Mundflora und Immunreaktionen von mittelalterlichen Bewohnern des Klosters Dalheim

Ergänzende Informationen zu Adler et al.; auch diese Zusammenfassung ist noch nicht allgemein verständlich aufbereitet:

Warinner C et al. (2104): Pathogens and host immunity in the ancient human oral cavity. Nature Genetics 46, 336,344, doi:10.1038/ng.2906

Zahnstein enthält viele verwertbare Informationen (DNA, Proteine) und ist in vielen alten Schädeln zu finden. Die Autoren haben (1) die Mundflora von mittelalterlichen Menschen mit leichter bis schwerer Parodontitis analysiert, (2) 40 opportunistische Pathogene charakterisiert, (3) alte mutmaßliche Atibiotikaresistenzgene identifiziert, (4) das Genom des Parodontitis-assoziierten Keims Tannerella forsythia rekonstruiert und (5) 239 bakterielle sowie 43 menschliche Proteine identifiziert, die einen historisch alten Zusammenhang zwischen Faktoren unseres Immunsystems, Pathogenen des „roten Komplexes“ und Parodontitis belegen.

Die humane Mundflora umfasst über 2000 Bakterien-Taxa, darunter viele Keime, die an Parodontitis, Atemwegs-, kardiovaskulären und systemischen Erkrankungen beteiligt sind. Zahnstein = komplexer, mineralisierter Biofilm, der aus Zahnbelag (Plaque), Speichel und der Flüssigkeit in Zahnfleischtaschen entsteht.

Adler et al. haben die alte Mundflora nur auf Phylumebene analysiert und gezielt nach einigen Arten gesucht. Zur Charakterisierung des Gesundheitszustands wurden hier nun an vier Skeletten aus dem mittelalterlichen Kloster Dalheim (Deutschland, etwa 950-1200 n. Chr.) genauere Analysen durchgeführt. 2699 mikrobielle OTUs (operational taxonomic units) identifiziert. Dominant: 1 Archäen- und 9 Bakterien-Phyla (mit absteigenden Anteilen: Firmicutes, Actinobacteria, Proteobacteria, Bacteroidetes, Synergistetes, Chloroflexi, Fusobacteria, Spirochetes, Euryarchaeota), die alle auch moderne Mundflora dominieren. Bemerkenswert selten: Bodenbakterien wie Acidobacteria -> kaum Verunreinigung der Proben.   Weiterlesen

Zahnstein-Archiv: Mundflora änderte sich mit industrieller Revolution stärker als mit neolithischer Revolution

Zusammenfassung noch nicht allgemein verständlich aufbereitet:

Adler CA et al. (2913): Sequencing ancient calcified dental plaque shows changes in oral microbiota with dietary shifts of the Neolithic and Industrial revolutions. Nature Genetics 45/4, 450-455, doi:10.1038/ng.2536

Abstract: Zwei der größten Ernährungsumstellungen in der Menschheitsgeschichte: Anpassung an kohlenhydratreiche Kost mit der neolithischen Revolution (Ackerbau) vor etwa 10.000 Jahren und Verbreitung industriell verarbeiteten Mehls und Zuckers um 1850 n. Chr. Die Autoren haben Zahnstein (mineralisierte Plaque) von 34 alten europäischen Skeletten und von 10 Australiern der Gegenwart per 16S-rRNA-Sequenzierung untersucht. Zusammensetzung der Mundflora von Steinzeit bis einschließlich Mittelalter überraschend konstant; erst danach wurden die heute allgegenwärtigen Kariesbakterien dominant. Mundflora-Ökosystem heute deutlich weniger divers als früher, was zu den für postindustrielle Gesellschaften typischen chronischen Erkrankungen (im Mund und im restlichen Körper) beitragen könnte.

Zahnstein entsteht, wenn Plaque, ein sehr dichter bakterieller Biofilm, mit Kalziumphosphat mineralisiert wird. Die Bakterien werden sowohl ober- als auch unterhalb des Zahnfleischsaums schichtweise in kristalliner, knochenähnlicher Matrix eingeschlossen und halten sich in Skeletten sehr gut.   Weiterlesen

Wer ist Gärtner, wer Rasen?

Kürzlich habe ich mich hier über die Rasenpflege-Metapher von Lozupone et al. mokiert, der zufolge unsere Darmflora im Gleichgewichtszustand so etwas wie ein gut gestutzter und gedüngter Rasen ist, wie man ihn in amerikanischen Vorstadtgärten findet. Die Gärtner wären demnach unsere Darmepithel- und lokalen Immunzellen. Diese einseitige Sicht wird der über Jahrmillionen herausgebildeten Symbiose aber nicht gerecht. Daher hier eine Gegendarstellung:

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Stellvertretend für die vielen Bakterien in unserer Darmflora betrachten wir die 2004 entdeckte Art Akkermansia muciniphila, die in der Schleimschicht in unserem Dickdarm lebt. Wie der zweite Teil ihres Namens („schleimliebend“) andeutet, ernährt sich sich vom Schleim. Das heißt aber nicht, dass sie uns schaden würde. Vielmehr sorgen ihre Stoffwechselprodukte – unter anderem die bereits mehrfach erwähnten kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) – dafür, dass die Darmepithelzellen noch mehr Schleim herstellen. Hier ist das Bakterium der Gärtner, der den Rasen – die Schleimschicht – stutzt und den Boden – die Epithelzellen – düngt, wodurch die Barriere sich ständig erneuert und für Pathogene im Normalfall undurchdringlich bleibt:

P1180254_Akkermansia_SCFA_Ebdocannabinoide_650Außerdem regt Akkermansia muciniphila unseren Körper zur Produktion von Endocannabinoiden wie 2-Arachidonylglycerol (2-AG) an, die entzündungshemmend wirken, die Epithelschicht abdichten und die Produktion antibakterieller Peptide regulieren. Im Tiermodell kann man mit der Verabreichung lebender Akkermansia-Bakterien chronische Entzündungen hemmen und Fettleibigkeit verhindern.

Ob ein Probiotikum aus Akkermansia auch beim Menschen gegen Typ-2-Diabetes, Fettleibigkeit oder chronische Darmentzündungen helfen würde, ist damit noch nicht gesagt. Menschen sind halt keine Mäuse.

Der Energiehaushalt der T-Zellen

Skizzen fürs Buch, angeregt durch Pearce E L et al. 2013, „Fueling immunity: insights into metabolism and lymphocyte function“:

P1180246_Stoffwechsel_T-Zellen_650Bei allem Nachdenken über Signalwege im Immunsystem sollte man nicht vergessen, dass Immunzellen auch einen Stoffwechsel haben: Gerade wenn sie sich stark teilen oder Infektionen bekämpfen sollen wie T-Zellen nach ihrer Aktivierung, benötigen sie enorm viel Energie – und zugleich müssen sie Nukleotide, Proteine und/oder Fette aufbauen.

Die Erläuterungen verschiebe ich größtenteils auf das Buch – hier nur etwas zur wohlgenährten T-Zelle in der Petrischale oben links: Die Ergebnisse von In-vitro-Versuchen mit T-Zellen sind unter anderem deshalb so schlecht auf die Verhältnisse im gesunden oder kranken Organismus zu übertragen, weil wir die kultivierten Zellen „verwöhnen“.

In unseren Lymphknoten und unserer Milz finden sie etwa 5-13% Sauerstoff, 5 mM Glukose, 0,5 mM Glutamin und ausreichend Nährstoffe vor; an ihrem Einsatzort im entzündeten oder infizierten Gewebe herrschen dagegen oft Sauerstoff- und Nährstoffmangel.

Eine Standard-Kulturlösung (Iscoves modifiziertes Dulbecco-Medium mit 10% Serum) enthält aber 20% Sauerstoff (2- bis 4-mal so viel wie in unserem Blut), 25 mM Glukose (5-mal so viel) und 4 mM Glutamin (8-mal so viel).

Sauerstoff im Verdauungstrakt: am falschen Ort verheerend

Darm_Sauerstoff_Bakteriendichte_schwarz_650Die Sauerstoffkonzentration nimmt im Verdauungstrakt vom Magen bis zum Enddarm ab (schwarzer Keil), die Zahl und der Artenreichtum der Bakterien und anderer Bestandteile der Darmflora nehmen dagegen zu (weißer Keil und Keimzahlen). Typische Mikrobiom-Komponenten in den einzelnen Abschnitten:

1  Magen: Lactobacillus, Streptococcus, Hefen

2  Zwölffingerdarm (Duodenum, 1. Abschnitt des Dünndarms): Streptococcus, Lactococcus, Staphylococcus

3  Jejunum (2. Abschnitt des Dünndarms): Lactobacillus, Streptococcus, Enterococcus, Hefen

4  Ileum (3. Abschnitt des Dünndarms): Segmented filamentous bacteria (aus der Familie Clostridiaceae), Enterobacteriaceae, Bacteroides, Clostridium

5  Dickdarm (Colon): Bacteroides, Clostridium, Lachnospiraceae, Proteobacteria, Actinobacteria, Prevotellaveae, TM7, Fusobacteria, Verrucomicrobium

6  End- oder Mastdarm: wie Dickdarm

Im gesunden Dickdarm finden wir überwiegend obligate Anaerobier, also Bakterien, für die Sauerstoff ein Gift ist. Bei einer chronischen Entzündung setzt die Darmschleimhaut allerdings ständig reaktive Sauerstoffspezies frei: kleine, sehr reaktionsfreudige, sauerstoffhaltige Moleküle, die eigentlich die Ursache einer Entzündung – z. B. eine Infektion – bekämpfen sollen. Im Dickdarm kann das Gegenteil geschehen:

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Der austretende Sauerstoff schafft – wie ein Schwarzer Raucher, eine hydrothermale Quelle in der Tiefsee – eine neue Überlebensnische. Fakultativ anaerobe Bakterien (rechts), die eigentlich in den oberen Atemwegen, der Mundhöhle oder dem Magen beheimatet sind und dort meist keinen Schaden anrichten, siedeln sich hier an. Sie nehmen den Platz der heimischen Dickdarmbakterien ein, die durch den Sauerstoff zugrunde gehen (links).

Bei Morbus Crohn sind in den entzündeten Darmabschnitten solche fakultativen Anaerobier zu finden, die den Sauerstoff nutzen können oder zumindest aushalten und somit einen Überlebensvorteil haben. Da das Darm-Immunsystem nicht an diese Neusiedler gewöhnt ist und daher nicht tolerant auf sie reagiert, verstärkt sich die Abwehrreaktion, sodass u. U. noch mehr Sauerstoff freigesetzt wird: ein Teufelskreis.

Quellen:

  • Brown E M et al. 2013, „The role of the immune system in governing host-microbe interactions in the intestine“
  • Juste C et al. 2014, „Bacterial protein signals are associated with Crohn’s disease“ – Zusammenfassung hier im Blog
  • Gevers D et al. 2014, „The treatment-naive microbiome in new-onset Crohn’s disease“ – Zusammenfassung hier im Blog

B-Zellen: Marker oder Mittäter?

Skizze zu Zha et al. 2014 (Zusammenfassung) und Medgyesi et al. 2014 (MPG-Pressemitteilung):

P1180055_Geier_Aas_schwarz_550Sind B-Zellen bei zellulär/Th1-dominierten Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis oder rheumatoider Arthritis wirklich nur diagnostisch nützliche Marker, die ein bestehendes Problem anzeigen … P1180055_Geier_Lamm_schwarz_650… oder wirken sie selbst kräftig am Problem mit, indem sie Entzündungsprozesse und T-Zell-Aktivitäten anheizen?

Darmepithelzellen sind Dolmetscher

Skizze fürs Buch, angeregt durch Peterson/Artis, „Intestinal epithelial cells: regulators of barrier function and immune homeostasis“ (2014):

Darmepithelzelle_als_Dolmetscher_650Darmepithelzellen nehmen mit Rezeptoren wie TLR-9 an der apikalen Seite (d. h. da, wo das Darmlumen ist) friedliche Bakterien wahr und schütten daraufhin an ihrer Basis (d. h. in Richtung Gewebe) Zytokine wie TGFβ oder IL-25 und B-Zell-stimulierende Faktoren wie APRIL aus, die das Immunsystem regulieren.

Homöostase und Dysbiose im Darm

Skizzen fürs Buch, angelehnt an die doch recht amerikanische Rasenpflege-Metapher von Lozupone et al., „Diversity, stability and resilience of the human gut microbiota“, 2012:

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Homöostase: Das Darm-Immunsystem stutzt die gutartige Darmflora vorsichtig zurück, wenn sie sich zu breit macht, und stabilisiert sie dadurch.

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Dysbiose: Durch Antibiotika, entzündungsfördernde Kost usw. wird die gutartige Darmflora destabilisiert, und Pathogene nehmen den Platz der Symbionten und Kommensalen ein.

Darmflora der Hutterer: keine Enterotypen, sondern jahreszeitliche Unterschiede

Skizze fürs Buch, zu Davenport et al., „Seasonal variation in human microbiome composition“, PLOS ONE, März 2014:

Hutterer_Sommer_Winter_Mikrobiom_650Die Autoren haben die Darmflora von 60 Mitgliedern mehrerer Hutterer-Gemeinschaften in den USA analysiert. Die Hutterer essen überwiegend selbst angebaute bzw. konservierte Lebensmittel, die gemeinschaftlich zubereitet werden. Die nach wie vor umstritteten drei Enterotypen*, in die die Menschheit zerfallen soll, fanden Emily Davenport und ihre Mitarbeiter nicht. Stattdessen variiert die Zusammensetzung des Mikrobioms mit den Jahreszeiten: Im Sommer, wenn die Menschen viel Frisches essen, sind Bacteroidetes signifikant stärker vertreten als im Winter, wenn viel Eingemachtes auf den Tisch kommt. Im Winter nehmen dafür die Firmicutes und die Actinobacteria zu.

Bei allen Darmflora-Vergleichen – zum Beispiel zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien oder (Ess-)Kulturen oder Menschen in verschiedenen Klimazonen, aber auch zwischen Gesunden und Menschen mit Autoimmunerkrankungen bzw. chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – sollte man also darauf achten, dass die Proben zu vergleichbaren Jahreszeiten entnommen wurden.

Interessant auch: Laut Suzuki & Worobey (Geographical variation of human gut microbial composition, 2014) ist der Anteil der Firmicutes im Darm von Menschen in hohen Breiten (also Gegenden mit langen Wintern) deutlich höher als in Äquatornähe, wo wiederum die „sommerlichen“ Bacteroidetes einen größeren Anteil einnehmen.

*  Enterotypen = Darmflora-Grundtypen, die durch hohe Dichten an Bacteroides, Prevotella bzw. Ruminococcus geprägt sein sollen

Fettgewebe-Mikrobiom-Dysbiose als Ursache von Adipositas und kardiovaskulären Ereignissen?

Zusammenfassung nur des Abstracts und des Fazits:

Burcelin R et al. Metagenome and metabolism: the tissue microbiota hypothesis. Diabetes, Obesity and Metabolism 15 (Suppl. 3), 61-70, 2013

Das Mikrobiom des Verdauungstrakts mit seinen über 5 Mio. unterschiedlichen Genen gilt aus Symbiont, der unser Immunsystem, das Gefäßsystem des Verdauungstrakts und wahrscheinlich auch das Nervensystem prägt/mitentwickelt. Versuche an keimfreien und gezielt besiedelten Mäusen haben gezeigt, dass das Mikrobiom an Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit beteiligt ist. Kürzlich entdeckt: Bakterielle DNA im Gewebe (Leber, Fettgewebe, Blut) -> Es gibt wohl auch ein Gewebe-Mikrobiom, das das Immunsystem beeinflusst.

Abb. 4: Pyrosequenzierung von 16S-rDNA aus der stromal vascular fraction von Fettgewebe -> Vergleich der Zusammensetzung des Fettgewebe-Mikrobioms bei BMI < 23 (gesund), 23 < BMI < 30 (übergewichtig) und BMI > 30 (fettleibig): Anteil Proteobacteria steigt, Anteil Firmicutes sinkt mit BMI. Innerhalb der Firmicutes keine systematischen Verschiebungen. Bei den Proteobacteria steigt Anteil der Gattung Ralstonia mit dem BMI deutlich an -> vermutlich kausaler Zusammenhang.

Hypothese: Eine Gewebe-Mikrobiom-Dysbiose, bei der sich bestimmte gramnegative Bakterien stark vermehren, könnte kardiovaskuläre Ereignisse verursachen. Diese Bakterien und ihre Zielstrukturen in unseren Zellen zu identifizieren könnte helfen, ursächliche Therapien anstelle von Symptombekämpfung (Hyperglykämie usw.) zu entwickeln.