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Leukozyten-Volkszählung

Und noch eine Grundlagenskizze fürs Buch:

P1150844_Blutzusammensetzung_schwarz2_500Unter den etwa 7400 Leukozyten (weißen Blutkörperchen) in einem MilliMikroliter Blut eines gesunden Menschen sind ungefähr 2500 Lymphozyten.

Von diesen wiederum sind etwa 46% T-Helferzellen, 19% zytotoxische T-Zellen, 7% natürliche Killerzellen, 5% γδ-T-Zellen und 23% B-Zellen.

Einige Leukozytentypen wie die dendritischen Zellen kommen im Blut kaum vor, da sie nach ihrer Entstehung gleich ins Gewebe einwandern und dort bleiben.

Die roten Blutkörperchen oder Erythrozyten und die Blutplättchen oder Thrombozyten sind viel zahlreicher als die Leukozyten.

(All diese Werte haben auch bei Gesunden eine große Spannbreite; Abweichungen von den hier genannten Zahlen sind noch kein Grund zur Sorge.)

Somatische Rekombination

P1150840_Eisenbahn_650

Skizze fürs Buch: Aus vier Lokomotiven, drei Personenwagen und drei Güterwagen (also insgesamt 10 Einheiten) lassen sich 4*3*3 = 36 unterschiedliche Züge zusammenstellen, in denen jedes der drei Elemente einmal vorkommt. Das hier ist einer der 36 Zugtypen:

P1150840_Eisenbahn_Dreierkombination_650Wären die Elemente fest miteinander verschweißt, bräuchte die Bahn 36*3/10 = 10,8 Mal so viel Stellplatz, wenn sie je nach Bedarf jeden der 36 Zugtypen anbieten will.

Die enorme Vielfalt an T- und B-Zellen, die mit ihren Rezeptoren und Antikörpern alle möglichen Antigene spezifisch erkennen, kommt auf ähnliche Weise zustande: durch somatische Rekombination. So sind zum Beispiel die schweren Ketten der Antikörper aus je einer V-, D- und J-Region zusammengesetzt. Auf unserem Chromosom 14 liegen hintereinander 40 unterschiedliche V-Genelemente, 25 verschiedene D-Elemente und 6 J-Elemente.

In jeder einzelnen B-Zelle, die im Knochenmark entsteht, findet eine Rekombination statt, bei der nach dem Zufallesprinzip ein V-, ein D- und ein J-Element ausgesucht und zusammengekoppelt werden. Auf diese Weise entstehen aus relativ wenig Erbgut 40*25*6 = 6000 unterschiedliche schwere Ketten. Bei den leichten Ketten gibt es 320 Varianten. Durch zufällige Paarung je einer schweren und einer leichten Kettenvariante kommen 6000*320, also knapp zwei Millionen unterschiedliche Kombinationen zustande (kombinatorische Diversität).

Außerdem werden beim Zusammenkoppeln der Genelemente sozusagen an den Puffern einzelne neue Basen eingebaut oder welche weggeschnitten (somatische Hypermutation). Dadurch erhöht sich die Antikörper-Vielfalt auf etwa 10 Billionen (junktionale Diversität). Bei den T-Zell-Rezeptoren sorgen diese beiden Mechanismen – somatische Rekombination und Hypermutation – sogar für ein noch breiteres Spektrum.

Abwehrreihen

Neue Skizze fürs Buch:

P1150836_Abwehrreihen_Fußball_650Die Zellen des Immunsystems stellen sich in mehreren Abwehrreihen auf. Vorn stehen Zellen der angeborenen Immunität wie Mastzellen, dendritische Zellen und Makrophagen, im Mittelfeld die unterschiedlichen Granulozyten und in der letzten Verteidigungsreihe zytotoxische T-Zellen, T-Helferzellen, natürliche Killer-T-Zellen und ILCs. Der Torwart ist eine Plasmazelle (B-Zelle). Regulatorische T-Zellen (Tregs) pfeifen das Spiel rechtzeitig ab.

Reformierter Immunzellstammbaum, Teil 2

So, puh: der lymphoide Ast des hämatopoetischen Stammbaums, wie er sich nach Lektüre zahlreicher frischer Artikel darstellt. Erläuterungen folgen im Buch – obwohl das alles zum Zeitpunkt der Drucklegung wahrscheinlich schon wieder überholt ist.

P1150533_hämatopoietischer_Stammbaum_lymphoider_Zweig_650

Hokuspokus im Thymus

Endlich eine neue Skizze fürs Buch: Medulläre Thymus-Epithelzellen (mTEC) exprimieren das Gen AIRE, das einen universellen Transkriptionsfaktor codiert. Dieser dockt an beliebige Gene in den Zellkernen an und sorgt für die ektopische (d. h. nicht am üblichen Ort erfolgende) Herstellung aller möglicher eigentlich gewebe- und organspezifischer Proteine im Thymus. Auf diese Weise präsentieren die Thymus-Epithelzellen (hier als Illusionskünstler dargestellt) den jungen T-Zellen nahezu alle körpereigenen Proteine.P1110584_Thymus_AIRE_zentrale_Toleranz_Zauberer_650

Immunzellen, die stark auf eines dieser Proteine ansprechen (Sprechblasen), würden später zu Autoimmunreaktionen neigen und müssen daher ausgeschaltet werden. Das Ergebnis dieses Selektionsvorgangs nennt man „zentrale Toleranz“, da fast nur solche Immunzellen übrig bleiben, die körpereigene Antigene in Ruhe lassen. Ergänzt wird er später im Körper durch weitere Selektions- und Umpolungsvorgänge, die peripheren Toleranzmechanismen. Mutationen im Gen AIRE oder andere Störungen der Selektion im Thymus führen bereits im Kindesalter zu schweren, oft gegen eine Vielzahl körpereigener Antigene gerichteten Autoimmunreaktionen.

Überblick: Typ-1-Diabetes

Langerhans-Insel, Foto: Wikipedia-User Polarlys

Langerhans-Insel, Foto: Wikipedia-User Polarlys

Diese Review-Sammlung der Zeitschrift Cold Spring Harbor Perspectives in Medicine umfasst 18 frei zugängliche Artikel aus dem Jahr 2012, von denen ich bisher fünf gelesen habe. Notizen zum Einführungsartikel:

Mark A. Atkinson, Pathogenese und Naturgeschichte von T1D: sehr guter Überblick, auch über ungeklärte Fragen.

Anteil T1D-Fälle, die erst bei Erwachsenen diagnostiziert werden: 35-50%. Etwa 5-15% der Erwachsenen mit T2D-Diagnose dürften tatsächlich T1D haben. 2 Gipfel: erster bei Kindern von 5-7 Jahren, zweiter nahe Pubertät. M und F etwa gleich oft betroffen, leichter Männerüberschuss. T1D-Diagosen im Herbst und Winter häufiger als im Frühjahr/Sommer -> evtl. Umweltfaktor an Symptomausbruch beteiligt. Studie SEARCH: Etwa 0,26% aller unter 20-Jährigen haben Diabetes (T1D oder T2D); bei unter 10-Jährigen 19,7/100.000 neue Fälle/Jahr, bei über 10-Jährigen 18,6/100.000; Ethnien: bei weißen Nicht-Latinos unter 10 Jahren höchste Inzidenz (24,8/100.000).

Bandbreite der Inzidenzen zwischen Ländern, aus denen Daten vorliegen: über 350-fach! I. A. positiv korreliert mit Breitengrad. Selten in Indien, China, Venezuela; sehr häufig in Finnland (> 60/100.000/Jahr) und Sardinien (etwa 40/100.000/Jahr); > 20/100.000/Jahr in Schweden, Norwegen, Portugal, GB, Kanada, Neuseeland. Estland: weniger als 75 Meilen von Finnland entfernt, aber T1D-Rate weniger als 1/3 der finnischen. Puerto Rico: selbe Rate wie Festland-USA, benachbartes Kuba dagegen weniger als 3/100.000/Jahr. Inzidenzen steigen weltweit seit Jahrzehnten, besonders stark bei den unter 5-Jährigen. In Schweden scheint Plateau erreicht zu sein. Anstieg viel zu schnell für Verschiebung der genetischen Empfänglichkeit. Anteil Betroffener mit Risikoallelen (v. a. im MHC-II-Komplex) scheint vielmehr gesunken zu sein.   Weiterlesen

Was passiert bei Immunneuropathien?

Ich habe meine Fazialislähmung zum Anlass genommen, für das Buch zu skizzieren, wie eine Immunneuropathie abläuft. Zu den Immunneuropathien zählen Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, das Guillain-Barré-Syndrom, chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) oder vaskulitische Neuropathie. Bei einigen ist das periphere, bei anderen das zentrale Nervensystem betroffen. Oft beschränkt sich die Störung (wie bei der Fazialislähmung) auf einen einzelnen Nerv.

Am Anfang steht vermutlich immer die Reaktivierung eines latenten Virus (z. B. Herpes) oder eine oftmals unbemerkte, da symptomfreie (sogenannte stumme oder maskierte) Infektion, hier durch ein maskiertes Bakterium dargestellt. Eine in der Blutbahn oder im Gewebe patrouillierende Immunzelle – hier eine dendritische Zelle (DC) – entdeckt den Eindringling:

Die dendritische Zelle nimmt Teile des Erregers auf und verarbeitet sie zu einem präsentablen Antigen weiter. Sie verwandelt sich in eine antigenpräsentierende Zelle (APC), die einer T-Helferzelle das Antigen auf ihrem MHC-Klasse-II-Rezeptor (hier: Tablett) präsentiert. Damit es nicht zu Fehlalarmen kommt, gibt es einen Sicherheitsmechanismus: T-Helferzellen reagieren nur dann auf ein Antigen, wenn ihnen gleichzeitig auf einem anderen Rezeptor ein sogenanntes kostimulierendes Signal präsentiert wird, das anzeigt, dass wirklich eine Infektion oder eine andere Gefahr vorliegt, die bekämpft werden muss (hier: Kerze). Auf der Oberfläche der T-Zelle gibt es für beide Signale spezifische Rezeptoren (hier: Augen/Blickkontakt):

Die T-Helferzellen reichen die Information über das Vorliegen eines Gefahr (Kerze) und über die genaue Art der Gefahrenquelle, also das Antigen (Augenbinde des Bakteriums), über Rezeptoren und Signalstoffe (Sprechblase) an B-Zellen weiter und regen diese so zur Produktion spezifischer Antikörper an:

Die B-Zellen schütten massenhaft Antikörper aus (Eimer), die spezifisch an „ihr“ Antigen binden und die Gefahrenquellen so zum Teil direkt schachmatt setzen, zum Teil zur anschließenden Zerstörung und Entsorgung markieren:

Diese normale Immunreaktion spielt sich in der Blutbahn, im Lymphgewebe und lokal im infizierten Gewebe ab. Aber manchmal läuft etwas schief: Aktivierte T-Zellen können die Blut-Nerven-Schranke durchdringen und von der Blutbahn (im nächsten Bild links) in einen Nerv (rechts) überwechseln. Das sollte eigentlich nicht passieren, da Nerven zu den sogenannten immunprivilegierten Orten im Körper gehören: Da Entzündungsreaktionen hier viel Schaden anrichten können, sind diese Orte für die meisten Immunzellen tabu. Weiterlesen

Veränderungen peripherer mononukleärer Blutzellen: Indizien für Autoimmunstörung bei idiopathischer peripherer Fazialislähmung

Stefan S. Kassner et al.: Changes in Peripheral Blood Mononuclear Cells – Novel Evidence for an Immunomodulatory Aspect in Bell’s Palsy? Journal of Neurology Research, Vol. 2, No. 3, Jun 2012; doi:10.4021/jnr108w

Abstract: Früheren Studien zufolge ist bei Patienten mit Bell’s palsy (BP) die Zahl der T- und B-Lymphozyten signifikant verringert. Als mögliche Ursachen der Erkrankung gelten Vireninfektionen und Autoimmunprozesse. In dieser Studie wurden die peripheren mononukleären Blutzellen (PBMCs) von 15 BP-Patienten anhand ihrer Oberflächenmarker (CD) genauer charakterisiert: Bei den Monozyten (= Makrophagenvorläuferzellen, CD14+), Makrophagen (CD68+), T-Lymphozyten (CD3+) und B-Lymphozyten (CD19+) wurde der Anteil der Zellen sowie die Expression entzündungsfördernder (CD40+, TNF-α und COX-2), apoptosefördernder (Caspase-3, PARP), adhäsionsfördernder (CD38+) und mit oxidativem Stress verbundener (MnSOD) Proteine gemessen. Die Ergebnisse deuten auf eine Beteiligung des Immunsystems an Bell’s palsy hin.

Einleitung: Der Mangel an antikörperproduzierenden CD19+-B-Zellen bei BP-Patienten wird in der Literatur als mögliche Unrsache für den Krankheitsausbruch oder -fortgang diskutiert, weil dadurch womöglich neurotrope Viren (ihre DNA und/oder ihre Hüllen) nicht mehr effizient aus den infizierten Nerven entfernt werden können. HSV-1-DNA (Herpes simplex) wurde in der Nervenflüssigkeit und im Speichel von BP-Patienten nachgewiesen. Im Tiermodell ließ sich BP durch HSV-1-Reaktivierung im Verbund mit Immunsuppression auslösen.   Weiterlesen

Multiple Sklerose: Zelldegeneration primär, chronische Entzündung und Autoimmunreaktion sekundär?

Axon mit Myelinscheide im Querschnitt, CC BY-SA 3.0, http://en.wikipedia.org/wiki/User:Roadnottaken

Ehrlich gesagt habe ich es aufgegeben, bei Multipler Sklerose (MS) den Überblick über die Fachliteratur und die Diskussionen zu ihren Ursachen und Mechanismen zu behalten: Nach meinem Eindruck wird alle paar Wochen eine neue Sau durchs Dorf getrieben, und oft wird mir nicht klar, welche Studienergebnisse nun mit welchen Theorien zusammenpassen und was sich gegenseitig ausschließt. Aber wenigstens diesen Meinungsbeitrag möchte ich vorstellen – wie immer noch nicht allgemeinverständlich zusammengefasst:

 

Peter K. Stys et al.: Will the real multiple sclerosis please stand up? Nature reviews Neuroscience 13, Juli 2012, 507-514; doi: 10.1038/nrn3275

Die Autoren legen dar, warum MS in ihren Augen eine Kombination aus einer primären neurodegenerativen Erkrankung und einer durch diese ausgelösten (und sie evtl. verstärkenden) Autoimmunreaktion bzw. chronischen Entzündung ist. Die nicht entzündliche primär progrediente Form der MS (PP-MS) ist ihres Erachtens die „eigentliche“ MS, die entzündlichen Formen wie die schubförmig remittierende MS (RR-MS) sind auf sekundäre (wenngleich sehr wichtige) Reaktionen zurückzuführen.

MS gilt ihnen zufolge traditionell als Autoimmunerkrankung, bei der wild gewordene T-Zellen Elemente des zentralen Nervensystems, insbesondere Myelin, angreifen. In der Zerebrospinalflüssigkeit der Patienten ist für gewöhnlich oligoklonales Immunglobulin G nachweisbar, und transiente Läsionen im Magnetresonanzscan weisen auf Entzündungen und Zusammenbrüche der Blut-Hirn-Schranke hin. Biopsien: Perivaskuläre Entzündungsinfiltrate bestehen überwiegend aus T-Zellen und Makrophagen; das Myelin wird abgebaut; die Axone degenerieren. Neuere Belege: nicht nur weiße, auch graue Substanz (Neuronen und Synapsen) betroffen.

Allgemein wird angenommen, dass die Pathophysiologie mit Immundysregulation beginnt, die das ZNS schädigt (Outside-in-Modell). Das passt aber nicht zu allen Befunden. Die Autoren vergleichen MS mit anderen neurodegenerativen Krankheiten, die wie Alzheimer oder Parkinson Stoffwechselursachen haben und nicht mit auffälligen Entzündungsphasen einhergehen. Sie schlagen ein alternatives Inside-out-Modell vor und untersuchen, welche molekularen Strukturen bei MS ohne primäre Beteiligung des Immunsystems gestört sein könnten.  Weiterlesen