-Familien unterrepräsentiert. Morbus Crohn = starke Entzündung im Darm; interessanterweise sind auch in Stuhlproben von Schwangeren im letzten Trimester Entzündungsmarker wie IFNG, IL2, IL6 und TNF signifikant erhöht.

Biologische Eigenschaften der bei Kindern, Schwangeren und Crohn-Patienten angereicherten Bakterien: Lachnospiraceae insgesamt unterrepräsentiert, aber bestimmte Clostridiales wie Clostridium bolteae gegenüber gesunden, nicht schwangeren Erwachsenen angereichert. Diese „infant/disturbance-adapted taxa“ zeichnen sich durch Gene aus, die vermutlich Resistenz gegen osmotischen und oxidativen Stress sowie bestimmte Stoffwechsel-Fähigkeiten vermitteln.

 

Neandertaler-Erbe in unserem Immunsystem

Sapiens-Neandertaler-Paar_650Schnelle Notizen zu 14 kürzlich gelesenen Artikeln – nicht allgemein verständlich aufbereitet, nicht korrekturgelesen und in dieser Form wahrscheinlich nur für mich selbst nützlich. 🙂 Das Ganze wird im letzten Teil des Buches verwurstet, in dem ich die Evolution unseres Immunsytems chronologisch abhandle.

Gibbons A. (2014): Neandertals and moderns made imperfect mates. Science 343, 31.01.2014 (News zu den Arbeiten von Sankararaman et al. 2014, s. u., sowie Vernot & Akey 2014)

Vernot & Akey haben nur moderne Humangenome aus dem 1000 Genomes Project verglichen und daraus Rückschlüsse auf Neandertaler-Einkreuzungen gezogen; Sankararaman et al. haben auch Neandertaler-Genomsequenz einbezogen. Neandertaler haben Spuren in Haut, Nägeln und Haaren (Keratin) hinterlassen; Nachfahren der Hybriden waren weniger fruchtbar als „reine“ moderne Menschen.

In über 60% von 1004 ostasiatischen und europäischen Genomen Neandertaler-Version des Keratinfunktion-Gens. Keratin macht Haut wasserdicht, blockiert Pathogene, macht Haut wärme- und kälteempfindlich -> Anpassung an kältere Habitate?

Neandertaler-Allele, die Risiko für Krankheiten wie Lupus, Morbus Crohn usw. erhöhen, haben Neandertalern vermutlich nicht geschadet, passten aber schlecht zum neuen Kontext im modernen Menschen.

Weitere Neandertaler-Allele -> Hautfarbe.

In allen untersuchten modernen Humangenomen zusammen 20 bzw. 30% des Neandertaler-Genoms wiedergefunden; in einem Individuum stammen 1-3% des Genoms vom Neandertaler. Einkreuzung vor etwa 60.000 Jahren.

Etwa 20 Regionen des Humangenoms enthalten keine Neandertaler-DNA -> negative Selektion wegen Fortpflanzungsnachteilen der Hybriden. Frauen bleiben wegen doppeltem X-Chromosom eher fruchtbar -> Jetzt wird untersucht, ob wir mehr DNA von weiblichen als von männlichen Neandertalern übernommen haben. (Gemeint ist wahrscheinlich das Geschlecht der gemischten Kinder, nicht des reinen Neandertaler-Elternteils – da macht es keinen Unterschied, solange männliche Hybriden mit Neandertaler-X und modernem Y ebenso (un)fruchtbar sind wie männliche Hybriden mit modernem X und Neandertaler-Y.)

Sankararaman S. et al. (2014): The genomic landscape of Neanderthal ancestry in present-day humans. nature, doi:10.1038/nature12961

Vergleich zwischen Neandertaler-Genomen und 1004 modernen Genomen (darunter 176 Yoruba, mutmaßlich Neandertaler-frei) -> Neandertaler-Haplotypen abgeleitet. Regionen mit vielen Neandertaler-Allelen enthalten viele Gene, die Keratinfilamente beeinflussen -> Haut und Haar -> Anpassung moderner Menschen an außerafrikanische Umwelt erleichtert? Große Neandertaler-Allel-freie „Wüsten“ im Humangenom, z. B. auf X-Chromosom, das viele Gene für männliche Fruchtbarkeit enthält; nur teilweise durch geringe Populationsgröße kurz nach Einkreuzung zu erklären  -> negative Selektion, evlt. weil Neandertaler-Allele im Genom-Kontext des modernen Menschen Fruchtbarkeit minderten.

Haplotyp-Längen -> Kreuzung vor etwa 2000 Generationen, also 37.000-86.000 Jahren. Neandertaler-Anteil in individuellen Genomen: heute durchschnittlich 1,15% in Europa, 1,38% in Ostasien; kurz nach Einkreuzung über 3% (abgeleitet aus Anteil in „Nicht-Wüsten-Regionen“). Größerer Anteil in Ostasiaten evtl. wegen über lange Zeit kleinerer Populationen als in Europa -> negative Selektion weniger effektiv. Mutmaßlichem Neandertaler-Anteil an einzelnen Genorten: bis zu 62% in ostasiatischen, bis zu 64% in europäischen Populationen. In einigen dieser Regionen Anzeichen für positive Selektion, an an deren negative Selektion.

Aus Neandertalern stammende Allele beeinflussen Risiko für SLE/Lupus, primär biliäre Zirrhose (beides: Transportin-3), Morbus Crohn (Chromosom 10: Zinkfinger-Protein 365, Chromosom 12: Gen unbekannt?), IL-18-Level (Regulator der angeborenen und erworbenen Immunität) , Typ-2-Diabetes, Rauchen und Größe des Blinden Flecks.

Obwohl bei der Einkreuzung nur etwa fünfmal mehr Zeit seit der Aufspaltung zwischen Neandertalern und Vorfahren der modernen Menschen vergangen war als heute seit der Aufspaltung zwischen Europäern und Westafrikanern, war die Fruchtbarkeit der Hybriden wohl wegen Schneeball-Effekten (Dobzhansky-Müller-Inkompatibilitäten) stark reduziert.

Prüfer K. et al. (2014): The complete genome sequence of a Neanderthal from the Altai Mountains. Nature 505, doi:10.1038/nature12886

Hochwertige Genomsequenz einer Neandertaler-Frau aus der Denisova-Höhle in Altai-Gebirge, Sibirien – gewonnen aus einem Zehenknochen aus einer etwa 50.000 Jahre alten Schicht. In derselben Höhle, aber in einer etwas jüngeren Schicht wurde auch der Fingerknochen gefunden, aus dem die vorläufige Genomsequenz des Denisova-Menschen ermittelt wurde. Vergleich mehrerer Neandertaler-Genome (auch aus dem Kaukasus und Kroatien, s. Karte Abb. 1), des Denisova-Menschen-Genoms und 25 moderner Humangenome -> Modell der Einkreuzungsereignisse zwischen modernem Menschen, Denisova, Neandertaler und einem unbekannten Hominiden (Abb. 8).  Weiterlesen

Kleine und große Moleküle

Noch zwei Nachzügler-Skizzen für das Kapitel über die Moleküle des Immunsystems:

P1170254_Stickstoffmonoxid_NO_schwarz_650

Stickstoffmonoxid (NO) ist der kleinste Boten- und Wirkstoff des Immunsystems. Es hat viele Wirkungen; unter anderem schädigt es in den Körper eindringende Bakterien.

P1170252_Arachidonsäure_Schwein_650

Schweineschmalz und -leber enthalten viel Arachidonsäure, eine mehrfach ungesättigte Fettsäure. Aus ihr entstehen die entzündungsfördernden Leukotriene und Prostaglandine.

Neue Literatur bis einschließlich Dezember 2013, Teil 2

Weiter geht’s mit der Ausbeute der aufgelaufenen Wissenschafts-Newsletter. T1-T5 sind die Buchteile, für die der Artikel jeweils relevant sein könnte (T1 Einführung, T2 Grundlagen Immunsystem, T3 Ablauf [Auto]Immunrekation, T4 Entwicklung Immunsystem von der Zeugung bis ins Alter, T5 Evolution Immunsystem).

How HIV Destroys Immune Cells T3

Dogs, Dust Microbes, and Allergies T4, T5 (Koevolution Immunsystem – Mikrobiom)

Nishikawa H et al. (2013): Sex differences in the protection of host immune systems by a polyembryonic parasitoid (Abstract) T3, T5

Kallio ER et al. (2013): Maternal antibodies contribute to sex-based difference in hantavirus transmission dynamics (Abstact) T4

Bolte S et al. (2913): Specific immune priming in the invasive ctenophore Mnemiopsis leidyi (Abstract) T5

Rosengaus RB et al. (2013): Immune-priming in ant larvae: social immunity does not undermine individual immunity (Abstract) T3, T5

McFall-Ngai M et al. (2913): Animals in a bacterial world, a new imperative for the life sciences (Open Access) T4, T5 (Mikrobiom)

Zuk M, Borrello ME (2103): Parasites and altruism: converging roads (Open Access) T5

Potlukova, Eliska, et al. (2013): Association between Low Levels of Mannan-Binding Lectin and Markers of Autoimmune Thyroid Disease in Pregnancy (Open Access) T3, T4

Choi YM et al. (2013): Low Levels of Serum Vitamin D3 are Associated with Autoimmune Thyroid Disease in Pre-Menopausal Women (Abstract) T3, T4

Miskinyte M et al. (2013): The Genetic Basis of Escherichia coli Pathoadaptation to Macrophages (Open Access) T3, T5
Dazu auch How Bacteria Evade the Immune System

David LA et al. (2013): Diet rapidly and reproducibly alters the human gut microbiome (Abstract) T4, T5
Dazu auch Gut Bacteria Vary with Diet

Probst AJ et al. (2013): Archaea on Human Skin (Open Access) T4, T5
Dazu auch Neue Mitbewohner auf der menschlichen Haut entdeckt

Ristori G et al. (2103): Effects of Bacille Calmette-Guérin after the first demyelinating event in the CNS (Abstract)  T3
Dazu auch TB Vaccine Protects Against MS

Hsiao EY et al. (2013): Microbiota Modulate Behavioral and Physiological Abnormalities Associated with Neurodevelopmental Disorders (Open Access) T4
Dazu auch Gut Microbes and Autism

Joseph CG et al. (2013): Association of the Autoimmune Disease Scleroderma with an Immunologic Response to Cancer (Abstract) T3
Dazu auch A Cancer Culprit in Autoimmunity

Das Marshall-Protokoll: Antibiotika gegen Autoimmunerkrankungen? Lieber nicht.

Schon lange will ich etwas über das sogenannte Marshall Protocol schreiben, eine Therapie weit abseits der evidenzbasierten Medizin, bei der Autoimmunerkrankungen nicht etwa durch Immunsuppression, sondern durch Immunstimulation behandelt werden. Leider konnte ich keine einzige Studie finden, in der diese Therapie kritisch überprüft worden wäre – was kein Wunder ist, da es auch von dem australischen Elektroingenieur Dr. Trevor Marshall und seinen Mitarbeitern selbst keine qualitätsgeprüften Veröffentlichungen gibt, in denen das Therapieprotokoll anhand von Tierversuchen oder wenigstens In-vitro-Zellkulturen untersucht worden wäre – von randomisierten kontrollierten Studien ganz zu schweigen. Die Therapie fußt einzig auf Anekdoten und einem Computermodell.

Marshall, selbst an Sarkoidose erkrankt, geht davon aus, dass diese und zahlreiche weitere Autoimmunerkrankungen, chronische Entzündungen und andere Krankheiten allesamt auf Infektionen mit zellwandlosen, intrazellulär lebenden und daher mit herkömmlichen Mitteln nicht nachweisbaren Bakterien zurückzuführen seien: den sogenannten L-Formen. Dass Bakterien in Zellen eindringen, sich so der Immunabwehr entziehen und zugleich eine chronische Entzündung auslösen können, ist zunächst kein abwegiger Gedanke. Doch dass alle möglichen Krankheiten (von ALS über Asperger, Morbus Crohn, Multiple Sklerose, Rückenschmerzen, Demenz, Depressionen, Epilepsie, Migräne, Nierensteine, Panikattacken, Rheuma und Makuladegeneration bis zu Schizophrenie) auf einen Befall unserer Phagozyten mit noch nicht näher charakterisierten Bakterien und eine dadurch ausgelöste chronische Th1-Immunantwort zurückzuführen seien, ist zunächst nicht mehr als eine gewagte Behauptung.  Weiterlesen

Was passiert bei Immunneuropathien?

Ich habe meine Fazialislähmung zum Anlass genommen, für das Buch zu skizzieren, wie eine Immunneuropathie abläuft. Zu den Immunneuropathien zählen Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, das Guillain-Barré-Syndrom, chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) oder vaskulitische Neuropathie. Bei einigen ist das periphere, bei anderen das zentrale Nervensystem betroffen. Oft beschränkt sich die Störung (wie bei der Fazialislähmung) auf einen einzelnen Nerv.

Am Anfang steht vermutlich immer die Reaktivierung eines latenten Virus (z. B. Herpes) oder eine oftmals unbemerkte, da symptomfreie (sogenannte stumme oder maskierte) Infektion, hier durch ein maskiertes Bakterium dargestellt. Eine in der Blutbahn oder im Gewebe patrouillierende Immunzelle – hier eine dendritische Zelle (DC) – entdeckt den Eindringling:

Die dendritische Zelle nimmt Teile des Erregers auf und verarbeitet sie zu einem präsentablen Antigen weiter. Sie verwandelt sich in eine antigenpräsentierende Zelle (APC), die einer T-Helferzelle das Antigen auf ihrem MHC-Klasse-II-Rezeptor (hier: Tablett) präsentiert. Damit es nicht zu Fehlalarmen kommt, gibt es einen Sicherheitsmechanismus: T-Helferzellen reagieren nur dann auf ein Antigen, wenn ihnen gleichzeitig auf einem anderen Rezeptor ein sogenanntes kostimulierendes Signal präsentiert wird, das anzeigt, dass wirklich eine Infektion oder eine andere Gefahr vorliegt, die bekämpft werden muss (hier: Kerze). Auf der Oberfläche der T-Zelle gibt es für beide Signale spezifische Rezeptoren (hier: Augen/Blickkontakt):

Die T-Helferzellen reichen die Information über das Vorliegen eines Gefahr (Kerze) und über die genaue Art der Gefahrenquelle, also das Antigen (Augenbinde des Bakteriums), über Rezeptoren und Signalstoffe (Sprechblase) an B-Zellen weiter und regen diese so zur Produktion spezifischer Antikörper an:

Die B-Zellen schütten massenhaft Antikörper aus (Eimer), die spezifisch an „ihr“ Antigen binden und die Gefahrenquellen so zum Teil direkt schachmatt setzen, zum Teil zur anschließenden Zerstörung und Entsorgung markieren:

Diese normale Immunreaktion spielt sich in der Blutbahn, im Lymphgewebe und lokal im infizierten Gewebe ab. Aber manchmal läuft etwas schief: Aktivierte T-Zellen können die Blut-Nerven-Schranke durchdringen und von der Blutbahn (im nächsten Bild links) in einen Nerv (rechts) überwechseln. Das sollte eigentlich nicht passieren, da Nerven zu den sogenannten immunprivilegierten Orten im Körper gehören: Da Entzündungsreaktionen hier viel Schaden anrichten können, sind diese Orte für die meisten Immunzellen tabu. Weiterlesen