Schlagwort-Archive: Entzündungen

Abb. 206: Das Toleranzspektrum

Aus heutiger Sicht stehen immunologisch privilegierte Orte wie das Gehirn einfach an einem Ende eines Spektrums mit unterschiedlich hohen Aktivierungsschwellen, unterschiedlich schnell greifenden Stoppmechanismen und unterschiedlich starker örtlicher Begrenzung von Immunreaktionen.

Abwehrmaßnahmen in der Haut sind dagegen besonders energisch und breiten sich leichter auf das ganze System aus.

Der Darm mit seinem entzündungshemmenden Milieu steht zwischen diesen Extremen.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Abb. 149: Prostaglandine und Leukotriene

Aus Arachidonsäure (hier die Strukturformel) entstehen Prostaglandine und Leukotriene, die Immunreaktionen fördern. Bei chronischen Entzündungen und Autoimmunstörungen
wird daher oft von arachidonsäurereicher Kost wie Schweineschmalz oder Schweineleber abgeraten.

Sie dürfen diese Zeichnung gerne in Folien etc. übernehmen, sofern Sie die Quelle angeben: Dr. Andrea Kamphuis, https://autoimmunbuch.de

Die Paleo-Revolution

Heidrun Schaller hat mir vor einigen Wochen ein Exemplar ihres Buchs „Die Paleo-Revolution“ zukommen lassen. Herzlichen Dank dafür – und für die nette Erwähnung in der Danksagung! Höchste Zeit, das Buch kurz vorzustellen.

P1260507_Paleo-Buch

Eines vorab: ich ernähre mich nicht nach Paleo oder irgendeinem anderen Prinzip, sondern bin Ottonormal-Omnivore. Aber die sogenannte Steinzeitkost interessiert mich, weil sie sich an unserem genetischen Erbe orientiert und weil offenbar etliche Menschen mit Autoimmunerkrankungen gute Erfahrungen mit dieser Ernährungsweise gemacht haben, die sich vor allem durch den Verzicht auf Zucker, Getreide und Hülsenfrüchte und eine relativ fett- und proteinreiche Kost auszeichnet.

Ungefähr seit Ausbruch meiner Autoimmunerkrankung habe ich immer wieder mal mit Verdauungsproblemen zu kämpfen, die weit über das normale Maß hinausgehen. Ich weiß nicht, ob da ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Zum Glück berappelt sich mein System bisher immer wieder – aber wenn das noch schlimmer wird und meine Gesundheit und mein Sozial- und Berufsleben ernsthaft beeinträchtigen sollte, werde ich mich vielleicht doch einmal an Paleo heranwagen. Mit Heidruns Buch habe ich dann den idealen Einstieg zur Hand.

P1260511_Paleo-Buch

Was mich als Naturwissenschaftlerin gleich begeistert hat, ist die sachliche, stets mit Literaturangaben unterfütterte Darstellung – etwa unseres Verdauungssystems, der Ernährung indigener Völker oder des Mikrobioms. Mir ist auch kein anderer „Ernährungsratgeber“ bekannt, in dem gleich zu Anfang der Unterschied zwischen Korrelationen und Kausalzusammenhängen, die Fallstricke von epidemiologischen Studien oder der Publication Bias so verständlich erklärt werden. Überhaupt liest sich das Buch sehr angenehm, sowohl wegen des guten Stils der Autorin als auch wegen des aufgeräumten Layouts.

Die Skepsis der Autorin gegenüber Ernährungsdogmen macht auch vor Paleo selbst nicht halt: Stets ist von einer „Hypothese“ die Rede – allerdings einer besonders plausiblen, eben aufgrund der Orientierung an der Ernährung und Lebensweise unserer Urahnen, denen wir genetisch noch sehr nahe stehen. Im Kapitel „Was unser Körper mit Essen macht und warum er Paleo mag“ wird unter anderem der chemische Aufbau von Fett, Kohlenhydraten und Proteinen sehr anschaulich erläutert, und es wird deutlich, dass eine kohlenhydratarme Ernährung keineswegs zu Mangelerscheinungen oder zur Verfettung führen muss. In der „Anthropologischen Rundumschau“ stellt Heidrun die traditionelle Ernährung verschiedener indigener Völker vor, die je nach den Umweltbedingungen ganz unterschiedlich ausfiel. Entsprechend viele Spielarten kennt auch die Paleo-Ernährung. Außerdem wird deutlich, dass es bei Paleo nicht darum geht, genau „wie in der Steinzeit“ zu leben: Alle Gemüsesorten, die wir heute essen, sind kultiviert, und nahezu alle Fleischlieferanten sind Zuchttiere. Es geht um praktikable Näherungen – wie etwa die Beschränkung auf Fleisch und Butter von Weiderindern anstelle von sojagefütterten Rindern aus der Massentierhaltung.

Im Kapitel „Das Mikrobiom“ erhalten viele Leserinnen und Leser vermutlich zum ersten Mal einen guten Überblick über unsere „Mitbewohner“, ohne die wir unser Essen nicht aufschließen und Krankheitserreger nicht richtig abwehren könnten. Das dicke Kapitel „Paleo trifft auf Entzündung“, in dem unter anderem Autoimmunerkrankungen und Übergewicht behandelt werden, lese ich im Augenblick. Bereits überflogen habe ich das Kapitel „Wie passt Paleo in unsere Zeit?“, in dem sich Heidrun unter anderem mit den Argumenten von Veganern gegen den Verzehr tierischer Produkte auseinander setzt. So verständlich das angesichts der heftigen und dogmatischen Diskussionen in vielen Foren ist: Mich hat das weniger angesprochen als die übrigen Teile des Buches; einige Passagen klingen sehr nach Rechtfertigung. Richtig und wichtig ist aber die Feststellung, dass jede Ernährungsweise, auch die vegane, mit Beeinträchtigungen für andere Lebewesen einhergeht und ethische Probleme aufwerfen kann.

In die ersten drei Viertel des Buches sind Erfahrungsberichte von Menschen eingestreut, die ihre Ernährung aufgrund ernster Gesundheitsprobleme – etwa Zöliakie, Diabetes oder Asthma – auf Paleo umgestellt haben. Das letzte Viertel des Buches nehmen die Kochtipps ein, die kein Paleo-Kochbuch ersetzen wollen, sondern wirklich Basics vermitteln – etwa die Herstellung von Ghee, Joghurt, Leberwurst oder Sauerkraut. Sogar Bezugsquellen sind angegeben. So, und jetzt habe ich Lust, Leberwurst zu machen! Ob ich mich traue? 🙂

P1260658_Paleo-Buch

Auswertung Wissenschafts-Newsletter, Teil 1

Nach langer Pause wegen Überstunden und Krankheit stürze ich mich wieder in die Arbeit am Buch. Ich bin immer noch mit der Beschreibung der wichtigsten Mechanismen beschäftigt, über die Infektionen mutmaßlich Autoimmunerkrankungen auslösen: molekulare Mimikry, Bystander Activation, Epitope Spreading und polyklonale Aktivierung, z. B. durch Superantigene.

Nebenbei wühle ich mich durch die Wissenschafts-Newsletter der letzten Monate. Evtl. fürs Buch relevante Meldungen verlinke ich hier. Den Anfang macht The Scientist, vor allem mit Meldungen zum Mikrobiom.

Microbes Fight Chronic Infection: Eine am 23.10.2014 in Nature veröffentlichte Studie zeigt, dass Clostridium scindens und in geringerem Umfang 10 weitere Bakterien-Taxa aus dem Darm-Mikrobiom Antibiotika-behandelte (und daher dysbiotische) Mäuse vor Infektionen mit Clostridium difficile schützen können. Evtl. lässt sich daraus eine Therapie für dysbiotische Menschen entwickeln, die weniger riskant ist als die Stuhltransplantationen, die derzeit in, äh, aller Munde sind.

Gut Microbes Trigger Malaria-Fighting Antibodies: Eine am 04.12.2014 in Cell veröffentlichte Studie zeigt, dass E. coli im Darm von Mäusen die Bildung von Antikörpern gegen den Kohlenwasserstoff Galα1-3Galb1-4GlcNAc-R (kurz: α-gal) auslöst, der sowohl an der Oberfläche der Bakterien als auch auf Malaria-Erregern (bei Mäusen Plasmodium berghei, bei Menschen Plasmodium falciparum) zu finden ist. Diese Antikörper sind auch im Blut gesunder Menschen in großen Mengen anzutreffen. Dank einer Dreifach-Mutation in den gemeinsamen Vorfahren der Menschen und der Menschenaffen stellen unsere Zellen kein α-gal mehr her, sodass die Antikörper nicht den eigenen Körper angreifen. Mit P. berghei infizierte Mäuse mit den durch das Bakterium induzierten Antikörpern im Blut erkrankten nur halb so häufig an Malaria wie Mäuse ohne die Antikörper.    Weiterlesen

Alcaligenes: das Vieh in unseren Peyer-Plaque-Corrals

Die nächste Skizze fürs Buch:

P1180270_Alcaligenes_sIgA_ILCs_Corral_korr_650Eine der seltsamsten Entdeckungen, die in den letzten Jahren in unserem Darm gemacht wurden, ist die „Viehwirtschaft“ in den Peyer-Plaques – jenen Lymphfollikelhaufen unter dem Dünndarmepithel, in denen die lokale Immunabwehr organisiert wird.

Das Epithel, hier als Palisade dargestellt, besteht aus einer einzelnen Schicht von Enterozyten, die seitlich durch tight junctions so eng miteinander verbunden sind, dass sich nichts Gefährliches zwischen ihnen hindurch aus dem Darmlumen (oben) in das darunter liegende Gewebe (unten) quetschen kann. Aber direkt über jedem Peyer-Plaque sitzt eine M-Zelle (die Pforte), die Substanzen aus der Nahrung, Bakterien und Bakterienbruchstücke aus dem Darmlumen aufnimmt und an ihrer Unterseite wieder ausscheidet (sog. Transzytose, von trans = hindurch und Endozytose).

Dort nehmen normalerweise dendritische Zellen, die unterhalb des Epithels Wache schieben, die Antigene auf, um sie zu verarbeiten und dann in den Peyer-Plaques den naiven T- und B-Zellen zu präsentieren. Dort werden die zu den Antigenen passenden Zellen der erworbenen Abwehr aktiviert; sie vermehren sich, wandern durch die Blutbahn und kehren in den Darm zurück, wo sie z. B. Infektionen bekämpfen.

Solange keine akute Infektion vorliegt, sondern den B-Zellen vor allem Antigene aus harmlosen Darmbakterien (Kommensalen) präsentiert werden, produzieren sie sogenanntes sekretorisches Immunglobulin A (sIgA): Dimere aus zwei Y-förmigen IgA-Antikörpern, die an ihren „Stielenden“ zusammengeheftet sind. Dieses sIgA wird durch das Epithel ins Darmlumen ausgeschieden, wo es an Antigene an der Oberfläche von Kommensalen bindet. sIgA löst keine Komplementreaktion und damit keine Entzündung aus, sondern hindert die Kommensalen einfach nur daran, sich an das Epithel anzulagern und damit die Enterozyten und die Immunzellen in der Nähe „nervös zu machen“.

Manchmal aber geschieht Seltsames: Das sIgA bindet an lebende Bakterien der Gattung Alcaligenes, klopft dann gewissermaßen an die M-Zellen-Tür und wird mitsamt der Bakterien durch die M-Zellen in die darunter liegenden Peyer-Plaques eingeschleust. Ich habe das sIgA hier als Cowboys und die Alcaligenes-Zellen als Rinder dargestellt. Im Peyer-Plaque – dem Corral – werden die Bakterien nicht etwa abgetötet, sondern sie leben weiter, werden mit Nährstoffen versorgt und vermehren sich offenbar sogar.

Noch ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich um eine perfide Ausbeutung durch die Bakterien handelt. Wahrscheinlicher ist diese Form der „Viehhaltung“ aber eine Symbiose: Alcaligenes lässt sich in geschützter Umgebung versorgen und stimmt dafür das lokale Immunsystem tolerant, indem es ihm ständig kommensalentypische Antigene präsentiert. So werden gefährliche Überreaktionen auf harmlose Kommensalen vermieden.

Wichtig ist, dass die Bakterien nicht aus ihrem Corral ausbrechen. Dafür sorgen offenbar ILCs – die vor wenigen Jahren entdeckten innate lymphoid cells, die an der Grenze zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem stehen. Rings um die Peyer-Plaques machen sie sich als Hirten verdient. Fehlen sie oder haben sie einen Defekt, so brechen die Alcaligenes-Bakterien aus, die örtlichen B-Zellen schalten auf die Produktion von Antikörpern des Typs IgG um, und der Dünndarm entzündet sich.

Quellen:

  • Kunisawa J. und H. Kiyono (2012): Alcaligenes is Commensal Bacteria Habituating in the Gut-Associated Lymphoid Tissue for the Regulation of Intestinal IgA Responses. Front Immunol. 2012; 3: 65, doi: 10.3389/fimmu.2012.00065
  • Sonnenberg G. F. et al (2012): Innate Lymphoid Cells Promote Anatomical Containment of Lymphoid-Resident Commensal Bacteria. Science 336: 6086; doi: 10.1126/science.1222551

 

Zu viel Sauerstoff: Mikrobiom-Dysbiose bei Morbus Crohn

Weitere schnelle Notizen, wie immer noch nicht allgemein verständlich aufbereitet:

Gevers D et al. The treatment-naive microbiome in new-onset Crohn’s disease. Cell Host & Microbe 15, 382-392, March 12, 2014 

Zusammenfassung

Nach bisher widersprüchlichen Angaben über Art der Dysbiose bei Morbus Crohn hier Analyse des Mikrobioms in bislang größter pädiatrischer Morbus-Crohn-Kohorte. Zunahme von Enterobacteriaceae, Pasteurellaceae, Veillonellaceae sowie Fusobacteriaceae und Abnahme von Erysipelotrichales, Bacteroidales sowie
Clostridiales korreliert stark mit Krankheitsstatus. Antibiotika-Gaben verstärken die Abnahme der letztgenannten Bakterienordnungen und damit die Dysbiose – keine gute Idee. Für eine frühe und einfache Diagnose sind Analysen der rektalen schleimhautnahen Darmflora am besten geeignet; Krummdarm- und Fäkal-Mikrobiom sind anders zusammengesetzt und weniger aussagekräftig.

Einleitung + Ergebnisse

Studie an 668 Patienten (447 mit M. Crohn, 221 Kontrollen mit nicht-entzündlichen Darmproblemen) im Alter von 3-17 Jahren; Next-Generation-Sequencing und multivariate Analyse mit Berücksichtigung zahlreicher demografischer und klinischer Kovariaten wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Krankheitsschwere, Verhalten und Ort; Mikrobiom-Proben wurden vor Behandlungsbeginn entnommen.

Entzündungen sind stark mit Rückgang des Artenreichtums und mit veränderter Häufigkeit einiger Taxa assoziiert. Neben den bereits etablierten Taxa-Assoziationen (Enterobacteriaceae, Bacteroidales, Clostridiales) wurden positive Korrelationen zwischen M. Crohn und Häufigkeit von Pasteurellaceae (Haemophilus sp.), Veillonellaceae, Neisseriaceae und Fusobacteriaceae gefunden. Ein paar dieser Taxa (darunter Pasteurellaceae und Neisseriaceae) korrelieren negativ mit dem Alter der Patienten, sind also bei den jüngsten am häufigsten.

Bacteroides und Clostridiales waren in der Kontrollgruppe häufiger. Spezifische negative Assoziationen mit M. Crohn: Gattungen Bacteroides, Faecalibacterium, Roseburia, Blautia, Ruminococcus und Coprococcus sowie eine Reihe von Taxa aus den Familien Ruminococcaceae und Lachnospiraceae. Vor allem der Rückgang des entzündungshemmenden Faecalibacterium prausnitzii im Ileum (Krummdarm) ist ein frühes Warnzeichen für Entzündungen.  Weiterlesen

Neue Literatur bis einschließlich Dezember 2013, Teil 4

Der Rest, wieder unkommentiert und noch nicht verschlagwortet:

T cells and Transplantation: Drug-resistant immune cells protect patients from graft-versus-host disease after bone marrow transplant. T3

Bile Compound Prevents Diabetes in Mice: A chemical prevalent in the bear gallbladder abates a cellular stress response and stalls the progression of type 1 diabetes in rodents. T3

Matarese G et al. (2013): Hunger-promoting hypothalamic neurons modulate effector and regulatory T-cell responses (Open Access) T3
Dazu auch Neurons Govern Immunity: Hunger-associated molecules in the hypothalamus suppress inflammation.

Yu X et al. (2013): TH17 Cell Differentiation Is Regulated by the Circadian Clock (Abstract; PDF aber an anderer Stelle erhältlich) T3, T4
Dazu auch Time for T cells: Circadian rhythms control the development of inflammatory T cells, while jet lag sends their production into overdrive.

Scher JU et al. (29139: Expansion of intestinal Prevotella copri correlates with enhanced susceptibility to arthritis (Open Access) T4
Dazu auch Gut Microbes May Impact Autoimmunity: Researchers show that the prevalence of one genus of bacteria correlates with the onset of rheumatoid arthritis.

Zhong W et al. (2013): Immune anticipation of mating in Drosophila: Turandot M promotes immunity against sexually transmitted fungal infections (Open Access) T4
Dazu auch Frisky Fruit Flies: Researchers show that Drosophila females upregulate an immune gene for protection against sexually transmitted infections before copulation.

Simmonds MJ et al. (2013): Skewed X chromosome inactivation and female preponderance in autoimmune thyroid disease: an association study and meta-analysis (Abstract) T4

Alexandraki KI et al. (2013): Are patients with autoimmune thyroid disease and autoimmune gastritis at risk of gastric neuroendocrine neoplasms type 1? (Abstract) T3

Leskela S et al. (2013) Plasmacytoid Dendritic Cells in Patients With Autoimmune Thyroid Disease (Abstract) T3

Ioannou M et al. (2013): In Vivo Ablation of Plasmacytoid Dendritic Cells Inhibits Autoimmunity through Expansion of Myeloid-Derived Suppressor Cells (Open Access) T3

Simmonds MJ et al. (2013): GWAS in autoimmune thyroid disease: redefining our understanding of pathogenesis (Abstract) T3

Rege S, Hodgkinson SJ (2013): Immune dysregulation and autoimmunity in bipolar disorder: Synthesis of the evidence and its clinical application (Abstract) T3?

Multiple Sklerose: Zelldegeneration primär, chronische Entzündung und Autoimmunreaktion sekundär?

Axon mit Myelinscheide im Querschnitt, CC BY-SA 3.0, http://en.wikipedia.org/wiki/User:Roadnottaken

Ehrlich gesagt habe ich es aufgegeben, bei Multipler Sklerose (MS) den Überblick über die Fachliteratur und die Diskussionen zu ihren Ursachen und Mechanismen zu behalten: Nach meinem Eindruck wird alle paar Wochen eine neue Sau durchs Dorf getrieben, und oft wird mir nicht klar, welche Studienergebnisse nun mit welchen Theorien zusammenpassen und was sich gegenseitig ausschließt. Aber wenigstens diesen Meinungsbeitrag möchte ich vorstellen – wie immer noch nicht allgemeinverständlich zusammengefasst:

 

Peter K. Stys et al.: Will the real multiple sclerosis please stand up? Nature reviews Neuroscience 13, Juli 2012, 507-514; doi: 10.1038/nrn3275

Die Autoren legen dar, warum MS in ihren Augen eine Kombination aus einer primären neurodegenerativen Erkrankung und einer durch diese ausgelösten (und sie evtl. verstärkenden) Autoimmunreaktion bzw. chronischen Entzündung ist. Die nicht entzündliche primär progrediente Form der MS (PP-MS) ist ihres Erachtens die „eigentliche“ MS, die entzündlichen Formen wie die schubförmig remittierende MS (RR-MS) sind auf sekundäre (wenngleich sehr wichtige) Reaktionen zurückzuführen.

MS gilt ihnen zufolge traditionell als Autoimmunerkrankung, bei der wild gewordene T-Zellen Elemente des zentralen Nervensystems, insbesondere Myelin, angreifen. In der Zerebrospinalflüssigkeit der Patienten ist für gewöhnlich oligoklonales Immunglobulin G nachweisbar, und transiente Läsionen im Magnetresonanzscan weisen auf Entzündungen und Zusammenbrüche der Blut-Hirn-Schranke hin. Biopsien: Perivaskuläre Entzündungsinfiltrate bestehen überwiegend aus T-Zellen und Makrophagen; das Myelin wird abgebaut; die Axone degenerieren. Neuere Belege: nicht nur weiße, auch graue Substanz (Neuronen und Synapsen) betroffen.

Allgemein wird angenommen, dass die Pathophysiologie mit Immundysregulation beginnt, die das ZNS schädigt (Outside-in-Modell). Das passt aber nicht zu allen Befunden. Die Autoren vergleichen MS mit anderen neurodegenerativen Krankheiten, die wie Alzheimer oder Parkinson Stoffwechselursachen haben und nicht mit auffälligen Entzündungsphasen einhergehen. Sie schlagen ein alternatives Inside-out-Modell vor und untersuchen, welche molekularen Strukturen bei MS ohne primäre Beteiligung des Immunsystems gestört sein könnten.  Weiterlesen

Klaus Resch, Michael U. Martin, Volkhard Kaever, „Immunpharmakologie“

Dieses 2010 im Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, erschienene Lehrbuch ist die beste mir bekannte deutschsprachige Einführung nicht nur in die Immunpharmakologie, sondern auch in die Immunologie. Das didaktische Geschick der Autoren und die klaren Illustrationen von Sabine Seifert erleichtern die Orientierung in diesem schwierigen Fachgebiet enorm.

Wohlgemerkt: Leichte Lektüre ist auch dieses Werk nicht; allein die ausufernde und m. E. oft inkonsistente, ja hilflose Begrifflichkeit der Immunologie erfordert höchste Konzentration. So werden Immunzellen teils nach ihrem Herkunftsorgan, teils nach ihrer Funktion, nach ihrem Aussehen oder einfach nach den auf ihrer Oberfläche nachweisbaren Markern benannt. Und jene T-Helferzellen, die nach den Th1- und den Th2-Zellen entdeckt wurden, hat man nicht etwa Th3 getauft, sondern Th17 — weil sie Interleukin 17 herstellen. Wer nun meint, Th1-Zellen würden Interleukin 1 produzieren, hat sich geschnitten: Es ist Interleukin 2. Frag nicht nach Logik … Aber das kann man nicht den Autoren dieses Buches anlasten.   Weiterlesen