Archiv der Kategorie: Aus der Fachliteratur

Mikrobiom-News

Lynn_Margulis_650Bevor die Tab-Leiste des Browsers explodiert und meine Bookmarks wegen Nichtbeachtung Harakiri begehen, notiere ich hier in aller Eile ein paar Stichworte zu aktueller (na ja, fast aktueller) Mikrobiom-Literatur.

Und damit die Männerquote bei den Wissenschaftler-Porträts im Buch nicht weiter bei traurigen 100 Prozent liegt, habe ich Lynn Margulis in die Galerie aufgenommen – jene 2011 verstorbene US-amerikanische Biologin, die für symbiotische Organismen (also z. B. Mensch + Mikrobiom) den Begriff „Holobionten“ geprägt hat.

Ruth Williams (2014): Repurposed Retroviruses: Die T-Zell-unabhängige Aktivierung von B-Zellen durch Polysaccharid-Antigene geht bei Mäusen offenbar mit einer Transkription zahlreicher DNA-Sequenzen aus endogenen Retroviren (ERVs) einher, und die dabei entstehende RNA wird zum Teil vom Enzym Reverse Transkriptase in DNA-Stränge rückübersetzt. Das ist vermutlich keine funktionslose oder gar schädliche Nebenwirkung, sondern Teil des B-Zell-Aktivierungsmechanismus.

Kate Yandell (2015): Commensal Defense: Bacteroidetes in unserer Darmflora entgehen der Vernichtung durch antimikrobielle Peptide, mit denen unser Organismus Pathogene im Verdauungstrakt vernichtet, durch ein Enzym, das die Lipopolysaccharide (LPS) in ihrer Membran verändert. Diese im Resistenzgen IpxF codierte Phosphatase knipst negativ geladene Phosphatgruppen von den LPS ab, wodurch die positiv geladenen antimikrobiellen Peptide schlechter an unsere Symbionten binden als an die Pathogene.   Weiterlesen

Trogozytose: Kleider machen Leute

Die Funktion einer Immunzelle wird während ihrer Entwicklung von der Stammzelle im Knochenmark zur reifen Effektorzelle immer weiter festgelegt. Aber es gibt Ausnahmen. So bringt die sogenannte Trogozytose (vom griechischen trogo = nagen, knabbern) Flexibilität ins Spiel: Zellen können Oberflächenmarker an andere Zellen – insbesondere Immunzellen – übergeben. Die Empfängerzelle übernimmt dann trotz eines unveränderten Genexpressionsprofils neue Aufgaben, etwa Antigenpräsentation oder Toleranzinduzierung. In der Fachliteratur wird dieser Mechanismus auch als „cross-dressing“ bezeichnet.

T-Zelle, als B-Zelle verkleidet

T-Zelle, als B-Zelle verkleidet

So können etwa Monozyten oder Makrophagen Immunkomplexe aus Antigenen und Antikörpern des Typs IgG von B-Zellen übernehmen. Spender und Empfänger bilden dazu eine Synapse, eine innige Verbindung, bei der Fcγ-Rezeptoren an der Oberfläche der Empfänger an die freien konstanten Ende der Antikörper binden, die wiederum mit ihrer antigenspezifischen Seite an die Antigene gebunden sind, die die B-Zellen auf ihrer Oberfläche tragen. Wenn sich die Zellen wieder voneinander lösen, bleibt ein Teil der Membran des Spenders mitsamt Antikörpern und Antigenen an der Empfängerzelle haften. Die Spenderzelle schnürt diesen Membranteil ab, ohne dabei Schaden zu nehmen. Der Empfänger baut die geklauten Proteine ab oder präsentiert sie auf seiner Oberfläche, wo sie von anderen Zellen erkannt werden können.

Nach diesem Schema verläuft auch die Übernahme von Antigen-beladenen MHC-Komplexen durch T-Zellen:   Weiterlesen

Die Rolle von HLA-G bei Autoimmunerkrankungen

Am Ende des letzten Beitrags habe ich das Protein HLA-G erwähnt, mit dem der Trophoblast – die Kontaktfläche des Embryos zum mütterlichen Gewebe – die Immunzellen in der Gebärmutter friedlich stimmt und für die nötigen Umbaumaßnahmen im Adernetz rekrutiert.

Die klassischen HLA-Moleküle wie HLA-A sind extrem polymorph, d. h. es gibt zahlreiche leicht unterschiedliche Varianten, da diese Moleküle die Aufgabe haben, Abermillionen unterschiedlicher Antigen-Bruchstücke zu binden und den Immunzellen zu präsentieren. HLA-G weist einen viel geringeren Polymorphismus auf und hat entsprechend andere Funktionen. Sein Gen liegt – wie das von HLA-A – im Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) auf Chromosom 6. Man kennt vier membrangebundene Formen (G1 bis G4) und drei lösliche (G5 bis G7).

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Die 7 Isoformen von HLA-G und ein HLA-G5-Dimer

 

Die membrangebundenen Formen können aber durch Enzyme von der Zelloberfläche abgeschnitten werden und den Zellen dann ebenfalls als lösliche Signalstoffe dienen. Einige der Formen können sich zu Dimeren zusammenlagern (s. Abb.: unten ein Dimer aus zwei HLA-G5-Molekülen).

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Das ambivalente Verhältnis des Embryos zum Immunsystem

Dass der Dotter in einem Vogelei der Ernährung des werdenden Kükens dient, ist allgemein bekannt. Dass auch junge menschliche Embryonen von einem Dottersack zehren, bevor die Plazenta ihre Versorgung übernimmt, ist vielen Menschen dagegen nicht bewusst. Hier ein junger Embryo eines Säugetiers – ob Mensch, Katz oder Maus, ist in diesem Stadium noch kaum zu erkennen. Links der Dottersack:

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Aus diesem Dottersack wandern Zellen in den jungen Embryo ein, die später zu Gewebsmakrophagen werden – siehe vorletzter Beitrag. Der schwarze Fleck ist die embryonale Leber, die bereits Immunzellen produziert, bevor das Knochenmark diese Aufgabe übernimmt. Über die Nabelschnur – hier nur angedeutet – gelangen Nährstoffe aus der Plazenta in den Embryo hinein und Abfallstoffe aus ihm heraus.

Der Embryo muss das mütterliche Immunsystem einerseits fürchten, denn er enthält zur Hälfte väterliches Erbgut und stellt daher einen Fremdkörper dar, der Gefahr läuft, vom Organismus abgestoßen zu werden. Doch mit verschiedenen löslichen Substanzen und Oberflächenmarkern auf seiner Kontaktfläche zum mütterlichen Plazentagewebe (Trophoblast) spannt der Embryo einen Schutzschirm auf:

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Andererseits ist der Embryo gerade zu Beginn der Schwangerschaft auf die zahlreichen Immunzellen angewiesen, die sich in der Gebärmutterschleimhaut aufhalten. Es sind nämlich massive Baumaßnahmen nötig:

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Der Embryo spannt die örtlichen Immunzellen – vor allem natürliche Killerzellen – ein, um das Adersystem der Gebärmutter so um- und auszubauen, dass das mütterliche Blut genug Nährstoffe für den Nachwuchs heranschaffen kann. Als Bauanweisungen dienen ihm zum Teil dieselben Signalstoffe wie bei der Beschwichtigung der Immunzellen, insbesondere das Protein HLA-G.

Junge rote Blutkörperchen regulieren Immunreaktionen

Im letzten Beitrag habe ich eine Studie vorgestellt, der zufolge unreife rote Blutkörperchen unser Immunsystem in den Wochen nach der Geburt so stark zäumen, dass die Erstbesiedlung des Darms mit gutartigen Bakterien nicht zu einer gefährlichen großflächigen Entzündung führt. Hier nun die passenden Skizzen – zunächst ein erwachsener, kernloser Erythrozyt, der bekanntlich die Aufgabe hat, Sauerstoff aus den Lungen in unser Gewebe zu transportieren, und ein junger, unreifer Erythrozyt, der wegen seines Zellkerns noch nicht die typische Scheibenform der roten Blutkörperchen angenommen hat. Seine Aufgabe ist es, Immunreaktionen aufzuhalten:

P1260500_Reifer_unreifer_Erythrozyt_650Dass die kernhaltigen rote Blutkörperchen von Nicht-Säugetieren wie Fischen und Vögeln auch Aufgaben im Immunsystem übernehmen, ist schon lange bekannt. Insofern sollte es uns nicht überraschen, dass dies auch bei Menschen der Fall ist – wenn auch nur in einem schmalen Zeitfenster: Vorläufer späterer roter Blutkörperchen, die den Marker CD71 auf der Oberfläche tragen, hemmen durch Enzyme und womöglich weitere lösliche Substanzen die Aktivität der T-Zellen, B-Zellen, dendritischen Zellen und Makrophagen von Neugeborenen. Eventuell fördern sie zudem durch Freisetzung von Zytokinen die Bildung von regulatorischen T-Zellen (Tregs) und T-Helferzellen des Typs 2 (Th2).

Shokrollah Elahi vermutet, dass die massiven Entzündungen, unter denen viele Frühgeborene leiden, auf einen Mangel an CD71+-Zellen zurückzuführen sind. Diese Schutzpolizisten entstehen nämlich vor allem in den letzten Schwangerschaftswochen vor dem normalen Geburtstermin. Bei einer Frühgeburt ist ihre Zahl noch viel zu gering, um das Immunsystem während der Erstbesiedlung des Darms mit unseren Darmbakterien vom Amoklauf abzuhalten.

Wie aber werden unreife Erythrozyten „erwachsen“? Sie versammeln sich im roten Knochenmark um Makrophagen, scheiden ihre Zellkerne ab und nehmen ihre Arbeit als Sauerstofftransporteure auf. Die Kerne, die dabei nur stören würden, werden von den Makrophagen vertilgt:

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Wie so oft übernehmen die Makrophagen also die Müllentsorgung – besonders wichtig, wenn es um die Beseitigung von Kernen geht, da diese jede Menge Nukleinsäuren (DNA) enthalten, die andernfalls starke Immunreaktionen auslösen würden. Extrazelluläre Nukleinsäuren deuten nämlich normalerweise auf Infektionen oder ein massives Zellsterben hin.

Lit.: S. Elahi (2014): New insight into an old concept: role of immature erythroid cells in immune pathogenesis of neonatal infection

 

Epstein-Barr-Viren kapern und überdauern in B-Zellen

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Etliche Bakterien und Viren entziehen sich der Abwehr, indem sie sich ausgerechnet im Inneren von Immunzellen einnisten. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), das in T-Zellen überdauert. Viel häufiger und zum Glück weniger gefährlich ist das Epstein-Barr-Virus (EBV), das zu den Herpes-Viren gehört und sich in unseren B-Zellen versteckt. Einmal infiziert, trägt man es so ein Leben lang mit sich herum, und meistens bemerkt man davon nichts.

Bis zum 35. Lebensjahr haben sich über 95 Prozent aller Menschen das Virus zugezogen. Während sich in den Entwicklungsländern – wie früher auch bei uns – die meisten bereits als Kleinkinder symptomfrei anstecken, infizieren sich etliche Menschen in hoch entwickelten Ländern mit guter Hygiene erst als Jugendliche oder junge Erwachsene und entwickeln dann das Pfeiffer-Drüsenfieber. Nach einer akuten Infektionsphase in den Mandeln startet das Virus ein Latenzprogramm: Es nistet sich in langlebigen B-Gedächtniszellen ein, in denen es nicht weiter stört, aber die Funktion der B-Zellen subtil beeinflussen kann. Die B-Gedächtniszellen wandern über die Blutbahn in andere Organe.

Schon lange steht das Virus im Verdacht, bei Menschen mit entsprechender genetischer Veranlagung den Ausbruch von Autoimmunerkrankungen zu fördern, etwa Lupus, Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis, Hashimoto-Thyreoiditis, Sjögren-Syndrom, Typ-1-Diabetes, systemische Sklerose oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Gegen welches Organ oder Gewebe sich die Autoimmunreaktionen richten, scheint von ererbten Risikoallelen abzuhängen, insbesondere von bestimmten MHC-Klasse-II-Genvarianten und einer Veranlagung zu einem Mangel an regulatorischen T-Zellen (Tregs). Aber wie tragen die Viren zum Ausbruch der Autoimmunerkrankung bei? Alle möglichen Mechanismen werden in der Literatur diskutiert: molekulare Mimikry zwischen EBV-Proteinen wie EBNA-1 und menschlichen Proteinen wie dem Lupus-Autoantigen Ro, Bystander Activation autoreaktiver T-Zellen durch Entzündungssignale aus den infizierten B-Zellen, Epitope Spreading über das anfangs dominante EBV-Antigen hinaus oder polyklonale Antikörperbildung im Zuge der Vermehrung und Aktivierung der befallenen B-Zellen.

Außerdem wurde spekuliert, die Viren könnten naive autoreaktive B-Zellen so umprogrammieren, dass sie sich auch ohne Aktivierung durch Autoantigen-Kontakt in sehr langlebige Gedächtnis-B-Zellen umwandeln, die dann später Autoimmunreaktionen auslösen. Die Viren könnten auch endogene Retroviren wie HERV-K18 oder HERV-W aktivieren, die normalerweise untätig in unserem Genom schlummern, nach ihrer Erweckung durch EBV aber Superantigene herstellen, die zahlreiche T-Zellen polyklonal aktivieren könnten. Bewiesen ist aber nichts.

Dass im Blut von Patienten mit Autoimmunerkrankungen manchmal deutlich mehr Anti-EBV-Antikörper oder EBV-DNA-Moleküle nachzuweisen sind als bei Gesunden, belegt noch keine Verursachung der Erkrankung durch EBV: Vielleicht stört umgekehrt die Autoimmunerkrankung das Gleichgewicht in den infizierten B-Zellen, sodass die Viren aus ihrem Latenzzustand erwachen und sich vermehren. Da die üblichen Tiermodelle für Autoimmunerkrankungen, insbesondere Mäuse- und Rattenstämme, sich nicht mit EBV infizieren lassen, können auch Tierversuche keine rasche Klärung bringen.

Auswertung Wissenschafts-Newsletter, Teil 2

Weitere Meldungen der letzten Monate, zunächst wieder zum Mikrobiom:

Manipuliert uns unsere Darmflora? Artikel über eine im August veröffentlichte Studie, der zufolge Darmbakterien die Stimmung ihrer Wirte so beeinflussen, dass diese Nahrung zu sich nehmen, die den Bakterien zugute kommt. Keimfrei aufgezogene Mäuse haben z. B. veränderte Geschmacksrezeptoren, und Darmbakterien wie Escherichia coli produzieren Dopamin. Die Anwesenheit bestimmter Bakterien beeinflusst über solche Signalstoffe die Nerven des Verdauungstrakts, dessen Signale über den Vagusnerv ans Gehirn weitergeleitet werden. Der Vagusnerv beeinflusst unser Essverhalten und Körpergewicht.

Dick durch Jetlag und Schichtarbeit? Eine im Oktober in Cell veröffentlichte Studie deutet darauf hin, dass Jetlag und Schichtarbeit uns dick macht, indem sie nicht nur unsere innere Uhr, sondern auch die inneren Uhren unserer Darmflora verstellen. Mäuse, die unregelmäßigen Hell-Dunkel- sowie Fütterungsrhythmen ausgesetzt sind und kalorienreiche Kost erhalten, haben eine anders zusammengesetzte Darmflora und werden dicker als solche, die einen normalen Rhythmus beibehalten können. Auch bei zwei Menschen mit Jetlag nach einer Fernreise veränderte sich die Zusammensetzung der Darmflora: Begünstigt wurden Bakterien, die mit Übergewicht und Diabetes in Zusammenhang gebracht werden.

The Rise of Celiac Disease Still Stumps Scientists: Bericht über zwei im Oktober im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studien zu Zöliakie, deren Ergebnisse zwei beliebten Hypothesen widersprechen. Erstens scheint die Wahrscheinlichkeit, an Zöliakie zu erkranken, nicht zu sinken, wenn man bei Kleinkindern die Einführung von glutenhaltiger Nahrung hinauszögert. Bestenfalls bricht die Zöliakie etwas später aus. Zweitens lässt sich die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei Kindern mit einer entsprechenden genetischen Prädisposition auch durch „Desensibilisierung“, also durch kleine Glutenbeimischungen zur Muttermilch, nicht senken.    Weiterlesen

Auswertung Wissenschafts-Newsletter, Teil 1

Nach langer Pause wegen Überstunden und Krankheit stürze ich mich wieder in die Arbeit am Buch. Ich bin immer noch mit der Beschreibung der wichtigsten Mechanismen beschäftigt, über die Infektionen mutmaßlich Autoimmunerkrankungen auslösen: molekulare Mimikry, Bystander Activation, Epitope Spreading und polyklonale Aktivierung, z. B. durch Superantigene.

Nebenbei wühle ich mich durch die Wissenschafts-Newsletter der letzten Monate. Evtl. fürs Buch relevante Meldungen verlinke ich hier. Den Anfang macht The Scientist, vor allem mit Meldungen zum Mikrobiom.

Microbes Fight Chronic Infection: Eine am 23.10.2014 in Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass Clostridium scindens und in geringerem Umfang 10 weitere Bakterien-Taxa aus dem Darm-Mikrobiom Antibiotika-behandelte (und daher dysbiotische) Mäuse vor Infektionen mit Clostridium difficile schützen können. Evtl. lässt sich daraus eine Therapie für dysbiotische Menschen entwickeln, die weniger riskant ist als die Stuhltransplantationen, die derzeit in, äh, aller Munde sind.

Gut Microbes Trigger Malaria-Fighting Antibodies: Eine am 04.12.2014 in Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass E. coli im Darm von Mäusen die Bildung von Antikörpern gegen den Kohlenwasserstoff Galα1-3Galb1-4GlcNAc-R (kurz: α-gal) auslöst, der sowohl an der Oberfläche der Bakterien als auch auf Malaria-Erregern (bei Mäusen Plasmodium berghei, bei Menschen Plasmodium falciparum) zu finden ist. Diese Antikörper sind auch im Blut gesunder Menschen in großen Mengen anzutreffen. Dank einer Dreifach-Mutation in den gemeinsamen Vorfahren der Menschen und der Menschenaffen stellen unsere Zellen kein α-gal mehr her, sodass die Antikörper nicht den eigenen Körper angreifen. Mit P. berghei infizierte Mäuse mit den durch das Bakterium induzierten Antikörpern im Blut erkrankten nur halb so häufig an Malaria wie Mäuse ohne die Antikörper.    Weiterlesen

eQTLs: Wie Autoimmun-Risikoallele die Immunreaktion verändern

Schon länger ist bekannt, dass die meisten genetischen Varianten, die das Risiko für Autoimmunerkrankungen erhöhen, gar nicht im abgelesenen Bereich irgendeines Gens liegen, sondern in nicht codierenden, rein regulatorischen DNA-Sequenzen, die das Ausmaß beeinflussen, in dem andere Sequenzen abgelesen werden. Durch sogenannte genome-wide association studies (GWAS) kennen wir Aberhunderte solcher Einzelnukleotid-Polymorphismen (single nucleotide polymorphisms oder SNPs), also Stellen in unserem Genom, an denen bei einem Teil der Menschen eine Nukleobase (A, T, C oder G) durch eine andere ersetzt ist.

Diese winzigen Varianten verändern die Feinstruktur der DNA-Doppelhelix und der Nukleosomen, also der kabelrollenartigen Proteinkomplexe, um die die Doppelhelix gewickelt ist. Dadurch können zum Beispiel andere Proteinkomplexe, die für die Ablesung von Genen, also die Produktion von Messenger-RNA-Strängen verantwortlich sind, besser oder schlechter an die DNA andocken und sich von dort aus an ihren Einsatzort weiterhangeln. Oder die DNA bildet Schleifen, durch die eine aktivierende Sequenz mit einer aktivierbaren Sequenz in Kontakt kommt, usw. Die meisten dieser Regulierungsmechanismen sind noch nicht richtig aufgeklärt.

Bis vor kurzem konnte man auch nicht sagen, welches Gen nun durch einen SNP stärker oder schwächer abgelesen wird als sonst. Es kann das nächste oder übernächste Gen in die eine oder in die andere DNA-Strang-Richtung sein (cis-Regulierung) oder irgendein Gen in großer Entfernung, sogar auf einem anderen Chromosom (trans-Regulierung). Das lässt sich neuerdings durch aufwändige Analysen der sogenannten expression quantitative trait loci – kurz: eQTLs – aufklären. Das sind DNA-Sequenzen, die die Ablesung eines Gens nicht einfach ein- oder ausgeschalten, sondern hoch- oder herunterregulieren – und genau das ist bei vielen Genen des Immunsystems der Fall. (Das quantitative Merkmal ist hier also nicht, wie bei klassischen QTLs, ein kontinuierlich variierendes äußerliches Merkmal wie etwa die Körpergröße, sondern die mRNA-Menge, die bei der Transkription des Zielgens entsteht.)

Die eQTL-Analysen unserer Immunsystem-Gene sind in den letzten Monaten immer genauer geworden: Anfangs hat man untersucht, wie sich SNPs, die statistisch mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht wurden, auf die Ablesestärke von Immunsystem-Genen in einem Gemisch aller möglicher weißer Blutkörperchen (Monozyten, T-Zellen, B-Zellen usw.) auswirken. Das ist ungefähr so, als würde man ein Elektroenzephalogramm von einer ganzen Gruppe von Leuten machen und dann aus dem Gewirr von Signalen darauf rückschließen wollen, welche Prozesse in ihren Gehirnen ablaufen (Yao et al. 2014):

eQTL_1_gemischte_Blutzellen_650Als Nächstes hat man einzelne Immunzelltypen aus den Blutproben von gesunden Probanden isoliert und dann beispielsweise die Ablesung bestimmter Immunsystem-Gene in den Monozyten von Europäern mit der Ablesung derselben Gene in den Monozyten von Asiaten verglichen (Raj et al. 2014):

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Bei vielen Genen, die man im Verdacht hat, das Risiko für Autoimmunerkrankungen zu beeinflussen, konnte man so allerdings keine großen Unterschiede zwischen den Gruppen entdecken. Das ist kein Wunder, denn die Immunzellen wurden im nicht angeregten Grundzustand untersucht. Immunreaktionen werden aber durch Alarmsignale ausgelöst, zum Beispiel durch die Konfrontation mit Krankheitserregern oder mit Molekülen, die für diese Pathogene typisch sind – etwa Lipopolysaccharide aus Bakterien-Zellwänden.

Also hat man im nächsten Schritt im Rahmen des ImmVar-Projekts bestimmte Zelltypen aus dem Blut unterschiedlicher Probandengruppen isoliert und sie dann mit solchen Gefahrensignalen konfrontiert, um sie zu aktivieren und anschließend ihre Reaktionen zu erfassen (Fairfax et al. 2014, Lee et al. 2014Ye et al. 2014):

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Und siehe da: Bestimmte Gene werden nach der Aktivierung des entsprechenden Immunzelltyps (hier Monozyten) besonders stark abgelesen, wenn die DNA der Probanden an anderer Stelle einen bestimmten Risiko-Genort enthält.

Dabei gab es bereits einige Überraschungen. Beispielsweise wird die Ablesung von Genen, die die Zellvermehrung von Gedächtnis-T-Zellen steuern, durch die bekannten Risiko-Genorte für wichtige Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes oder rheumatoide Arthritis kaum gesteigert (Hu et al. 2014). Dabei dachte man bisher, diesem Zelltyp käme bei Autoimmunerkrankungen durch seine übermäßige Vermehrung und Aktivierung eine Schlüsselrolle zu.

Selektionsdruck durch Seuchen

Pestarzt_650_gespiegeltFür die meisten Betroffenen nur ein schwacher Trost, aber evolutionsbiologisch faszinierend: Dass Risikogenvarianten für Autoimmunerkrankungen nicht längst „weggemendelt“ wurden, liegt wohl daran, dass sie mit höheren Überlebenschancen bei Infektionserkrankungen einhergehen.

So deutet einiges darauf hin, dass manche afrikanische und asiatische Ethnien eine stärkere genetische Neigung zu Lupus (SLE) haben als beispielsweise Europäer, weil eine Variante in einem Gen für einen Rezeptor für das konstante Ende von Antikörpern das Risiko verringert, an Malaria zu sterben – um den Preis eines höheren Lupus-Risikos (Clatworthy et al. 2007).

Eine ähnliche positive Selektion hat wohl der Cholera-Erreger Vibrio cholerae im bengalischen Gangesdelta ausgeübt: Viele Bengalen tragen genetische Varianten in sich, die einerseits die Schlagkraft des angeborenen Arms ihres Immunsystems gegen Cholera, andererseits aber auch die Neigung zu Colitis ulcerosa erhöhen (Karlsson et al. 2013).

Selektionsdruck_Malaria_Pest_Cholera_Roma_650

In Europa schließlich dürften die Pestepidemien des Mittelalters und der frühen Neuzeit einen starken Selektionsdruck auf unser Immunsystem ausgeübt haben. Das wird beim Vergleich der Immunsystem-Gene von „alteingesessenen“ Rumänen, rumänischen Roma und Nordwestindern deutlich.

Die Vorfahren der Roma sind zwischen 900 und 1100 n. Chr. aus dem Nordwesten Indiens nach Europa eingewandert (weiße Punkte und Pfeil in der Karte). Seither sind sie in Rumänien im Großen und Ganzen ähnlichen Umweltbedingungen und damit auch einem ähnlichen Selektionsdruck durch Infektionen ausgesetzt wie die übrige Bevölkerung Rumäniens (schwarzer Punkt in der Karte). Sie haben sich aber genetisch kaum vermischt.

Laayouni et al. (2014) haben mehrere Gene für sogenannte toll-like receptors aufgespürt, die in diesen beiden europäischen Populationen in den letzten Jahrhunderten eine konvergente Entwicklung durchlaufen haben: TLR1, TLR6 und TLR10. Kleine Varianten in diesen Genen verändern die Zytokin-Ausschüttung, die durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöst wird. Bei den Nordwestindern, die den Roma genetisch ansonsten noch recht nahe stehen, finden sich diese Varianten nicht – ebenso wenig wie bei den Yoruba in Afrika oder bei den Han-Chinesen.

Unter einem positiven Selektionsdruck stand bei den Rumänen und den Roma offenbar auch eine Variante des Gens ADAMTS12, die das Risiko erhöht, an rheumatoider Arthritis zu erkranken. Etliche TLR-Varianten erhöhen ebenfalls die Neigung zu Autoimmunstörungen oder chronischen Entzündungen.